Hofiert und ideologisch gespalten. Die katholische Kirche und die PiS-Regierung

Von Anja Hennig (EuropaUniversität Viadrina, Frankfurt (Oder))

Zusammenfassung
Der national-traditionalistische Flügel der katholischen Kirche, der seit 1989 unter den Bischöfen und im Klerus die Mehrheit stellt, findet unter der seit Herbst 2015 regierenden PiS optimale Bedingungen, um seine moralpolitischen Interessen einzubringen. Insgesamt profitiert er in einer win-win-Situation für Kirche und Regierung: Während die Kirche mittels ihrer Autorität insbesondere in den ländlichen Gebieten, ihrer Medien und in gewisser Weise auch mit Hilfe des Religionsunterrichts die PiS-Regierung unterstützt, profitiert sie im Zeitalter sinkender Kirchenbindung von staatlich gewährten Privilegien. In dieser Situation, so der Soziologe Ireneusz Krzemiński, sind die Bedingungen für Entwicklung einer offenen Kirche schlecht. Die Hauptströmung der katholischen Kirche interessiere der Aufbau eines traditionalistischen Regimes, in dem sie moralische Grundsätze mittels der Gesetzgebung durchsetzen lasse. Beobachter deuten die unlängst gescheiterte Verschärfung des Abtreibungsgesetzes als erste Niederlage für die Kirche unter der neuen Regierung.

Es war die erste große Niederlage für die katholische Kirche in Polen nach 1989 in einer moralpolitischen Frage. Zwar hatte die Kirche auch im strikten Abtreibungsgesetz von 1993 nur einen »Kompromiss« gesehen, den die Bischöfe schweren Herzens ausgehandelt hatten. Im Juli 2015 aber hatte der damalige Staatspräsident Bronisław Komorowski jenes Gesetz unterschrieben, das nach langem Ringen zwischen der diesbezüglich gespaltenen Regierungspartei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und der rechtskonservativen Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) die bisher liberale Praxis der künstlichen Befruchtung nicht, wie von der Kirche über Jahre gefordert, völlig unterband. Stattdessen erlaubt das neue Gesetz den Einsatz zahlreicher Reproduktionstechniken inklusive der Präimplantationsdiagnostik. Als drei Monate später die PiS die Parlamentswahlen gewann, bestand eine der ersten Amtshandlungen der neuen Ministerpräsidentin Beata Szydło (PiS) darin, die staatliche Finanzierung von In-vitro-Behandlungen zu streichen und somit das Gesetz auf Grund der hohen Kosten für ungewollt Kinderlose indirekt auszuhöhlen. Inwieweit ist diese beispielhafte Allianz zwischen Kirche und PiS-Regierung aber charakteristisch für das aktuelle Verhältnis von Kirche und Staat? Hat sich nach dem Regierungswechsel die Einflusssphäre der Kirche, wie man erwarten könnte, vergrößert und ist die Politik stärker kirchlich geprägt? Oder setzt selbst die PiS angesichts wachsender Proteste den Bischöfen Grenzen?

Fast auf den Tag genau jährt sich der Wahlsieg der PiS, der im Zeichen der einwanderungs- und asylpolitischen Krise in Europa stand und durch die Blockadehaltung der PiS in dieser Frage mit entschieden wurde. Als eine Serie illiberaler Eingriffe in den Rechtsstaat folgte, formierte sich in der Zivilgesellschaft mit dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji – KOD) eine Gegenbewegung. Weitere Themen, an denen im Folgenden die Lage der Kirche bzw. ihr Verhältnis zur Regierung erörtert wird, ist die Initiative zum Abtreibungsverbot, neue kirchliche Privilegien, der 1.050ste Jahrestag der »Taufe Polens« im April 2016 und der Besuch von Papst Franziskus anlässlich des katholischen Weltjugendtags in Polen Ende Juli 2016.

Ideologisch gespaltene Kirche

Selbst in Polen stellt die katholische Kirche keinen monolithischen Block dar. Wie in anderen katholisch geprägten Ländern konkurrieren auch hier Deutungen zur Rolle der Kirche in der Moderne, die sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Mitte der 1960er Jahre in einer liberalen und einer konservativen bis fundamentalistischen Auslegung der katholischen Lehre spiegeln. Das Besondere, das Polen mit Staaten wie Kroatien oder Spanien teilt, ist das historisch bedingte Potential, auf eine nationalkatholische politische Ideologie zurückgreifen zu können, die Nation und Katholizismus als identitätsstiftende Einheit deutet. Beides spiegelt sich in einem national fokussierten kirchlichen Selbstverständnis und einem der Moderne kritisch gegenüberstehenden Katholizismus wieder. Extremes Beispiel hierfür ist die »Thorner Fraktion« um Pater Tadeusz Rydzyk (Thorn/Toruń) mit seiner langlebigen »Radio Maryja«-Bewegung, seiner TV-Station »Trwam« sowie einer Journalistenschule, die auch für junge Menschen attraktiv ist. Zum Missfallen sich der Welt öffnender oder liberaler Theologen unterstützt oder duldet der Großteil des Episkopats Rydzyks reaktionär-nationalistische Sicht auf europa- und moralpolitische Fragen, die wie Abtreibung, künstliche Befruchtung oder Homosexualität den Kern der Kirchendoktrin berühren. Was sie eint und mit einem großen Teil der Gläubigen verbindet, ist ihre Verehrung des 2005 verstorbenen polnischen Papstes Johannes Paul II. als höchste kirchliche Autorität. Allerdings erinnere jener konservativ-geschlossene Teil der Kirchenhierarchie, etwa der Vorsitzende der Bischofskonferenz Stanisław Gądecki, sein Vorgänger Józef Michalik oder Henryk Hoser, Vorsitzender des bischöflichen Bioethikrates, hauptsächlich an die moraltheologisch antimodernen Positionen des polnischen Papstes. Dessen Ideen zur Ökumene etwa, so der liberale polnische Theologe Stanisław Obirek, kämen dabei kaum zum Tragen.

Papst Franziskus hingegen steht mit seinem Engagement für Dialog und Meinungspluralismus für die Tradition und Konzeption des offenen Katholizismus (siehe Polen-Analysen Nr. 140). In Polen gehören zu seinen Unterstützern vor allem vereinzelte liberale weltoffene Priester, vor allem Ordensleute wie der Dominikaner Ludwik Wiśniewski und der Jesuit Stanisław Obirek, oder der Kaplan Andrzej Luter und Redakteure der vor 1989 oppositionellen katholischen Zeitschriften »Więź«, »Znak« und »Tygodnik Powszechny«.

Allerdings können die Grenzen zwischen diesen beiden Hauptströmungen in Abhängigkeit der Themen, um die es geht, verwischen. So bedeutet eine strikt ablehnende Haltung zum Schwangerschaftsabbruch nicht zwangsläufig, sich gegen die Aufnahme von Geflüchteten auszusprechen. Auch sind der offene Umgang mit Homosexualität und die These von Gender als sozial bedingter Geschlechtsidentität in Polen selbst für liberale Katholiken häufig problematisch. Am Deutlichsten unterscheiden sich der liberale offene Katholizismus und der geschlossene nationalistische in der Frage, inwieweit die Kirche Politik mitgestalten sollte. Hier sehen die Vertreter des geschlossenen Katholizismus die Kirche nahezu in der Pflicht, ihre moraltheologischen Grundsätze in die politische Entscheidungsfindung einzubringen.

Kirche und PiS: Wahlkampf im Zeichen der Flüchtlingskrise

Aktive Wahlwerbung durch die Kirche war in Polen seit dem demokratischen Umbruch umstritten. Sie führte immer wieder insbesondere in Messen zu verdeckten oder offenen lokalen Wahlempfehlungen. Dabei war das Thema Abtreibung ein wichtiger Bezugspunkt. Im Präsidentschaftswahlkampf im Frühsommer 2015 war es nun der Präsidentschaftskandidat der PiS, Andrzej Duda, der gezielt Messen besuchte und dem das weit verbreitete katholische Wochenblatt »Niedziela« (Auflage 200.000) eigens Seiten widmete.

Der Wahlsieg von Duda am 25. Mai 2015, von einigen Bischöfen gar als Geschenk Gottes gedeutet, galt als sicheres Vorzeichen für die Parlamentswahlen im Oktober. Ein beherrschendes Thema im Wahlkampf war die Frage, ob bzw. wie viele Geflüchtete Polen angesichts einer als einseitig wahrgenommenen deutschen Politik der offenen Grenzen und der Bemühungen der EU, Kontingente zu verteilen, aufnehmen sollte. Bis heute verteidigt die PiS Polens geschlossene Grenzen, indem sie die Einwanderung von Muslimen in erster Linie als Problem der inneren Sicherheit betrachtet und sie mit Terroristen gleichsetzt. Die polnischen Bischöfe verhielten sich dazu bisher uneinheitlich und vor allem zurückhaltend.

Im September 2015 hatte der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz Stanisław Gądecki zwar jede katholische Gemeinde, jedes Kloster dazu aufgefordert, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. Eine Gemeinde aus Posen (Poznań) sammelte sogleich Geld, um eine Unterkunft anzumieten. Dies war sogar eine Woche, bevor Papst Franziskus eben diese aktive Hilfe von den nationalen Amtskirchen und lokalen Gemeinden einforderte, geschehen. Aber andere konservative Bischöfe zeigten Verständnis für die Ängste vor muslimischen Geflüchteten. Die Kirche sollte daher, so etwa der ehemalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, Tadeusz Pieronek, eher syrischen Christen die Tore öffnen. Der einflussreiche Warschauer Erzbischof Henryk Hoser wird mit der Befürchtung zitiert, dass, sollten die Europäer weiterhin so wenige Kinder bekommen, Europa muslimisch werde und Christen in eine Minderheitenposition geraten würden.

Doch es meldeten sich im September 2015 auch jene zu Wort, die, wie Primas Wojciech Polak, die guten Beziehungen zu Muslimen in Polen betonten. Man wisse, dass nicht alle radikal sind. Ein Dominikanerpater aus Lodz (Łódź) gab sich zuversichtlich, dass viele Pfarrgemeinden Flüchtlinge aufnehmen werden. Angesichts der asylpolitischen Position der PiS vermied der Episkopat jedoch eine pro-aktive Haltung und knüpfte die gelebte caritas an politische Weisungen, die letztendlich ausblieben. Auch ein halbes Jahr später blieben Stimmen wie die von Krzysztof Zadarko, dem für Einwanderung zuständigen Bischof, eine Ausnahme. Er warb für einen Wettbewerb um das beste Integrationsprogramm und betonte immerfort die Notwendigkeit humanitärer Hilfe.

Episkopat und Regierung geeint

Der klare Wahlsieg der PiS beendete eine Phase, in der die Kirchenhierarchie nur auf geteilte Unterstützung der Regierung für ihre moralpolitischen Anliegen hoffen konnte. Der ehemalige Ministerpräsident Donald Tusk (PO) hatte sich ja sogar für ein Gesetz zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften eingesetzt. Mit Beata Szydło als Regierungschefin, der von Jarosław Kaczyński geführten PiS als Regierungspartei und Andrzej Duda als Präsident brach eine neue Ära im Verhältnis von konservativer Kirchenhierarchie und Regierung an, die insbesondere durch das beiderseitige Verständnis einer Politik geprägt ist, in der die Kirche als moralische Autorität eine aktive Rolle spielt. Ein Glückwunschschreiben zum Wahlsieg aus dem Präsidium des Episkopats ist nur ein oberflächlicher Ausdruck dessen. Es mag auch Sinnbild für die strategische Wahlunterstützung der Kirche sein, die sich zu Recht, wie im Folgenden zu sehen, Gegenleistungen von der neuen politischen Macht erhoffte.

Religionsunterricht

Nach der erwähnten Streichung der staatlichen Zuwendungen für Behandlungen bei Kinderwunsch folgte im Februar mit der Ablehnung des Bürgerbegehrens »Säkulare Schule« ein weiteres Zugeständnis an die Bischöfe. Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist eine der zentralen Errungenschaften der katholischen Kirche im postkommunistischen Polen. Schülerinnen und Schüler können zwischen konfessionellem Religionsunterricht, Ethik und einer Freistunde wählen, sofern die Eltern das Kind vom katholischen Unterricht abmelden. Letzteres tun die allerwenigsten. Überdies ist Religion das einzige Fach, dessen Lehrer der Staat bezahlt, ohne Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung nehmen zu können.

Der Gesetzesvorschlag der Bürgerinitiative »Säkulare Schule«, die der neuen Partei Die Moderne (Nowoczesna) nahesteht, sah vor, dass Religionsgemeinschaften ihren Unterricht selbst bezahlen und der Unterricht nicht während der regulären Schulzeit stattfindet. Die Regierung begründete ihre Ablehnung mit der Verfassung. So verstoße der Vorschlag gegen die Verfassungsgrundsätze des kostenlosen Unterrichts an öffentlichen Schulen und der Religionsfreiheit. Ein weiteres Anliegen, das die Kirchenhierarchie seit Langem verfolgt, ist die Einführung von Religion als Abiturfach. Während die PO-Regierung stets zurückhaltend reagierte, ließ die neue Bildungsministerin verlauten, sie werde diese Frage prüfen, und es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Kirche dieses Mal Erfolg hat.

Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs

Das zentrale Anliegen der katholischen Kirche ist allerdings der Schutz des ungeborenen Lebens. So verläuft in jedem katholisch oder stark religiös geprägten Land wie beispielsweise auch den USA eine zentrale Konfliktlinie zwischen denen, die dem »Recht des ungeborenen Lebens« oberste Priorität beimessen (pro-life), und jenen, die dem Recht von Frauen Vorrang gewähren, über ihren Körper zu entscheiden (pro-choice). In Polen, wo bis 1989 Abtreibungen ohne Angabe von Gründen erlaubt waren, mündete dieser Konflikt nach der politischen Wende in das eingangs erwähnte Gesetz, das den Abbruch einer Schwangerschaft unter drei Bedingungen erlaubt: im Fall von Vergewaltigung, von schwerster Missbildung des Fötus und bei gesundheitlicher Gefahr für die Frau. Seitdem gibt es nicht nur eine hohe Dunkelziffer illegaler Abtreibungen, sondern auch immer mehr Ärzte und Ärztinnen, die aus Gewissensgründen oder aus Angst vor potentiellen Anzeigen Frauen den Eingriff verweigern.

Ende März 2016 nun forderte der Episkopat ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot. Zuletzt hatte dies im Jahr 2008 die nationalistisch-katholische Partei Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin – LPR) versucht. Dieses Mal ist die Dynamik jedoch eine andere. So berichtet der »Tygodnik Powszechny« von einem Treffen zwischen dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz und Jarosław Kaczyński Mitte März 2016. Dabei habe Kaczyński Bischof Gądecki nahegelegt, dass eine Debatte zur Novellierung des Abtreibungsgesetzes zurzeit sehr risikoreich sei und gar zum Bruch der Regierung Szydło führen könne. Die überwältigende Mehrheit der Polen und Polinnen unterstützt nämlich das bestehende Gesetz.

Dennoch verfasste der Episkopat zwei Wochen nach dem Treffen ein Schreiben, das sich direkt an die politischen Entscheidungsträger richtete. Der Schutz des ungeborenen Lebens könne mit dem gegenwärtigen Kompromiss nicht gewährleistet werden. »Wir bitten die Parlamentarier und Regierenden, eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen sowie Programme, die konkrete Hilfen für Eltern kranker und behinderter Kinder und solcher, die durch Gewalt empfangen wurden, garantieren«. An anderer Stelle betonte Bischof Marek Jędraszewski in der Tradition von Papst Johannes Paul II. das Primat des Gebots »Du sollst nicht töten« und zog einen mehr als zweifelhaften Vergleich. Für das politische Leben bedürfe es moralischer Grundlagen. Was ansonsten passiert, habe man 1939 mit Hitler gesehen. Der bischöfliche Brief, der Anfang April 2016 in den Messen verlesen wurde, führte zu landesweiten Demonstrationen wie etwa in Zoppot (Sopot), Danzig (Gdańsk) und Gdingen (Gdynia), als unter dem Motto »Frauen für Frauen« Menschen aus Protest schweigend die Messen verließen.

Desungeachtet unterstützte die katholische Kirche die Bürgerinitiative »Abtreibungsstopp« bzw. nutzte dieses basisdemokratische Instrument. Anfang Juli 2016 wurden der Regierung 450.000 Unterschriften zur Unterstützung eines Gesetzesvorschlags überreicht, der Abtreibung prinzipiell unter Strafe stellte und einen Freiheitsentzug von drei bis fünf Jahren vorsah. Die Autorenschaft liegt beim Institut »Ordo Iuris«, ein Zusammenschluss konservativ-katholischer Juristen und Juristinnen, die sich für die rechtsverbindliche Verteidigung traditioneller Werte einsetzen. Kaczyński meinte bereits im April, dass er als Katholik im Sinne der Kirche entscheiden müsse und der überwiegende Teil der PiS das Abtreibungsverbot wohl unterstützen werde. Szydło verwies hingegen darauf, dass es in solchen Fragen keinen Fraktionszwang gebe.

Es folgte ein liberaler Gegenentwurf der Bürgerinitiative »Retten wir die Frauen!«, der Abtreibung auch aus sozialen Gründen gewährte und Sexualkundeunterricht an Schulen vorsah, sowie ein Gesetzesentwurf zur »Rettung ungeborener In-vitro-Kinder«, der das bestehende Gesetz von 2015 stark einzuschränken beabsichtigt. Als die Abgeordneten am 22. September 2016 über die drei Gesetzesinitiativen in erster Lesung diskutierten, trafen sich vor dem Sejm einige Geistliche, Gläubige und Vertreter nationalistischer Organisationen zum Gebet. Viele andere trugen hingegen als Zeichen des Protestes schwarz. Am nächsten Tag entschied die Mehrheit des Sejm ohne die Stimme Jarosław Kaczyńskis, aber mit Hilfe der rechten Partei Kukiz ‘15 und einigen Stimmen von PO und Polnischer Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL), nur die beiden restriktiven Entwürfe in die Kommission weiterzuleiten. Die Kirchenhierarchie dankte der Pro-life-Bewegung, unterstrich aber, dass sie die im Gesetz vorgesehene Bestrafung von Frauen, die abgetrieben haben, ablehne.

Als der Sejm am 6. Oktober 2016 endgültig über die verbliebenen Gesetzesvorschläge befand, war offensichtlich, dass der »Abtreibungskrieg« zwischen der politischen Rechten, dem Episkopat und der in bisher ungekanntem Maße mobilisierten Zivilgesellschaft letztendlich zum Kampf um die politische Macht bzw. um die freiheitlichen Grundrechte geworden ist. Wären nicht die tumultartigen Szenen im Sejm und die schriftlichen Einlassungen des Episkopats während der entscheidenden Debatte, ließe sich das Ergebnis allerdings erneut als Kompromiss von Kirche und Regierung deuten: Unter Verurteilung der angedachten Strafe für Frauen als eine Idee fundamentalistischer Lebensschützer zeigte man Verständnis für die Proteste und lehnte beide Gesetzesvorhaben ab. Die PiS werde einen eigenen Vorschlag ausarbeiten, der den Lebensschutz mit familienpolitischen Komponenten verbinde.

Kirche, Partei und Nation vereint?

Die Debatte über Abtreibung und somit auch über die Rolle und Rechte von Frauen sowie die in manchen katholischen Kreisen verbreitete These, dass Gender eine von der EU und der UN autoritär verbreitete Ideologie sei, wird in Polen von konservativer Seite stets mit dem Selbstverständnis, eine katholische Nation zu sein, verknüpft. Hierzu gehört auch das Narrativ vom katholischen Polen als Verteidiger des europäischen Christentums, das es dem offenen Katholizismus erschwert, in Polen Land zu gewinnen. Gedächtnisorte wie die Ikone der Schwarzen Madonna in Tschenstochau (Częstochowa), das immer wieder neu in Stein gemeißelte oder in Bronze gegossene Bild von Jesus als »König Polens« oder eben Gedenktage wie die diesjährige Erinnerung an die »Taufe Polens«, dem Jahrestag, an dem Herzog Mieszko I. im Jahr 966 das Christentum annahm, tragen zur Aufrechterhaltung dieser Erinnerungskultur bei. Sie wird zur Erinnerungspolitik, wenn sie von der politischen Macht instrumentalisiert und einseitig interpretiert wird. So waren die Feierlichkeiten Mitte April zum 1.050sten Jahrestag der Taufe Polens für Präsident Duda Chefsache. Er nannte es – eine »große Feier unseres Polentums« – das wichtigste Ereignis in Polen in diesem Jahr neben dem Weltjugendtag in Krakau (Kraków). »Polen ist und bleibt seinem christlichen Erbe treu«; dieses sei ein starkes Fundament für die Zukunft. Bemerkenswert war, dass unter der Leitung von Primas Kardinal Wojciech Polak vor etwa 1.000 Menschen aber auch ein ökumenischer Gottesdienst stattfand, in dem daran erinnert wurde, dass die polnische Kultur über Jahrhunderte durch lateinische, jüdische, protestantische, orthodoxe und muslimische Einflüsse mit geprägt wurde.

Ein weitaus virulenteres Gedenken, in dem die Kirche eine stützende Kraft darstellt, entwickelte sich um die Erinnerung an den Absturz des Regierungsflugzeugs bei Smolensk (Russland) am 10. April 2010. Auf dem Weg zur Gedenkfeier für die polnischen Opfer des durch den sowjetischen Geheimdienst verübten Massakers von Katyn waren neben Politikerinnen und Politikern aller Parteien auch der damalige Präsident Lech Kaczyński und seine Ehefrau ums Leben gekommen. Lechs Zwillingsbruder Jarosław bemüht sich seitdem, den verstorbenen Präsidenten als Märtyrer für die Freiheit darzustellen, der einem Anschlag Russlands in Kenntnis, wenn nicht gar unter Beteiligung der damaligen PO-PSL- Regierung zum Opfer gefallen sei. Mit Unterstützung seiner Partei versucht er, diese Verschwörungstheorie, der immerhin 22 Prozent der Polen anhängen, aufrechtzuerhalten. Jeden zehnten eines jeden Monats begibt er sich in Warschau mit Hunderten von Anhängern auf einen abendlichen Gedenkspaziergang. Hier teilen Nationalisten und Rechtsradikale aus Politik, Kirche, wie etwa der Priester Stanisław Małkowski, und Gesellschaft ein simples Weltbild, das nur zwischen Schwarz und Weiß, nur zwischen denen, die »für uns«, und jenen, die wie »die Liberalen«, »die Kommunisten« oder »die EU« »gegen uns« sind, unterscheidet.

Anfang September 2016 nun kam der Spielfilm »Smolensk« des Regisseurs Antoni Krauze in die Kinos. Anders als bisherige Produktionen zu dem Thema gibt er allein die manipulative Version eines russisch-polnischen Komplotts wieder. Zur Premierenfeier in Warschau erschienen der polnische Präsident, die Ministerpräsidentin und der Parteivorsitzende von PiS, Kaczyński. Schüler sollten, so meinten sie einhellig, im Unterricht dieses historische Dokument sehen, und die Warschauer Kirchengemeinde am Plac Zbawiciela lud ihre Gläubigen während der Messe zum Kinobesuch zum ermäßigten Preis ein. Es reiche, an der Kinokasse das Codewort »Parafia Zbawiciela« zu nennen. Selbst bei dem Versuch der Regierung, einen Teil der polnischen Geschichte umzudeuten, lässt der Episkopat zu, empört sich Dominikanerpater Wiśniewski, dass Geistliche den Mythos von Smolensk unterstützen; für ihn einer der schlimmsten Fehler der polnischen katholischen Kirche.

Weitere Privilegien

Laut Wochenmagazin »Newsweek« verfügt die katholische Kirche jährlich über ein Budget von etwa 10 Milliarden Zloty, das sich zum Großteil aus den Zahlungen der Gläubigen zusammensetzt, aber auch aus staatlichen Zuwendungen und Erträgen von Unternehmen, etwa Verlagen, die von Geistlichen geführt werden. Die Kirche besitzt darüber hinaus Land. Ein Großteil resultiert aus der seit 1989 praktizierten Entschädigung für Grundbesitz und Kirchenbauten, die zwischen 1945 und 1953 enteignet worden waren. Genaue Daten gibt es nicht, aber der Bodenbesitz wird auf etwa 160.000 Hektar geschätzt, mit Immobilien in einem Gesamtwert von fünf bis sieben Milliarden Zloty. Damit sei die Kirche neben dem polnischen Staat die zweitgrößte Eigentümerin.

Am 1. Mai 2016 endete eine Regelung, die es ausländischen Investoren über 20 Jahre untersagte, polnisches Ackerland zu erwerben. Um den Schutz vor einem »Ausverkauf polnischen Bodens« weiterhin zu gewährleisten, erließ die PiS-Regierung im Juli 2016 ein Gesetz, das es Eigentümern nur erlaubt, Ackerland an Bauern aus der Region zu verkaufen. Allein Religionsgemeinschaften dürfen mit ihrem Land uneingeschränkt handeln. Angesichts des umfangreichen Bodenbesitzes der katholischen Kirche sehen Experten in diesem Gesetz eine klare Privilegierung der katholischen Kirche und einen Widerspruch zum Versuch von Papst Franziskus, das Bild einer Kirche der Armen zu vermitteln. Das gilt auch für millionenschwere staatliche Finanzspritzen für Kirchenneubauten oder den Einsatz der Armee, um eine bronzene Christusstatue in Posen aufzustellen, wie dieses Jahr geschehen. Die katholische Kirche erhält sowohl einen direkten Zugang zur politischen Macht als auch neue finanzielle Privilegien, die über die (auch in Deutschland) bestehenden Steuererleichterungen weit hinausgehen.

Weltjugendtag zwischen Franziskus und JP II

Angesichts des gestärkten Bündnisses zwischen der Kirchenhierarchie und der PiS-Regierung sowie der gemeinsamen Ehrerbietung für den verstorbenen polnischen Papst stand der Weltjugendtag Ende Juli 2016 unter besonderen Vorzeichen. »In welches Polen und zu welcher Kirche kommt Papst Franziskus?« Diese Frage stellte sich unter anderem der Dominikanerpater Ludwik Wiśniewski Anfang Juli im »Tygodnik Powszechny« und fand, wie in der Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« anerkennend diskutiert, klare und wenig optimistisch stimmende Antworten. Der Papst komme in ein gespaltenes und verletztes Land, in dem sich nicht nur die Polen insgesamt, sondern auch die Geistlichen bekämpfen. Es fehle, auch verursacht durch die korruptionsgebeutelte Vorgängerregierung, an einer »Ethik des gesellschaftlichen Miteinanders«. Als Mensch der Kirche richte sich seine Kritik aber vor allem gegen den Episkopat, der unkommentiert zulasse, dass Geistliche auf PiS-Veranstaltungen den früheren Präsidenten Komorowski verunglimpften, sie zur Beschneidung des Verfassungsgerichts schweigen oder in den Demonstrationen des »Komitees zur Verteidigung der Demokratie« konspirative Sitzungen des Hasses sehen. Für Wiśniewski bewegt sich Polen Schritt für Schritt auf eine »Sakralisierung der politischen Macht« zu und das Schlimmste stünde noch bevor.

Angesichts der ideologischen Spaltung der polnischen katholischen Kirche wird immer offensichtlicher, dass sich unter der nationalkatholischen, illiberalen und xenophoben PiS-Regierung die Vertreter des geschlossenen Katholizismus gestärkt sehen. In dieses gesellschaftspolitisch gespaltene Land kam Ende Juli 2016 Papst Franziskus, um mit rund einer Million junger Katholikinnen und Katholiken den Weltjugendtag zu feiern. Vor Beginn traf er am 25. Juli 2016 in Krakau Ministerpräsidentin Szydło und Präsident Duda, die vorab keinen Hehl daraus gemacht hatten, dass für sie der polnische Papst die eigentliche kirchliche Autorität darstelle. Franziskus zeige allerdings Größe in seiner Einfachheit, so Szydło im Sender »Radio Kraków«.

Auch das Kirchenoberhaupt nahm kein Blatt vor den Mund und appellierte an die polnische Regierung, Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Hierzu verwies Szydło auf die Ukrainer, die Polen bereits aufgenommen hat. Bei einer Messe mit Seminaristen und Ordensleuten in Krakau warb Franziskus insgesamt für eine offenere und bescheidene Kirche. So verwundert es nicht, dass dieser Papst auch für liberale nicht religiöse Polen und Polinnen zum »Führer der Linken« geworden ist, wie ihn Sławomir Sierakowski, der Chefredakteur des intellektuellen linken Journals »Krytyka Polityczna«, nennt.

Die Tradition des Weltjugendtags geht auf Papst Johannes Paul II. zurück, der im diesjährigen Austragungsort Krakau Erzbischof war. Entsprechend enthusiastisch hatten die polnischen Bischöfe die Entscheidung von Papst Franziskus begrüßt, das Großereignis 2016 in Polen stattfinden zu lassen. Zwar gab es im Vorfeld kleinere Proteste von Gruppen, die kritisierten, dass Gemeinden sich an der Finanzierung der Unterbringung der Pilger beteiligen mussten, während die Kirche doch von ihnen Geld sammle. Insgesamt aber war es wohl ein friedliches Zusammenkommen, an dem auch »Glaube und Regenbogen«, eine kleine Gruppe polnischer LGBTQ-Christen teilnahm. Sie war an der Regenbogenfahne zu erkennen, die neben der polnischen Fahne wehte.

Szenarien einer gespaltenen Kirche

Es ist offensichtlich, dass der konservativ-nationale bis nationalistische Teil der Kirche, der seit 1989 in der Kirchenhierarchie traditionell die Mehrheit stellt, unter der neuen Regierung optimale Bedingungen findet, seine vitalen Interessen einzubringen. Insgesamt profitiert er von der win-win-Situation für Kirche und Regierung: Während die Kirche mittels ihrer Autorität insbesondere in den ländlichen Gebieten, ihrer Medien und in gewisser Weise auch mit Hilfe des Religionsunterrichts die PiS-Regierung unterstützt, profitiert sie im Zeitalter sinkender Kirchenbindung von staatlich gewährten Privilegien. Unter diesen Bedingungen, so der Soziologe Ireneusz Krzemiński, bestehe kein Interesse, sich für eine offene Kirche einzusetzen. Sie interessiere der Aufbau eines autoritären Regimes, in dem sie moralische Grundsätze vermittele und auf die Gesetzgebung Einfluss habe. »Unsere Kirche«, so Krzemiński im April 2016, »fühlt sich allmächtig.«

Nun deuten Beobachter die unlängst gescheiterte Verschärfung des Abtreibungsgesetzes als erste Niederlage für die Kirche unter der neuen Regierung. Andere sehen primär die PiS durch die massiven Proteste geschwächt. Zugleich bestätigt sich Krzemińkis Szenario, wonach Kaczyński aus eigenem Allmachtsanspruch (oder zum Schutz der Regierung, so ließe sich ergänzen) der kirchlichen Allmacht Grenzen setzen und einem Abtreibungsverbot nicht zustimmen werde. Wohin aber wird das alles führen? Die Geschichte zeige, so die polnisch-amerikanische Sozialwissenschaftlerin Anna Grzymała-Busse, dass Kirchen, die Allianzen mit Parteien eingehen, langfristig gesellschaftlichen Schaden nehmen. In der Tat melden sich immer mehr liberal-katholische Stimmen zu Wort, während immer größere Teile der Gesellschaft protestieren. Den kirchlichen Einfluss auf die Politik aber wird letztendlich nur eine Regierung begrenzen, die der Auffassung ist, dass sich politische Entscheidungsfindung nicht an religiösen Moralvorstellungen orientieren sollte, sondern an den liberalen Grundprinzipien von Freiheit, Gleichheit und individueller Autonomie.

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