Der herbstliche Beginn eines Wahlmarathons in Polen

Von Janusz A. Majcherek (Pädagogische Hochschule, Krakau)

Zusammenfassung
Ab Herbst 2018 beginnt in Polen ein Wahlmarathon. Ein gutes Ergebnis der Oppositionsparteien in den Selbstverwaltungswahlen würde einer vereinigten Opposition einen psychologischen und logistischen Schub für die 2019 stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament verschaffen und ihre Chancen erhöhen, Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) bei den Parlamentswahlen im selben Jahr die absolute Mehrheit zu nehmen. Sollte die PiS die Parlamentswahlen sowie die Präsidentschaftswahlen (2020) gewinnen, sei von der Fortsetzung ihres autoritären Kurses auszugehen, der die demokratische Ordnung Polens systematisch umgestaltet. Gegen diesen setzt sich weniger die Jugend als vielmehr die Erlebnisgeneration des kommunistischen Polen zur Wehr.

Am 21. Oktober beginnt ein Wahlmarathon, der für viele Jahre über die Zukunft Polens entscheiden wird. In dieser Zeit werden die allgemeinen Wahlen zu den Selbstverwaltungskörperschaften und dem nationalen Parlament, die Wahlen der Abgeordneten im Europäischen Parlament und für das Präsidentenamt in Polen stattfinden.

Als erste wird die Wahl der Selbstverwaltungsorgane von den Gemeinden bis zu den Woiwodschaften durchgeführt. Dieses Mal nimmt die Wahl eine bisher nie dagewesene Bedeutung an. Erstens, weil die Institutionen der territorialen Selbstverwaltung die letzten sind, die die zunehmend autoritäre Regierung Polens noch nicht zu beherrschen und sich unterzuordnen im Stande war. Zweitens, weil in dieser Rivalität die liberal-demokratische Opposition relativ große Chancen auf einen Erfolg hat, der ein erster Schritt zur Wiedererlangung ihrer Macht sein könnte und der Wiederherstellung demokratischer Standards in anderen Institutionen.

Die Rivalität zwischen der PiS und der PO

Die Struktur der territorialen Selbstverwaltung ist in Polen dreistufig und umfasst die Gemeinden in ihren unterschiedlichen Größen (vom Dorf bis zur Großstadt), die Kreise und die Woiwodschaften. Die Wahlen aller Institutionen auf diesen drei Stufen finden gleichzeitig statt. In den Dorf- und Kleinstadtgemeinden und in den Kreisen kandidieren häufig lokale parteilose Akteure und haben dort die Verwaltung übernommen. Unterstützt werden sie von Bürger-Wahlkomitees, die sich um die Kandidaten bilden. In den größeren Städten und auf der Ebene der Woiwodschaften kommt es dagegen zu einer heftigen Rivalität, und zwar zwischen den Vertretern der das Land regierenden nationalistisch-klerikalen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) auf der einen Seite und der Opposition, die von der liberal-konservativen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) dominiert wird, auf der anderen Seite. Gegenwärtig übt in keiner der zehn größten Städte ein Mitglied der PiS das Amt des Stadtpräsidenten aus, und nur in einer von 16 Woiwodschaften (im äußersten südöstlichen Polen) hat die PiS die Mehrheit im Woiwodschaftsparlament (sejmik). Der Ehrgeiz der PiS ist es, der Opposition mindestens einige der Woiwodschaftsparlamente und eine der größten Städte, am liebsten die Hauptstadt, abspenstig zu machen. Dies würde nämlich bedeuten, dass die PiS nicht nur in der Provinz eine starke Wählerschaft hat. Die Wahlergebnisse in den Großstädten, insbesondere in Warschau, und in den Woiwodschaftslandtagen werden darüber hinaus in der überregionalen Debatte wahrgenommen und breit diskutiert werden, im Gegensatz zu den Ergebnissen in den kleineren Orten. Das heißt, jene prägen auch das Bild der Sieger und der Verlierer, das den Verlauf und die Ergebnisse der folgenden Wahlkämpfe beeinflussen wird.

Die Bürgerkoalition

Angesichts der Gefahr, dass ein Teil der lokalen Regierungen von der autoritären und zentralistischen PiS übernommen wird, bildet die Opposition unter der Führung der stärksten und immer noch in den Großstädten und 15 Woiwodschaftslandtagen mitregierenden PO einen gemeinsamen Block mit dem Namen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska) und nominiert bzw. unterstützt gemeinsame Kandidaten für das Amt des Stadtpräsidenten in den größten Städten, der von den Wahlberechtigten direkt gewählt wird. Dass hier ein Vertreter der PiS die Mehrheit erlangen würde, wäre eine Sensation und scheint wenig wahrscheinlich zu sein, da die PiS auf die großstädtischen Wähler den geringsten Einfluss hat. Die Verteilung der Unterstützung für die PiS hat außerdem eine geographische Dimension – am größten ist sie in den südöstlichen Regionen; gen Westen und Norden schwächt sie sich ab. Entsprechend werden sich sicherlich die Stimmen bei den Wahlen der Woiwodschaftslandtage verteilen.

Die stärkste Rivalität besteht um das Amt des Stadtpräsidenten von Warschau. Die PiS hat dort den jungen (33), energischen, arroganten und die Demagogie nicht scheuenden Vizejustizminister Patryk Jaki aufgestellt. Er ist für die Beschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mitverantwortlich und Autor eines Gesetzes, das unter Strafe stellt, wenn die polnische Nation der Beteiligung an Massenverbrechen während des Zweiten Weltkriegs bezichtigt wird. Das Gesetz rief starke Spannungen mit den USA und Israel hervor, in deren Folge es zurückgezogen werden musste. Jaki tritt als Verteidiger der Mieter und Verfolger der Unregelmäßigkeiten bei den Reprivatisierungsprozessen von Warschauer Immobilien auf sowie als wütender Kritiker der bisherigen Warschauer Wohnungs- und Kommunalpolitik. Darüber hinaus – dem Vorgehen der PiS in den vergangenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlkämpfen entsprechend – macht er großzügige und ungenierte und dabei auch unverantwortliche Versprechungen. Sein Rivale und Favorit in den Meinungsumfragen ist das etwas ältere (46) PO-Mitglied, Repräsentant der Bürgerkoalition und ehemaliger Vizeaußenminister, Rafał Trzaskowski. Er gehört zum linksliberalen Flügel der PO. Trzaskowski tritt zusammen mit dem für das stellvertretende Stadtpräsidentenamt empfohlenen Paweł Rabiej auf, der von der liberalen Partei Die Moderne (Nowoczesna) nominiert wurde. Die Moderne war vor den Parlamentswahlen im Jahr 2015 als Repräsentanz derjenigen Wähler entstanden, denen die PO-Regierung nicht liberal genug gewesen war. Nachdem sie etwas mehr als sieben Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte, befindet sie sich zurzeit jedoch in einer Krise, die durch einen Skandal ihres Gründers und ehemaligen Parteiführers Ryszard Petru hervorgerufen wurde (er war verheiratet und wurde auf einer exotischen Auslandsreise mit einer Abgeordneten seiner Partei erwischt; er verlor den Parteivorsitz und trat dann aus der Partei aus, die er gegründet hatte). Die geschwächte Nowoczesna hat die Bürgerkoalition mitgegründet. Rabiej ist bekennender Homosexueller und wäre nach einer eventuellen Besetzung der Vizepräsidentschaft der Hauptstadt der zweite Homosexuelle auf einer solchen Position in den polnischen Selbstverwaltungsorganen. Der erste war der aktuelle Stadtpräsident von Stolp (Słupsk), Robert Biedroń.

Die zersplitterte Linke

Robert Biedroń ist die Hoffnung der Linken, die eine tiefe Krise aufgrund innerer Spaltungen erlebt. Diese hatten zur Folge, dass zurzeit keine linke Partei im polnischen Parlament, dem Sejm, sitzt und die PiS die absolute Mehrheit innehat, obwohl sie nur 37 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte. Am stärksten in den Umfragen ist, wenn auch nur mit zirka zehn Prozent, die postkommunistische, aber reformierte Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD). Sie hat Regierungserfahrung im demokratischen System, da sie von 1993 bis 1997 und von 2001 bis 2005 Regierungskoalitionen führte. Mancherorts traten ihre lokalen und regionalen Organisationen und Strukturen der Bürgerkoalition bei. Die aus der SLD kommenden, sich aber aktuell nicht mit ihr identifizierenden Stadtpräsidenten von Krakau (Kraków), der zweitgrößten Stadt Polens, und Rzeszów, der Hauptstadt der Woiwodschaft Vorkarpaten (województwo podkarpackie), wo die Unterstützung für die PiS am stärksten ist, haben große Chancen auf ihre Wiederwahl. Sie werden von der Bürgerkoalition unterstützt, die in diesen Städten keine eigenen Kandidaten aufgestellt hat.

Die SLD wird allerdings von verschiedenen jungen Gruppierungen radikal linker Akteure in Frage gestellt, die sie ihrer liberalen Neigungen (unter der SLD-Regierung wurden die Steuern für Unternehmen gesenkt) und ihrer konservativen Weltanschauung wegen anklagen. Gerade diese Milieus der neuen und jungen, aber zerstreuten und schwachen Linken zählen auf Biedroń als potentiellen Anführer und Vereiniger. Er hat eine relative große Bekanntheit in Polen sowie ein sympathisches Erscheinungsbild und mediale Kultiviertheit, die ihm auch Sympathisanten außerhalb der Linken bescheren. Er nimmt regelmäßig die starke dritte Position in den Rankings der potentiellen Kandidaten für das Amt des Präsidenten von Polen ein, hinter dem aktuellen Präsidenten Andrzej Duda und dem ehemaligen Ministerpräsidenten und gegenwärtig Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk. In manchen Analysen und Prognosen wird er als Kandidat für einen »polnischen Macron« betrachtet, als Initiator und überparteilicher Anführer einer liberal-linken sozialen Bewegung, fähig, prinzipielle Änderungen in der polnischen Politik durchzuführen, und darauf konzentriert, sich der PiS-PO entgegen zu stellen. Biedroń hat nun mitgeteilt, dass er nicht noch einmal für das Amt des Stadtpräsidenten antreten, sondern eine neue sozial-politische Bewegung organisieren wird. Dafür wird er zunächst durch Polen fahren. Seine Initiative ist zeitlich jedoch insofern ungünstig, als nun weder er noch seine erst im Entstehen begriffene Bewegung an den Lokalwahlen teilnehmen. Allerdings sind es gerade die Lokalwahlen und ihre Kandidaten, die jetzt die Aufmerksamkeit binden. Seine Chancen, einen so großen Erfolg wie Macron zu erzielen, der an der Spitze seiner eigenen Bewegung die Parteien des rechten und des linken Spektrums überwand, scheinen allerdings gering zu sein, insbesondere mit Blick auf die starke Position der PiS, die tief in der polnischen Provinz verwurzelt ist.

Die PSL: starke Kraft auf dem Land

In der Provinz muss die PiS allerdings mit der dort traditionell starken Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) rivalisieren. Weil die PiS der PSL die ländliche Wählerschaft abspenstig gemacht hatte, konnte sie im Jahr 2015 die Regierungsmacht auf der Landesebene erobern; begünstigend kam der Zustand der zerrütteten Linken hinzu. Wenn die PiS in der Lage ist, ihre Unterstützung in den lokalen Wahlen aufrechtzuerhalten, kann sie mit einem Erfolg zumindest in einigen Woiwodschaftsparlamenten rechnen, die zurzeit gemeinsam von der PSL und der PO regiert werden. In den Städten, insbesondere in den größten, wird sich also die Rivalität zwischen der PiS und der Bürgerkoalition entwickeln und in der Provinz und den Woiwodschaftslandtagen zwischen der PiS und der PSL. Sollten die Bürgerkoalition und die PSL als Sieger hervorgehen oder zumindest nicht deutlich verlieren, werden sie sicherlich ihre Kräfte in den lokalen Regierungsorganen vereinen. Ihnen droht allerdings, dass ihre getrennte Teilnahme an den Wahlen insgesamt weniger Mandate einbringt, als wenn sie gemeinsam gestartet wären. Dies liegt an der Wahlordnung, die die stärksten Gruppierungen bei der Umrechnung der Wählerstimmen auf Mandate begünstigt.

Das gefährliche Machtpotential der PiS

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass im Falle der Wahlniederlage der PiS auf der Selbstverwaltungsebene die parlamentarische Mehrheit der PiS im Sejm Beschlüsse verabschieden wird, die die Befugnisse der Selbstverwaltungsorgane beschränken, der diensteifrige Präsident Duda diese in Kraft treten lassen wird und das bereits von der PiS beherrschte und ihr untergeordnete Verfassungstribunal eine Anfechtung solcher Vorschriften nicht möglich macht. Die PiS ist eine zentralistische und etatistische Partei und einer starken Selbstverwaltung abgeneigt, was bereits deren Beschneidung in verschiedenen Bereichen zur Folge hatte.

Eine andere, noch realere Gefahr ist die, dass zentrale, von der PiS kontrollierte Institutionen die lokalen Einrichtungen bevorzugen und unterstützen werden, in denen PiS-Kandidaten gesiegt haben, während die von der Opposition besetzten schikaniert werden könnten. Manche Kandidaten der PiS nutzen diesen Verdacht sogar bereits im Wahlkampf aus, indem sie suggerieren, dass nur ihre Wahl der Gemeinde oder der Region eine großzügige Unterstützung aus dem zentralen Haushalt garantieren werde. Daher ist es besonders wichtig, dass die Verteilung der EU-Gelder in den Händen der Selbstverwaltung bleibt und nicht von der Zentralregierung übernommen wird, wonach es der PiS gelüstet.

Eine weniger wahrscheinliche, obgleich nicht völlig aus der Luft gegriffene Gefahr ist mit der gegenwärtig laufenden Übernahme der Kontrolle über das Oberste Gericht (Sąd Najwyższy) durch die PiS verbunden. Das Oberste Gericht bestätigt die Wahlergebnisse und es gibt Andeutungen, dass das der PiS untergeordnete Gericht dort die Ergebnisse in Frage stellen könnte, wo die PiS eine Niederlage erlitten hat. Vor vier Jahren hat PiS-Chef Jarosław Kaczyński offen die Anschuldigung geäußert, dass die damals von der PiS verlorenen lokalen Wahlen gefälscht worden seien – was nie bestätigt wurde. Jetzt könnte sie sie manipulieren wollen.

Die Bedeutung eines Wahlsiegs der PiS-Opposition

Ein Sieg der Opposition in den Selbstverwaltungswahlen würde ihr einen psychologischen und logistischen Vorteil für die nächsten, im Frühjahr stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament verschaffen. Sollte sich das Format der Bürgerkoalition bewähren, kann sie aufrechterhalten werden und erneut zum Einsatz kommen und sogar erweitert werden. Das würde bedeuten, dass die Mitglieder der der Bürgerkoalition angehörenden Parteien dann einer Fraktion ihrer Wahl im Europäischen Parlament beitreten könnten. Zurzeit sind die Vertreter der PO und der PSL in der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (PPE), zusammen mit der CDU; die Europaabgeordneten der SLD gehören zur Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D), zusammen mit der SPD; die Politiker von Die Moderne streben in die liberale Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), und die PiS sitzt in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), zusammen mit der AfD und den britischen Konservativen. Der Erfolg der Bürgerkoalition wäre über Polen hinaus von Bedeutung, denn er würde die Verringerung des in vielen EU-Staaten bei den Europawahlen erwarteten Erfolgs antieuropäischer Parteien bedeuten, zu denen auch die PiS gehört. Die am stärksten proeuropäische und gleichzeitig schwächste Partei ist Die Moderne, die als einzige offen für den schnellstmöglichen Beitritt zur Eurozone eintritt (was sehr unpopulär in der im Allgemeinen stark proeuropäisch eingestellten polnischen Gesellschaft ist). Aber auch die SLD und die PO sind eindeutig proeuropäisch; die PO unter anderem wegen der Rolle, die ihr ehemaliger Parteivorsitzender Donald Tusk dort spielt, und die SLD erinnert sich und die Wähler daran, dass unter der Regierung des SLD-Ministerpräsidenten Leszek Miller und des aus der SLD hervorgegangenen Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski Polen der Europäischen Union beitrat.

Erfolge der Bürgerkoalition in den Selbstverwaltungs- und den Europawahlen würden die Chancen der Opposition erhöhen, die PiS ihrer Macht zu entledigen, zumindest ihrer absoluten Mehrheit bei den Wahlen zum polnischen Parlament, die einige Monate später, im Herbst 2019 stattfinden werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei von Kaczyński selbstständig weiterregieren wird, ist gering, da dies das Ergebnis einer Verkettung von Zufällen war, die sich ziemlich sicher nicht wiederholen wird, nicht einmal, wenn die Linke sich nicht vereint und wieder zersplittert antritt. Die PiS erhält allerdings immer noch große Unterstützung aus der Gesellschaft, sie oszilliert um den Wert der letzten Parlamentswahlen im Jahr 2015. Um der regierenden Partei die Macht zu nehmen und der von ihr intendierten Zerstörung des demokratischen Rechtsstaates Einhalt zu gebieten, bedarf es daher ganz sicher des vereinten Handelns der Liberalen, die die Opposition dominieren, und der Linken. Abhängig von den Ergebnissen der Selbstverwaltungs- und der Europawahlen werden sie eine Verständigung vor oder nach den Parlamentswahlen anstreben. Die Wahlen auf der lokalen und auf der europäischen Ebene werden also zu einem Gradmesser des Kräfteverhältnisses vor den Parlamentswahlen. Das Ergebnis wird auch von der Fähigkeit abhängen, die Wähler und potentiellen Anhänger zu mobilisieren. Bisher gab es bei diesen Wahlen eine sehr niedrige Wahlbeteiligung (24 Prozent bei den letzten Europawahlen, was eines der schlechtesten Ergebnisse in der EU war; 47 Prozent bei den Selbstverwaltungswahlen). Eine niedrige Beteiligung würde der PiS helfen, denn ihre Anhänger sind disziplinierter und stärker mobilisiert.

Die Präsidentschaftswahlen 2020

Die Krönung dieses vielmonatigen Wahlzyklus wird im Frühjahr 2020 die Wahl des Präsidenten sein. Andrzej Duda, der aktuell das Amt des Staatsoberhauptes ausübt, wird von unabhängigen Kommentatoren und Experten nicht ohne Grund als passiver Opportunist angesehen, der die Empfehlungen und Erwartungen des PiS-Chefs Jarosław Kaczyński ausführt und erfüllt, auf dessen Empfehlung hin er für das Präsidentenamt kandidiert hatte. Duda ist es, der mit seiner Unterschrift mannigfaltige Aktivitäten der parlamentarischen PiS-Mehrheit bestätigte, die die Institutionen des demokratischen Rechtsstaates zerstören und eine zunehmend autoritäre Ordnung in immer mehr Bereichen des öffentlichen Lebens und sogar des privaten und intimen Lebens (die Beschränkung des Zugangs zu Verhütungsmitteln oder zur In-vitro-Fertilisation etc.) auferlegen.

Sollte die PiS die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewinnen, würde Polen sich weiter zum Autoritarismus hinbewegen.

Die Wirkungsmöglichkeiten der EU

Die europäischen Institutionen können auf die Situation in Polen Einfluss nehmen. Eine kritische Haltung angesichts der Vergewaltigung der Rechtsstaatlichkeit in Polen nahm die »Venedig-Kommission« ein. Der Versuch, die Kontrolle über das Oberste Gericht zu übernehmen, rief eine Reaktion der polnischen Richter hervor, die sich an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg mit Bitte um Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Aktivitäten wandten. Die polnische Regierung folgt den Spuren Viktor Orbáns, indem sie Anstrengungen unternimmt, Richter mit Hilfe der Senkung des Renteneintrittsalters aus dem Amt zu entfernen und sie ansonsten zur Loyalität gegenüber der Regierung zu verpflichten, ungeachtet der verbleibenden Zeitspanne ihrer Amtszeit. Die Europäische Union bewertete solche Methoden in Ungarn seinerzeit als nicht zulässig, aber die ungarische Regierung schaffte es, noch vor der Veröffentlichung dieses Urteils die Posten neu zu besetzen, aus denen sie die bisherigen Richter entlassen hatte, so dass die Rückkehr zum Status quo ante unmöglich geworden war. Das gleiche hat Jarosław Kaczyński vor. Die EU-Institutionen sind allerdings um die Erfahrung mit Orbán reicher und könnten eine größere Leistungsfähigkeit und Effektivität zeigen. In der sehr proeuropäischen polnischen Gesellschaft kann sich die europaskeptische Regierungsmannschaft keinen scharfen Konflikt mit den Institutionen der Europäischen Union erlauben.

Gegen Polen ist bereits ein Verfahren vor der Europäischen Kommission eingeleitet worden. Dies steht in Zusammenhang mit dem Bruch der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, inklusiv der Verletzung der polnischen Verfassung: Richter wurden während ihrer laufenden Amtszeit abberufen und neue Richter von Institutionen, die der Exekutive untergeordnet wurden, eingesetzt. Die Europäische Kommission gab sich mit der Antwort der polnischen Regierung nicht zufrieden und leitete die nächste Phase der Prozedur ein, indem sie in Form einer »mit Gründen versehenen Stellungnahme« das Vorgehen gegenüber den Richtern und Gerichten in Frage stellt. Die Regierung erhielt für ihre Antwort einen Monat Zeit; der Termin wurde auf den 14. September festgesetzt. Es steht zu erwarten, dass die Antwort ausweichend ausfallen und auf Zeit gespielt werden wird. Darüber hinaus hat das Europäische Netzwerk der Justizräte (European Network of Councils für the Judiciary – ENCJ) sich dafür ausgesprochen, den polnischen Landesjustizrat (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS) aus seinen Reihen auszuschließen. Dieser war vor einigen Monaten im Zusammenhang mit den nicht verfassungsgemäßen Maßnahmen mit von der PiS Nominierten besetzt und vollständig dem Regierungslager untergeordnet worden. Die Entscheidung des ENCJ soll auf einer außerordentlichen Sitzung am 17. September fallen. In oppositionellen Kreisen wird eine entschiedene Haltung der EU-Institutionen gegenüber der polnischen Regierung erwartet; auf der anderen Seite stellt die Regierungspropaganda sowohl solche Erwartungen als auch solche Interventionen als feindlich gegenüber Polen dar und verurteilt und attackiert sowohl die polnischen als auch die EU-Politiker, die sie vollziehen oder unterstützen.

Reaktionen in der polnischen Gesellschaft

In Polen finden seit einem Jahr mehr oder weniger regelmäßig zahlreiche Demonstrationen und Veranstaltungen gegen die autoritären Aktivitäten der Regierung statt, insbesondere gegen die Zerstörung der Unabhängigkeit der Justiz. Sie werden von gesellschaftlichen Vereinen und Bürgerinitiativen organisiert und koordiniert; als wichtigste wären das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji – KOD), die Bürger der Republik (Obywatele RP) und die Aktion Demokratie (Akcja Demokracja) zu nennen. Im Zusammenhang mit der Offensive ultrarechter und fundamentalistischer Kräfte, die ein absolutes Abtreibungsverbot anstreben, entstanden und reagierten auch feministische Organisationen, die Demonstrationen und Straßenhappenings durchführten.

Charakteristisch für die Protestaktionen und anderen Formen des gesellschaftlichen Widerstands gegen die autoritären Gelüste der Regierungsmannschaft ist ihr Generationenprofil. Die Teilnehmer sind vor allem die älteren Generationen, während die Jugend weniger präsent ist. In den unabhängigen Medien findet eine lebhafte, manchmal heftige Debatte über dieses Phänomen statt. Vorherrschend ist die Meinung, dass diejenigen gegen den Rückfall in den Autoritarismus aktiv werden, die bereits einen solchen, den Kommunismus, erlebt haben und sich daran erinnern, die sich ihm entgegen stellten und dann die Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates aufbauten. Sie wissen, wieviel das gekostet hat, aber dafür erlangten sie einen Status, der es wert ist, verteidigt zu werden. Die Generationen, die nach 1989 geboren wurden, sind sich der Gefahren nicht bewusst. Sie sind an die demokratisch-liberalen Standards gewöhnt und stellen sich nicht vor, dass sie aufgehoben werden. Die Erzählungen von autoritären Systemen hören sie wie ein Märchen vom bösen Wolf. Die Errungenschaften des heutigen Polen vergleichen sie nicht mit der Situation des kommunistischen Polen, sondern mit den ihnen bekannten westeuropäischen Staaten. Daher nehmen sie nicht das Ausmaß des Fortschritts wahr, sondern eher Verspätungen (auch wenn Statistiken zufolge das Lebensniveau in Polen bereits das portugiesische oder griechische überholt hat).

In der polnischen Jugend wachsen dagegen starke Tendenzen zu extremen politischen Strömungen, insbesondere zu rechten, nationalistischen und sogar neofaschistischen, und sie nehmen weiter zu. Immer aktiver und lauter treten insbesondere zwei Organisationen in Erscheinung, das National-Radikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny – ONR) und die Allpolnische Jugend (Młodzież Wszechpolska). Beide knüpfen an die gleichnamigen Verbände in der Zwischenkriegszeit an. Ihre Aktionen, Demonstrationen und Aufmärsche werden nicht nur toleriert, sondern manches Mal auch noch von öffentlichen Institutionen geschützt.

Ein Fazit zur Zukunft der liberalen Demokratie

Der Zyklus der vier Wahlen, die bis 2020 stattfinden werden, wird von vielen Beobachtern und Kommentatoren als eine Volksbefragung in vier Etappen für oder gegen den Autoritarismus interpretiert. Sogar wenn viele Wähler sie nicht so auffassen, kann dies doch das eigentliche Ergebnis sein. Es werden keine gewöhnlichen Wahlen werden, in denen darüber entschieden werden wird, wer einen Platz in einer Institution der lokalen Selbstverwaltung, des polnischen oder des Europäischen Parlaments einnehmen wird, und welche Politik in diesen Institutionen betrieben werden wird. Der Einsatz dieser Wahlen ist die Zukunft der liberalen Demokratie und des Rechtsstaates in Polen, der sich gegenwärtig in ernsthafter Gefahr befindet.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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