Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Polen

Von Rafał Baczyński-Sielaczek (Institut für Öffentliche Angelegenheiten, Warschau)

Zusammenfassung
Ziel dieses Beitrags ist die Analyse der polnischen Aufnahme- und Integrationspolitik gegenüber Flüchtlingen. Weiter wird der Versuch unternommen, ablehnende Haltungen der polnischen Bevölkerung gegenüber der Entscheidung der Regierung, Flüchtlinge aufzunehmen, zu erklären sowie die Gründe für die wesentlichen Mängel der strategischen Dokumente der polnischen Migrations- und Integrationspolitik. Die deutliche Mehrheit der Integrationsmaßnahmen für Menschen, die unter internationalem Schutz stehen, wie auch für die polnische Bevölkerung als aufnehmende Gesellschaft wird von Nichtregierungsorganisationen umgesetzt. Auch wenn seit einigen Jahren daran gearbeitet wird, Fragen der Integrationspolitik zu regeln, gehört Polen weiterhin zu denjenigen Ländern der Europäischen Union ohne umfassende nationale Strategie für die Integration von Ausländern und auch Flüchtlingen.

Das Jahr 2015 wird in die Geschichte der polnischen Migrationspolitik als ein Jahr eingehen, in dem die öffentliche Debatte über das Thema Migration, Flucht und die Rolle Polens auf der Landkarte der globalen Mobilität eröffnet wurde. Die Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema im öffentlichen Diskurs, nur ein Vierteljahrhundert nach der Transformation in ein demokratisches System, wurde Polen insofern aufgezwungen, als es in den Prozess zur Verbesserung des schlecht funktionierenden Asylsystems in Europa einbezogen wurde. Allerdings weicht die Qualität der polnischen öffentlichen Debatte deutlich vom fachlichen Niveau des westeuropäischen Diskurses ab. Den an der Diskussion Beteiligten, vor allem den durchschnittlichen Bürgern in Polen und den polnischen Politikern, fehlen immer noch das Basiswissen über Immigration, eine adäquate Terminologie und vor allem das Verständnis für die wesentlichen globalen Abhängigkeiten. Die Stimme der Experten dagegen wird von sensationslustigen Medien und von Politikern des rechten Spektrums übertönt, die Ängste schüren.

Die Flüchtlingsfrage im Wahlkampf

Der für Polen so wichtigen Debatte über Migration schadet auch der zurzeit stattfindende Wahlkampf, der Einstellungen radikalisiert und ein so wichtiges Problem auf die Ebene populistischer Streitereien verfrachtet. Weil die Debatte zu Wahlkampfzwecken genutzt wird, lässt sich unter den Hauptakteuren der polnischen politischen Bühne ein ganzes Spektrum an Einstellungen gegenüber der Entscheidung, Flüchtlinge aufzunehmen, beobachten. Dies reicht von der fehlenden Meinung zu dieser Frage, wie es beim Koalitionspartner Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) der Fall ist, über die schwach vernehmbare Stimme des linken Parteienbündnisses bis zur deutlichen Antihaltung gegenüber Immigranten und Flüchtlingen des polnischen rechten Flügels mit Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) an der Spitze. Die unbestimmte Haltung der regierenden Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) wiederum schadet dem ganzen Prozess der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Regierung von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz balanciert immer noch zwischen zwei extremen Standpunkten. Auf der einen Seite versucht sie, die Rolle des harten Verhandlers und des zurückhaltenden Befürworters der Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Lösung zu spielen. Auf der anderen Seite bemüht sie sich trotz allem, der Aufgabe angemessen zu begegnen und sich als verantwortungsvoller europäischer Partner in den Prozess der Verbesserung des europäischen Asylsystems einzubringen. Es fällt allerdings schwer, nicht den Eindruck zu gewinnen, dass diese Strategie auf beiden Feldern mit einer Niederlage enden wird. Die Entscheidung, in Polen Flüchtlinge aufzunehmen, trotz der rigoros gestellten Bedingungen und der harten Verhandlungshaltung, wird von den Aufnahmegegnern fast als Verrat an den nationalen Interessen wahrgenommen. Das mehrmonatige Zögern und die unglückliche »Romanze« der polnischen Regierung mit der Anti-Flüchtlings-Haltung der Visegrád-Gruppe hingegen hat das Bild Polens als redlicher und verantwortungsvoller europäischer Partner beschädigt. Leider hatte Ministerpräsidentin Kopacz nicht das Charisma, die Standfestigkeit und den politischen Willen, um den Standpunkt ihrer eigenen Regierung entschlossen zu verteidigen. Hier ist die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein außergewöhnliches Beispiel für standhaftes konsequentes Handeln, trotz sich auftürmender Probleme und negativer Folgen der Öffnung Deutschlands gegenüber Flüchtlingen.

Die außerordentlich ungünstige aktuelle Situation Polens wird durch den prognostizierten Machtwechsel in Polen noch komplizierter. Die regierende PO mit ihrer proeuropäischen Haltung wird ihre Macht wahrscheinlich an die mäßig europäische und konservative PiS abgeben. Symptome der sich abzeichnenden politischen Veränderungen ließen sich unter anderem an der Parlamentsdebatte über die Entscheidung der Regierung, Flüchtlinge aufzunehmen, ablesen. PiS enthüllte hier in den Äußerungen ihres Vorsitzenden Jarosław Kaczyński ihr ausgesprochen fremdenfeindliches und nationalistisches Gesicht. Es ist davon auszugehen, dass nach der wahrscheinlichen Übernahme der Regierungsverantwortung durch diese Partei die Arbeiten an den Strategiepapieren zur polnischen Migrationspolitik eingestellt werden und dass auch die eingeschlagene Richtung der Liberalisierung der Migrationsvorschriften nicht weiter verfolgt wird.

Zwei Dokumente ohne weitreichende Folgen

Seit gut zwei Jahrzehnten verändert sich die Situation der Migration in Polen: Traditionell ein Emigrationsland, ist Polen nun auch zum Immigrationsland geworden. Dies bedeutet, dass es dringend notwendig ist, formal-rechtliche Veränderungen in diesem Bereich durchzuführen. Die bisherigen Maßnahmen sind immer noch nicht ausreichend und bereiten Polen nicht auf die sich verändernde Migrationssituation vor. Dies leitet sich überwiegend aus der Abwesenheit des Problems der Immigration im öffentlichen Diskurs ab. Eine weitere wesentliche Rolle spielt auch die relativ kurze Geschichte Polens als Immigrationsland sowie die ungleich geringere Ausprägung des Phänomens im Vergleich zu den westlichen Ländern. Dies bedeutet, dass ein starker gesellschaftlicher Druck fehlt, die brennenden Probleme im Zusammenhang mit Immigration zu lösen, wozu auch wirksame Lösungen zur Regulierung der Immigration gehören sowie wirksame Mittel, Ausländer in die polnische Gesellschaft zu integrieren. Feststellbar ist, dass es in politischen Kreisen keine tiefergehende Reflexion über ein Konzept zur Integration von Ausländern in die polnische Gesellschaft gibt sowie auch kein Bedürfnis, das Verhältnis zwischen der aufnehmenden Gesellschaft und den »neuen« Gruppen von Ausländern zu bestimmen.

Die Erfahrungen des Westens zeigen, wie wichtig in der Migrationspolitik eine grundlegende Klarheit ist, vor allem die deutliche Bestimmung der Ziele der Migrationspolitik des Staates. Diese Ziele sollten in einem übergeordneten Dokument, hier in einer polnischen Migrationsstrategie, dargestellt werden. Seit der Zeit der Systemtransformation ist es Polen nicht gelungen, eine kohärente und langfristige Migrationsstrategie zu erarbeiten, die nicht nur das Phänomen der Erwerbsimmigration, sondern auch Asyl sowie die Integration der Einwanderer in verschiedene gesellschaftliche Bereiche umfasst. Erst am 31. Juli 2012 wurde vom Ministerrat das Dokument »Die Migrationspolitik Polens – aktueller Stand und erforderliche Maßnahmen« (Polityka migracyjna Polski – stan obecny i postulowane działania) verabschiedet, das der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer langfristigen Migrationsstrategie in Polen sein sollte. Ähnlich ist die Situation bei den programmatischen Dokumenten, die Leitlinien für die Politik der Integration von Ausländern in die polnische Gesellschaft formulieren. Der Entwurf des Dokuments »Die Politik Polens zur Integration von Ausländern – Annahmen und Richtlinien« (Polska polityka integracji cudzoziemców – założenia i wytyczne), erarbeitet vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik, wurde erst am 25. September 2013 zur gesellschaftlichen Konsultation freigegeben. Integration war während über zwanzig Jahren polnischer Migrationserfahrungen ein unbestimmter Prozess, ohne deutlich benannte Ziele und Prioritäten. Die Migrationserfahrungen der westlichen Staaten zeigen, dass ein Migrationskonzept eine wesentliche Rolle bei der Definition und dem Entwurf wirksamer Lösungen in diesem Bereich spielt. Vom Verständnis und der Definition der Begriffe und der Übereinkunft über eine Definition hängen die Gestalt der Migrationspolitik und die Erwartungen des aufnehmenden Staates an die Immigranten ab.

Leider hatte die Ausarbeitung des Dokuments »Die Migrationspolitik Polens – aktueller Stand und erforderliche Maßnahmen« und »Die Politik zur Integration von Ausländern – Annahmen und Richtlinien« keinen bedeutenden Einfluss auf die Implementierung dessen, was in diesen Dokumenten zur rechtlichen Regulierung der Migrationspolitik formuliert worden war. Feststellbar ist eine deutliche Diskrepanz zwischen diesen beiden strategischen Dokumenten und dem neuen Ausländergesetz (Ustawa o cudzoziemcach) aus dem Jahr 2014. Wichtig ist, dass dieses Gesetz nach der Erarbeitung und Bestätigung der programmatischen Dokumente überhaupt in Kraft trat.

Die Kritik dieser Dokumente ist insofern schwierig, als sie in ideeller Hinsicht zu großen Teilen mit den Erwartungen von Seiten der Nichtregierungsorganisationen und der Immigrantenmilieus übereinstimmen. Die in ihnen enthaltenen grundsätzlichen Erwägungen müssen, trotz gewisser Vorbehalte, als sehr positiv bewertet werden. Allerdings hat die fehlende Umsetzung in die Praxis, das heißt in Rechtsakte, der hohe Grad an Allgemeinheit und vor allem das Fehlen klarer Richtlinien zur Finanzierung und die fehlende klare Benennung der für die Umsetzung der Richtlinien Verantwortlichen zur Folge, dass die Dokumente letztlich als defizitär bewertet werden müssen. Die polnische Migrationspolitik ist immer noch von enormer Zufälligkeit geprägt und von kurzfristigen Handlungen und fehlender Vision und Planung bestimmt.

Wichtig ist es auch, den Entstehungskontext der beiden Dokumente zu betrachten. Sie entstanden in einer deutlich anderen Migrationssituation für Polen und Europa. Der aktuell starke Migrationsdruck, die Krise des europäischen Asylsystems und der deutlich steigende Bedarf an ausländischen Arbeitskräften in Polen sind Phänomene, die in den Ausgangsdiagnosen der Dokumente nicht präsent sind. Die neue, sich nach dem 25. Oktober 2015 konstituierende polnische Regierung sollte eine Aktualisierung dieser Dokumente im Sinne einer neuen Strategie zum Umgang mit Immigration und Asyl in Polen vornehmen. Allerdings haben in den Äußerungen von Politikern des rechten Spektrums, die Chancen auf alleinige Übernahme der Regierungsverantwortung haben, Fragen der Entwicklung der Migrationspolitik in Richtung Liberalisierung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Ausländer, Fragen der Öffnung des polnischen Arbeitsmarktes oder der Aufnahme von Flüchtlingen als Beitrag zur Lösung der Asylkrise in Europa kaum Bedeutung. Für einen Teil des rechten Spektrums stehen solche Maßnahmen schlicht und einfach im Gegensatz zur polnischen Staatsräson.

Nichtregierungsorganisationen als Träger gesellschaftlicher Veränderung

Die fehlenden Aktivitäten von Seiten der Politik und Regierung versuchen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Wissenschaftler mit Problemanalysen, Untersuchungen zu Migration und Aktivitäten im Bereich der Integration und Aktivierung von Ausländern in Polen auszugleichen. Im Bereich der Immigration wurden diese Akteure zu einem wichtigen Träger gesellschaftlicher Veränderungen. Den polnischen NGOs gelingt es, die zunehmend aktiven Immigrantenmilieus einzubeziehen, sowohl auf der Ebene der Beteiligung in bestehenden NGOs, die sich für Belange von Immigranten einsetzen, als auch dahingehend, dass Immigranten eigene Organisationen gründen, die die Interessen einzelner ethnischer Gruppen repräsentieren. Zu diesen (wenigen) Beispielen gehört die Stiftung für Somalia (Fundacja dla Somalii), eine von Immigranten gegründete und geführte Immigrantenorganisation, aus der aktive Leitfiguren hervorgingen und die die Entstehung weiterer Organisationen für Ausländer initiierte.

Ein gewichtiges Problem für die Entwicklung der polnischen Migrationspolitik ist darüber hinaus die Distanziertheit der polnischen Gesellschaft gegenüber der kulturellen und religiösen Andersartigkeit der Ausländer, so auch der Flüchtlinge. In einer im Auftrag der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Juni 2015 vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos durchgeführten Untersuchung der Einstellungen der Polen gegenüber Ausländern zeigt sich deutlich das Bild der polnischen Gesellschaft als verschlossen, intolerant und fremdenfeindlich. Relativ wenige Polen, nur 19 Prozent, hatten in der letzten Zeit Kontakt zu Ausländern. Als kulturell am nächsten stehend ordnen die Polen die Einwohner Westeuropas ein (61 Prozent) und weiter Amerikaner und Kanadier (48 Prozent) sowie Ukrainer (47 Prozent). Am geringsten wird die kulturelle Nähe zu Afrikanern und Vietnamesen (beide 14 Prozent) und Arabern (12 Prozent) beurteilt. Auch bei den Sympathiebekundungen gegenüber bestimmten Immigrantengruppen erhielt die Gruppe der Araber am wenigsten positive Antworten (18 Prozent). Die Einschätzung der Gefahr, die bestimmte Nationalitäten für Polen bedeuten können, hielt sich in den meisten Fällen auf relativ niedrigem Niveau – zwischen 19 und 21 Prozent der Befragten brachten diese zum Ausdruck. Nur Araber und Ukrainer weckten relativ größere Ängste (55 bzw. 35 Prozent).

Diese Einstellungen sind im Zusammenhang mit der Entscheidung, dass Polen auf Vorschlag der Europäischen Kommission Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen wird, in hohem Maße die Ursache für die deutliche Polarisierung in der Gesellschaft. Auf die Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen hat das Zusammenspiel mehrerer Faktoren Einfluss. Die allgemeine Abneigung gegenüber Flüchtlingen verstärkt die Wahrnehmung, dass die Syrer kulturell deutlich fern stehen, die geringe Sympathie gegenüber Arabern und die Betrachtung von Flüchtlingen als Gefahr für die innere Sicherheit Polens. Fehlende kulturelle Nähe und mangelnde Sympathie gehen mit der niedrigeren potentiellen Akzeptanz für Flüchtlinge aus arabischen Ländern als Personen im direkten Umfeld der Befragten einher. Der geringe Kontakt, den die Polen mit Ausländern haben, hat zur Folge, dass das Bild des muslimischen Flüchtlings auf Stereotypen fußt, auf medialer Vermittlung und Informationen aus dem Internet. Solche Informationen sind für die islamische community ausgesprochen ungünstig, denn es dominieren hier negative Botschaften. Die polnische Islamophobie ist sicherlich Teil der westlichen Angst vor dem Islam, die nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 noch verstärkt wurde. Sie baut allerdings nicht auf persönlichen, individuellen Erfahrungen auf. Es ist eine virtuelle Islamophobie, die sich aus dem Internet speist. Es ist eine Variante des polnischen Antisemitismus, der ohne Juden auskommt, und von Mythen und Stereotypen lebt. Hier gilt es aber deutlich zu machen, dass der Islam mindestens seit dem 17. Jahrhundert ein Teil der polnischen Kultur ist. Heute leben 20.000–30.000 Moslems in Polen, dazu gehören zirka 5.000 Tataren, die seit Jahrhunderten in Polen ansässig sind und ihre religiöse und kulturelle Eigenart bewahren.

Überraschend sind die Schätzungen zum Ausländeranteil an der polnischen Bevölkerung in der oben vorgestellten Untersuchung. Jeder vierte Pole überschätzt diesen Anteil deutlich, wenn er angibt, er übersteige zehn Prozent. Die offiziellen Statistiken zeigen, dass Ausländer maximal ein Prozent der Gesamtbevölkerung Polens ausmachen. Diese Marke wird erreicht, wenn auch diejenigen hinzugezählt werden, die zeitlich befristet nach Polen kommen. Dies ist ein deutliches Symptom der Angst der Polen und des Gefühls der »belagerten Festung«, die von »Fremden« gestürmt wird. Es ist unter anderem eine Konsequenz aus der fehlenden Debatte über die Rolle und den Ort der Immigranten und Flüchtlinge in der polnischen Gesellschaft, der fehlenden Debatte über die polnische Gesellschaft als kulturell vielfältige, multireligiöse und mulitilinguale Gesellschaft.

Die Frage der Aufnahme von Flüchtlingen durch Polen stößt auf deutlichen Widerstand in der öffentlichen Meinung. Das letztgültige Argument der Gegner beschränkt sich auf die sie zufriedenstellende Feststellung, dass die Flüchtlinge eine generelle Abneigung haben, sich in Polen niederzulassen. Dieses Argument entblößt das Problem der polnischen Asylpolitik, vor allem der Integrationspolitik. Für einen bedeutenden Teil der Ausländer, die Asyl suchen, stellt Polen eher einen »Umsteigebahnhof« als den »Zielbahnhof« dar.

Für eine Antwort auf die Frage, ob Polen das Tor zum Paradies oder schon das Paradies selbst sei, muss die Situation der in Polen Asyl Suchenden in zwei Etappen aufgeteilt werden: Die erste Etappe, die der »Prä-Integration«, ist die Phase des Wartens auf Anerkennung des Flüchtlingsstatus oder eines anderen Status. Die zweite Etappe ist die Phase der staatlich vorgesehenen Integrationsmaßnahmen, die dem anerkannten Asylanten zuteilwerden, und die Zeit nach dem Integrationsprogramm, das Leben in der polnischen Gesellschaft bei nur sehr geringer Unterstützung von Seiten öffentlicher Institutionen. Die Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention durch Polen im Jahr 1991 initiierte den Aufbau eines Aufnahmesystems für Flüchtlinge, die vor Gefahr für Leib und Leben fliehen. Dies war eine Antwort auf die Wellen von in Polen asylsuchenden Ausländern, die in unterschiedlicher Intensität auftraten. Seit dem Ausbruch des ersten Tschetschenienkrieges im Jahr 1994 sind russische Staatsbürger tschetschenischer Nationalität am stärksten unter den in Polen Schutz suchenden Menschen vertreten. In den vergangenen sechs Jahren wurden knapp 61.000 Ausländer mit Anträgen auf Asyl erfasst. Jährlich bemühten sich von 6.500 im Jahr 2010 bis zu 15.000 Personen im Jahr 2013 um den Flüchtlingsstatus der Republik Polen. Am meisten Anträge auf Asyl in Polen stellen russische Staatsbürger tschetschenischer Nationalität – 39.300 Personen in den letzten sechs Jahren (64 Prozent aller Anträge). In weiterer Folge sind es Georgier mit 12.400 Personen (20 Prozent), Ukrainer mit 3.600 Personen (6 Prozent), Armenier mit 1.300 Personen (2 Prozent) und Syrer mit 500 Personen (1 Prozent).

Lange Bearbeitungsdauer von Asylanträgen

Nach Beginn der Antragstellung auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus in Polen werden die Ausländer in einem der aktuell elf Flüchtlingslager untergebracht. Ein deutliches Problem ist die Lokalisierung der Mehrheit der Objekte. Sie liegen außerhalb von Städten, zum Teil in ehemaligen Kasernen. Drei der vier vom Staat betriebenen Lager liegen in Waldgebieten (Czerwony Bór, Dębak und Linin). Die übrigen, privaten, durch Ausschreibung bestimmten Flüchtlingslager befinden sich ebenfalls mehrheitlich außerhalb größerer Städte, wo wiederum die meisten NGOs angesiedelt sind, die sich für die Unterstützung von Flüchtlingen und Wirtschaftsimmigranten engagieren. Eine Ausnahme stellen die beiden Flüchtlingslager in Warschau und Białystok dar. Die räumliche Isolation hat eine soziale Marginalisierung zur Folge, nicht zuletzt mit Blick auf den beschränkten Zugang zu spezieller gesundheitlicher Betreuung, Behörden und öffentlichen Institutionen. Es erschwert den Flüchtlingen darüber hinaus, die Hilfsprogramme der Nichtregierungsorganisationen wahrzunehmen, und den Organisationen selbst, in den Flüchtlingseinrichtungen tätig zu werden.

Die Begutachtung des Asylantrags beträgt nach dem Gesetz über die Gewährung von Schutz gegenüber Ausländern (Ustawa o udzielaniu cudzoziemcom ochrony na terytorium Rzeczypospolitej Polskiej, 2003) sechs Monate. Die Praxis zeigt, dass der Antragsteller bis zur endgültigen Entscheidung meistens länger als ein Jahr in einem Flüchtlingslager lebt. Dies ergibt sich aus der Möglichkeit, gegen eine negative Entscheidung vor zwei Instanzen Berufung einzulegen und gleichzeitig weitere Prozeduren zu eröffnen, wenn beispielsweise weitere, für die Angelegenheit wichtige Beweise beigebracht werden. Die Möglichkeit, dass der Betreffende gegen eine für ihn ungünstige Entscheidung Berufung einlegt, ist zunächst einmal positiv zu bewerten. Allerdings zeigt die individuelle Perspektive des Antragstellers eindeutig einen grundsätzlichen Fehler in diesem Verfahren. Er betrifft hauptsächlich die Bürger von Staaten, die in Polen kein Asyl gewährt bekommen (Georgien, Ukraine), weil ihre Anträge als unbegründet bewertet werden. Die Folge ist ein Aufenthalt von vielen Monaten, in Extremfällen zwei bis drei Jahren in Flüchtlingslagern, der schließlich in der letztgültigen Entscheidung mündet, dass der Betreffende das polnische Staatsgebiet verlassen muss. In Bezug auf die übrigen Gruppen von Ausländern, vor allem die russischen Staatsbürger tschetschenischer Nationalität, bewirken die restriktiven Bedingungen des Zuerkennens von Schutz, dass der Schutz (der Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz) häufig nach Einspruch in der ersten oder zweiten Instanz zuerkannt wird. Die Folge ist ebenfalls der viele Monate dauernde Aufenthalt in einem Flüchtlingslager, was entsprechende Kosten nach sich zieht. Ausländer, die in Polen Asyl beantragen, haben während des Asylverfahrens nicht das Recht zu arbeiten. Nur wenn sich die Entscheidungsphase der Ausländerbehörde verlängert, kann auf Antrag des Ausländers eine Arbeitserlaubnis gewährt werden.

Die Zeit des Wartens auf eine Entscheidung ist mit Blick auf die Integration des Ausländers in die polnische Gesellschaft eine verlorene Zeit. Im polnischen System der Aufnahme von Asylsuchenden ist ein fast vollständiges Fehlen von Prä-Integrationsmaßnahmen festzustellen. Das einzige vom System vorgesehene Element der Prä-Integration sind Polnischkurse. In den Unterkünften für Asylsuchende findet keine Sozialarbeit statt, weil es keine Sozialarbeiter gibt, die auf die Arbeit mit Flüchtlingen vorbereitet sind. Insbesondere betrifft dieses Problem Personen mit anerkanntem Asylantenstatus, die nicht ausreichend darauf vorbreitet sind, das Lager zu verlassen. Das Personal der Einrichtungen garantiert keine Unterstützung bei der Anmietung einer Wohnung, der Vorbereitung des Ausländers auf den Beginn des »Individuellen Integrationsprogramms« oder der Vermittlung grundlegender Informationen über das Leben in Polen. Es kümmert sich vor allem um administrative Angelegenheiten – so der Fall in den staatlichen Flüchtlingslagern. In den Flüchtlingsunterkünften privater Betreiber ist das Personal auf ein Minimum beschränkt, im Extremfall ist nur der Leiter der Einrichtung dort.

Staatliche Integrationsprogramme

Wird der Schutz auf polnischem Territorium zuerkannt, beginnt das staatliche Integrationsprogramm. Allerdings stoßen die Integrationsmaßnahmen der polnischen öffentlichen Institutionen (Einrichtungen der Familienhilfe auf Stadt- und Kreisebene, die dem Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstehen) seit vielen Jahren auf Kritik von NGOs, die Immigranten und Flüchtlingen helfen. Die staatlich organisierte Unterstützung besteht in dieser Form seit dem Jahr 2000, als die Individuellen Integrationsprogramme in Kraft traten. Diese Programme funktionieren auf der Grundlage des Gesetzes zur Sozialhilfe und der Verordnung von Hilfeleistungen gegenüber Flüchtlingen. Das Gesetz schließt Ausländer mit toleriertem Aufenthalt und subsidiärem Schutz von den Leistungen aus.

Die Hilfeleistungen der Individuellen Integrationsprogramme, die den Ausländern erleichtern sollen, in der polnischen Gesellschaft zu leben, setzen sich aus mehreren Komponenten zusammen: finanzielle Hilfe, Übernahme der Beiträge für die Krankenversicherung, Betreuung durch einen Sozialarbeiter und Beratungsangebote (rechtliche, psychologische, Familienberatung u. a.). In der Praxis läuft das Integrationsangebot häufig darauf hinaus, dass Geldleistungen ausgezahlt werden und Unterstützung durch einen Sozialarbeiter in Anspruch genommen wird. Die Praxis der Individuellen Integrationsprogramme zeigt, dass deutliche Mängel bei der Vorbereitung des Personals der öffentlichen Institutionen auf den Kontakt mit dem ausländischen Klienten bestehen. Dies betrifft in geringerem Maße die größten Städte, wo viele Wirtschaftsimmigranten und Flüchtlinge leben. Stärker sichtbar sind die Probleme in der sogenannten Provinz. Sie betreffen sowohl die Kenntnis von Fremdsprachen (sogar Englisch) als auch grundlegendes Wissen über die Herkunftsländer der Flüchtlinge, deren Kultur und Religion. Dies hat eine geringe Effektivität der Integrationsmaßnahmen zur Folge. Verringert wird die Wirksamkeit auch dadurch, dass es an grundsätzlichem Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den beteiligten Institutionen, den Schulen, den Arbeitsämtern, den Einrichtungen der Familienhilfe auf Stadt- und Kreisebene, den lokalen Selbstverwaltungsorganen und den lokalen Nichtregierungsorganisationen, mangelt. Die einzigen lokalen Plattformen für Zusammenarbeit und Austausch werden meistens von NGOs organisiert und sind nicht von Dauer.

So, wie die Individuellen Integrationsprogramme zurzeit funktionieren, erfüllen sie nicht den Zweck, für den sie konzipiert wurden. Das bedeutet, dass ein deutlicher Teil der Ausländer, die dieses Programm in Anspruch genommen haben, nicht ausreichend darauf vorbereitet sind, in der polnischen Gesellschaft selbständig zu leben. Dies hat viele Gründe. Vor allem sind die Individuellen Integrationsprogramme nicht flexibel – das Programm endet nach einem Jahr, ohne dass der Grad der Selbständigkeit des Adressaten berücksichtigt wird. Die Individuellen Integrationsprogramme sind nicht individuell, sie werden nicht an die individuelle Situation des Ausländers, seine Fähigkeiten, Bedürfnisse und Möglichkeiten angepasst. Insofern verlängert das Integrationsprogramm für viele Menschen die Phase des Dahinvegetierens im Flüchtlingslager während der Zeit des Wartens auf den Asylentscheid. Es führt auch nicht zur erwünschten Selbständigkeit der Flüchtlinge. Im Rahmen der erhaltenen Leistungen müssen die Teilnehmer des Programms für ihren Polnischsprachkurs bezahlen. Das Problem besteht allerdings im Angebot der Sprachkurse, das außerhalb der Großstädte nicht den Bedürfnissen und Möglichkeiten dieses Typs Sprachlerner entspricht. Außerhalb der größeren Städte und akademischer Zentren ist das Angebot an Sprachkursen für Ausländer sehr beschränkt.

Die Integrationsschwierigkeiten werden außerdem verstärkt, weil günstige Sozialwohnungen nicht zugänglich sind. Die Flüchtlinge sind gezwungen, auf dem kommerziellen Immobilienmarkt eine Wohnung zu finden, was in manchen Fällen bedeutet, dass die Miete 2/3 der erhaltenen Leistungen verbraucht. Nur wenige lokale Selbstverwaltungen haben beschlossen, jährlich einige Wohnungen für Flüchtlinge bereitzustellen, so zum Beispiel Warschau und Danzig. Allerdings löst diese symbolische Geste nicht das Wohnungsproblem der Flüchtlinge in Polen.

Die geringe Effektivität der Individuellen Integrationsprogramme, die mangelnde Vorbereitung der polnischen Gesellschaft auf eine zunehmende Präsenz der Flüchtlinge und die schwierige Situation der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt haben zur Folge, dass sich bereits seit vielen Jahren relativ wenige Asylanten in Polen dauerhaft niederlassen. Ein beträchtlicher Teil der Ausländer, die in Polen Schutz beantragen, bleibt nicht in Polen, sondern beschließt, nach Westeuropa zu gehen. Ähnliches ist bei Personen mit anerkanntem Schutzstatus festzustellen. Die Gründe dafür sind vor allem in der wirtschaftlichen Situation Polens und in den Schwierigkeiten für Ausländer, in Polen eine Anstellung zu finden, zu suchen. Hinzu kommen die mangelnde Vorbereitung und die Verschlossenheit der polnischen Gesellschaft und die wenig wirksamen Integrationsprogramme. Des Weiteren fehlen Immigranten, die in der polnischen Gesellschaft verwurzelt sind und die den Neuankömmlingen Unterstützung geben können. Diese Faktoren tragen wesentlich dazu bei, dass Polen als Transitland wahrgenommen wird.

Das heißt allerdings nicht, dass Polen nicht ein zunehmend attraktives Land für manche Migrantengruppen wird. Die sich dynamisch entwickelnde polnische Wirtschaft steht vor einem wesentlichen Wendepunkt. Zum ersten Mal seit 1989 hat sich mittlerweile ein Markt der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber herausgebildet. Die wachsende Nachfrage nach Arbeitnehmern zieht Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen nach sich. Weiter ist zu beobachten, dass sich der Arbeitsmarkt für Ausländer systematisch erweitert, hier dominieren die Baubranche und die Landwirtschaft. Immer größere Bedeutung gewinnt auch der Dienstleistungsmarkt in Form von Haushalts- und Betreuungshilfen, die von der feminisierten ukrainischen Immigration bestimmt werden. Dies bedeutet, dass sich die Chancen auf eine wirksame Integration mit Hilfe des Arbeitsmarktes, wenn auch nicht mit Hilfe der aktuellen Integrationsprogramme, vergrößern.

Allerdings werden Immigranten und Flüchtlinge in Polen trotz sehr günstiger Wirtschaftsprognosen nicht als soziales Kapital, als potentielle gute Arbeitnehmer angesehen. Im Gegensatz zu Deutschland betrachtet die Mehrheit der Polen die Aufnahme von Flüchtlingen allein unter dem Aspekt der entstehenden Kosten, nicht aber des potentiellen Nutzens. Die Situation Deutschlands ist in dieser Hinsicht deutlich positiver als die Polens. Die Aufnahme von Flüchtlingen entspringt einer humanitären Haltung der Bundesregierung und der deutschen Gesellschaft. Doch dahinter verbirgt sich auch der deutsche Pragmatismus. Bei einer niedrigen Arbeitslosigkeit von 5 bis 6 Prozent und einem Haushaltsüberschuss kann die Versorgung des deutschen Arbeitsmarktes mit Flüchtlingen in Verbindung mit einer sich dynamisch entwickelnden Wirtschaft einen starken Wachstumsimpuls geben. Mit Sicherheit ist der deutsche Arbeitsmarkt vor einem Defizit an Arbeitskräften geschützt.

Leider ist nicht wahrzunehmen, dass in Polen in solchen Kategorien gedacht wird. Die Polen sind noch nicht imstande, sich von ihren Komplexen über sich und Polen als Land, das sich immer und ewig erst noch eine Existenz aufbauen muss, als armer Verwandter der reichen westeuropäischen Gesellschaften, zu lösen. Uns Polen fällt es leichter, den Wahlkampfslogans von PiS wie »Polen vor dem Ruin« zu glauben, als die Tatsache wahrzunehmen, dass wir uns von einem Land, aus dem bis vor kurzem ausschließlich emigriert wurde, zu einem Land gewandelt haben, das auch Immigranten aufnimmt und für diese attraktiv ist. In der polnischen Debatte über Immigration und Flüchtlinge dominieren Ängste vor einer Flüchtlingswelle, die unser Land überspülen wird, und nicht die Wahrnehmung dieser Tatsache als wichtigen Impuls für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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Analyse

Wieviel Nähe, wieviel Distanz? Die Integration von Ausländern in Polen

Von Łukasz Łotocki
Polen gehört nicht zu den Ländern mit einem hohen Ausländeranteil. Die offiziellen Statistiken nennen weniger als 100.000 Ausländer, die eine Aufenthaltsgenehmigung für Polen besitzen. Gleichzeitig halten sich trotz Amnestien in den Jahren 2003 und 2007 viele Ausländer illegal in Polen auf bzw. arbeiten illegal in Polen. Da umfassende Datenerhebungen zur tatsächlichen Anzahl der Ausländer in Polen fehlen, ist diese Zahl nicht bekannt; manche Schätzungen gehen von einigen Hundertausend aus. (…)
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Analyse

Patriotismus in Polen – polnische Identität zwischen Moderne und nationalen Traditionen

Von Stefan Garsztecki
Nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk, in der ein Teil der politischen Elite Polens im April 2010 ums Leben kam, ist in Polen erneut die Frage nach der nationalen Identität und ihren Bestandteilen diskutiert worden und eine Diskussion über einen zeitgemäßen polnischen Patriotismus ausgebrochen. Dabei treffen sich traditionelle Vorstellungen, die das Polentum eng mit dem Katholizismus und mit Stolz auf die Vergangenheit verbinden, mit Überlegungen eines offenen oder alltäglichen Patriotismus, der geeigneter erscheint, neue Elemente in Konzepte der Nation, der nationalen Identität und des Patriotismus zu integrieren. So fremd dem deutschen Zeitungsleser polnische Debatten über die Nation bisweilen auch zu sein scheinen, so fügt sich dieser Diskurs doch in eine philosophische Tradition des Westens ein, die im Rahmen eines philosophisch verstandenen Republikanismus seit einigen Jahren Patriotismus als Bindeglied der Gesellschaft ansieht. Liefert aber der polnische Diskurs über Patriotismus den Kitt der Gesellschaft im 21. Jahrhundert? (…)
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