Nördlich der Altstadt von Danzig in der Wałowa-Straße ragt ein Bauwerk in den Himmel, das sich deutlich von seiner Umgebung abhebt: ein schräg stehender Würfel in Gestalt eines Parallelogramms, der dem Anschein nach gleich umzukippen droht. Doch die Statiker und Konstrukteure haben ganze Arbeit geleistet. Vom obersten Stockwerk aus bietet sich ein wunderbarer Ausblick auf die Altstadt. Es handelt sich um das Museum des Zweiten Weltkrieges, das zügig seiner Vollendung entgegen geht. Zurzeit läuft der Innenausbau, und in einigen Monaten soll es eröffnet werden. Einige größere Exponate, darunter der amerikanische Panzer Sherman Firefly, den polnische Soldaten der Brigade von Stanisław Maczek bei der Befreiung Frankreichs, Belgiens und Hollands fuhren, sowie ein Waggon der Polnischen Eisenbahn, mit dem Polen nach Sibirien deportiert und polnische Zwangsarbeiter nach Deutschland transportiert wurden, wurden schon installiert. Die Gesamtkosten wurden mit etwa 450 Millionen Zloty (zirka 100,8 Mio. Euro) veranschlagt.
Auch wenn die meisten der Exponate noch außer Haus gelagert werden, lassen Konzeption, Gestaltung und pädagogische Präsentation schon jetzt erkennen, dass Fachleute aus ganz Europa am Werk sind. Neben den Ausstellungsräumen gibt es Säle für Konferenzen und Filmvorführungen, Tagungsräume, ein Restaurant und einige Hotelzimmer; der Zugang wird behindertengerecht gestaltet. Bei der Präsentation wird auf Anschaulichkeit geachtet: So fällt der Blick auf einige nachgebaute Häuserfronten in einer Warschauer Straße, so wie sie zu Kriegsbeginn existierten. Nebenan sieht man die gleichen Häuser als verrauchte Ruinen nach der Zerstörung durch die deutschen Besatzer. Baracken eines Lagers für polnische Zwangsarbeiter wurden ebenso nachgebaut wie Verstecke des polnischen Untergrunds.
Auf einer Ausstellungsfläche von mehr als 5.000 m2 (4.000 m2 für die ständige Ausstellung und 1.000 m2 für Wechselausstellungen) sollen gut 3.000 Exponate präsentiert und erläutert werden – vielfach zur Verfügung gestellt aus Privatbesitz. Fast 200 Berichte von Zeitzeugen wurden gesammelt. Schon vor der Eröffnung des Museums ist ein Katalog der Exponate erschienen.
Immer wieder kommen Besucher aus dem Ausland, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu informieren, so im November 2016 die Direktorin des Washingtoner Holocaust-Museum, Lynn Williams. Das Team des Museums gibt wissenschaftliche Publikationen und Bildbände zu Themen des Zweiten Weltkrieges heraus, organisiert wissenschaftliche Konferenzen ebenso wie »historische Spaziergänge« für interessierte Besuchergruppen, baut eine Bibliothek auf und unterstützt einschlägige Forschungsarbeiten.
Warum ein Weltkriegsmuseum in Danzig?
Ein ideeller Rahmen für die Gestaltung des Museums sind die Geschichte Danzigs und der ganzen Region sowie die Museumslandschaft der Stadt. Nicht weit entfernt befindet sich das historische Gebäude der Polnischen Post, das am 1. September 1939 trotz heftigen Widerstandes von SS- und Polizeieinheiten eingenommen wurde; am Rande der Stadt liegt die Westerplatte, wo der Zweite Weltkrieg begann, und in der Nähe Danzigs die Gedenkstätte des ehemaligen NS-Konzentrationslager Stutthof. Fußläufig zu erreichen ist das Europäische Solidarność-Zentrum (Europejskie Centrum Solidarności), in dem nicht nur die Geschichte der Gewerkschaft Solidarność, sondern auch die anderer Oppositionsgruppierungen und -bewegungen in Polen und Ostmitteleuropa sowie bis zu einem gewissen Grad auch die Geschichte des Kommunismus präsentiert werden.
Ein zweiter Grund für den Standort des neu zu eröffnenden Museums besteht darin, ihm einen europäischen Charakter zu geben. Hervorgehoben wird das Schicksal der Polen und ihres Staates, was aber nicht auf Kosten der Darstellung anderer Nationen wie der Deutschen und der Russen gehen soll. Ziel ist es, die damaligen Ereignisse in Polen in ein größeres Bild einzufügen und damit das Museum mit einer universellen Botschaft auszustatten. Der polnische Historiker Włodzimierz Borodziej sagte in einem Zeitungsinterview: »Vermutlich ist es europaweit das erste Museum, das den Krieg in allen seinen europäischen Zusammenhängen, auch den osteuropäischen, darstellen will.« Und sein amerikanischer Kollege Tymothy Snyder erklärte: »…die deutschen Kriegsverbrechen (treten) durch die vergleichende Einbettung noch deutlicher hervor (…). Das Beharren der Kuratoren auf einer globalen und vergleichenden Einbettung sorgt dafür, dass ein schockierendes Verbrechen begreifbare Form annimmt.«
Dem Programmbeirat und den Gestaltern des Museums ist durchaus bewusst, dass eine schwierige Aufgabe darin besteht, die polnischen und die »fremden« Erfahrungen so zu gewichten, dass nicht der Eindruck entsteht, die universale Aussage des Museums relativiere die Frage der Verantwortung für den Krieg oder verringere sowohl das Leid als auch den heroischen Widerstand der Polen. Der Gründungsdirektor des Museums, Paweł Machcewicz, hebt hervor: »Nur indem Ähnlichkeiten und Unterschiede von Krieg und Besatzung in West- und Ostmitteleuropa vermittelt werden, lassen sich die Ereignisse redlich darstellen und erklären, die zwar auf dem ganzen Kontinent stattfanden, sich aber in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausprägten.«
Unterschiede der historischen Gedächtnisse verdeutlichen
Die ideellen Grundsätze für die Gestaltung des Museums resultieren aus dem Wissen um die Unterschiede in der Mentalität und der historischen Sensibilität der europäischen Völker und Nationen, die sich aus kulturellen Unterschieden und unterschiedlichen historischen Erfahrungen ergeben. Diese Unterschiede sind ein Wert und eine Errungenschaft Europas, und sie werden auch nie ganz verschwinden.
Die Unterschiede des historischen Gedächtnisses in Ostmittel- und Westeuropa werden insbesondere anhand der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges sichtbar. So ist ein zentraler Bestandteil des polnischen historischen Gedächtnisses die Tatsache, dass Polen im September 1939 nicht nur die Aggression des Dritten Reiches erleben musste, sondern auch die der Sowjetunion sowie die Aufteilung des Staates zwischen zwei totalitären Regimen und parallel stattfindende Repressionen vonseiten der beiden Okkupationsmächte ab dem Herbst 1939. In Westeuropa ist dies außer einem Kreis von an Polen interessierten Fachleuten kaum bekannt.
Ein zweites Beispiel sind die Zwangsumsiedlungen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. In Polen hält man es nicht für begründet, diesen Zwangsumsiedlungen eine Sonderstellung als eines der wichtigsten Probleme der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts einzuräumen. In Deutschland dagegen gibt es zahlreiche Historiker, die die Vertreibung der Deutschen in eine Reihe ethnischer Säuberungen einordnen, die mit den Balkankriegen der Jahre 1912–1913 begannen und deren jüngste Fortsetzung die Gewalttaten und Vertreibungen im Zuge des Zusammenbruchs Jugoslawiens in den frühen 1990er Jahren waren. Für das polnische historische Gedächtnis sind die Zwangsumsiedlungen der Deutschen weniger wesentlich und schmerzhaft als Auschwitz oder Katyn, die Tötung der Zivilbevölkerung während des Warschauer Aufstandes und die zerstörerische Politik der deutschen Besatzer vom Beginn des Zweiten Weltkrieges an. Machcewicz unterstreicht: »Aus allen diesen Gründen ist es sinnvoll, den Versuch zu unternehmen, ein Museum zu gründen, das die verschiedenen historischen Gedächtnisse der Europäer miteinander verbindet. Nicht mit dem Ziel, eine einheitliche, überall verbindliche Narration zu schaffen, denn dies wäre eine schädliche Utopie. Vielmehr, um die einzelnen historischen Erfahrungen, die die aktuelle Sensibilität der Franzosen, Deutschen, Polen oder Russen prägen, zu verstehen.«
Das Schicksal der Menschen im Mittelpunkt
Die Ausstellung wird in vier Themenblöcke gegliedert. Der erste betrifft die Genese des Zweiten Weltkrieges, wobei der Schwerpunkt auf die Kräfte gelegt wird, die die politische Ordnung des Vertrags von Versailles aufgehoben, Europa in den Krieg getrieben und diesen Krieg dann auf brutalste Weise geführt haben: der Nationalsozialismus, der italienische Faschismus, der japanische Imperialismus und in gewisser Weise auch der Kommunismus. Diese Regime haben miteinander kooperiert, wie die deutsch-italienische Invasion im Spanischen Bürgerkrieg, die Unterzeichnung des »Stahlpakts« (Deutschland – Italien) und später des »Drei-Mächte-Pakts« (Deutschland – Japan – Italien) sowie der Hitler-Stalin-Pakt zeigen. Dabei wollen die Gestalter des Museums auf jeden Fall vermeiden, dass ein direktes Gleichheitszeichen zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus gesetzt wird.
Im Mittelpunkt sollen die Schicksale der Menschen stehen, der Soldaten, Kriegsgefangenen, Lagerhäftlinge, Zwangsarbeiter, der Frauen und Kinder und der Zivilbevölkerung generell. Die universale und für alle Besucher verständliche Botschaft gilt dem verbrecherischen Charakter des Krieges und den absichtsvollen Anstrengungen der beteiligten Mächte, ganze Staaten und Völker oder Teile der betroffenen Gesellschaften zu vernichten. Thematisiert werden insbesondere die Verbrechen der Wehrmacht und der SS in den besetzten Gebieten Europas, der Holocaust, die sowjetischen Morde von Katyn, Charkow und Miednoje, das japanische Massaker von Nanking, die blutigen ethnischen Konflikte in Wolhynien und die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan.
Dieser zweite Erzählstrang betrifft das Schicksal der Soldaten an der Front und den Alltag der Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkrieges. Das Ziel ist, den Besuchern die spezifische Situation an den verschiedenen Fronten sowie in verschiedenen Teilen des besetzten und umkämpften Europa zu verdeutlichen. Dabei soll auch die Ähnlichkeit der Erlebnisse deutlich werden. In diesem Rahmen geht es außerdem um den aktiven und passiven Widerstand bis hin zum Aufstand im Warschauer Ghetto (1943), dem Warschauer Aufstand (1944) und den Widerstandsaktionen der Franzosen, Tschechoslowaken, Norweger und Dänen.
Drittens werden die diplomatischen Aspekte des Krieges dargestellt. Es soll vermittelt werden, dass die Zugeständnisse, die die westlichen Staatsführer zunächst Hitler und dann Stalin gegenüber um des Friedens oder eines bestimmten strategischen Nutzens willen gemacht haben, ihren erkennbaren Preis hatten, den insbesondere die Staaten Ostmitteleuropas zu zahlen hatten.
Der vierte Erzählstrang betrifft die wichtigsten Folgen des Zweiten Weltkrieges: die Grenzverschiebungen in Mittel- und Osteuropa, die Teilung des Kontinents und die Sowjetisierung der Gebiete östlich der Elbe, des Weiteren die Vertreibung der Deutschen, die Rückkehr der displaced persons, die »Repatriierung« der Polen aus den vormaligen Ostgebieten, die Entstehung einer polnischen Diaspora im Westen und die Auswanderung von Juden nach Palästina.
Der Aufbau der ständigen Ausstellung folgt den Themenblöcken, wobei konkrete Ereignisse sowie deren Wechselwirkungen und Folgen dargestellt werden. Den Gestaltern des Museums kommt es darauf an, möglichst viele Berichte von Zeitzeugen miteinzubeziehen – wohl wissend, dass diese bei den Besuchern oft einen größeren Eindruck hinterlassen als die Darstellung historischer Ereignisse anhand trockener Fakten und Statistiken. Die Ausstellung soll multimedial und interaktiv gestaltet werden und auf verschiedene audiovisuelle Techniken und Methoden zurückgreifen. Vorgesehen ist, dass Besucher einige Exponate sogar anfassen können, wenngleich es sich dabei nicht um Originale, sondern um Duplikate handeln wird – etwa eine Druckerpresse, wie sie im polnischen Untergrund zur Herstellung von Flugblättern verwendet wurde. Außerdem werden Computersimulationen von bestimmten Orten und Räumlichkeiten wie etwa ein Luftschutzraum in der Londoner U-Bahn oder ein konspirativer Treffpunkt der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) angeboten.
Die Verantwortlichen
Gründungsdirektor des Museums ist der ausgewiesene Historiker Paweł Machcewicz, der insbesondere mit Werken über den Arbeiteraufstand in Posen (Poznań) und den »Polnischen Oktober 1956« sowie über Władysław Gomułka hervorgetreten ist. Zu seinen Veröffentlichungen zählt das Buch Spory o historię (dt. Streit um die Geschichte), in dem er sich unter anderem mit der Debatte über Lech Wałęsa, Geschichtspolitik und dem Verhältnis zwischen Polen und Juden auseinandersetzt. Im Oktober 2016 veröffentlichte Machcewicz einen Text über die Ereignisse des Jahres 1956 in der angesehenen polnischen Wochenzeitung Polityka. Er ist Professor am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften und hat bereits an verschiedenen Universitäten gelehrt. Von 2000 bis 2006 fungierte er als Direktor des Büros für Volksbildung des Instituts des Nationalen Gedenkens (Instytut Pamięci Narodowej – IPN). In den Jahren 2008 bis 2014 zählte er außerdem zu den Beratern des damaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Die Stellvertreter von Machcewicz sind die Historiker Janusz Marszalec, der sich insbesondere mit dem polnischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg und dem Warschauer Aufstand 1944 beschäftigt hat, sowie Piotr M. Majewski, ein Experte für die Geschichte der Tschechoslowakei und der Sudetendeutschen. Das Direktorium wird von acht wissenschaftlichen Mitarbeitern unterstützt.
Des Weiteren wurde ein Rat von Treuhändern berufen, dem unter anderem Piotr Cywiński, Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, der Kunsthistoriker Jarosław Krawczyk, der Literaturwissenschaftler Zdzisław Najder und der Anwalt Jacek Taylor angehören. Zu den Mitgliedern des ebenfalls gebildeten Programmbeirats gehören die Historiker Norman Davies, Jerzy Borejsza, Włodzimierz Borodziej, Ulrich Herbert, Krzysztof Pomian, Timothy Snyder, Tomasz Szarota und Anna Wolff-Powęska.
Märtyrertum und Heroismus als zentrale Elemente nationalkonservativer Geschichtspolitik
Bereits mit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit von Jarosław Kaczyński im Jahr 2015 war abzusehen, dass es Konflikte um das Danziger Museum geben würde. Das Projekt ist besonders Kulturminister Piotr Gliński ein Dorn im Auge. Er beauftragte drei ihm politisch nahe stehende Historiker und Journalisten, Piotr Niwiński, Piotr Semka und Jan Żaryn, Gutachten zu erstellen; alle kamen zu dem Ergebnis, dass das Danziger Projekt zu sehr die Leiden und Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges in den Fokus nehme und den Patriotismus sowie die Opferbereitschaft der Polen viel zu wenig hervorhebe. Tatsächlich aber stört Kaczyński, PiS und Gliński die europäische Orientierung des Projekts. Włodzimierz Borodziej, Mitglied des Programmbeirats, weist auf die verengte Perspektive hin, die in der Geschichtspolitik nun Einzug gehalten hat: Die polnische Regierung »ist dagegen, die Geschichte des Krieges umfassend, also als ein europaweites Ereignis zu zeigen, eine Katastrophe, in deren Folge noch mehr Zivilisten litten als Soldaten. Der Kulturminister erklärte beiläufig, das Museum sei zu teuer – aber das ist lediglich ein Vorwand. Die Regierung will wohl ein Museum über Polen (Hervorhebung durch Borodziej – R.V.) im Zweiten Weltkrieg, mit Soldaten und Résistance-Kämpfern als Dominante. Alles, was darüber hinausgeht, passt offenbar nicht.«
Borodziej greift auch den Vorwurf Glińskis auf, dass die polnischen Aspekte des Zweiten Weltkrieges bei der Gestaltung des Museums nicht ausreichend berücksichtigt würden: »Man kann sich gut vorstellen, dass der Kulturminister und seine Stellvertreter solche Äußerungen tun, ohne Konzept und Umsetzung der Ausstellung zu kennen. Schade, denn lesen ist immer besser als nicht lesen.«
Ohnehin ist Geschichtspolitik ein Herzstück der von PiS betriebenen nationalkonservativen Kulturpolitik. Ihr Ziel ist die Stärkung einer auf Märtyrertum und Heroismus beruhenden nationalen Identität. Als Vorbilder dienen die polnischen Aufstände des 19. Jahrhunderts, als Preußen, das zaristische Russland und das habsburgische Österreich das Land unter sich aufgeteilt hatten, die Kämpfer des Warschauer Aufstandes im Jahr 1944 gegen die deutsche Besatzungsmacht sowie die antikommunistischen Widerstandskämpfer, die sich am Ende des Zweiten Weltkrieges gegen die Sowjetisierung Polens wehrten. Dabei zeigt sich ein ideologisierter Umgang mit Geschichte; nationale Siege und Errungenschaften werden überhöht und Verfehlungen des eigenen Volkes entweder heruntergespielt oder ganz verschwiegen. Der Direktor des Jüdischen Historischen Instituts (Żydowski Instytut Historyczny) in Warschau, Pawel Śpiewak, erklärte: »Das ist eine Art von Nationalismus. Wenn ich an einer Debatte mit dem Präsidenten (Andrzej Duda, vor Amtsantritt PiS – R.V.) über die Geschichtspolitik teilnehme, dann reden wir nur darüber, was die Polen für eine tolle Nation sind. Das ist die Rückkehr zum Mythos der Polen als einer unschuldigen Nation, geschändet, aber unschuldig.«
Setzt sich die Geschichtspolitik der PiS im Falle des Danziger Museums durch, dann kommt gerade jener Aspekt nicht zum Tragen, der für Paweł Machcewicz und seine Mitstreiter besonders wichtig ist: die unterschiedliche Ausprägung des historischen Gedächtnisses in den europäischen Ländern zu verdeutlichen und damit auch zum Vergleich anzuregen.
Auf einen weiteren Aspekt macht der Historiker Timothy Snyder aufmerksam: »Die weit überwiegende Mehrheit der Opfer des Holocaust sind polnische und sowjetische Juden; fast jeder, der im Holocaust umgekommen ist, war vor dem Krieg in Polen oder in der Sowjetunion zu Hause oder wurde in das von den Deutschen besetzte Polen oder in die besetzten Gebiete der UdSSR deportiert, um dort umgebracht zu werden. Weil der Holocaust eine Reihe von Stadien umfasste, die mit dem Fortschreiten eines komplexen Krieges zu tun hatten, und überall in Europa seine Opfer fand, könnte ein international ausgerichtetes Museum des Krieges den Verlauf der Judenvernichtung vielleicht deutlicher zeigen als Museen, die ausschließlich diesem Verbrechen gewidmet sind. Womöglich liegt genau darin das Problem für die gegenwärtige polnische Führung, denn ein umfassendes Verständnis des Holocaust macht es sehr schwer, die europäischen Nationen schlicht in Täter und Opfer zu unterteilen. Die Vorstellung einer nationalen Unschuld Polens, welche die aktuelle Regierung offenbar unbedingt bewahren möchte, ist ihrerseits alles andere als unschuldig. Wenn Polen einzig und allein Opfer nationalsozialistischer Aggressionen waren, was sollen wir dann von den Ereignissen während des Kriegs halten, bei denen Polen selbst Kollaborateure oder Täter waren? Was sollen wir beispielsweise mit den Schlüsseln der ermordeten Juden von Jedwabne anfangen? Als die Juden dort im Juli 1941 von ihren polnischen Nachbarn gezwungen wurden, sich auf einem öffentlichen Platz zu versammeln, hatten sie ihre Schlüssel dabei, denn sie gingen natürlich davon aus, dass sie bald wieder nach Hause gehen könnten. Stattdessen wurden sie in eine Scheune getrieben und dort verbrannt. Geblieben sind nur ihre Schlüssel, und diese hat das Museum zusammengetragen.«
Stolpersteine für das Museum
Die Schwierigkeiten für Paweł Machcewicz und das Danziger Museum der Geschichte des Zweiten Weltkrieges begannen im April 2016, als auf der Homepage des Kulturministeriums mitgeteilt wurde, das Museum solle mit dem Museum Westerplatte vereinigt werden. Zu diesem Zeitpunkt bestand dieses »Museum«, das den sieben Tagen der Verteidigung der polnischen Enklave in Danzig gewidmet ist, allerdings nur aus einigen Schautafeln, die auf der Westerplatte gezeigt werden. Es gab weder einen Etat für dieses »Museum« noch feste Mitarbeiter. Minister Gliński ging es darum, im Zuge einer Zusammenlegung beider Einrichtungen die Arbeitsverträge von Machcewicz und seinen Stellvertretern nach polnischem Recht auflösen und sie durch Personen ersetzen zu können, die der Regierung genehm sind. Im Juli führten Mitarbeiter des Kulturministeriums umfangreiche Kontrollen auf der Baustelle des Museums durch, obwohl die Oberste Kontrollkammer, eine dem Sejm gegenüber verantwortliche Institution, die die Tätigkeit und das Finanzgebaren von Regierungsinstitutionen überprüft, exakt die gleichen Kontrollen schon ein halbes Jahr vorher vorgenommen hatte. Im September verschob Minister Gliński das Datum der Zusammenlegung des Museums des Zweiten Weltkrieges mit dem Museum Westerplatte vom 1. Dezember 2016 auf den 1. Februar 2017.
Am 26. Oktober kam es zu einer Auseinandersetzung während der Sitzung der Kulturkommission des Senats, der zweiten polnischen Parlamentskammer, als Gliński das Ergebnis der Kontrollen seiner Mitarbeiter präsentierte und dabei Machcewicz und die anderen Mitarbeiter des Museums mit einer Reihe schwerer Vorwürfe konfrontierte. Er monierte unter anderem
Fehler bei der Bauausführung,die eigenwillige Überziehung der veranschlagten Kosten,die Anschaffung von Exponaten, die ursprünglich nicht vorgesehen gewesen seien,die fehlerhafte Inventarisierung der gesammelten Exponate.
Auch wenn es tatsächlich vereinzelt Fehler gab, etwa dergestalt, dass anfangs die Schwierigkeiten unterschätzt wurden, die der Schwemmsand des Danziger Stadtgebiets für die Errichtung des Gebäudes bereiten würde, konnte Machcewicz in seiner Entgegnung auf Gliński doch darauf hinweisen, dass die Oberste Kontrollkammer die Tätigkeit der Museumsleitung in wesentlichen Fragen gebilligt hatte. Deutlich wurde somit der politisch-ideologische Hintergrund der Anschuldigungen Glińskis vor dem Senat.
In diesem Zusammenhang wurde auch bekannt, dass sich die drei Gutachter, die Gliński berufen hatte, strikt geweigert hatten, der Einladung von Machcewicz und seinen Stellvertretern zu einer ausführlichen inhaltlichen Vorstellung des Museumskonzepts zu folgen, was nicht dafür spricht, dass ihre Expertisen ernst zu nehmen sind.
Machcewicz und seine Mitstreiter setzten sich zur Wehr und bekamen viel Zuspruch aus dem In- und Ausland. Bereits Anfang August 2016 stellten zwei Mitglieder des Rates der Treuhänder, Jacek Taylor und Tadeusz Filipkowski, beim Präsidenten der Obersten Kontrollkammer den Antrag, das Vorgehen von Kulturminister Piotr Gliński einer genauen Prüfung zu unterziehen. In ihrer Begründung hieß es: »Der Akt der Vereinigung (beider Museen – R.V.) wird enormen Schaden anrichten, den der Minister bislang mit Sicherheit nicht abschätzen kann.« Wenige Tage später gaben die Mitglieder des internationalen Programmbeirats eine Erklärung ab, in der sie die drei Gutachten, die der Kulturminister eingeholt hatte, scharf kritisierten. Sie schrieben unter anderem: »Aufgabe des Historikers ist es, Quellen zu analysieren und auf dieser Grundlage zu adäquaten Schlussfolgerungen zu kommen. Im Fall der Gutachter wurde diese Arbeit nicht ausgeführt. Ihre Stellungnahmen bestehen vor allem aus dem Vorwurf, dass dieser oder jener Aspekt der polnischen Geschichte in der Hauptausstellung des Museums nicht präsentiert werde. Dieser Vorwurf ist unbegründet, ja zum Teil grotesk.«
Am 13. August veröffentlichten die Historiker Tymothy Snyder von der Yale University und Andrzej Nowak von der Krakauer Jagiellonen-Universität, ein der gegenwärtigen Regierung grundsätzlich wohlgesonnener Historiker, einen Brief an Kulturminister Gliński, in dem sie unterstrichen: »Wir sind der Auffassung, dass die geplante Ausstellung der historischen Wahrheit gerecht wird, sowohl was das allgemeine Bild des Krieges angeht als auch hinsichtlich des spezifischen Schicksals Polens in diesem Krieg. Wir stimmen darin überein, dass das Museum des Zweiten Weltkrieges in der entstehenden Form eine außergewöhnliche Chance für die Polen eröffnet, sich über den Krieg zu informieren, wie er außerhalb Polens stattfand, ebenso wie für die ausländischen Besucher, die polnische Geschichte kennenzulernen.«
Am 21. September 2016 reichte die Direktion des Museums beim Verwaltungsgericht der Woiwodschaft Masowien Widerspruch gegen die vom Kulturminister verfügte Vereinigung des Museums mit dem Museum Westerplatte ein und berief sich dabei auf einen Artikel des polnischen Museumsgesetzes, wonach sich der Minister vor seiner Entscheidung an den Rat für Museumsangelegenheiten (Rada do Spraw Muzeów) hätte wenden sollen, was er aber nicht getan hatte.
Schließlich meldete sich auch der polnische Bürgerrechtsbeauftragte Adam Bodnar zu Wort, als er am 28. Oktober ebenfalls Widerspruch gegen die Entscheidung des Ministers einreichte und dabei auf Verstöße des Kulturministeriums gegen Artikel der Gesetze über kulturelle Tätigkeit, die öffentlichen Finanzen und die Museen sowie Verstöße gegen das Baurecht verwies.
Am 16. November erzielte die Museumsdirektion um Machcewicz dann einen ersten Erfolg, als das Verwaltungsgericht der Woiwodschaft Masowien ihrem Widerspruch stattgab und die Vereinigung der beiden Museen erst einmal für unbestimmte Zeit untersagte sowie eine genauere Prüfung der Hintergründe der ministerialen Entscheidung ankündigte.
Besonders im Laufe des Jahres 2016 war die Entwicklung um das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig wiederholt Gegenstand der Berichterstattung der internationalen Presse, nicht zuletzt in Deutschland.
Ausblick
Trotz des Erfolges vom 16. November ist die Zukunft des Museums in der bislang konzipierten Form ungewiss. Die Kompromisslosigkeit, mit der die von Recht und Gerechtigkeit geführte Regierung in anderen Politikbereichen vorgeht, lässt nichts Gutes erahnen. Paweł Machcewicz und seine Stellvertreter nehmen für sich ein Urheberrecht in Anspruch und betonen, dass ohne ihre Zustimmung deshalb keine größeren Veränderungen an der Dauerausstellung vorgenommen werden dürften. Tatsächlich ist zu prüfen, ob das EU-Recht in Gestalt der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, die auch für polnische Gerichte bindend ist, auch auf das Danziger Museum angewandt werden kann. Wenn ja, könnte die Leitung des Museums bei einem Verstoß gegen die Richtlinie und damit gegen EU-Recht bei der EU-Kommission Beschwerde einlegen, was wiederum ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleiten könnte. Die Meinungen darüber sind unter Juristen allerdings geteilt.
Selbst wenn die Richtlinie zur Anwendung käme, ist damit noch nicht gesagt, dass sich die PiS-geführte Regierung auch daran hält. Immerhin haben Regierungsmitglieder und Parlamentarier von Recht und Gerechtigkeit schon mehrfach bewiesen, dass ihnen ihr politischer Wille wichtiger ist als das Recht, insbesondere das EU-Recht.
Eines steht fest: Sollten Konzeption und Gestaltung des Museums stark verändert werden, dürften viele polnische Familien, die wertvolle familiäre Erbstücke als Exponate zur Verfügung gestellt haben, diese zurückfordern. Den Schaden hätten die Besucher. Gewaltig wären auch die zusätzlichen Kosten für den öffentlichen Haushalt, die eine umfangreiche Veränderung nach sich zöge.