Die Kirche im Staat
Als die Regierung von Tadeusz Mazowiecki das Fundament für die neue Ordnung legte und als der Ministerpräsident selbst für eine »freundschaftliche« Trennung der Kirche vom Staat sorgte, schien es, als seien die Beziehungen des Staates zur Kirche geordnet. Die vergangenen Jahre brachten in dieser Frage allerdings eine schmerzhafte Enttäuschung mit sich.
Es lohnt sich, die verbindlichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils aus der Pastoralkonstitution Gaudium et spes in Erinnerung zu rufen: »Die Kirche […] identifiziert sich auf keinen Fall mit einer politischen Gemeinschaft noch verbindet sie sich mit einem politischen System. […] Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind in ihren Bereichen unabhängig und autonom. […] Die Kirche muss aber immer und überall die echte Freiheit haben, ihren Glauben zu verkündigen […] sowie ein moralisches Urteil sogar in politischen Angelegenheiten zu geben, wenn dies die grundlegenden Rechte der Person oder die Erlösung der Seelen erfordern, wobei sie alle und exklusiv die Mittel anwendet, die mit dem Evangelium im Einklang stehen.«
Wir sind heute Zeugen einer kuriosen Situation. Im Jahr 1989 erlangten wir die Unabhängigkeit, aber viele unserer Landsleute, auch hervorragende Vertreter der Kirche, äußern sich dahin gehend, dass bis zum Jahr 2015 unser Staat eigentlich nicht der unsrige gewesen sei. Die Manifestanten zur Verteidigung des [nationalkatholischen, d. Übers.] Fernsehsenders Trwam und auch die Teilnehmer der sogenannten Monatsveranstaltungen [monatliche Gedenkveranstaltungen der PiS für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im Jahr 2010, d. Übers.] verhielten sich so, als würde Polen nicht von demokratisch gewählten Vertretern der Nation regiert, sondern von Angreifern.
Der Heilige Johannes Paul II. überschrieb ein ganzes Kapitel in der Encyklika Centesimus annus mit dem Titel »Das Jahr 1989«. Auf diese Weise ehrte und unterstützte er die Veränderungen, die damals in Europa und in Polen stattfanden. Natürlich – das folgende Vierteljahrhundert sah nicht ideal aus, aber es vollständig wegzustreichen, ist eine Schandtat. In dieser Angelegenheit ist die entschiedene Stimme der Hirten der Kirche notwendig.
Vor vielen Jahren schrieb Priester Józef Tischner: »Ich bin davon überzeugt, dass wir heute in Polen in eine Krise des Glaubens eintreten, die nicht ihresgleichen hatte.« Es gibt sicherlich viele Ursachen für diese Krise, aber eine von ihnen wird der kirchliche »Triumphalismus« sein. Er schrieb auch: »Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verfielen wir in einen neuen Wahnsinn – früher musste durch die Vermittlung der Partei alles sozialistisch sein, und heute muss durch die Vermittlung der Kirche alles christlich sein.« Ohne Erlaubnis der Kirche kann es keine »wahre Familie«, keine »wahre Erziehung«, keinen »wahren Staat«, keine »wahren Medien« geben. Es wächst die Überzeugung, insbesondere in der jungen Generation, die sich abrupt von der Kirche entfernt, dass das Beziehungsgeflecht Staat – Kirche, das sich in den 1990er Jahren herausbildete, nicht tragbar ist. Behauptet wird, dass der Klerus staatliche Institutionen instrumentalisiert, um den Bürgern ihre Ansichten aufzudrängen.
Solcherlei Behauptungen, ob sie nun der Wahrheit entsprechen oder nicht, können nicht ohne Antwort bleiben. Die grundlegenden Prinzipien der Soziallehre der Kirche müssen aufs Neue dargestellt werden. Man möchte insbesondere, dass die Kirche mit Hilfe der Bischöfe erklärt, worauf die Trennung der Kirche vom Staat beruht, und darstellt, dass sie segensreich für beide Seiten ist. Es sollte von einer ehrlichen Gewissenserforschung begleitet werden, falls es uns unterlaufen sein sollte, die kirchliche und die staatliche Ordnung zu vermengen.
In den vergangenen Jahren waren wir manches Mal Zeugen davon, dass Religion und Kirche von politischen Akteuren manipuliert wurden. Eine der Parteien behauptet zum Beispiel, dass nur sie der Kirche Freiheit garantiere und nur sie sich von ihren moralischen Prinzipien leiten lasse. Sie organisiert auch politische Events, bei denen die Eucharistie ein Bestandteil ist: Die Messe wird als »Dekoration« behandelt, die verschönert und den Rang der Demonstration erhöht. Viele Gläubige sind von den »Monatsveranstaltungen« beunruhigt, die sicherlich nicht viel mit der Trauer um die Verunglückten gemeinsam haben. Und das öffentliche Fernsehen hat sich darauf spezialisiert, die im Gebet versunkenen Gesichter der führenden Vertreter jener Partei zu zeigen, was wohl die Redlichkeit ihrer Entscheidungen bestätigen soll.
Das Problem der Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche verknüpft sich mit der Frage der Gesetzgebung. Wenn der demokratische Staat echte Autonomie besitzt, bedeutet das, dass auch deren Ethos in gewisser Weise autonom und verschieden vom Ethos der Kirche ist. In der Frage der Gesetzgebung sind dann zwei Positionen möglich. Erstens: Damit sie verpflichtend ist, muss sie die Naturrechtslehre genau widerspiegeln, dessen Auslegung die Lehre der Kirche vermittelt. Zweitens: Da es die Aufgabe des demokratischen Staates ist, Hüter der grundlegenden Werte zu sein und es den Bürgern zu überlassen, nach den höchsten Werten zu streben, und der grundlegende Wert, den der Staat hütet, der gesellschaftliche Friede und die Sicherheit der Bürger ist, umreißen diese das Handlungsfeld für die Gesetzgeber. Die Kirche sollte klar sagen, welche Lösungen sie für richtig hält und welche für falsch, aber die Gestalt der konkreten rechtlichen Lösungen muss sie dem Gewissen der Gesetzgeber überlassen und ihnen nicht mit dem Ausschluss aus der Kirche drohen, wenn sie ein Gesetz verabschieden, das nicht den Forderungen des Episkopats entspricht. Diese Angelegenheit wartet auf eine autoritative Klärung, denn das Durcheinander in dieser Materie verursacht viele Missverständnisse.
Das Konzil empfiehlt der Kirche, moralische Bewertungen abzugeben, auch in politischen Fragen. Das ist nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht. In unserem gesellschaftlichen Leben traten in den vergangenen Jahren beunruhigende Phänomene auf, die jedoch keine moralische Bewertung vonseiten der Kirche erfuhren. Es handelt sich hier um Angelegenheiten wie die Missachtung der Verfassung, die fehlende Achtung gegenüber dem Bürger der sogenannten schlechteren Sorte und insbesondere um das Problem des sogenannten Verbrechens von Smolensk, das unsere Nation am stärksten spaltete.
Manche Hierarchen äußerten sich zu diesen schwierigen Themen. Ihre Worte waren allerdings häufig unverständlich oder sogar skandalös. Die Formulierung eines klaren Standpunkts ist, so scheint es, eine ernste Pflicht der Bischöfe. Sie beiseitezuschieben, wäre angesichts der tiefen Spaltungen in der Gesellschaft und des wachsenden Hasses eine ernstzunehmende Unterlassungssünde.
Christus König
Viele Katholiken fragen, ob der Akt der Annahme Christi als König und Herrn die polnische Kirche vom Evangelium entfernt oder angenähert habe. Die Antwort ist nicht einfach.
Die Entscheidung, dass ein solcher Akt vollzogen werden soll, überraschte die Gläubigen. Immerhin stellten sich die Bischöfe im Hirtenbrief vom 25. November 2012 entschieden gegen die Aktivitäten der sogenannten Inthronisationsbewegungen und die Inthronisation selbst. Sie schrieben: »Zu denken, dass sich nach der Ausrufung Christi zum König Polens alles zum Besseren ändern werde, ist ›illusorisch‹ und geradezu schädlich für das Verständnis und die Verwirklichung der Erlösung in der Welt. […] Im prophetischen Programm der Mission des idealen Königs gibt es keinerlei Anspielung auf eine irdische Herrschaft, was bedeutet, dass ER keinerlei Form von Inthronisation bedarf.«
Einige Jahre später (im Januar 2016) sagte jedoch Bischof Andrzej Czaja, im Episkopat verantwortlich für die Inthronisationsbewegungen, in einem Interview für die Katolicka Agencja Informacyjna: »Die Anerkennung der Herrschaft Jesu Christi durch und über die nationale Gemeinschaft ist theologisch zulässig. […] Seine Inthronisation ist heute sehr notwendig.« Und sie wurde vollzogen, und wenn es so ist, muss man seelsorgerlich die Folgen begleiten, die dieser Akt nach sich zieht.
Die Forderung nach der Inthronisation Jesu zum König Polens entsprang offenbar drei Quellen. Die erste ist die in Polen zunehmend verbreitete Behauptung von Erzbischof Lefebvre, dass auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Entthronung Christi stattgefunden habe und dass man Ihn aufs Neue auf den Thron heben müsse. Lefebvre sagte: » Sie [die Väter des Konzils, L. W.] haben Christus entthront. Der Papst wurde für liberale Ideen gewonnen und benutzte die Schlüssel Petri im Dienste der Antikirche; es trat der Tod der gesellschaftlichen Macht unseres Herrn Jesu Christi ein.« Die Reihen der Lefebvristen in Polen wachsen, daher nahmen die Bischöfe die Pflicht auf sich, die Lehre des Konzils zu verteidigen.
Die zweite Quelle ist die Offenbarung der Rozalia Celakówna, die allzu vorschnell als gleichberechtigt mit dem biblischen Wort erachtet wird. Celakówna schreibt: »Die Staaten und Nationen, die [die Inthronisation, L. W.] […] nicht annehmen, werden unwiederbringlich von der Erdoberfläche verschwinden und nie mehr auferstehen. […] Polen wird nicht untergehen, wenn es Christus als König annimmt, in der ganzen Bedeutung dieses Wortes.« Jesus Christus König, zu dessen Inthronisation Celakówna aufruft, ist allerdings ein König irdischer Herrschaft. Hat die Kirche in dieser Situation nicht die Pflicht auf sich genommen, das wahre Gesicht Jesu als König zu zeigen, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, sondern dessen Herrschaft sich am vollkommensten am Kreuz verwirklicht?
Die dritte Quelle sind die Orędzia Anioła Stróża Polski [wörtlich: »Botschaften des Schutzengels von Polen«, d. Übers.], herausgegeben vom Institut des Hl. Jakobus in Stettin [Szczecin, d. Übers.], versehen mit dem nihil obstat des örtlichen Ordinarius und von der Buchhandlung der Zeitung Nasz Dziennik verbreitet (vorher war die Schrift von Radio Maryja gedruckt und empfohlen worden). Hier wird vorausgesagt, dass zurzeit ein gewaltiger und im Vorhinein geplanter Angriff der Kräfte des Bösen auf Polen erfolgt: »Die apokalyptische Bestie will gemeinsam mit den um sie herum konzentrierten Kräften eure Nation vernichten. […] Das ganze Böse, das im Westen die christlichen Wurzeln Europas angefressen hat, konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Polen.« Die einzige Rettung sei die Inthronisation: »Ihr werdet die Überflutung durch das Böse überwinden, wenn ihr Jesus, König des Weltalls, zum König eures Vaterlandes macht.« Bei dieser Gelegenheit erfahren wir, dass die polnische Nation von Gott auserwählt wurde, um eine besondere Rolle in der Welt zu spielen: »Ihr habt die Aufgabe erhalten, in der Geschichte der Welt dazu beizutragen, die vollkommene christliche Gesellschaft und den Triumph der Kirche einzuleiten.«
Die »Botschaften des Schutzengels von Polen« und ähnliche Texte, die sich in letzter Zeit rasend schnell vermehren, in frömmlerische Sauce verpackt sind und die bevorstehenden Katastrophen und die wunderbare Rettung der vor anderen Nationen auserwählten polnischen Nation mit Christus als König prophezeien, werden wie eine Offenbarung aufgenommen. Obwohl sie die gesunde Religiosität sprengen und die menschlichen Persönlichkeiten zerstören, treten sie immer stärker in den Blutkreislauf der Lehre der polnischen Kirche ein. Während der Feierlichkeiten der Großen Buße auf dem Hellen Berg [im Marienwallfahrtsort Tschenstochau, d. Übers.] am 15. Oktober 2016 sagte Priester Piotr Glas, der den Exorzimus an Polen zelebrierte: »Polen ist eine auserwählte Nation. […] Polen ist der Ort, von dem ein Funke ausgehen wird. […] Europa ist heute das neue Babilon.«
Ich erlaube mir zu sagen, dass die Hirten der polnischen Kirche berufen sind, die Herausgeber und Vertreter solcher Texte und die Kreise, die ähnliche Ansichten bekennen, aus seelsorgerlicher Fürsorge streng zu ermahnen.
Das verschlossene Haus
Ein weiteres Problem, das die Nation zusätzlich spaltet, hängt mit den Flüchtlingen zusammen. Natürlich sind die Ängste vor ihrer Aufnahme in gewisser Weise begründet. Wir sehen, auf welche Schwierigkeiten die Gesellschaften und Kirchen Westeuropas stoßen, wenn sie wirksam helfen wollen. Wir sehen, dass sich dort isolierte muslimische Gesellschaften bilden, in denen kein Platz für das Gefühl der Gemeinschaft mit dem Niederlassungsland, für die Akzeptanz gemeinsamer Grundsätze oder sogar Toleranz ist. Wahr ist es auch, dass in unserer Phase der Geschichte extremistische Kräfte im Islam stark sind. Aber wenn vor unserer Tür ein verwundeter, kranker und hungriger Mensch steht, darf man sie nicht zuschlagen oder fragen, woher er kommt. Öffnung ist eine menschliche und christliche Geste (das natürliche menschliche Handeln sollte immer umsichtig sein, man muss dafür sorgen, dass die Hausbewohner nicht benachteiligt werden, wenn den Fremden geholfen wird).
Das Herz des Evangeliums sind nicht die Doktrin und auch nicht die religiösen Praktiken (auch wenn die Doktrin und die Praktiken wichtig sind), sondern die Nächstenliebe. Die Kirche erinnert unablässig an die Worte nach dem Evangelium des Hl. Matthäus, in denen unser Herr zeigt, worüber Gott richten wird: »Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: ›Gehet hin von mir […]. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt. […] Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.‹«
Diese Worte sind heute eine große Herausforderung und Anklage geworden. Das Drama der Flüchtlinge, so Papst Franziskus, ist eine Prüfung unseres Christentums und unserer Menschlichkeit. Es ist erstaunlich, dass den Aufruf des Evangeliums, sich über Kranke, Hungrige und Obdachlose zu beugen, viele Menschen verstehen, die an den Rändern und außerhalb der Kirche leben, aber viele Katholiken, Priester und sogar Bischöfe nicht verstehen. Das polnische Haus vor den Flüchtlingen, im Namen der Fürsorge für das Wohlergehen der Nation, und die Vitalität der Kirche, im Namen der Verteidigung unseres Glaubens, vor der Überflutung durch den Islam zu verschließen, ist, die Wurzeln des Katholizismus in Polen mit eigenen Händen zu zerstören. Wir erleben eine doppelte Niederlage des Christentums: Wir haben uns von unseren hilfsbedürftigen Brüdern abgewendet, für die Christus gestorben ist, und wir haben unsere Nation mit einem gefährlichen Virus infiziert.
Erzbischof Stanisław Gądecki hat zwar zu einer großmütigen Öffnung gegenüber den Bedürfnissen der Flüchtlinge aufgerufen und anschließend seinen Aufruf viele Male wiederholt, zum Beispiel in Chełm: »Jede Gemeinde sollte Plätze für Menschen vorbereiten, die verfolgt sind, die hierher kommen und eine helfende Hand erwarten und die Brüderlichkeit, die sie anderswo nicht finden.« Erzbischof Wojciech Polak, der Primas von Polen, appellierte: »Wir sind dazu aufgerufen, das Gesicht Christi in den Flüchtlingen zu erkennen.« Kardinal Kazimierz Nycz sagte: »Flüchtlingen zu helfen, ist eine große Prüfung und Test unseres Glaubens.« Ähnlich äußerten sich noch einige andere Bischöfe.
Aber alle diese Aussagen wurden erstickt. Es begann eine Desinformationskampagne, die Gesellschaft wurde mit den Flüchtlingen erschreckt. Es wurde mit Ängsten und Vorurteilen gespielt. In dieser Atmosphäre haben die Staatsvertreter, aus dem Munde von Frau Ministerpräsidentin, eine schändliche Entscheidung getroffen: Wir verschließen unser Haus vor Flüchtlingen!
Ich weiß, dass der Episkopat Polens sich bei der Regierung bemüht, dass sie sich gegenüber den nach Europa kommenden Flüchtlingen öffnet. Dies fordert das Christentum, die Menschlichkeit, aber auch die Solidarität mit Europa, dessen Teil wir sind. Es schien, als hätte das Projekt des sogenannten humanitären Korridors eine Chance, realisiert zu werden. Aber die politisch Verantwortlichen Polens, die auf Schritt und Tritt ihr Katholischsein demonstrieren, blieben den Vorschlägen der Bischöfe gegenüber taub.
Das Problem ist, dass wenige in Polen von den Bemühungen der Bischöfe wissen. Verbreitet ist die Meinung, dass die Kirche die Position der Regierung übernommen hat, denn manche Priester, und sogar Bischöfe, unterstützten die Haltung. Es scheint, mehr als der Aufruf, Flüchtlingen zu helfen, ist der Ausspruch eines der Kirchenhierarchen bekannt, der sagte: »Wir sind nicht fremdenfeindlich und ungastlich, sondern gelehrig und klug geworden […]: Wenn du einen Fremden in dein Haus lässt […], bereitest du dir möglicherweise selbst große Not.«
Die seelsorgerliche Fürsorge für die moralische Gesundheit der Nation erfordert also, dass die Bischöfe ihren Standpunkt klar und deutlich verkünden, der gebietet, die auf dem Evangelium gründende Pflicht zur Hilfe in rationales und wirksames Handeln zu verwandeln, und der Kirche und Gesellschaft in die Pflicht nimmt. Anerkennung gebührt solchen Bemühungen, die das Problem lösen sollen, ohne dabei die Regierung zu diskreditieren. Allerdings gibt es die Zeit der vertraulichen Verhandlungen und die Zeit deutlicher Erklärungen. Die Abkehr des »gastfreundlichen, katholischen Polen« von den Flüchtlingen ist für die Welt eine Verschlechterung, eine Abkehr vom Evangelium und ein demoralisierender Faktor für die Gesellschaft.
Die Schwierigkeit mit dem Papst
Oberflächlich ist alles in Ordnung. In jeder Messe nennen die Priester den Namen des Papstes. Niemand Ernstes stellt seine Lehre öffentlich in Frage. Dennoch nehmen sensible Ohren ein eigentümliches Murren wahr, dass »irgendwas mit diesem Papst nicht ganz stimmt«. Misstrauen hängt in der Luft. Manche Publizisten bezeichnen die Wahl Franziskus’ als »Arbeitsunfall«. »Ich lese nichts von diesem Papst«, sagte ein hervorragender polnischer Theologe.
Der größte Stein des Anstoßes wurde die Kommunion für Geschiedene oder Menschen, die nicht in einer sakramentalen Ehe leben. In dem nachsynodalen Apostolischen Schreiben Amoris laetitia hatte der Papst sie als möglich dargestellt. Auf der ganzen Welt waren enthusiastische Stimmen zu hören, aber auch Vorwürfe, dies entspreche nicht der gesunden Lehre der Kirche, sowie des »Verrats am Heiligen Johannes Paul II.«. In den Kreisen des polnischen Episkopats herrschte peinliches Schweigen, bis zum 19. September 2016, als ein Brief von vier Kardinälen über Unklarheiten in dem Apostolischen Schreiben veröffentlicht wurde. In der Kirche verbreiteten sich damals Stimmen der Entrüstung, und der Brief wurde als dem Papst gestellte »Falle« betrachtet. Das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite nämlich brachen Stimmen der Unterstützung für die »über die Rechtgläubigkeit wachenden« Hierarchen los.
Aus dem polnischen Episkopat kamen ebenfalls unterstützende Stimmen für die Kritiker des Papstes. Der Vorsitzende des Rates für Angelegenheiten der Familie, Bischof Jan Wątroba, sagte: » Ich warte dringend auf eine Antwort, auf eine Präzisierung, umso mehr, als ich selbst mit ähnlichen Fragen überhäuft werde. […] Schade, dass es keine allgemein gültige Auslegung und klare Botschaft des Dokuments selbst gibt und dem Apostolischen Schreiben Interpretationen hinzugefügt werden müssen…«. Auch Bischof Józef Wróbel gab einem Journalisten von La Fede Quotidiana ein Interview, in dem er die vier Kardinäle unterstützte und dem päpstlichen Schreiben »einen Mangel an Präzision in manchen Abschnitten« vorwarf. Gefragt nach der Möglichkeit der Kommunion für Menschen, die nicht in der sakramentalen Ehe leben, sagte er, dass es eine solche Möglichkeit nicht vor Amoris laetitia gegeben habe und auch nicht danach.
Es wächst in der polnischen Kirche das Gefühl, dass unsere Bischöfe die Lehre des Papstes nicht richtig annehmen, sie zumindest in Frage stellen. Es ist daher dringend notwendig, dass sich der Episkopat mit dem Dank für Amoris laetitia zu Wort meldet und erklärt, dass er sich bemüht, die Empfehlungen des Apostolischen Schreibens im Leben der polnischen Kirche umzusetzen.
Nationalisten und hasserfüllte Menschen
Die Rolle der Nation im Leben des Einzelnen darf man nicht herabsetzen. Die Nation, die den Menschen mit ihrer Kultur bereichert und belebt, ist dem Menschen so notwendig wie das Brot. Gleichzeitig gilt es daran zu erinnern, dass die Idee des nationalen Egoismus eine Form von Götzendienerei sein kann und dass der nationale Wahn in zwei schreckliche Kriege geführt hat.
Unter Politikern und Moralisten wird die Diskussion geführt, worin sich Patriotismus von Nationalismus unterscheidet. Manche behaupten, dass Nationalismus der wahre Patriotismus sei und sich nicht mit dem Ausschluss der anderen verbinden muss. Der Begriff selbst sei neutral und erst die Analyse des konkreten Nationalismus erlaube, ihn zu beurteilen.
Johannes Paul II. war jedoch anderer Meinung. In der Rede, die er vor den Vereinten Nationen hielt, tauchen kritische Anmerkungen zum Utilitarismus, Relativismus und Skeptizismus auf, aber besonderer Gegenstand seiner Kritik ist der Nationalismus. Der Nationalismus ist nämlich, so der Papst, eine ideologische Rechtfertigung der Gewalt, die die eine Nation gegenüber der anderen anwendet. Die extreme Entwicklung des Nationalismus kann zum Totalitarismus führen.
Der polnische Nationalismus, erwachsen aus dem Denken Roman Dmowskis, hat seine Besonderheit: Er ist unlösbar mit dem Katholizismus verbunden. Der Katholizismus, hier nicht religiös verstanden, sondern kulturell, ist die Essenz, ohne die der polnische Nationalstaat nicht denkbar ist. Diese nationalkatholische Idee scheint neuheidnisch zu sein, denn sie setzt religiöse Ideen für politische Ziele ein.
In den letzten Jahren haben nationalistische Gruppierungen, die sich selbst »national« nennen, eine Renaissance erlebt; sie haben sich außerordentlich vermehrt, ziehen viele junge Polen an und knüpfen Verbindungen zu gut organisierten Fußballfangruppen.
Bevor allerdings Alarm geschlagen wird, muss Folgendes gesagt werden: Es ist verständlich, dass junge Menschen zu einer Gruppe gehören wollen, dass sie ihre Vertretung haben und Einfluss auf die Gestalt des gesellschaftlichen Lebens haben wollen. Die Erziehung der Jugend beruht in hohem Maße darauf, dynamische Milieus zu schaffen, die der junge Mensch als seine eigenen betrachtet und in denen er – zusammen mit Gleichaltrigen – die Chance hat, seine Fähigkeiten zu entwickeln und seine Ambitionen zu verwirklichen. Eigentlich müssten wir uns also über die Entstehung von Gruppierungen freuen, denen die Sache Polens nicht fremd ist, wenn es da nicht ein Aber gäbe.
Diese nationalen Jugendgruppen, von der Allpolnischen Jugend (Młodzież Wszechpolska) bis zum National-Radikalen Lager (Obóz Narodowo-Radykalny), bedienen sich in ihrem Handeln der Aggression, vor allem der verbalen. Es entstand eine ganze Litanei von skandierten Slogans, von denen der gereimte »Ganz Polen brüllt laut, es will nicht den muslimischen Mob« zu den mildesten gehört. Wir haben auch Fälle von physischer Aggression, motiviert von der Abneigung gegenüber Fremden, erinnert sei an den Überfall auf eine ukrainische Prozession in Przemyśl [Südostpolen, d. Übers.] oder an Angriffe auf Ausländer in verschiedenen Städten. Diese verurteilungswürdigen Handlungen entspringen angeblich einer christlichen Inspiration: Sieben nationale Milieus haben einen gemeinsamen Appell unterschrieben: »Christlicher Nationalismus – eine große Idee und eine große Verantwortung«.
Die Gefahren wachsen, wenn man das Klima berücksichtigt, das in unserer Gesellschaft herrscht. Im Laufe der letzten Jahre tauchte die Mehrheit der jungen Menschen in die Realität des Internet voll des Bösen und des Hasses ein. Die Internet-Faulkammer, shitstorms, dominierte fast alle Portale. Diese Faulkammer ist angefüllt mit Vulgarismen und einer Sprache, die zum Hass aufruft: Jemanden »wie die Juden im Ofen zu verbrennen« ist ein fast »unschuldiger« Eintrag und das Schlimmste ist, dass wir uns an diese Kloake immer mehr gewöhnen.
Noch trauriger sind das Reden und Handeln der Menschen, die eine exponierte Stellung in der Politik und im öffentlichen Leben Polens einnehmen. Wir sind wohl Rüpel geworden, und was das Schlimmste ist, wir haben uns daran gewöhnt, so wie wir uns an das auf Schritt und Tritt zu hörende Wort mit dem Anfangsbuchstaben »F« gewöhnt haben. Ich habe eine Reihe von Zitaten aus der Zeitung gesammelt, die ich hier präsentieren wollte, aber mich überkam Scham: Bemerkenswert, eigentlich in allen politischen Lagern machen sie die anderen lächerlich und lügen. Es erstaunt, dass in dieser Gesellschaft die Priester der Kirche, darunter häufig mit Professorentitel, einen prominenten Platz einnehmen. Schließlich kann man doch die Eucharistie nicht mit Gewalt vereinbaren, und sei es auch »nur verbaler«.
Deshalb las ich mit Freude das Dokument der Polnischen Bischofskonferenz mit dem Titel Chrześcijański kształt patriotyzmu [wörtlich: »Die christliche Gestalt des Patriotismus«, d. Übers.], in dem eindeutig der Nationalismus verurteilt wurde. Allerdings fehlte mir die Aussage, dass die Seuche des Nationalismus auch in der Kirche Wurzeln geschlagen hat und die Bischöfe Reue zeigen. Auch fehlte mir ein Appell an die Priester, dass sie sich vor der Lehre nationalistischer Akzente in Acht nehmen und einen gesunden Patriotismus aufbauen, so wie dies im Dokument dargestellt wird.
Ich hoffe, dass diesem Dokument weitere Schritte des Episkopats folgen werden, und sei es eine Überprüfung von Veranstaltungen, die sich katholisch nennen, zum Beispiel die Smolensk-Monatsveranstaltungen, aber auch der Lehre des Radio Maryja oder der Artikel in Nasz Dziennik, um zu überprüfen, ob sich da nicht Gebet mit Aggression oder sogar Hass vermischt. Denn wie die Bischöfe schrieben, wo Aggressionen, Verleumdung und Hass sind, kann keine Rede von Patriotismus sein.
Geschichte neu geschrieben
In dem katholischen Land wird mit Verbissenheit versucht, einen ganz bestimmten Menschen zu zerstören und alles, was mit ihm verbunden ist, die Solidarność, die Erlangung der Unabhängigkeit, der Aufbau des demokratischen Polen.
Im Dezember 1970 war ich in Danzig [Gdańsk, d. Übers.] und ich erinnere mich an diese dramatischen Tage: Wieviel Angst, wieviel Verzweiflung, wieviel Hass war in den Menschen. Einige Dutzend Menschen wurden erschossen, Hunderte waren schwer verletzt und geschlagen worden… Damals unterschrieb der Arbeiter Lech Wałęsa ein Papier, womit er der Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst zustimmte. Worin diese Zusammenarbeit bestand, weiß ich nicht. Inwieweit er in das Spinnennetz des Staatssicherheitsdienstes eingesponnen wurde, weiß ich ebenfalls nicht. Ich kenne die Dokumente aus dem »Schrank von Kiszczak« [Unterlagen, die 2016 von Kiszczaks Witwe dem Institut für Nationales Gedenken übergeben wurden, d. Übers.] nicht, ich kann ihre Authentizität nicht beurteilen, ich gehe davon aus, dass ihre Bewertung von Spezialisten durchgeführt wurde. Persönlich bin ich allerdings davon überzeugt, dass Lech Wałęsa nie ein tatsächlicher Agent war, sondern nur »pfiffig« und davon überzeugt, alle zu verschaukeln. Übrigens, selbst wenn er sich für einige Zeit in den Sumpf des Staatssicherheitsdienstes hat ziehen lassen, hat er in den späteren Jahren wahrhaftig Heldentaten vollbracht.
Ich erinnere mich auch gut an die ersten Wochen des Kriegszustands. Wałęsa war damals interniert und erlebte das Drama isoliert in Arłamów. Wir zitterten, ob er durchhalten und sich nicht brechen lassen würde, denn er war damals unersetzbar. Er brach nicht, zeigte Mut und im Laufe der Zeit führte er die Polen zum Sieg. Er hat seine Laster und Marotten, aber sein Verdienst auszustreichen, ist niederträchtig.
Man will nicht glauben, dass die Episode mit der Unterschrift für die Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst in den Augen wichtiger Menschen, die sich auf Wahrheit, Gerechtigkeit und auf Gott, unseren Herrn, selbst berufen, zu einer Bestie anwuchs, die den ganzen Lebenslauf Wałęsas auffraß. Es heißt nun allerseits, dass an der Spitze der Solidarność ein Agent stand, der gehorsam das Diktat der Feinde Polens ausführte. Es heißt, dass alle Taten dieses Menschen als Präsident verseucht waren, weil er fremden Interessen gedient habe. »Der Runde Tisch, wie Antoni Macierewicz [heute Verteidigungsminister, d. Übers.] sagte, wurde in Moskau zusammengesetzt«. Ist es nicht Wahnsinn zu meinen, dass wir die Solidarność, die Unabhängigkeit, die Demokratie nicht selbst erkämpft haben, sondern sie als Geschenk von den Feinden Polens erhalten haben?
Wenn Wałęsa zerstört wird, wenn er rausgeekelt und des Schlimmsten angeklagt wird, dann muss die Geschichte neu geschrieben werden. Und eine solche Geschichte wird schon geschrieben. Ausgesondert werden legendäre Namen – nicht nur Wałęsa, sondern auch Geremek und Mazowiecki. Es wird verkündet, dass die Dritte Republik Polen, die auf dem Runden Tisch als Gründungsmythos aufbaut, an den Wurzeln verdorben sei und dass dieser Mythos untergehen müsse, weil er die Wahrheit über Polen verdunkele. Deshalb werden für die Vierte Republik neue Mythen eingesetzt, als da wären die »verfemten Soldaten«, der Anschlag von Smolensk, die Präsidentschaft Lech Kaczyńskis. Die »neue Version der neuesten Geschichte« dringt in die Schulen ein – schon jetzt wird den Kindern der Film »Smolensk« gezeigt, der die Wirklichkeit primitiv vereinfacht.
Bischöfe waren Zeugen der entstehenden Solidarność, Wächter der Wahrheit in Magdalenka [Verhandlungsort für die Arbeitsgruppen des Runden Tisches 1989, d. Übers.] und beim Runden Tisch und haben das unabhängige Polen mit aufgebaut. Ihre Stimme ist heute unentbehrlich. Es geht nicht nur um Wałęsa – jemand versucht, den Polen die Schönheit und den Heroismus zu nehmen. Jemand versucht, darüber zu entscheiden, wer ein Patriot ist und wer nicht. Jemand versucht, unser ganzes Werk nach 1989 hintanzusetzen.
Papst Franziskus sagte, als ihm der Karlspreis verliehen wurde: »Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten? Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?« Wenn ich heute auf Polen und die polnische Kirche blicke, drängen sich mir die Worte auf: »Was ist mit dir los, Polen, dass du deine Türen vor Hilfsbedürftigen verschlossen hast? Was ist mit dir los, dass du Mauern zwischen deinen Söhnen und Töchtern aufgebaut hast? Was ist mit dir los, dass du die Solidarität verloren hast und Lüge und Hass tolerierst? Was ist mit dir los, dass du den Glauben der Väter profanierst und ihn in den Dienst egoistischer Politik ziehst? Polen, was ist mit dir los?«
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: Tygodnik Powszechny. <https://www.tygodnikpowszechny.pl/polska-dom-zamkniety-148136> (abgerufen am 19.06.2017) – mit freundlicher Genehmigung