Der Wert der offenen Gesellschaft in den Einstellungen der jungen Polen

Von Filip Pazderski (Institut für Öffentliche Angelegenheiten, Warschau)

Zusammenfassung
Der Autor der Analyse untersucht, welche Bedeutung für junge Polinnen und Polen ausgewählte Werte haben, die zur Idee der offenen Gesellschaft gehören. Betrachtet werden insbesondere die Einstellungen zur kulturellen Vielfalt und zur liberalen Demokratie und es wird nach den Gründen für unterschiedliche Einstellungen gefragt. Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob für die jungen Polinnen und Polen der Lebensstandard oder die Qualität der Demokratie im Land ein wichtigerer Wert ist. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen betreffen mögliche Entwicklungen der offenen Gesellschaft in Polen.

Die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die Polen seit 2015 regiert, setzte eine Reihe von Maßnahmen um, die nach Meinung von Experten das für die liberale Demokratie charakteristische System der Kontrolle und der checks and balances schrittweise außer Kraft setzte. Dies bewirkte eine systematische Verschlechterung des Zustands der repräsentativen Demokratie in Polen. Eine der Erklärungen, warum solche Aktivitäten möglich waren und wie sie mit der deutlichen gesellschaftlichen Unterstützung für die PiS korrelieren, knüpft an die wahrnehmbare Enttäuschung vieler Menschen über die Art an, wie die Parteien bisher Politik betrieben haben. Eine weitere Ursache kann das in einem bedeutenden Teil der Gesellschaft herrschende Gefühl sein, dass andere Teile der Gesellschaft in Polen mehr von der wirtschaftlichen Transformation profitierten.

Beide Haltungen lassen sich auch bei den jungen Polinnen und Polen beobachten. Sie fassen die Demokratie als sichere Angelegenheit auf (nicht als etwas, um das man täglich kämpfen muss, wie es ihre Großeltern und Eltern taten) und zeigen gleichzeitig wenig Neigung, die Dinge in ihre Hand zu nehmen und die nicht akzeptierte Realität zu verändern. Ihrer fatalistischen Einstellung nach ist das polnische Parteiensystem schlicht und einfach verfault (NDI/IPA, 2018, S. 4–6). Zur Umpolung ihrer negativen Einstellung gegenüber dem öffentlichen Leben trägt auch nicht bei, dass die jungen Menschen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus die am wenigsten öffentlich aktive gesellschaftliche Gruppe waren. Bis heute hat sich dies nicht wesentlich geändert, obgleich die Untersuchungen der öffentlichen Meinung einen gewissen Anstieg ihrer Aktivitäten aufzeigen (Roguska, 2016) und die jüngere Generation ganz klar allmählich den Wert der demokratischen Institutionen zu verstehen beginnt (Szafraniec, 2012, S. 17).

Gleichzeitig, insbesondere während der Wirtschaftskrise im Jahr 2008, waren die jungen Polinnen und Polen gezwungen, ebenso wie ihre Altersgenossen auf dem ganzen Kontinent, sich mit den Schwierigkeiten des kapitalistischen Systems zu messen. Sie machen sich um den materiellen Komfort und ihre Arbeitsbedingungen Sorgen. Ein wesentlicher Unterschied liegt im Falle Polens aber darin, dass es wohl das einzige europäische Land ist, das durch die wirtschaftliche Rezession mit einem ununterbrochenen Wirtschaftswachstum ging. Hinzu kommt, dass dieses gegenwärtig ein bisher nicht bekanntes Niveau erreicht.

Unabhängig von den positiven Wirtschaftsdaten begannen die jungen Polen ihrer Enttäuschung und Entrüstung auch an den Wahlurnen Luft zu machen. Ein verändertes Wahlverhalten ließ sich bereits im Jahr 2011 beobachten und es hält bis heute an. In den allgemeinen Parlamentswahlen im Herbst 2015 stimmten die Wähler im Alter von 18 bis 29 Jahren vor allem für Anti-System- und oppositionelle Kandidaten. Drei Viertel stimmten gegen die damals regierende Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), die nach acht Jahren in der Regierungsverantwortung nur 14,6 Prozent der Stimmen in der Gruppe der jüngsten Wähler erhielt. Über ein Viertel dieser Altersgruppe, 25,8 Prozent, wählte die konservativ-populistische PiS, 19,9 Prozent die Anti-System-Bewegung Kukiz ‘15 und 16,8 Prozent die rechte europaskeptische Partei KORWiN, die von der jüngsten Wählergruppe drei Viertel ihrer Stimmen erhielt.

Die jungen Menschen brachten ihre Enttäuschung auch zum Ausdruck, indem sie unabhängige gesellschaftliche Interessengruppen unterstützten. Im Jahr 2012 stellte sich die Anti-ACTA-Bewegung (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) gegen ein Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Die Aktivisten betrachteten es als Einführung der Zensur im Internet. Im Jahr 2016 engagierten sich junge Polen massenhaft bei den Protesten des Schwarzen Montags, die gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts gerichtet waren und sich 2017 und 2018 unter dem Namen »Schwarzer Protest« wiederholten. Diese Protestbewegungen unterstützten die Menschenrechte, die Freiheit des Wortes, das Fortpflanzungsrecht und den unbeschränkten Zugang zum Internet und waren in hohem Maße ein Ausdruck der Unterstützung ihrer Teilnehmer für das Konzept einer vielfältigen Freiheit (etwas zu tun).

Viele junge Polen nahmen auch an den Demonstrationen im Juli 2017 teil, die gegen die kontroversen Justizreformen der regierenden PiS gerichtet waren. Sie verteidigten auf diese Weise die grundlegenden demokratischen Werte des Rechtsstaates. Der damals im ganzen Land wahrnehmbare zunehmende Protest fand allerdings mit dem Veto des Präsidenten gegen die erste Version des von der Gesellschaft in Frage gestellten Gesetzes ein Ende. Unabhängig davon muss festgestellt werden, dass sich an den Protesten ohnehin nur ein geringer Anteil der polnischen Gesellschaft aktiv beteiligte. Als der Präsident darüber hinaus nach den Ferien Gesetze vorlegte, die den vorher mit Veto belegten sehr ähnlich waren, erreichte der gesellschaftliche Widerstand nicht mehr das Ausmaß wie vor den Ferien.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die jungen Polinnen und Polen zwar nicht den Institutionen der repräsentativen Demokratie in ihrem Land vertrauen, sie aber auch keinen großen Willen zeigen, Aktivitäten für eine Änderung der kritisierten Situation zu unternehmen. Nur der deutlich geringere Teil entscheidet sich, ein- oder mehrmals an Protesten teilzunehmen, allerdings vor allem, wenn es um Angelegenheiten geht, die sie unmittelbar in ihren individuelle Freiheiten und ihrem Privatleben betreffen. All dies geschieht in einer Gesellschaft, die sich immer noch ihre Existenz aufbaut und in der die übermäßige Orientierung am Lebensstandard recht normal zu sein scheint, was wiederum eher kein Dünger für gute Revolutionäre ist. Was kann unter solchen Bedingungen die jungen Polinnen und Polen motivieren, bestimmte Haltungen im öffentlichen Leben einzunehmen? Auf der Suche nach Antworten werden im Folgenden ausgewählte gesellschaftliche Werte betrachtet, die zurzeit die öffentliche Aktivität junger Menschen in Polen zu leiten scheinen. Gefragt wird außerdem, welche Perspektiven sich daraus für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft in Polen ergeben.

Quellen und Methode der Datengenerierung

Dieser Artikel basiert auf den Ergebnissen von Umfragen, die im Rahmen des Projektes »Voices on Values. How European understand the open society« (http://situationroom.dpart.org/) in Deutschland, Frankreich, Italien, Griechenland, Polen und Ungarn vom Open Society European Policy Institute (OSEPI) in Zusammenarbeit mit Partnern in den jeweiligen Ländern durchgeführt wurden. In Polen war dies das Institut für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP). Untersucht wurde die Verankerung von Werten, die zur Idee der offenen Gesellschaft gehören. In der Untersuchung wurden originäre qualitative und quantitative Daten gesammelt. Zunächst wurde eine repräsentative Umfrage mit Hilfe von Internetplattformen unter mehr als 1.000 Respondenten (Polen: 1.029 Personen) in jedem der untersuchten Länder durchgeführt.

In dem Fragebogen wurde zuerst abgefragt, wie wichtig für das Funktionieren einer guten Gesellschaft sieben genannte Attribute (Eigenschaften) sind, die mit einer offenen Gesellschaft verbunden sind, sowie sieben, die mit einer geschlossenen Gesellschaft verbunden sind. Die eingesetzten Indikatoren wurden unter Beteiligung der Forscher aller sechs Partnerländer erarbeitet. Anschließend sollten die Befragten für jedes Attribut der offenen Gesellschaft zwischen zwei vorgestellten alternativen Optionen wählen. Dabei konnten sie entscheiden, ob sie das Attribut der offenen Gesellschaft als wichtiger bewerten oder die ihm entgegen gestellte Alternative. Außerdem hatten sie die Möglichkeit, beide Eigenschaften als gleich wichtig zu bestimmen. Zusätzlich wurden ihnen korrelierende Fragen gestellt, die sich auf die Situation im jeweiligen Land bezogen, was weitere Analysen möglich macht.

Im zweiten Teil der Untersuchung wurden Experteninterviews geführt. In Polen waren es zehn strukturierte Interviews mit Politikern, Kommentatoren des öffentlichen Lebens und Wissenschaftlern, Beamten im öffentlichen Dienst und Aktivisten der Zivilgesellschaft, die unterschiedliche politische Orientierungen repräsentierten. Mehr über die Untersuchungsergebnisse lässt sich in Kürze im Untersuchungsbericht über Polen nachlesen sowie im vergleichenden Bericht, der alle sechs untersuchten Länder behandelt (http://situationroom.dpart.org/).

Die Einstellung zu ausgewählten Aspekten kultureller Vielfalt als Maßstab für Offenheit

In der Untersuchung wurde den polnischen Befragten eine Reihe von Fragen gestellt, die sich auf zwei Bereiche des Funktionierens einer offenen Gesellschaft beziehen – die kulturelle Vielfalt und die liberale Demokratie. Betrachtet wurden dabei auch die Eigenschaften, die sich der offenen Gesellschaft zuordnen lassen (d. h. eine positive Einstellung zur kulturellen Vielfalt und zur liberalen Demokratie) bzw. der geschlossenen Gesellschaft (d. h. eine negative Einstellung). Auf diese Weise ergaben sich vier Gruppen von Indikatoren, die erlauben, das Niveau der Offenheit bzw. Geschlossenheit der polnischen Gesellschaft zu beobachten. Im Folgenden werden die beiden Indikatorengruppen betrachtet, die die Einstellung zu den Werten mit Bezug zur kulturellen Vielfalt betreffen.

Ein Teil der hier erhaltenen Ergebnisse erlaubt, die polnische Gesellschaft auf den ersten Blick als relativ offen zu bestimmen. Dies zeigen insbesondere die Antworten, die dort gegeben wurden, wo zwei alternative Einstellungen nebeneinandergestellt wurden, die gesellschaftliche Offenheit bzw. Geschlossenheit ausdrücken. Gefragt, ob sie bereit wären, die Werte der offenen Gesellschaft durch gegenteilige Einstellungen zu ersetzen, sprachen sich die Polen deutlich häufiger für die kulturelle Vielfalt aus. Sie erklärten beispielsweise, dass die Gleichbehandlung der Neuankömmlinge für sie wichtiger sei als der wirtschaftliche Wohlstand. Unter den sechs untersuchten Nationen erreichten die Polen hier die höchsten Werte, was angesichts der bekannten Daten zur Einstellung der Polen gegenüber Immigranten und Flüchtlingen (siehe dazu weiter unten) schwer zu glauben ist. Dies könnte auf die Kraft einer kulturellen Norm hinweisen, nach der manche Meinungen nicht offen kundgetan werden dürfen.

Das Bild hört auf, so rosig auszusehen, wenn die Antworten auf einzelne Fragen zur kulturellen Vielfalt betrachtet werden, also die Rolle, die einzelnen Aspekten der offenen und geschlossenen Gesellschaft zugeschrieben wird. Die deutliche Mehrheit der Befragten sagt, dass die Gleichbehandlung von Neuankömmlingen im Land, Religionsfreiheit und der Schutz von Minderheiten unerlässlich für das Funktionieren einer guten Gesellschaft sind. Gleichzeitig unterstützen zwei Fünftel der Gesellschaft (weniger als die Hälfte, aber dennoch ein bedeutender Teil) solche Eigenschaften der geschlossenen Gesellschaft wie das Verbot, dass sich gleichgeschlechtliche Paare in der Öffentlichkeit küssen dürfen, oder die Bewilligung der Staatsbürgerschaft nur denjenigen, deren Eltern Polen sind.

Die Mehrheit der Polen unterstützt auch bestimmte Meinungen, die eine geschlossene Gesellschaft charakterisieren. Über die Hälfte sagt, dass Nicht-Christen ausschließlich die Möglichkeit haben sollten, ihre Religion zu Hause oder in ihren Kultstätten zu praktizieren. 60 Prozent der Befragten sagten, es sei wesentlich, dass so wenig Immigranten wie möglich nach Polen kämen. Am populärsten unter den Eigenschaften der geschlossenen Gesellschaft ist allerdings die Meinung, dass alle Einwohner des Landes nach den polnischen Werten und Normen leben sollten – dieser Ansicht waren 80 Prozent der Befragten. Dies scheint die tiefe Verbundenheit der Polen zu den nationalen Werten und zum Nationalstolz (Boguszewski, Głowacki, 2016, S. 2–5) sowie die erklärte Abneigung gegenüber Immigranten zu bestätigen.

Das Bild differenziert sich weiter, wenn verschiedene demographische Faktoren miteinbezogen werden (siehe Tabelle 1 und 2). Hier spielt das Geschlecht eine wichtige Rolle: Generell reagieren Frauen deutlich sensibler auf kulturelle Vielfalt. Noch deutlicher allerdings differenziert das Alter die Einstellungen zur offenen Gesellschaft. Die jungen Polinnen und Polen fühlen sich verschiedenen Aspekten der kulturellen Vielfalt weniger verbunden als die älteren Generationen. Hier lohnt es sich, Ergebnisse anderer Untersuchungen hinzuzuziehen. Eine zeigt, dass die jungen Polen die nationalen Werte am stärksten unterstützen und dass sie mit deutlicher Mehrheit grenzenlos stolz auf die Haltungen der Polen in der Geschichte sind (Gyárfášova, Molnár, Krekó, Pazderski, Wessenauer, 2018). Eine andere Untersuchung zeigt, dass sie wenig enthusiastisch gegenüber Immigranten sind. Die Mehrheit (60 Prozent) nimmt sie als Belastung für das Sozialsystem und Gefahr für die öffentliche Sicherheit wahr (Kucharczyk, Łada, Schöler, 2017, S. 128–130). Ergänzen lässt sich dieses Bild mit den Daten des Projektes »Voices on Values«, die zeigen, dass im Allgemeinen die Unterstützung für verschiedene Aspekte der offenen Gesellschaft zusammen mit dem Bildungsniveau der Befragten steigt.

Alle diese Ergebnisse scheinen etwas Beunruhigendes zu zeigen. Die jungen Polen beiderlei Geschlechtes (wenngleich mehr junge Männer) sind gegenüber verschiedenen Aspekten der offenen Gesellschaft am feindlichsten eingestellt und am stärksten für die kulturelle Homogenität. Auch sind sie am stärksten bereit, die Werte, die mit kultureller Vielfalt verbunden sind, zugunsten der Verbesserung ihrer Lebensqualität zu ersetzen (dazu im Folgenden mehr). Diese Beobachtung geht mit den Ergebnissen einer anderen Fragebogenuntersuchung einher, die zeigt, dass die polnische Jugend weniger bereitwillig ist als die älteren Generationen, Flüchtlinge als Mitarbeiter, Nachbarn oder Familienmitglied zu haben. Insbesondere junge Männer sind am wenigsten geneigt, einen Moslem, Homosexuellen oder Transgender in egal welcher dieser Rollen zu akzeptieren (Winiewski, Hansen, Bilewicz i in., 2017, S. 75–77, 95). Zumindest teilweise kann diese Situation von der deutlichen Ausrichtung der jungen Polen auf die politische und ideologische Propaganda des Internet beeinflusst sein. Die bereits genannte Untersuchung des NDI/ISP zeigt, dass für die jungen Polinnen und Polen die häufigste Informationsquelle zu öffentlichen Angelegenheiten Facebook und andere Internetportale sind und sie der Meinung sind, dass sie damit ein objektives Bild der Situation erhalten (Gyárfášova, Molnár, Krekó, Pazderski, Wessenauer, 2018, S. 24).

Einstellungen gegenüber ausgewählten Aspekten des Funktionierens der repräsentativen Demokratie

Die Demokratie wird von den Polen praktisch seit Beginn der gesellschaftlich-politischen Transformation im Jahr 1989 hoch geschätzt. Mitte des Jahres 2018 stimmten 76 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass »die Demokratie allen anderen Regierungsformen überlegen ist«, was der höchste Wert in der Geschichte der Untersuchungen der öffentlichen Meinung ist (Feliksiak, 2018, S. 1). Dabei ist aber festzuhalten, dass in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen nur die Hälfte der Meinung ist, dass »die Demokratie das Beste der möglichen politischen Systeme ist« (Kucharczyk, Łada, 2017, S. 18–20). Generell scheint das allgemeine Bekenntnis zur Demokratie in der polnischen Gesellschaft im Widerspruch zu der Tatsache zu stehen, dass die aktuell regierende PiS deutlichen gesellschaftlichen Rückhalt sogar bei der Einführung von Maßnahmen erhielt, die die deutliche Mehrheit von Experten als Bruch der Prinzipien der repräsentativen Demokratie bewerteten.

Diese erstaunliche Tatsache lässt sich auf zwei Arten erklären. Erstens damit, dass es in der polnischen Gesellschaft mindestens zwei Arten des Demokratieverständnisses gibt. Die eine bezieht sich auf die Rechtsstaatlichkeit und den Schutz von Minderheiten, die andere stützt sich auf autoritäre Werte und vertritt die Auffassung, dass die Demokratie ein System sei, in dem der Wille der Mehrheit Vorrang hat. Zweitens vertritt der politische Diskurs, der von den PiS-Politikern geführt wird und den die von der Regierung kontrollierten öffentlichen Medien unterstützen, dass die PiS für die Stärkung der Demokratie in Polen arbeitet. Dementsprechend hätten die vorher regierenden Parteien nur in ihrem eigenen Interesse und dem Interesse eng begrenzter Eliten gehandelt.

Die Untersuchung »Voices on Values« bestätigt diese Überlegungen. Die Polen unterstützen entschieden alle ihnen vorgestellten Werte einer offenen Gesellschaft, die mit dem Funktionieren der liberalen Demokratie verbunden sind. Als unentbehrlich (»absolut« bzw. »eher«) wurde jeder von ihnen von zirka 80 Prozent der Befragten beurteilt. Gleichzeitig unterstützen sie in Gänze Werte, die sich als Ausdruck negativer Einstellungen gegenüber der liberalen Demokratie bestimmen lassen. 60 Prozent akzeptieren die Meinung, dass die Regierung die Medien zwingen sollte, das Land nur positiv darzustellen, und 70 Prozent stimmen dem Konzept der unbeschränkten Herrschaft der Mehrheit zu. Insbesondere letztere Daten zeigen, dass das Konzept der liberalen Demokratie in der polnischen Gesellschaft weder in Gänze verankert ist noch ausreichend verstanden wird.

Noch weniger Optimismus ruft die Tatsache hervor, dass die jungen Polen (18 bis 24 Jahre und 25 bis 34 Jahre) die geringste Unterstützung für verschiedene Aspekte der funktionierenden Demokratie zeigen. Dieses Ergebnis ist nicht gerade ein Lob für das System der zivilgesellschaftlichen Bildung in den polnischen Schulen – auch wenn die am besten ausgebildeten Befragten die Indikatoren der liberalen Demokratie in einer offenen Gesellschaft am meisten unterstützen (siehe Tabelle 3 auf S. 9).

Die Situation stellt sich etwas komplizierter dar, wenn Aspekte der geschlossenen Gesellschaft betrachtet werden. Die älteren Generationen der Polen unterstützen in höchstem Maße beide oben genannten Attribute einer funktionierenden Demokratie. Im Falle der Ermöglichung der Regierung, die Botschaft der Medien zu kontrollieren, erwies sich die Altersgruppe der 45- bis 54-Jährigen als die größte Unterstützergruppe, und das Konzept der unbeschränkten Herrschaft der Mehrheit unterstützen am häufigsten die ältesten Befragten (65 Jahre und älter). Allerdings weicht in beiden Aspekten die Unterstützung der jüngsten Befragten nicht wesentlich von der der älteren ab (s. Tabelle 4 auf S. 9).

Ist es in Polen möglich, die Demokratie zugunsten des wirtschaftlichen Wohlstands zu opfern?

Die hier vorgestellten Ergebnisse der Studie »Voices on Values« zeigen, dass die jungen Polen weniger bereit sind als die älteren, die Eigenschaften der offenen Gesellschaft als unerlässlich für das Funktionieren einer guten Gesellschaft anzuerkennen. Auch unterstützen sie etwas mehr eine Reihe von Attributen der geschlossenen Gesellschaft. Darüber hinaus sind sie auch stärker bereit als Ältere, die Werte der offenen Gesellschaft für die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen zu opfern. Danach gefragt, ob sie zustimmen würden, die Gleichbehandlung der Immigranten durch das wirtschaftliche Eigeninteresse zu ersetzen, sagten die jungen Polen häufiger, dass gute Lebensbedingungen wichtiger sind als eine gerechte Behandlung der Immigranten. Diese Einstellung unterscheidet sie von den bereits genannten Daten der Gesamtbevölkerung. Allerdings unterstützte ein Viertel der Polen im Alter von 18 bis 24 Jahren die gleiche Behandlung der Immigranten, was der größte Anteil in Bezug auf diese Antwort unter allen Altersgruppen ist. Jedoch betrifft dies eindeutig nicht die Gruppe der nur etwas älteren, das heißt der 25- bis 34-Jährigen (s. Grafik 1 auf S. 10).

Die Polen im Alter von 18 bis 24 Jahren und 25 bis 34 Jahren sind auch eher bereit zu glauben, dass der Schutz der gesellschaftlichen Kohäsion im Land wichtiger ist als die Gleichbehandlung der Immigranten. Die Nebeneinanderstellung dieser beiden Fragen (s. Grafik 2 auf S. 11) zeigt, dass die Angehörigen dieser beiden jüngsten Altersgruppen am stärksten bereit sind, eine Wahl zwischen diesen beiden Optionen zu treffen, und gleichzeitig am seltensten dazu bereit, die Optionen als gleichwertig zu betrachten. Dies kann auf eine relativ starke Polarisierung ihrer Meinungen zu den beiden deutlich miteinander konkurrierenden Werten hinweisen.

Es lohnt sich, die vorgestellten Ergebnisse zusammen mit den Ergebnissen weiterer Umfragen zu lesen, aus denen sich ergibt, dass die polnische Jugend deutlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen eingestellt ist und ambivalente Einstellungen zu anderen gesellschaftlichen Veränderungen vertritt. Nach Untersuchungen des ISP und der Bertelsmann Stiftung Anfang des Jahres 2017 meinen 55 Prozent der jungen Polinnen und Polen, dass mehr Frauen Führungspositionen bekleiden sollten. Sehr viel weniger unterstützen gleichgeschlechtliche Partnerschaften und fast die Hälfte ist schlicht dagegen (Kucharczyk, Łada, Schöler, 2017, S. 127–137).

Dies spiegelt deutlich die generell konservativen Einstellungen der Mehrheit der polnischen Gesellschaft wieder. Zu weiterreichenden Überlegungen zwingen dann die Ergebnisse, wenn die ebenfalls jungen Befragten in der Studie »Voices on Values« gebeten wurden, zu benennen, anhand welcher Kriterien sich der Zustand des politischen Systems am besten beurteilen lässt – Freiheit, Demokratie und Freiheit des Wortes oder Lebensstandard, Warenpreise und Zugänglichkeit von Dienstleistungen. Die 18- bis 24-Jährigen und die 25- bis 34-Jährigen wählten deutlich häufiger als ihre älteren Mitbürger die zweite Option. Wichtiger noch – insbesondere wenn die beiden Gruppen zu einer zusammengeführt werden, waren sie die einzige Altersgruppe, die sich zu einer größeren Verbundenheit mit dem Lebensstandard als mit der Qualität der Demokratie bekannte. Die Vertreter der jüngsten Generationen waren auch imstande, nur eine der genannten Optionen als unerlässlich für das Funktionieren der Gesellschaft zu benennen (häufiger als Ältere), was auf die Polarisierung der Einstellungen der jungen Polen zwischen diesen beiden Extremen hinweisen kann (s. Grafik 3 auf S. 12).

Die jungen Polen erwiesen sich auch als diejenigen, die im Vergleich zu den Befragten der sechs europäischen Staaten mit der politischen Situation in ihrem Land am zufriedensten, aber am unzufriedensten mit den wirtschaftlichen Bedingungen waren (s. Grafik 4 auf S. 12 und 5 auf S. 13).

Mögliche Entwicklungsrichtungen für die Einstellungen der jüngsten polnischen Wähler

Was ergibt sich aus den vorgestellten Daten? Vor allem zeigt sich, dass der materielle Standard für die Generation der 18- bis 34-Jährigen wichtiger ist als das Funktionieren demokratischer Prinzipien. Es lohnt sich, an dieser Stelle auch die Studie des ISP/NDI anzuführen, die zeigt, dass die jungen Polinnen und Polen gegenwärtig als wichtigste Probleme des Landes die Situation im Gesundheitswesen, die Lebenshaltungskosten und das Rentensystem erachten, also Fragen aus dem Bereich der Sozialpolitik (NDI/ISP, 2018, S. 21). Man kann also feststellen, dass sie generell mit der Art und Weise, wie das Land regiert wird, zufrieden sind, abgesehen von Fragen, die ihre Lebensqualität und wirtschaftliche Situation beeinflussen (zumal sie letzteren Bereich des staatlichen Funktionierens schlechter bewerten). Dies beeinflusst auch ihre größere Bereitschaft, Werte der offenen Gesellschaft zugunsten größerer wirtschaftlicher Sicherheit zu opfern.

Dazu könnte es noch eher kommen, wenn der Wert der offenen Gesellschaft Gegenstand eine »Handels« wäre und die kulturelle Vielfalt, insbesondere die Offenheit gegenüber Ausländern, betreffen sollte. In diesem Fall würden die jungen Polen wahrscheinlich wenig Solidarität mit Kriegsflüchtlingen, Verfolgten oder denen, die schlicht bessere Lebensbedingungen suchen, zeigen. Die Feindseligkeit gegenüber Immigranten in der polnischen Gesellschaft hat gegenwärtig das höchste Niveau in der Geschichte erreicht. Ende 2017 wandten sich 74 Prozent der erwachsenen Polen gegen die Zuweisung von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Afrika von einem anderen EU-Land nach Polen (Głowacki 2017, S. 1–2). Die hier vorgestellten Daten zeigen, dass die jungen Polen die gesellschaftliche Gruppe sind, die gegenüber Immigranten die größte Ablehnung zeigen. Sie könnten also kein größeres Problem damit haben, von einer freundschaftlichen Behandlung der Ausländer Abstand zu nehmen zugunsten einer Politik, die auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, insbesondere die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen, des Lohnniveaus und des Rentensystems. Die Verbindung der Politik, die sich auf die Angst vor »dem Fremden« stützt, mit Aktivitäten für die Verbesserung der gesellschaftlichen Absicherung kann sich als eine gefährliche Mischung erweisen, die den Politikern, die sie anwenden, erlaubt, die Stimmen eines bedeutenden Teils der jungen Polen zu gewinnen.

Es ist wahr, dass sich eine deutliche Anzahl von Vertretern der jüngsten Generationen den gesellschaftlichen Protesten gegen die antidemokratischen Schritte der aktuellen Regierung angeschlossen hat und gleichzeitig progressive Einstellungen unterstützte, zum Beispiel die Freiheit, über das eigene Sexualleben oder Fortpflanzungsverhalten zu entscheiden. Aber ein deutlicher Teil ist auch damit zufrieden, auf seinem Platz zu bleiben und die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile zu konsumieren, die ihre Eltern und Großeltern erarbeitet haben. Allerdings werden sich auch die Letztgenannten, die sich mehr für die Aufrechterhaltung bzw. die Verbesserung des gegenwärtigen Lebensstils interessieren als für den Kampf um Demokratie und Freiheit, vielleicht am Ende bewusst werden, dass für die wirtschaftliche Entwicklung auch die Stärkung der gesellschaftspolitischen Errungenschaften notwendig ist, die nach 1989 erarbeitet wurden.

Natürlich ist es nicht absehbar, wie sich die kulturellen Werte der Mehrheit der heute jungen Polinnen und Polen mit den Jahren verändern werden. Es ist auch schwer zu bestimmen, welche der beiden präsentierten Wertfelder der jüngsten Generation letztlich überlegen sein wird (und ob es überhaupt dazu kommen wird). Tatsache ist allerdings, dass die Anzahl der jungen Menschen, die intensiver über die Qualität der Demokratie nachdenken, im Verhältnis zu der Anzahl ihrer Altersgenossen, die die materielle Sicherheit vorziehen, entscheidend für die Zukunft der Entwicklung der offenen Gesellschaft in Polen sein kann. Hier zeigt sich die unbedingte Notwendigkeit, unterschiedliche Aktivitäten im Bereich der zivilgesellschaftlichen Bildung in Polen zu forcieren.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Lesetipps / Bibliographie

  • Boguszewski, R., Głowacki, A. (2016), Między patriotyzmem a nacjonalizmem. Komunikat z badań, CBOS, 151/2016.
  • Feliksiak M., (2018), Opinie o demokracji. Komunikat z badań, CBOS, 75/2018.
  • Głowacki, A. (2017), Stosunek do przyjmowania uchodźców. Komunikat z badań, CBOS, 44/2017.
  • Gyárfášova, O., Molnár, C., Krekó, P., Pazderski, F., Wessenauer, V. (2018), Youth, Politics, Democracy: Public Opinion Research in Hungary Poland and Slovakia, NDI, Washington DC, https://www.isp.org.pl/pl/publikacje/youth-politics-democracy-public-opinion-research-in-hungary-poland-and-slovakia.
  • Kucharczyk, J., Łada, A. (2017), Akceptacja, reforma, rozstanie? Młodzież z sześciu państw członkowskich Unii Europejskiej wobec integracji europejskiej, ISP, Warszawa.
  • Kucharczyk, J., Łada, A., Schöler, G. (red., 2017), »Exit, voice or loyalty? Young people on Europe and democracy Case studies from Austria, the Czech Republic, Germany, Hungary, Poland and Slovakia«, ISP, Warszawa, http://www.isp.org.pl/publikacje,25,944.html.
  • NDI/IPA (2018), Youth, Democracy, and Politics: Poland. Survey results, https://www.ndi.org/publications/youth-democracy-and-politics-public-opinion-research-poland.
  • Roguska, B. (2016), Aktywność społeczno-polityczna Polaków. Komunikat z badań, CBOS, 16/2016.
  • Szafraniec, K. (2012), Dojrzewający obywatele dojrzewającej demokracji…, Instytut Obywatelski, Warszawa.
  • Winiewski, M., Hansen, K., Bilewicz, M., Soral, W., Świderska, A., Bulska, D. (2017), Mowa nienawiści, mowa pogardy. Raport z badania przemocy werbalnej wobec grup mniejszościowych, Fundacja Batorego/Centrum Badań nad Uprzedzeniami UW, Warszawa.

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