Andrzej Friszke zerschlägt die 14 Mythen von Sławomir Cenckiewicz über Lech Wałęsa: Verleumdungen, Unterstellungen und Manipulationen

Von Andrzej Friszke (Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau)

Wir haben den herausragenden Historiker Prof. Andrzej Friszke um eine Antwort auf den Text von Dr. habil. Sławomir Cenckiewicz »14 mitów« [14 Mythen; <http://niezalezna.pl/93236-tylko-u-nas-slawomir-cenckiewicz-obala-14-mitow-walesy>] gebeten, der in suggestiver Weise Lech Wałęsa als Spielball in den Händen der kommunistischen Machthaber und des Geheimdienstes darstellt. So sollen ihre Anordnungen und Erwartungen darüber entschieden haben, was Wałęsa in der Phase des »August 1980« sagte und tat, als er die Solidarność 1980–81 führte, sowie im Kriegszustand bis zur Entlassung aus Arłamowo, wo er bis zum November 1982 festgesetzt war.

Prof. Friszke, ein herausragender Historiker der neuesten Geschichte Polens, Autor der Monografie »Rewolucja Solidarności« (Kraków: Znak 2014), hat eine mitreißende Polemik verfasst, engagiert und sachlich zugleich, mit Bezug zu den Fakten und den Regeln der Werkstatt des Historikers.

Andrzej Friszke: Der Artikel von Cenckiewicz, de facto eine Anklageschrift, stützt sich auf Dokumente, die zielgerichtet ausgewählt und aus dem Zusammenhang gerissen wurden, mit dem Ziel, dass es für den Leser, der unter dem Eindruck zahlreicher Zitate und Einzelheiten steht, glaubwürdig erscheint.

Im Wesentlichen wiederholt Herr Cenckiewicz jedoch seit Jahren das gleiche, nimmt nicht zur Kenntnis, dass es Dokumente gibt, die seinen Thesen widersprechen, und ignoriert die Forschung anderer Historiker.

Er spricht mit der ihm eigenen Dreistigkeit und wirft unter anderem dem Verfasser dieses Textes vor, dass er zu den »ideologisierten Historikern« gehöre und dass sich die Verteidigung Wałęsas auf die »Verweigerung gegenüber dem Quellenwissen«, auf den »Versuch, eine verpflichtende Interpretation aufzuzwingen«, und auf eine »eigentümliche ›Immunität‹ gegenüber den noch zu entdeckenden Archivdokumenten« stütze.

Herr Cenckiewicz schreibt eindeutig über sich selbst, genau so geht er vor und hält sich manches Mal auch nicht von Beleidigungen fern.

Cenckiewicz liest nicht gern

Zu diesen Eigenschaften von Cenckiewicz sind noch weitere hinzuzufügen: die mangelnde Fähigkeit, die Untersuchungsergebnisse anderer Historiker zu nutzen, Ergebnisse, die sich auf solide Quellenuntersuchungen stützen. Herr Cenckiewicz liest ganz offensichtlich nicht gern, wenn er die Arbeit von Grzegorz Majchrzak »Solidarność na celowniku. Wybrane operacje SB przeciwko związkowi i jego działaczom« (Poznań: Zysk i S-ka 2016) oder meine Monografie »Rewolucja Solidarności 1980–1981« (Kraków: Znak 2014) nicht zur Kenntnis genommen hat. Herrn Cenckiewicz steht es frei, uns nicht zu mögen, was er viele Male zum Ausdruck gebracht hat, aber beide Publikationen basieren auf Archivmaterial des Instituts für Nationales Gedenken [Instytut Pamięci Narodowej – IPN, d.Übers.], und auch wenn er nicht an unsere Ehrlichkeit glaubt, sollte er in die Akten schauen, deren Signaturen angegeben sind. Er zieht es jedoch vor, dies nicht zu tun, es ist bequemer, nicht zu wissen, vorzugeben, dass es das nicht gibt, was nicht zur These passt. Er leitet seine Fantasien aus ausgewählten Dokumenten ab, vernachlässigt andere und sucht Zeugen, die die von ihm fabrizierten Vorwürfe unterstützen.

Eine Antwort auf alle 14 Punkte von Cenckiewicz würde einen ganzen Traktat erfordern, den zu schreiben keine Notwendigkeit besteht, es reicht, auf die betreffenden Abschnitte angeführter Publikationen und die dahinter stehenden Akten des IPN zu verweisen. Jedoch ist es sinnvoll, sich mit einigen Beispielen der Manipulation zu befassen, um Herrn Cenckiewicz’s Schreibmethode zu demonstrieren.

Der Sprung über den Zaun

Der Beginn des Auguststreiks 1980 – Cenckiewicz behauptet, dass Lech Wałęsa von den Machthabern geschickt worden sei (transportiert mit einem Motorboot), um die Ereignisse zu kontrollieren. Er kommt auf Wałęsas Sprung über den Zaun (es gab ihn nicht) und seine mutmaßliche Geheimdiensttätigkeit zurück, wofür die viele Jahre später verfassten Erinnerungen des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei [Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – PZPR, d.Übers.], Edward Gierek, und Paweł Bożyks [seines langjährigen Beraters] ein indirekter Beweis sein sollen. Zeugen auf dieser Machtebene machen auf den Leser Eindruck. Es ist also bequem, die Zeitdokumente zu meiden, insbesondere die Aufzeichnungen der Sitzungen des Politbüros, das heißt der obersten Leitung von Partei und Staat.

Als der Streik am 14. August 1980 ausbrach, teilte der Sekretär des Zentralkomitees, Stanisław Kania, den Genossen nach dem Gespräch mit der Leitung der PZPR in Danzig indessen mit: »Das Streikkomitee spricht mit dem Direktor. Sie versuchen, Wałęsa von den Gesprächen auszuschließen.« Auszuschließen, nicht einzubeziehen.

Am folgenden Tag bekennt Kania seine Unwissenheit: »Es gab keine Anzeichen für Streikvorbereitungen. Sie wurden überrascht.« Gierek sagte zusammenfassend, die Situation könne zur »Anwendung von Gewalt zwingen. Heute werden wir darüber nicht mehr diskutieren, aber morgen müssen wir darauf zurückkommen.« Am 16. August sagte Józef Pińkowski (bald darauf Ministerpräsident): »Ein neues Element ist die Einberufung einer ›freien Gewerkschaft‹, das ist ein Erfolg des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter [Komitet Obrony Robotników – KOR, d.Übers.].«

Solcherlei Erwähnungen lassen sich fortsetzen, aber es reicht, den Leser an mein Buch »Rewolucja Solidarności« zu verweisen oder an den vom IPN neu aufgelegten Band der Sitzungsprotokolle des Politbüros »PZPR a Solidarność 1980–1981« [Warszawa: IPN 2013, Anm.d.Übers]. Es bestehen keine Zweifel, dass die Führung der PZPR, das heißt des Staates, von dem Streik überrascht war.

In keinem Dokument gibt es die Andeutungen, dass Wałęsa »unser Mann« sei. Als Beweis die Bekenntnisse eines der stellvertretenden Ministerpräsidenten, Aleksander Kopeć, anzuführen, die erst nach 1989 geschrieben wurden, ist amüsant. Cenckiewicz sollte wissen, dass ein Vize-Ministerpräsident für Maschinenindustrie nicht über ein Geheimwissen wie operative Dokumente des Geheimdienstes verfügen konnte. Verhandlungen führte er mit Streikenden in Schlesien (was S.C. nicht bemerkt), so dass umso weniger der Grund bestand, dass er solcherart Geheimnisse über Danzig wüsste. Cenckiewicz’s ganze Argumentation stützt sich also auf nichts.

Hinzuzufügen wäre: Edward Gierek hatte, ähnlich wie Aleksander Kopeć, das Gefühl einer politischen Niederlage, deren Ursache der Auguststreik, die Entstehung der Solidarność und auch Lech Wałęsa waren. Gern spannen sie eine Verschwörungstheorie, dass sie aus ihren Machtpositionen gedrängt werden sollten, sie suchten eine Rationalisierung ihrer Niederlage. Mit Sicherheit wären sie erstaunt gewesen, dass sie für den Antikommunisten Cenckiewicz zur Inspiration gereichten.

Was Cenckiewicz nicht bemerkt

Das wichtigste Dokument zum Verlauf des Auguststreiks und Wałęsas Rolle dabei ist die Mitschrift der Verhandlungen mit dem Direktor der Werft, die von Andrzej Drzycimski und Tadeusz Skutnik in dem Buch »Gdańsk. Sierpień ’80. Rozmowy« (Paris: Editions Spotkania 1986; Gdańsk: Aida 1990) veröffentlicht wurde. Auf über 400 Seiten kann man Punkt für Punkt Wałęsas Art zu verhandeln verfolgen. Zweifellos verhandelt Wałęsa unnachgiebig, geschickt und stur.

Unbequem? Somit existiert diese Mitschrift in der Argumentation von Herrn Cenckiewicz nicht, sie wird nicht berücksichtigt. Der Leser dieser zusammengepressten Vorstellung soll keine Zweifel hegen, es ist besser, ihn nicht darüber informieren.

Aus dem Gesamtkontext herausgerissen wird Wałęsas Erklärung, den Streik am 16. August zu beenden – als weiterer Beweis für die Umsetzung der Anweisungen der Machthaber. Warum hat Wałęsa den Streik für beendet erklärt? Weil er eine Vereinbarung in allen Punkten ausgehandelt hatte. Erst dann erfuhr er, dass auch andere Betriebe eine Fortsetzung des Streiks in der Dreistadt [Danzig, Zoppot, Gdingen, Anm.d.Übers.] fordern, und schloss sich diesen an. Dies erforderte den Mut, sich einem gewaltigen Teil der bis dato Streikenden entgegen zu stellen, die nach dem Zugeständnis von Lohnerhöhungen und Sicherheitsgarantien so schnell wie möglich nach Hause gehen wollten.

Die Zeugnisse dieser Zeit und die Aufzeichnungen des Geheimdienstes, die diesen sicherlich dramatischen Moment betreffen, interessieren Cenckiewicz nicht. Sie würden die Eindeutigkeit des Bildes stören. Er bevorzugt, spätere Erinnerungen von Menschen zu zitieren, die in den folgenden Monaten eine Abneigung, manchmal Feindseligkeit gegenüber Wałęsa entwickelten.

Der weitere Verlauf des Streiks, in dem es ebenfalls zu dramatischen Wendungen kam, interessiert Herrn Cenckiewicz nicht mehr. Daher schreibt er nicht über den Versuch, das Überbetriebliche Streikkomitee [Międzyzakładowy Komitet Strajkowy – MKS, d.Übers.] zu zerschlagen, und über die eindeutige Haltung Wałęsas, auch nicht über seine Rolle bei der Aufrechterhaltung der Streikmoral der Beteiligten (worauf die Leute vom Geheimdienst hingewiesen hatten) noch über die Verhandlungen mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Mieczysław Jagielski noch über die Unterzeichnung der Vereinbarung in einer Situation, die bis zum Schluss dramatisch war. Aber all dieses baute Wałęsas Position auf, seine Legende als Anführer, leader, Stimme des Volkes.

Cenckiewicz nimmt also nicht von der Charakterisierung Wałęsas Notiz, die der Geheimdienst am 23. August angefertigt hat, und in der es heißt: »Er erfreut sich großer Anerkennung und Autorität unter den streikenden Werftarbeitern. Er besitzt die Fähigkeit, sich seine Mitarbeiter unterzuordnen. […] Ein Befürworter harter Disziplin und Ordnung im Handeln. […] Er setzt die Bestrebungen der antisozialistischen Gruppen, außerhalb der Partei eine sogenannte unabhängige Gruppenvertretung zu schaffen, aktiv um« (In: »Rewolucja Solidarności«, S. 83). Spricht das gegen das Bekenntnis Wałęsas, das von Cenckiewicz zitiert wird, dass »ein Geheimdienstler zu mir kam und ein Treffen mit Gierek in Pruszcz vorschlug«? Es spricht nicht dagegen.

Der ungeheure Streik dauerte an und griff auf weitere Industriebetriebe über. Die Machthaber versuchten auf verschiedene Weise, den Streik zu brechen oder seine Anführer zu neutralisieren. Daraus ist nichts geworden, wie die Protokolle des Politbüros und die vom Innenministerium verfassten Aufzeichnungen zeigen, in denen noch am 30. August ein Schlag gegen die Werft in Erwägung gezogen wurde.

Es entschieden jedoch Gespräche und Verhandlungen, bei denen Wałęsa sehr aktiv war. Aufzeichnungen dieser Verhandlungen sind im genannten Buch von Drzycimski und Skutnik enthalten, Auszüge in dem berühmten Film »Robotnicy `80«. Unbequeme Quellen für die Version von Cenckiewicz.

Der Streit Wałęsa-Kuron. Wyszkowskis »Sensationen« dienen Cenckiewicz

Sławomir Cenckiewicz erzählt den Lesern als Sensation von dem Konflikt Wałęsas mit Jacek Kuroń und anderen KOR-Angehörigen im Herbst 1980. Er wiederholt die These, dass Kuroń nach Danzig fuhr, »mit einem fertigen politischen Projekt, das die Unterordnung der Gewerkschaften unter die Betriebsräte vorsah…«. Er vergisst nur hinzuzufügen, dass der Autor dieses Projektes, das bereits in Danzig ausgearbeitet worden war, Lech Kaczyński war [Hervorhebung im Original, Anm. d. Übers.], was ich in meinem Buch ausführlich darlege. Er behauptet auch, dass Kuroń Wałęsa habe anklagen wollen, dass er Mitarbeiter des Geheimdienstes sei, und ihn vom Posten des Vorsitzenden der entstehenden Gewerkschaft habe wegdrängen wollen.

Diese Sensationen stammen von Krzysztof Wyszkowski, der über die schändlichen Absichten Kurońs einen Agenten des Geheimdienstes mit dem Pseudonym »Ronson« informierte, das heißt den Journalisten Jerzy Brodzki, der formal für die Amerikaner, tatsächlich aber für den [polnischen, d.Übers] Geheimdienst arbeitete. Berichte über diese Gespräche befinden sich im Archiv des IPN; ich zitiere sie in meinem Buch und gebe die Archivsignaturen an (S. 97). Wyszkowski ertrug schon damals Kuroń nicht, sondern setzte auf Wałęsa. Mit seinen Ansichten und Obsessionen fütterte er Brodzki.

Kuroń kann man nicht vorwerfen, dass er ein Dummkopf ohne Vorstellungskraft gewesen sei, und das hätte er gewesen sein müssen, wenn er den Arbeiter Wałęsa herausdrängen und auf seinem Stuhl hätte Platz nehmen wollen. Man muss verstehen, dass es sich um eine Arbeiterbewegung handelte und nur ein Arbeiter ihr Anführer sein konnte. Keiner aus der Intelligenz, kein Berufsoppositioneller.

Herr Cenckiewicz will das nicht verstehen, denn er versteht wenig von der Geschichte und dem Geist der Solidarność. Er sieht Einzelpersonen, einzelne Bäume, aber er sieht nicht den Wald. Er sieht ausgewählte Dokumente, weiß sie aber nicht im Kontext anderer zu lesen, seien es Mitschriften von Kundgebungen, Auftritten, Beratungen, Inhalte der Bulletins, die die Atmosphäre in der Solidarność wiedergeben.

Dass Kuroń mit Wałęsa einen Streit ausfocht, war von Anfang an, ab Herbst 1980 klar. Kuroń selbst hat es in seinen Erinnerungen beschrieben (in solche Erinnerungen schaut Herr C. allerdings nicht hinein). Es ist wahr, dass »der Geheimdienst fast jede Diskussion der Gegner Wałęsas notierte«, aber es ist nichts darüber bekannt, ob Wałęsa darüber informiert war, wie es Cenckiewicz gern hätte.

Die Drehung in Richtung Kirche, das heißt der übergangene Hintergrund des Konfliktes mit Kuroń

Es ist hier nicht der Ort, über die Geschichte des Streits Kuroń – Wałęsa zu sprechen; ich habe dies ausführlich in meinem Buch getan. Man kann allerdings nicht umhin zu bemerken – doch Cenckiewicz sieht dies überhaupt nicht –, dass Wałęsa ab September 1980 die Unterstützung der Kirche suchte; er wurde von Kardinal Wyszyński empfangen und in allen wesentlichen Fragen beriet er sich mit der Kirche.

Im gesamten Gedankengang von Herrn Cenckiewicz ist Wałęsas Konflikt mit Kuroń das Ergebnis des Drucks der Machthaber und des Geheimdienstes, die verlangten, dass sich Wałęsa die »Extremisten« vom Halse schafft. Die Kirche gibt es im Text von Cenckiewicz ganz einfach nicht, obgleich seit Jahren Dokumente dazu zugänglich sind, herausgegeben von Peter Raina (darunter Auszüge aus den Tagebüchern von Primas Stefan Wyszyński) und Bischof Orszulik.

So drängte die Kirche Wałęsa dazu, dass er die KOR-Anhänger wegschieben möge, sie vertraute Kuroń nicht und das entsprach den Erwartungen der Machthaber der Volksrepublik. In der Bewertung sowohl der Machthaber als auch der Kirche sollte die Solidarność nur eine Gewerkschaft sein, politische Akzente vermeiden, nicht anstacheln, nicht radikalisieren.

Ein Opfer dieses Drucks wurde Anna Walentynowicz, die abgedrängt wurde, aber auch das bemerkt Cenckiewicz konsequenterweise nicht, trotz veröffentlichter Quellen; die Schuld schiebt er ausschließlich auf den schlechten Charakter Wałęsas.

Die Machthaber fürchteten sich erheblich vor dem Sturz Wałęsas, denn sie glaubten, dass an seine Stelle ein Radikaler treten würde, höchstwahrscheinlich von Kuroń gesandt, zum Beispiel Andrzej Gwiazda. Und das wollten weder die Machthaber noch die Kirche.

Wałęsa manövrierte also, hielt sich dicht an die Kirche, hielt Kuroń lange auf Distanz, beklagte sich über die KOR-Mitglieder, täuschte die Partei, dass die Solidarność keine neuen Konflikte beginnen würde, dass sie die Radikalen zähmen würde, aber er gab den Machthabern nicht das, was sie wollten: die Zustimmung für die Inhaftierung von Kuroń und Michnik.

Das ist der Kontext, der Wald, den Cenckiewicz nicht sieht. Und in dieser Blindheit ist er konsequent.

Die Bydgoszcz-Krise. Cenckiewicz klagt Wałęsa an, weil er den Kontext nicht sieht

Ein weiterer Punkt der Anklageschrift ist das Verhalten Wałęsas während der Krise von Bydgoszcz (März 1981), das heißt die Abneigung, einen Generalstreik zu beginnen, und das Bemühen um die Aushandlung von Vereinbarungen, was zur Folge hätte, dass es nicht zu einem Streik käme. Und wieder, wie das bei Cenckiewicz so ist, fehlt hier der Kontext, der jedoch gut aufbereitet ist.

Das »Archiv der Solidarność« [Archiwum Solidarności, d.Übers.] hat die Mitschriften aller Sitzungen der Landesverständigungskommission [Krajowa Komisja Porozumiewawcza, d.Übers.] herausgegeben, in denen man alle Argumente finden kann, sowie auch die Mitschrift der Verhandlungen mit der Regierungskommission. Bekannt und veröffentlicht sind die Protokolle der Beratungen des Politbüros, wir kennen auch die Aufzeichnungen der Gespräche von Juri Andropow [damals Chef des KGB, anschließend Erster Sekretär des ZK der KPdSU] und Dimitri Ustinow [damals sowjetischer Verteidigungsminister] mit Stanisław Kania [Erster Sekretär des ZK der PZPR] und Wojciech Jaruzelski, Aufzeichnungen, die in Moskau aufgesetzt wurden.

Cenckiewicz sieht dies alles nicht oder hat er vielleicht überhaupt nicht gelesen? Er stellt Wałęsa als Kapitulierer dar, der sich obendrein auf den Kampf mit seinem Konkurrenten Gwiazda konzentriert.

Der Autor von Anti-Wałęsa-Pamphleten will sich nicht mit dem so wichtigen Dokument vertraut machen, das Tomasz Mianowicz in den Archiven der ehemaligen DDR gefunden hat, die Aufzeichnung der Beratung der ostdeutschen Generäle mit dem Oberkommandierenden des Warschauer Paktes, Wiktor Kulikow, Anfang April 1981. Der sowjetische Marschall verbarg nicht seine Irritation darüber, dass es in Polen nicht zum gewünschten Zusammenstoß und der Einführung des Kriegsrechts kam. Fordert Cenckiewicz heute von Wałęsa die Eskalation jenes Konfliktes?

Natürlich, Wałęsa zahlte damals einen hohen Preis für die Eigensinnigkeit und Entschlossenheit, für den Konflikt mit vielen Aktivisten, die den Kampf nach dem Muster des August entscheiden wollten. Nun wurde begonnen, ihn mit Hilfe von Anschuldigungen über Machenschaften mit dem Geheimdienst zu bekämpfen; Cenckiewicz zieht entsprechende Aussagen heran. Zusammen mit seinen Beratern rettete Wałęsa jedoch den Fortbestand der Solidarność für weitere neun Monate.

Und wieder sieht Cenckiewicz nicht den Wald, sondern nur einzelne Bäume. Er zitiert Geheimdienstdokumente zum Beweis dafür, dass die Machthaber wollten, dass Wałęsa nicht verliert, um gleichzeitig die Radikalen zu schwächen.

Ja, es ist wahr, die Machthaber hatten den Kriegszustand noch nicht beschlossen, auch wenn die Vorbereitungen liefen. Sie wollten mit der Solidarność spielen, sie zählten auf ihr Zerbersten, erkannten Wałęsa als Anführer an, mit dem sie verhandeln, sich reiben, aber auch Kompromisse schließen konnten. Und so war es bis zum Spätherbst 1981. Hat sich Wałęsa (ein Mal?, zwei Mal?) mit General Adam Krzysztoporski, dem stellvertretenden Innenminister, Chef des Geheimdienstes, getroffen? Dies hat Grzegorz Majchrzak untersucht. Vielleicht hat er sich getroffen, aber beweist das etwas Unwürdiges, dass der Vorsitzende der zehn Millionen starken Gewerkschaft ein Gespräch mit dem Vize-Innenminister hat? Man könnte sich sogar den Gesprächsverlauf auf der Grundlage des früheren Gesprächs von Wałęsa mit Ministerpräsident Jaruzelski vorstellen, das der General beschrieben hat. Aber halten wir uns an die Fakten.

Die Wahl des Vorsitzenden der »S«. Cenckiewicz lauscht den Aufzeichnungen des Geheimdienstes

Cenckiewicz versucht seit Jahren, eine Sensation aus den Aufzeichnungen des Geheimdienstes zu den Wahlen des Solidarność-Vorsitzenden auf dem Kongress der Gewerkschaft im September und Oktober 1981 zu machen. Es besteht nicht die Notwendigkeit, die Echtheit der zitierten Dokumente in Frage zu stellen; die Ehrlichkeit gebietet jedoch, auch die Namen der Gegenkandidaten für die Funktion des Vorsitzenden in Erinnerung zu bringen: Marian Jurczyk, Andrzej Gwiazda, Jan Rulewski. Keiner von ihnen wäre imstande gewesen, die große Solidarność zu beherrschen, in der bereits ernstzunehmende Konflikte entstanden. Wenn Herr Cenckiewicz die vom IPN herausgegebenen Stenogrammbände des Kongresses gelesen hätte, würde er mehr verstehen. In seinen Ausführungen ist keine Spur von Lektüre zu sehen.

Das Interesse der Machthaber, die noch zwischen dem Willen zur Konfrontation (der von Moskau unterstützte Beton mit Tadeusz Grabski, Stanisław Kociołek, aber auch zu einem gewissen Grad Kiszczak und Jaruzelski) einerseits und der Möglichkeit der Absorption der Solidarność vom System (Kania) schwankten, veranlasste Kania dazu, auf Wałęsa zu setzen, und nicht auf die Radikalen, auf Massenauftritte und die Gefahr der Destabilisierung des Landes. Auch die Kirche war bestrebt, einen Zusammenstoß zu vermeiden, was ebenfalls der Westen nicht wollte. Diese alle drückten Wałęsa die Daumen und dass er an der Spitze der Solidarność bleiben möge. Der Wahlsieg Wałęsas auf dem Kongress war also der Sieg aller dieser Kräfte und nicht das Ergebnis der »Bemühungen des Geheimdienstes«.

Cenckiewicz versteht dies nicht, weil er überhaupt wenig von Politik versteht, die in seiner Vorstellung durch laute Deklarationen von Feindseligkeiten und Manifestationen ideologischer Prinzipien, drohende Fäuste und hingeschleuderte Beleidigungen ersetzt werden sollte.

Solche Erwartungen hat Wałęsa offensichtlich nicht erfüllt, es gab auch keinen großen Bedarf danach in einem Land, wo man für ein Stück Fleisch auf Lebensmittelkarte stundenlang anstand, manchmal von 6 Uhr morgens an. Und oft gab es dann das Stück Fleisch nicht mehr. Aus den Augen vieler Familien blickte der Hunger.

So war es im Herbst 1981 – und darum gingen die ernstesten Auseinandersetzungen mit den Machthabern. Wałęsa bremste so sehr er konnte den Radikalismus, der von unten erwuchs, und zusammen mit seiner Mannschaft suchte er bis zum Schluss nach Möglichkeiten für einen Kompromiss, damit Polen nicht in Anarchie oder großen Aufruhr verfalle, dabei unvermeidlich von einer sowjetischen Invasion bedroht. Gleichzeitig versuchte er, die Einheit der Gewerkschaft aufrecht zu erhalten, daher seine Wende zu den Radikalen Anfang Dezember 1981. Das ist der Wald, den Cenckiewicz nicht sieht. Er will sich lieber mit Wałęsas Privatleben befassen, seiner angeblichen Liebschaft.

Wałęsa und der Kriegszustand. Cenckiewicz’s Verleumdungen

Eine Verleumdung ist der Satz: »Wałęsa kannte nicht den genauen [Hervorhebung im Orig., d. Übers.] Termin der Einführung des Kriegsrechts.« Dieser Satz suggeriert, dass er wusste, dass das Kriegsrecht eingeführt wird, er wusste nur nicht – was? den Tag? die Stunde? Hinter dieser Unterstellung verbirgt sich eine Anschuldigung – er wusste, hat es aber den anderen nicht gesagt. Cenckiewicz’s Verleumdung stützt sich auf nichts, auf keine Quellen.

Alle von Seiten der Solidarność und der Kirche am politischen Leben Beteiligten wussten, dass es gefährlich ist, dass es zu einer Konfrontation kommen kann, dass dem Sejm ein Projekt über außerordentliche Vollmachten vorliegt. Die Anführer der Gewerkschaft versuchten, es im Sejm zu blockieren, gleichzeitig wappneten sie sich für eine Konfrontation. Die Mitschriften der Beratungen sind veröffentlicht, aber Cenckiewicz interessieren sie nicht.

Eine Verleumdung ist ebenfalls der Satz, dass Wałęsa »bereit für die Zusammenarbeit mit den Kommunisten war, trotz des bewaffneten Angriffs auf die Solidarność.« Angeblich ließ er sich deswegen widerstandslos nach Warschau bringen. Sicherlich hätte es Herrn Cenckiewicz mehr gepasst, wenn er mit einem Messer auf die Milizionäre losgegangen wäre, die kamen, um ihn von zu Hause abzuholen.

Am 13. Dezember war Wałęsa immer noch eine Schlüsselfigur, von der es abhing, was weiter geschehen würde. Er hätte kapitulieren und im Fernsehen mit einem Appell auftreten können, die Verordnungen des Kriegszustands zu respektieren. Das wäre das Ende der Solidarność gewesen. Er tat es nicht.

Er hätte den Versuch starten können, die Solidarność ohne Extremisten zu erneuern, was ihm Stanisław Ciosek nahelegte (ich stelle das Gespräch in einem Artikel für »Ale Historia« vom 14. März 2016 dar, den Cenckiewicz natürlich nicht gelesen hat).

Er weigerte sich und forderte ein Treffen mit der Landeskommission [Komisja Krajowa, d.Übers.] – er wusste noch nicht, dass sie interniert sind, – und den Beratern, insbesondere Bronisław Geremek. Er wollte die Verhandlungen wieder aufnehmen, aber die Machthaber wollten, dass er kapituliere und sich als Schild für eine Pseudo-Solidarność, kontrolliert vom Geheimdienst, einsetzen ließe. (Offensichtlicher Unsinn ist die Feststellung, dass die Operation »Renesans«, das heißt die Schaffung einer neuen Solidarność unter der Kontrolle des Geheimdienstes, auf Danzig beschränkt sein sollte. Cenckiewicz, das ist hier eindeutig zu sehen, kennt die Protokolle und Niederschriften der Sitzungen der Führung des Innenministeriums nicht.)

Von einem Tag auf den anderen orientierte sich Wałęsa über die Situation. Er lehnte Zugeständnisse und sogar die Aufnahme von Gesprächen in der Isolationshaft ab. Cenckiewicz sieht dies nicht, er erregt sich über verschiedene Meinungen auf Seiten der Machthaber, bemerkt aber nicht einmal, um was es diesen ging.

Er führt die Tatsache an, dass Wałęsa von Oberst Władysław Iwaniec [seinem Chef aus der Armee in den 1960er Jahren] besucht wird, aber er kümmert sich nicht um die Berichte dieser Gespräche, die an Jaruzelski gerichtet waren. Sie wurden aber von mir und von Majchrzak analysiert. Cenckiewicz’s verblüffende Abneigung zu lesen ist wahrhaftig irritierend.

Er stellt fest, dass Wałęsa von einem Geheimdienstler besucht wurde, der mit ihm vor 1976 auf der Werft in Verbindung getreten war, was zweifellos der Versuch einer Erpressung mit Hilfe der Enthüllung dieser Kontakte war, aber er fügt nicht hinzu, dass Wałęsa auch in dieser Situation nicht nachgab.

Cenckiewicz hat natürlich auch nicht bemerkt, dass bei der Beratung des engen Führungszirkels des Innenministeriums am 27. Dezember 1981 der stellvertretende Innenminister General Bogusław Stachura über die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung referierte und sagte, »es müssen Branchengewerkschaften sein, aber an ihrer Spitze darf nicht Wałęsa stehen« (das Dokument befindet sich im IPN).

Wenn er die Internierung Wałęsas darstellt, verwundert sich Cenckiewicz über die Anzahl der Wein- und Wodkaflaschen, sieht aber nicht das Wesentliche. Alles dient dazu, Wałęsa zu erniedrigen, ihn lächerlich zu machen, zu zeigen, was für ein vermeintlich kleiner Mensch er war. Er sieht jedoch nicht, dass Wałęsa, isoliert von Kollegen und Beratern, trotz des Zuredens der Kirchenleute, einen Kompromiss zu suchen, nicht unterlag, dass er keinen Kompromiss einging.

Das wissen wir aus den Akten der Offiziere des Büros für Personenschutz der Regierung (Biuro Ochrony Rządu – BOR), die Wałęsa beaufsichtigten und Aufzeichnungen an die Vorgesetzten schickten, die Grzegorz Majchrzak und Tomasz Kozłowski veröffentlichten (»Kryptonim 333«, Chorzów: Videograf 2012.) Cenckiewicz ist zu empfehlen, dieses Buch zu lesen und nicht nur die Anzahl von Flaschen zusammenzustellen.

Er sollte sich auch mit den Aufsätzen der letzten Nummer der Halbjahresschrift »Wolność i Solidarność« vertraut machen, in der Tomasz Kozłowski diese Angelegenheiten darstellt und der Verfasser dieses Textes die Umstände der Entlassung Wałęsas referiert sowie dass es nicht zu einem Prozess kam, worauf die Generalmilitärstaatsanwaltschaft drängte.

Um die Umstände des Gespräches der Brüder kennenzulernen bzw. des Fälschens von Dokumenten mit dem Ziel, Wałęsa zu kompromittieren, sollte Cenckiewicz das bereits empfohlene Werk von Majchrzak lesen. Ohne zu lesen lässt sich der Beruf des Historikers nicht ausüben! Emotionen und Vorstellungen reichen nicht aus.

Cenckiewicz unterscheidet das Spiel mit Worten nicht von tatsächlichem Verhalten

Mit Sławomir Cenckiewicz zu polemisieren ist eine schwierige Aufgabe, nicht nur mit Blick auf seine Aggressivität, seine Dreistigkeit und seine Hartnäckigkeit, nicht zu lesen. Allzu oft muss man den Kontext grundlegender Fakten erläutern, was einem Versuch gleichkommt, ein Handbuch zu schreiben.

Cenckiewicz versteht die simpelsten Spiele von Wałęsa nicht – die halben Versprechungen, die er machte, um den Gegner zu sondieren, von denen er sich aber sogleich zurückzog. So sprach er mit Oberst Władysław Kuca [Chef des Büros für Studien im Innenministerium, das die Solidarność ausspionierte], Kiszczak, Oberst Bolesław Klis von der Militärstaatsanwaltschaft und Oberst Hipolit Starszak vom Geheimdienst. Er täuschte, zündete Nebelkerzen, aber sonst nichts. Cenckiewicz unterscheidet das Spiel mit Worten nicht von tatsächlichem Verhalten und Handeln. Was ergibt sich denn daraus, dass Wałęsa sagte, er »ist gewillt« in der PRON [Patriotyczny Ruch Odrodzenia Narodowego – Patriotische Bewegung zur Nationalen Wiedergeburt, eine Pseudoorganisation, die von der Obrigkeit des Kriegszustands berufen worden war] aktiv zu werden, wenn er keinen einzigen Schritt unternahm, um das zu verwirklichen?

Lech Wałęsa sagte immer und unter allen Umständen, dass sich die polnischen Angelegenheiten nicht anders als auf dem Weg des Kompromisses lösen lassen. Und dieser Kompromiss muss sich auf die Anerkennung der Partnerschaft und der Unabhängigkeit der Solidarność stützen. Darin stimmte er mit der Position der Kirche und des Papstes Johannes Paul II. überein, der – daran sei erinnert – die Zustimmung der Machthaber zu einem Treffen mit Wałęsa während der Pilgerreise nach Polen im Juni 1983 erzwang.

Wałęsa kämpfte ohne Aufruf zu Gewalt und Blutvergießen. Das war das Handlungsprinzip der gesamten Solidarność, auch im Kriegszustand. Er rief nicht zum Hass auf, sondern unterstrich – trotz Schikanen und Repressionen – beständig die Notwendigkeit des Dialogs und des Kompromisses. Dank dessen war die Solidarność das, was sie war, und spielte in der Geschichte Polens und der Welt die Rolle, die sie spielte.

Herr Cenckiewicz versteht dies nicht, er ist aus anderem Lehm geformt, statt auf Dialog und Kompromiss setzt er auf einen ideologischen Kreuzzug und die Vernichtung der Gegner. Er versteht nicht viel von jener Zeit.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Lesetipps / Bibliographie

Quelle: Fundacja Ośrodek Kontroli Obywatelskiej OKO <https://oko.press/friszke-o-cenckiewiczu/> (abgerufen am 3.03.2017)

mit freundlicher Genehmigung

Zum Weiterlesen

Analyse

Der Kampf mit Wałęsa – der Kampf mit der Demokratie

Von Ireneusz Krzemiński
Die vergangenen Wochen brachten in Polen viele Entscheidungen mit sich, die kontinuierlich die demokratischen Institutionen beschädigen. Der von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) rücksichtslos geführte Kampf gegen jegliche Opposition, aber auch gegen die wichtigsten Symbole der polnischen Freiheit, richtete sich nun gegen Lech Wałęsa. Der Held der polnischen Solidarność-Bewegung, der außer dem »polnischen Papst« Johannes Paul II. auch der weltweit bekannteste Pole ist, wird seit Jahren vom politischen Lager um Jarosław Kaczyński (PiS) der Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst in der Volksrepublik Polen beschuldigt.
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