Der Nationalkatholizismus und die Demokratie

Von Ireneusz Krzemiński (Universität Warschau, Warschau)

Zusammenfassung
In Polen betreibt die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) eine grundlegende Umgestaltung der politischen Institutionen und des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die zu einer tiefen Spaltung in Politik und Gesellschaft bis in Familien und Freundeskreise hinein geführt hat. Die Unterstützung der Hauptströmung der katholischen Kirche für die PiS-Regierung kommt einem relativ großen Segment der polnischen Gesellschaft entgegen und wird von der PiS als Instrument für die eigenen politischen Zwecke medial wirksam genutzt. Die weiterhin stabile Position der PiS weist aber auch auf die fundamentale Schwäche der Opposition hin, die weder mit konstruktiver Kritik noch zukunftsweisenden Ideen und starken Persönlichkeiten in Erscheinung tritt.

Die Antwort auf die Frage, was zurzeit in Polen geschehe, ist sehr einfach und zugleich sehr schwierig. Einfach mit Blick auf die grundlegenden rechtlichen und moralischen Regeln eines demokratischen Staates. Wir haben es mit einer bewussten und zielgerichteten Untergrabung derselben vonseiten der rechtmäßig gewählten Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) zu tun. Gleichzeitig ist die Antwort schwierig, weil unklar ist, wie man sich dem entgegenstellen kann, und schwierig ist auch die Antwort auf eine zweite Frage: Wie ist das möglich in einer Gesellschaft, deren pro-demokratische und pro-westliche Anstrengungen seinerzeit den sowjetischen Kommunismus überwanden? Die ganze Angelegenheit ist demnach komplex.

Umso mehr, als der Anschlag auf die Institutionen und Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates unter der Führung eines Menschen vonstattengeht, der sich in der ausdifferenzierten Bewegung für Freiheit und Demokratie engagiert hatte. Obgleich er nie in der ersten Reihe der Freiheits- und Demokratiekämpfer gestanden hatte, spielte er in verschiedenen Phasen des Umbaus Polens eine sehr wichtige Rolle. Möglicherweise ist die Tatsache, dass er nur einer von vielen Aktivisten der Opposition und später der Solidarność-Bewegung und der Solidarność im Untergrund gewesen war, jetzt die Hauptmotivation für seine Aktivitäten als Autorität und Vorsitzender einer Partei, die sich in Richtung autoritäre Regierung bewegt und konsequent den demokratischen Rechtsstaat zerstört.

Die Vision des Staates, von der sich Jarosław Kaczyński leiten lässt, stützt sich auf die Tradition von Ideen, die der Vergangenheit anzugehören schienen. Sie wurden allerdings auf intelligente Weise reaktiviert, unter sehr tatkräftiger Beteiligung der katholischen Kirche. Dies ist ein weiteres Paradox: Wie ist es möglich, dass die Kirche, ohne die der erfolgreiche Kampf der Solidarność-Bewegung um Demokratie schlecht vorstellbar gewesen wäre, jetzt zu einem Hauptverbündeten des Anschlags auf die Demokratie geworden ist?

Nationaldemokratische Ideologie – neu gebügelt

Als Bezugsrahmen für die Analyse setze ich die polnische Tradition der sogenannten Nationaldemokratie. Diese ist die ideelle Basis. Pater Tadeusz Rydzyk, der Direktor von »Radio Maryja«, entwickelte und modifizierte auf dieser Grundlage eine Ideologie, die jetzt PiS und Jarosław Kaczyński von Nutzen ist. Ich bin ein entschiedener Verfechter der These, dass Pater Tadeusz Rydzyk eine enorme Rolle als Ideologe des Regierungslagers spielte und spielt, was sowohl die Vorteile belegen, die ihm die PiS-Regierung bereits verschafft hat, als auch die Rolle, die er jetzt bei der Unterstützung der Machthaber spielt. Pater Rydzyk hat die Ideen Roman Dmowskis (1864–1939), des Chefideologen der Nationaldemokratie, intelligent und einfallsreich umgestaltet. Die Vision vom Staat, wie sie Dmowski vertrat, setzt den nationalen Diskurs als absolut vorrangig über alle anderen Diskurse. Die Sorge um den guten Ruf der Nation und des Nationalstaates sollte die Diskussionsfreiheit und andere bürgerlichen Freiheiten wesentlich eingrenzen. Die moralische Haltung eines guten Polen bestehe darin, die eigene Nation zu bejahen und interne Kritik zu beschränken, wenn sie den guten Ruf Polens gefährden könnte. Nationale Minderheiten sollten solange nicht in Gänze die Bürgerrechte erhalten, bis sie sich vollständig assimiliert hätten, was in der Praxis die Annahme des Katholizismus bedeutete. Die Verbindung zwischen der Nation und der Kirche ist hier also sehr stark. Die katholische Kirche wird dabei als eine der größten Autoritäten für den Erhalt des nationalen Geistes betrachtet. Der größte ideelle Feind Dmowskis und der Nationaldemokratie war der Liberalismus, der vor allem auf die Rechte und die bürgerlichen Freiheiten bezogen wurde und als Ausschaltung der intervenierenden Funktionen des Staates bei der Regulierung der Lebensstile der Bürger verstanden wurde. Dies ist natürlich ein Postulat, das in einer modernen, liberalen Demokratie und einem Rechtsstaat nicht aufrechtzuerhalten ist. Jedoch ergibt sich aus jenem Verständnis eine recht einsichtige Schlussfolgerung: In einem echten Nationalstaat sollte die Macht von einer Nationalpartei ausgeübt werden, die sich auf Autoritäten stützt – so auch auf die Autorität der Kirche –, um die nationalen Interessen umzusetzen. Die Vision von der Welt und den nationalen Beziehungen stützte sich auf die Ideen des sozialen Evolutionismus. Die Beziehungen zwischen den Nationen wurden also als fortwährender Konkurrenzkampf beschrieben und als Ziel galt die Realisierung der egoistischen nationalen Interessen. Die Pflicht des Nationalstaates sollte daher der Kampf um die eigenen Interessen sein, und er sollte sich weder den Sentimentalitäten noch Illusionen von internationaler Freundschaft und Zusammenarbeit hingeben. Dmowski kritisierte sehr heftig die polnische Ausprägung der Romantik; der romantischen Tradition entsprechend galt es als wichtiger, moralische Pflichten und Werte der Nation zu erfüllen als das Handeln an aktuellen praktischen Interessen auszurichten. Die romantischen Ideale hatten ein martyrologisches Bild der Nation zur Folge, und Niederlagen wurden in moralische Siege der Polen umgedeutet. Dmowski wies diese Ideale entschieden zurück: Die Nation müsse in Konkurrenz mit anderen siegen und die Beziehungen zu den anderen als Mittel und rein pragmatisch behandeln.

Der Ideologe von »Radio Maryja« und der PiS, Pater Rydzyk, distanzierte sich allerdings radikal von dem so entschieden vollzogenen Ausschluss des romantischen Leidens. Erstens: Dmowski lehnte die Idee des polnischen Messianismus und der Rolle der Polen als »Christus der Nationen« ab. Diese Idee hat für die Angehörigen der Kirche freilich eine sehr große Anziehungskraft. Zweitens: Die Berufung auf die polnische Nation (pardon: Polnische Nation) baut die polnische Identität enorm auf. Die Polen litten unter den Deutschen und den Russen bzw. der UdSSR. Ihr Leiden wird nicht anerkannt, denn die ganze Welt weint nur über den Holocaust der Juden. Das polnische Leiden muss also der Welt präsentiert werden. Mehr noch, der polnische Staat wurde von den europäischen Verbündeten verraten, was den Polen erlaubt, ihnen heute Forderungen zu stellen. Wenn sich nun also Europa vereinigt hat, wenn es so der Verbrechen an den Juden gedenkt und nach gegenseitiger Versöhnung strebt, dann haben die Polen auch das Recht, etwas für sich selbst zu fordern. Daraus resultierte die Forderung, dass sich Europa nicht zu sehr in die Angelegenheiten des polnischen Staates einmischen solle. Endlich WIEDER FREI! Hier liegt der Ursprung der Haltung, dass sich Polen »von den Knien erhebt«.

Es wird von dem Einfluss der Politischen Theologie Carl Schmitts, des Autors der juristischen Rechtfertigung einer diktatorischen Macht (zum Beispiel Hitler), auf Jarosław Kaczyński gesprochen. Zweifellos gefiel es einer Gruppe sogenannter polnischer Konservativer, einige Schriften Carl Schmitts herauszugeben; zuletzt erschien »Die Diktatur« (Dyktatura, Warszawa 2016). Bestimmte Begriffe, die PiS in ihrem Diskurs verwendet und die in Kaczyńskis Äußerungen auftauchen, allen voran der berühmte »Souverän« als Subjekt der Änderungen der Normen und Rechte, können dies bestätigen.

Mit Sicherheit sind die selbstherrlichen gesetzgeberischen Aktivitäten, die das bisher geltende Recht und die Verfassung komplett ignorieren, ideologisch begründet, aber es ist dies keine Ideologie, die sich leicht enthüllen lässt. Die einheitliche Sprache, deren sich die Vertreter der regierenden Partei bedienen, und die beträchtliche Ladung von Emotionen, schlechten Emotionen, die dem umfassenden und bis heute ungestörten Angriff auf denjenigen Staat dienen, der nach 1989 aufgebaut wurde, sowie auf alle bisherigen Politiker, zeigen eindrücklich, dass die PiS-Vertreter eine gemeinsame Ideologie verbindet. Es handelt sich sicherlich nicht nur um die Ideologie Pater Rydzyks, obgleich »Radio Maryja« seit langem an der Veränderung der Bedeutung von »Demokratie«, »Freiheit des Staates« oder »bürgerlichen Freiheiten« arbeitet, und zwar in einer Richtung, die der Begründung der widerrechtlichen und außerrechtlichen Tätigkeiten von PiS sehr dient. Allgemein verbreitet ist die Rechtfertigung dieses Handelns als Realisierung des »richtigen«, moralisch begründeten gesellschaftlichen und nationalen Interesses. Alle, die anderer Meinung sind, werden zu Feinden und Verrätern. Diese sind natürlich nicht imstande, dem Vaterland gut zu dienen, so dass ihre Stimmen ausgeschlossen werden müssen. Die PiS-Regierung hat den politischen Streit in einen Krieg verwandelt, der Feindseligkeit und Hass eine Stimme gibt. Daraus ergeben sich düstere Konsequenzen, sowohl im Verhältnis zu den »eigenen anderen« als auch zu allen, die anders sind. An deren Spitze stehen zurzeit die Flüchtlinge und alle Moslems. Die Anzahl der Überfälle auf Menschen, die eine andere Hautfarbe haben und die verdächtigt werden, dem Islam anzuhängen, wächst beunruhigend.

Instrumente der Regierung

Die populistischen Versprechungen und Geschenke der Regierung weisen die angebliche »Glaubwürdigkeit« ihrer gemachten Versprechen und ihre eindeutig »guten Absichten« gegenüber der Nation aus. Die wichtigste Gabe des Staates, das Familienförderprogramm »500 plus« für Familien mit mehreren Kindern, verbesserte mit Sicherheit die Lebenssituation einer bestimmten Kategorie Familie. Gleichzeitig wurden jedoch die Schwierigkeiten alleinerziehender Mütter mit ihren Kindern, insbesondere wenn sie nur eines haben, vollkommen außer Acht gelassen. Auch die alleinerziehenden Väter, von denen es in Polen weniger gibt, blieben unbeachtet. Aber »alle«, einschließlich derjenigen, die ein hohes Einkommen haben, profitieren von den »500 plus«. Es ist also schwer, den populistischen und wahlkampftauglichen Charakter dieses Programms zu bestreiten.

Manche Politologen behaupten, dass die Aktivitäten von PiS von chaotischen Entscheidungen diktiert seien. Das wiederholen auch Journalisten. Dieses Urteil ist vollkommen falsch und irreführend. Die Aktivitäten von PiS, vielmehr die Entscheidungen des Präses Jarosław Kaczyński, sind hervorragend durchdacht und konsequent, sowohl strategisch als auch taktisch. Von außerordentlicher Bedeutung war der Angriff auf die öffentlichen Medien, das öffentliche Fernsehen und Radio. Die dort eingesetzte Propagandasprache erinnert lebhaft an die schlimmsten Jahre des Kommunismus – an die Medien der Gomułka-Ära nach 1968 und an die Zeit des Kriegsrechts, das am 13. Dezember 1981 verhängt wurde. Es schien, als könne diese Art von Propaganda im Zeitalter des Internet und der Vielzahl der Medien, die relativ in Ruhe gelassen wurden, für die Wissens- und Meinungsbildung der Bürger nicht gefährlich werden. Indessen war die Entscheidung, die öffentlichen Medien der Propaganda zu unterstellen, außerordentlich richtig für die Regierung. Im Juni 2015 nutzten 15,9 Mio. Empfänger das terrestrische Fernsehen, für 11,5 Mio. war es das einzige zugängliche Fernsehsignal. Im allgemein zugänglichen Angebot dominieren die Sender des öffentlichen Fernsehens, u. a. der Informationssender »TVP Info«, dessen propagandistische Bedeutung enorm ist. Die privaten TV-Sender, die zum Angebot gehören, sind kommerzielle Sender, das heißt, sie dienen der Unterhaltung. Auch wenn Sender wie »TVN« und »Polsat« ihre Nachrichtensendungen bringen, gehen sie im Strom der Informationsprogramme des Fernsehens unter, das PiS das »nationale« nennt. Die Informationskanäle jener Sender, also »tvn24«, »Polsat News« oder »Polsat News2«, werden nur über kostenpflichtige Fernsehsender angeboten. Das heißt, Millionen Menschen werden hauptsächlich von den propagandistischen, verlogenen »nationalen« Medien erreicht.

Anhänger und andere Wähler von PiS

Wenn man die Unterstützung für die PiS-Regierung analysiert, das Meinungsforschungsinstitut CBOS hat entsprechende Untersuchungen durchgeführt, dann zeigt sich, dass trotz aller populistischer Präsente für die Bürger die Unterstützung für PiS praktisch unverändert auf dem Niveau geblieben ist, das sie bei ihrem Wahlsieg erreicht hatte. Mit Sicherheit ist dies ein Erfolg der PiS-Regierung: Bisher war die Unterstützung für eine regierende Partei nach einem Jahr Amtszeit nie auf der Höhe geblieben, die in den Wahlen erlangt worden war. Aber recht unverändert bleiben auch andere wichtige Indizes. In einer Befragung einen Monat nach den Wahlen sank die Bedeutung der vorher regierenden Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) deutlich und oszilliert seitdem um diesen Wert. Die neue Partei von Ryszard Petru, Die Moderne (Nowoczesna), die einen Monat nach den Wahlen deutlich an Zustimmung gewann, bewegt sich seit Januar 2016 in einer Spanne von 14–19 Prozent. Die Unterstützung für die Regierung und Ministerpräsidentin Beata Szydło hält sich auf einem stabilen Niveau, wobei sie immer noch ebenso viele Gegner wie Sympathisanten hat. Die Daten zeigen, dass Polen in zwei Lager gespalten ist, die sich in ihren politischen Präferenzen und Urteilen verschanzen. Zwei Dinge sollten hier betrachtet werden:

Erstens: Wer sind die Anhänger der regierenden Partei (die im Grunde eine Koalition ist, da zur Regierungsmannschaft auch Vertreter der Fraktion der Vereinigten Rechten (Zjednoczona Prawica) gehören)? Die Antwort ist nicht schwierig, wenn man die Untersuchungen von CBOS als Grundlage nimmt. Vor allem sind es Landbewohner, Ältere (mindestens 55 Jahre alt), mit Grundschul-, Mittelschul- oder Berufsschulbildung und niedrigem Einkommen. Am häufigsten sind es Bauern, Rentner und an nächster Stelle Arbeiter. Sie stellen zirka 50 Prozent der PiS-Anhänger. Dies sind zu einem hohen Anteil Menschen, die die kostenlosen, allgemein zugänglichen Medien nutzen. Natürlich mögen die reicheren Landwirte eine Satellitenschüssel haben, aber ältere Bauern haben diese selten. Ähnlich ist es in Kleinstädten, wo das Kabelfernsehen im Allgemeinen nicht in die alten, armen Stadtviertel oder die Stadtteile mit Einfamilienhäusern reicht. Alle diese Menschen sehen mit Sicherheit das nationale Fernsehen, das mit politischer PiS-Propaganda gesättigt ist und nicht nur ein negative, sondern eine klar feindliche Haltung gegenüber allen Kritikern und Gegnern der regierenden Partei aufbaut.

Die Gegner von PiS sind wiederum Bewohner von Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern mit recht hohen Gehältern (2.000 Zloty und mehr), Hochschulabsolventen und Menschen im Alter von 25 bis 45 Jahren. Sie sind das Publikum der unabhängigen, privaten Informationssender im Fernsehen und der Presse, die noch ihre Unabhängigkeit bewahrt, trotz solcher Aktionen von PiS, wie beispielsweise das Abonnement der wichtigsten oppositionellen Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« in öffentlichen Institutionen zu verbieten sowie deren Verkauf an Tankstellen des Orlen-Konzern.

Małgorzata Omyła-Rudzka hat in einer CBOS-Untersuchung (Komunikat z Badań Nr 156/2016) festgestellt, dass »auf die erklärte Unterstützung für die Regierung an erster Stelle jedoch die Weltanschauung Einfluss hat. Mit dem Kabinett von Beata Szydło identifizieren sich deutlich häufiger diejenigen Befragten, die mehrmals wöchentlich religiös praktizieren (70 Prozent), sowie diejenigen mit rechten politischen Ansichten (67 Prozent). Abneigung der Regierung gegenüber geben häufiger diejenigen an, die nicht religiös praktizieren (58 Prozent) und sich mit dem linken politischen Spektrum identifizieren (61 Prozent).

Die oben genannte Kategorie der PiS-Anhänger auf dem Land und in den Kleinstädten deckt sich mit denen, deren Weltanschauung katholisch-national orientiert ist. Natürlich gibt es auch viele laute Anhänger und Bekenner solcher Ansichten in der großstädtischen Intelligenz, aber dort sind sie deutlich in der Minderheit. Analysen von Soziologen stellen immer häufiger die Tatsache heraus, dass die ländlich-kleinstädtische Wählerschaft von PiS sehr stabil ist. Für mich besteht kein Zweifel, dass die Unterstützung der katholischen Kirche PiS diese Stabilität in hohem Maße garantiert. Der TV-Sender »Trwam«, Teil des medialen Königreichs von Pater Rydzyk, ist auch auf der allgemein zugänglichen Medienplattform angesiedelt und »Radio Maryja« funkt mit ebensolcher Reichweite wie das Erste Programm des Polnischen Radio.

Der Wahlsieg von PiS, der die parlamentarische Mehrheit einbrachte und die Bildung einer Alleinregierung zuließ, war allerdings nur möglich, weil über den harten Kern der PiS-Wählerschaft hinaus noch einige Prozent mehr Wählerstimmen gewonnen werden konnten. Darunter befanden sich, worauf schon öfter hingewiesen wurde, auch junge Menschen, die von der PO-Regierung enttäuscht waren bzw. keine Perspektive für sich unter einer Fortsetzung der Koalition aus PO und Polnischer Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) sahen. Diese Koalition hatte die Regierungsverantwortung zwei Legislaturperioden lang ausgeübt, so dass die jungen Wähler keine Erfahrungen mit einer anderen Regierung hatten – und auch nicht mit der PiS-Regierung der Jahre 2005 bis 2007, deren Amtszeit durch vorgezogene Neuwahlen verkürzt worden war. Viele Wähler der Bürgerplattform waren bereits zwei Jahre vor den Parlamentswahlen 2015 von ihrer Partei enttäuscht. Im Allgemeinen zogen sich sogar die politisch Engagierten zurück, unterstützen auch keine andere Partei und gaben an, kein Verlangen zu haben, zur Wahl zu gehen. Zu keinem Zeitpunkt gelang es der Bürgerplattform während des fatalen Präsidenten- und Parlamentswahlkampfes, die Unterstützung ihrer ehemaligen Anhänger zurückzugewinnen.

Hier fügt sich der zweite Aspekt an: Wie bereits gesagt, ist die sich seit einem Jahr konstant haltende Unterstützung für die regierende Partei bemerkenswert. Früher sank gewöhnlich die Unterstützung in größerem oder geringerem Maße und wuchs die Unterstützung für die Oppositionsparteien, insbesondere für die größte von ihnen. Zurzeit haben wir es mit einer überraschend beständigen Verteilung der Anteile zu tun. Das weist nicht nur auf den Erfolg der regierenden PiS hin, ihre Wähler bei sich zu halten, sondern vor allem auf die Schwäche der Opposition.

Schwache und uneinige Opposition

Ein sehr gutes Beispiel ist hier die außerordentlich angespannte Situation im polnischen Parlament seit dem 16. Dezember 2016. Die Abgeordneten der Opposition, die sich schließlich zusammentaten, entschieden sich, gegen den unerhört dreisten Ausschluss eines PO-Abgeordneten aus der Parlamentssitzung durch den Sejmmarschall zu protestieren. Daraufhin verlegte PiS die Sitzung in einen anderen Saal, den sogenannten Säulensaal, und verabschiedete dort eines der wichtigsten Gesetze überhaupt, das Haushaltsgesetz, wobei sie viele Parlamentarier der Opposition nicht in diesen Saal hinein ließ. Diese also protestierten im Plenarsaal des Sejm und teilten mit, dass die Beratungen des Sejm vom 16. Dezember offiziell nicht beendet wurden. Diese Aktion der Opposition rief in der Hauptstadt ein ungewöhnlich lebhaftes Echo hervor. Hinzu kommt, dass es auch um die geplante Neuregelung der Regierung ging, die Journalisten des Parlamentsgebäudes zu verweisen und sie in einem Nachbargebäude unterzubringen. Dort sollten sie sich lediglich über die Geschehnisse im Plenarsaal informieren lassen und sich nach vorheriger Vereinbarung mit Abgeordneten treffen können. Bereits in dieser Angelegenheit hatte es eine Welle gesellschaftlicher Proteste gegeben, aber die unkontrollierte Abstimmung des Haushaltsgesetzes für das Jahr 2017 löste sofort den spontanen Protest der Warschauer aus. Am Abend des 16. Dezember versammelten sich Tausende vor dem Sejm. An den folgenden Tagen fanden trotz des schlechten Wetters in allen großen Städten zahlreiche vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji – KOD) organisierte Demonstrationen statt. Allerdings ereignete sich dies alles unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen, die in der polnischen Kultur eine große Rolle spielen; daran schloss sich der Jahreswechsel an – die Leidenschaft, sich an Demonstrationen zu beteiligen, flaute so zwangsläufig ab.

Der 11. Januar 2017 und die Eröffnung der Parlamentssitzung war mit großer politischer Anspannung verbunden. Erstens: Die vereinigte Opposition, die Abgeordneten der PO und der Modernen, die gemeinsam den Plenarsaal des Sejm besetzt hatten, trennten sich wieder. Ryszard Petru, Parteichef der Moderne, ein vollkommen unerfahrener Politiker, beschloss praktisch das Ende der Besetzung, was den PO-Vorsitzenden Grzegorz Schetnya veranlasste deutlich zu machen, um was es der Opposition eigentlich geht. Leider wurde das Haushaltsgesetz, das im Dezember rechtswidrig vom Parlament verabschiedet worden war, von der Zweiten Parlamentskammer, dem Senat, unverändert angenommen. Es blieb nichts anderes übrig, als auf die weitere Besetzung des Plenarsaals zu verzichten und andere Aktivitäten zu versprechen. Alles weist darauf hin, dass während der knapp vier Wochen dauernden Protestbesetzung weder die Oppositionsführer noch die protestierenden Parlamentarier ein konsequentes Handlungskonzept entwickelt haben.

Zweitens: Erneut tritt die Kirche aufs Spielfeld und ihre Unterstützung für die regierende Partei, die immer drastischer die Verfassung und das geltende Recht bricht. Die Protestierenden kamen nicht auf die Idee, beispielsweise einen Bischof oder zumindest einen Priester einzuladen, was sich angeboten hätte, da die Besetzung auch über die Weihnachtsfeiertage dauerte. Anstatt den Abgeordneten der Opposition Unterstützung zu signalisieren oder ihnen einen Besuch abzustatten, verkündete jedoch der Metropolit von Warschau, Kazimierz Nycz, dass man die Weihnachtsfeiertage zu Hause verbringen sollte. Hierin zeigt er seinen notorisch fehlenden Mut. Allerdings hätte auch ein anderer Geistlicher eingeladen werden können, ich bin sicher, dass sich ein Priester bereit erklärt hätte, die Einladung der protestierenden Parlamentarier anzunehmen. Eindrucksvoll war der Auftritt von Bischof Tadeusz Pieronek im Fernsehsender »tvn24«, der den Bruch der Verfassung und des geltenden Rechts durch die Regierung deutlich kritisierte. Es hätte also jemanden gegeben, an den sich die Opposition hätte wenden können, aber da dies nicht getan wurde, ging die Gelegenheit verloren, wichtige Unterstützung zu erhalten.

Die Schwäche der Opposition besteht unter anderem darin, dass sie nicht mit eigenen Vorschlägen auftritt. Angeblich soll Grzegorz Schetyna, der Parteivorsitzende der PO, ein »Schattenkabinett« berufen haben, das nach britischem Muster die Entscheidungen der Regierung kommentieren und Änderungen fordern soll. Bisher kam es noch nicht dazu, und das Schattenkabinett scheint im Schatten versunken zu sein.

Die Gemengelage ist nicht einfach. Sie betrifft auch die Bürgerbewegung, die sich um KOD herum gebildet hat. Diese soziale Bewegung hat bereits offiziell einen Verband gegründet, der die Koordination aller Reaktionen auf weitere, rechtswidrige Aktionen der regierenden Partei übernimmt. Die ursprüngliche Parole, die Verteidigung des Verfassungstribunals, die dazu führte, dass die Protestbewegung entstand, wird allerdings gerade Geschichte. Nach einem Jahr Kampf (und Passivität des Staatspräsidenten) ist es PiS gelungen, sich das Verfassungstribunal unterzuordnen. Die Proteste haben nicht geholfen, obgleich die Bürger viele Gelegenheiten hatten und sicherlich auch in Zukunft haben werden, ihren Widerspruch gegen die undemokratischen und antidemokratischen Maßnahmen der Regierung zu demonstrieren. Es fehlt dabei allerdings eine Idee, die nicht nur bei der Verteidigung der bisherigen Staatsordnung stehen bleibt. Auch wenn es sich um die Verteidigung der grundlegenden Werte, der moralischen und ethischen Werte einer demokratischen Gesellschaft handelt, sind Ideen oder konkrete Änderungsvorschläge notwendig, die den Regierenden entgegengestellt werden, neue Horizonte eröffnen sowie neue Chancen für eine Gesellschaft, die die liberale Demokratie verteidigt. Hier ist auch konstruktive Kritik erforderlich, die in die Zukunft weist. Die Menschen müssen erfahren, dass sich ihr Protest in einen Prozess des Aufbaus, der Gestaltung einer Ordnung verwandeln kann, einer Ordnung, die besser ist als das, was war und was ja vergleichsweise leicht zu zerstören war. Auch denkt niemand darüber nach, wie man die erreichen könnte, die PiS zwar gewählt haben, für die aber die Ideale des freien Polen der freien Bürger keineswegs an Aktualität verloren haben. Es ist nicht verwunderlich, dass die soziologischen Daten in der Form fortbestehen, wie sie zu Beginn des Regierungsantritts von PiS erhoben wurden. Die Regierung hat eine grundlegende Spaltung in der Gesellschaft herbeigeführt. Das Gefühl des Neids und der Wunsch, sich an allen zu rächen, die bisher erfolgreicher waren, höher aufgestiegen sind oder es besser verstanden haben, ihre Fähigkeiten zu nutzen, ist die Basis der Feindseligkeit der PiS-Anhänger gegenüber der sogenannten Elite. Kaczyński ist es gelungen, ein hasserfülltes Bild von den »anderen« zu schaffen, die nicht seine Anhänger sind. Und wenn alle diese »anderen« unter eine Kategorie gefasst werden und ihnen zugeschrieben wird, dass sie privilegiert sind, dann ist man – obwohl das Ganze eine reine Erfindung ist – im Namen jener neiderfüllten »Gerechtigkeit« erfolgreich.

Ausblick

Zu guter Letzt sei auf die Reflexionen von Alexis de Tocqueville über die Demokratie und ihre Bedingungen verwiesen, die eine Bürgergesellschaft, wenn nicht gar eine Bürgernation gestalten. Erstens wird die Freiheit nicht nur von der tatsächlichen Ungleichheit, sondern auch vom Gefühl der Ungleichheit eines Teils der Bürger bedroht. Zweitens aber, insbesondere dann, wenn die Bürger die Politik als unmoralisch beurteilen und ihre egoistischen Interessen verfolgen, ermöglichen sie, dass eine Regierung entsteht, die im Namen der »Gleichheit« die Demokratie zerstört. Das polnische Beispiel zeigt, dass die Demokratie eine vergängliche Ordnung ist. Insbesondere dann, wenn die demokratischen Gepflogenheiten nicht für einen ausreichend großen Teil der Bürger eine »Herzensangelegenheit« werden. Wenn das demokratische Ethos nicht der persönliche Wert des Bürgers wird, wird die Demokratie brüchig und kann sich unerwartet Diktatoren unterordnen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Zum Weiterlesen

Analyse

Flugzeugabsturz, Präsidentenwahl – und weiter? Eine Bilanz des letzten halben Jahres in Polen

Von Gerhard Gnauck
Der Flugzeugabsturz vom 10. April und die Stichwahl um das Präsidentenamt am 4. Juli 2010 waren die wichtigsten Marksteine in der jüngsten politischen Entwicklung in Polen. Das erste Datum führte überraschenderweise zu einer Art polnisch-polnischem Burgfrieden, zu innenpolitischer Mäßigung selbst im Wahlkampf und – aufgrund der russischen Anteilnahme – zu einer Welle der Sympathie für Russland. Auf das zweite Datum folgte eine Rückkehr der früheren innenpolitischen Polarisierung mit neuen Erscheinungen, etwa einer Debatte um das Verhältnis von Staat, Kirche und Religion. (…)
Zum Artikel
Analyse

Die Lage der katholischen Kirche in Polen

Von Theo Mechtenberg
Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem Epochenjahr 1989 steht das nationale Selbstverständnis der katholischen Kirche Polens in deutlicher Spannung zur säkularen Herausforderung einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft. Während eine national-katholische Formation in politischer Nähe zur national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) in Verteidigung der traditionellen Einheit von Kirche und Nation auf die Säkularisierungsprozesse und Veränderung der Lebensstile vornehmlich negativ reagiert, ist ein »offener Katholizismus« um einen innerkirchlichen wie gesellschaftlichen Dialog zur Bewältigung säkularer Herausforderung bemüht. Eine Versöhnung dieser unterschiedlichen Konzeptionen ist nicht erkennbar, sodass Polens katholische Kirche gegenwärtig unter einer tiefen Spaltung leidet.
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS