Zumindest bis zum Urteil in der Sache hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bisher den Obersten Gerichtshof (Sąd Najwyższy – SN) Polens vor der Unterwerfung durch die Regierungspartei bewahrt. Nach einer einstweiligen Verfügung des EuGH hat die polnische Regierung die zur Zwangsverrentung vorgesehenen Richter am Obersten Gerichtshof wieder in ihre Funktionen eingesetzt. Die Justizreform liegt somit bis zu einem Urteil des EuGH auf Eis, allerdings sind zahlreiche Gesetzesnovellen – über die Ausbildung der Richter, die Neuernennung von Gerichtspräsidenten an den ordentlichen Gerichten, über das Verfassungsgericht und den Landesjustizrat (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS) – bereits zuvor in Kraft getreten und von der einstweiligen Verfügung nicht betroffen. Das bringt Polen jedoch weder die Unabhängigkeit des Justizwesens noch seine verfassungsmäßige Ordnung zurück. In den Händen von Regierung und Präsident ist weiterhin der Landesjustizrat, der nun in seiner neuen Zusammensetzung die Richter nicht mehr vor der Einmischung der Regierung schützt, sondern zu einem Instrument der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) geworden ist, mit dem sie wirksamen Druck auf die Richter ausüben kann. In sein Gegenteil verkehrt wurde auch das Verfassungsgericht (Trybunał Konstytucyjny): Statt Regierung und Parlament zu kontrollieren, steht es jetzt unter deren Kontrolle.
Während der Regierungsapparat der PiS sich im Land rühmt, »die Richterkaste, die sich vorkommt, als sei sie etwas Besseres«, unterworfen zu haben, verkündet er gegenüber dem Ausland, es sei nichts geschehen, das Verfassungsgericht funktioniere normal und fälle seine Urteile wie eh und je. Immer wieder verweisen Vertreter der Regierung darauf, die Reformen seien nichts Außergewöhnliches und andere EU-Länder hätten in der Vergangenheit ähnliche Entscheidungen getroffen. Die Europäische Kommission habe schließlich beispielsweise auch nie Deutschland dafür kritisiert, dass auch dort die Regierenden die Richter wählten. In der Tat: Kürzlich wählte der Bundestag einen neuen Vizepräsidenten des Verfassungsgerichts, der bis dahin zudem CDU-Abgeordneter war.
Es mag verwundern, dass ausgerechnet jene Partei, die in ihrer Propaganda an Deutschland kein gutes Haar lässt, mit Vorliebe Beispiele aus Deutschland anführt, um ihre Justizreform zu rechtfertigen. Viel wichtiger ist allerdings etwas anderes. Alle diese Vergleiche mit Deutschland und anderen Staaten setzen stillschweigend voraus, die Justiz, und ganz besonders die Verfassungsgerichtsbarkeit, müsse »apolitisch« sein und diene vor allem dazu, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung zu überprüfen. In dieser Hinsicht sind sich polnische Regierung und Opposition sogar einig. Beide beteuern, sie seien gegen eine »Politisierung der Justiz«, nur dass eben die Opposition der Regierung vorwirft, sie tue genau dies, während die Regierung das bestreitet. Aber beide halten eine solche »politische Justiz« für etwas Negatives und beide sehen die Funktion der höchsten Gerichte des Landes vor allem darin, die Gesetzgebung gänzlich apolitisch zu überprüfen.
Ein Apparat zur Erzwingung eines Kompromisses
Ginge es allein darum, die Übereinstimmung der Gesetzgebung mit der Verfassung zu überprüfen, könnte man Verfassungsgerichte auch durch irgendein Kollegium von Juraprofessoren ersetzen, eine Kanzlei beauftragen oder einen Computer entsprechend programmieren. In der Mehrzahl der Fälle überprüft das Verfassungsgericht die Verfassungskonformität von Rechtsvorschriften durch eine fünfköpfige Spruchkammer. Nur bei Streitigkeiten zwischen Staatsorganen und bei außerordentlichen Normenkontrollverfahren wird das Richterplenum bemüht. Doch die Funktion des Verfassungsgerichts ergibt sich nicht allein aus dem Buchstaben der Verfassung, sondern aus seiner Verankerung im System der staatlichen Organe. Und dieser Bereich ist durchaus politisch: Das Verfassungsgericht soll Legislative und Exekutive kontrollieren, für eine einheitliche und berechenbare Rechtssetzung sorgen, den Bürger vor den Staatsorganen und Minderheiten vor der Unterdrückung durch die Mehrheit schützen. Und – was unter den Bedingungen einer starken Politisierung in Polen besonders wichtig ist – es soll Kompromisse erzwingen und damit einem möglichst breiten Kreis von Betroffenen zumindest die teilweise Berücksichtigung ihrer Interessen ermöglichen.
Verfassungsgerichte handeln somit wie Maschinen zur Kompromisserzwingung. Verabschiedet die Mehrheit im polnischen Sejm ein die Rechte der Opposition verletzendes Gesetz, kann das Verfassungsgericht die Mehrheit vor die Wahl stellen, sich entweder mit der Opposition zu verständigen, um die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit zu bekommen, oder auf den betreffenden Gesetzentwurf zu verzichten. Ähnlich verhält es sich mit dem Veto des polnischen Präsidenten: Es zwingt die Regierungsmehrheit entweder zu einem Kompromiss mit der Opposition (dann kann die Regierungsmehrheit das Veto des Präsidenten überstimmen) oder zu einem Kompromiss mit dem Präsidenten (der den entschärften Gesetzentwurf dann nicht mehr blockiert). Das alles sind rein politische Funktionen, die das Verfassungsgericht nur erfüllen kann, wenn es nicht von einer Partei vereinnahmt wird. Hier liegt des Pudels Kern: In den letzten drei Jahren wurde das Verfassungsgericht in Polen nicht »politisiert«, denn es war von Beginn an politisch, und so sollte es auch nach der Verfassung von 1997 sein. Das Problem besteht darin, dass es seit 2016 zusätzlich parteipolitisch vereinnahmt wurde und zwar durch eine einzige Partei. Daher kann es in politisch wenig kontroversen Fragen weiterhin glaubwürdig die Übereinstimmung der Gesetzgebung mit der Verfassung kontrollieren. Seine politischen Funktionen kann es dagegen nicht mehr ausüben.
Gelingt es dem Regierungslager, das Oberste Gericht unter seine Kontrolle zu bringen, dann wäre die Situation ähnlich wie beim Verfassungsgericht: Das Gericht stünde weiterhin an der Spitze des Systems der Gerichtsbarkeit und würde die Einheitlichkeit und Berechenbarkeit der Gesetzgebung garantieren, es wäre aber nicht mehr in der Lage, den Bürger vor dem Staat oder die Rechte der Minderheit vor der Mehrheit zu schützen. Noch dramatischer gestaltet sich die Situation im Landesjustizrat: Formal übt er weiterhin seine ursprünglichen Funktionen aus – er beurteilt die Kandidaten für das Richteramt – doch anstatt sie vor Manipulationen der Regierenden zu bewahren, manipuliert er die Richterschaft nun selbst im Auftrag der Regierungspartei.
In einem haben die Verteidiger der polnischen Justizreform Recht: In Deutschland hat Parteipolitik einen großen Einfluss auf die Besetzung höchstrichterlicher Positionen, und Politiker spielen bei der Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht sogar eine größere Rolle, als dies gegenwärtig in Polen der Fall ist, denn Bundestag und Bundesrat wählen die Richter, die dann die Regierung und die Parlamentsmehrheit kontrollieren. Wahr ist zudem auch, dass viele höchstrichterliche Posten unter Beteiligung der Justizminister besetzt werden.
Doch damit enden die Analogien, denn keine deutsche Regierung hat es jemals gewagt, selbst darüber zu entscheiden, welche Urteile des Verfassungsgerichts sie anerkennt und veröffentlichen will und welche nicht, niemals ernannte sie mehr Richter als die Verfassung erlaubt, und zu keiner Zeit schickte sie Richter des Verfassungsgerichts oder des Bundesgerichtshofes in den Zwangsruhestand, indem sie ihnen die in der Verfassung garantierte Amtszeit kürzte.
Ein systemischer Unterschied
Den gegenwärtigen Stand des Justizwesens in Polen mit dem in Deutschland zu vergleichen, ist außerdem aus einem Grund verfehlt, der um vieles wichtiger ist als die Details der Reform der letzten Jahre, weil es sich hier um einen systemischen Unterschied handelt: Deutschland ist ein extrem dezentralisierter Staat und ebenso dezentralisiert ist die Gerichtsbarkeit. Polen dagegen ist ein zentralistisches Land, in dem die Regierung durch Schwächung der übrigen Machtorgane immer mehr Macht in den eigenen Händen konzentriert. Wer in einem solchen Staat die Justiz einer Partei unterordnet, zentralisiert die Macht in den Händen einer äußerst kleinen Gruppe von Politikern. Dies ließ sich vor einem Jahr beobachten, als sich der Justizminister, der bereits die volle Macht über die Staatsanwaltschaft besaß, darum bemühte, die Kontrolle über den Landesjustizrat, über das Oberste Gericht sowie über die ordentliche Gerichtsbarkeit zu erlangen. Aufgrund der Vetos des Präsidenten musste er sich diese Macht mit dem Präsidenten und dem Sejm teilen, was nichts an der Tatsache ändert, dass sich die Macht jetzt in den Händen des Regierungslagers, d. h. nur weniger Politiker befindet.
Diese Gefahr droht in Deutschland nicht, obwohl Parteipolitik bei der Richterernennung eine große Rolle spielt. Doch zur Wahl von Verfassungsrichtern benötigt das Parlament eine Zweidrittelmehrheit, was die regierenden Parteien dazu zwingt, sich mit einem Teil der Opposition auf die Kandidatur zu verständigen. Zudem ist die Zusammensetzung des Bundesrates von der des Bundestages verschieden (die gegenwärtige Regierungskoalition hat dort keine Mehrheit), und jedes Bundesland besitzt eine eigene konstitutionelle und allgemeine Gerichtsbarkeit. Auch dort sind zwar Politiker bei der Wahl der Richter beteiligt, doch in den Bundesländern sind ganz andere Koalitionen als auf Bundesebene an der Macht. Zurzeit werden nur vier von sechzehn Bundesländern von derselben Koalition wie auf Bundesebene (CDU und SPD) regiert, so dass der Mehrheit der Bundesländer Koalitionen vorstehen, die im Bundestag die Oppositionsbänke einnehmen (Grüne, Liberale und Linke). In einer solchen Situation könnten kein Justizminister und keine Partei das gesamte System der Gerichtsbarkeit kontrollieren, selbst dann nicht, wenn man die direkte Ernennung der Richter durch die Regierung oder die Wahl der Verfassungsrichter durch eine einfache Parlamentsmehrheit einführen würde. Eine einzige Partei könnte nur dann die Macht über das gesamte deutsche Justizwesen übernehmen, wenn es ihr gelänge, die Wahlen nacheinander (in zwei Wahlperioden) auf Bundesebene und in (fast) allen Bundesländern – mit einer Zweidrittelmehrheit zu gewinnen. Das ist nicht einmal den Nationalsozialisten 1933 gelungen.
So betrifft die gegenwärtig in Deutschland nach der letzten Richternominierung zum Verfassungsgericht entbrannte Debatte auch nicht derartige Befürchtungen, sondern die weitaus abstraktere Frage, ob der Politiker, der zum Verfassungsrichter wurde, in der Lage sein wird, die Verfassungsmäßigkeit jener Gesetze unvoreingenommen zu beurteilen, an deren Zustandekommen er vorher als Abgeordneter mitgewirkt hat. Zu ergänzen ist, dass er dies in einem solchen Fall ja nicht als Einzelperson tun würde, sondern allenfalls als Mitglied eines Senats des Verfassungsgerichts.
Europa blickt auf das System
Daher sind jegliche Vergleiche der polnischen Justizreform mit anderen föderalen Ländern fehl am Platz, und dies ohne Rücksicht darauf, ob man sie mit Deutschland, den USA, Nigeria, Indien oder Kanada vergleicht. Sinnvoller sind Vergleiche mit zentralistischen Staaten wie Frankreich, Russland oder Irland. Doch wie dem auch sei, zu berücksichtigen ist immer ein äußerst wichtiger Aspekt: Das Justizwesen, insbesondere das Verfassungsgericht, funktioniert nicht in einem Vakuum, sondern ist ein Element des gesamten staatlichen Institutionensystems, und in diesem Kontext müssen seine Reformen betrachtet werden. Jede Veränderung eines seiner Elemente beeinflusst andere. Davon überzeugte sich der polnische Präsident, als er einen Teil seiner Macht über die Normenkontrolle dadurch verlor, dass er übereilt von der Regierungsmehrheit gewählte (und von der Regierung abhängige) Kandidaten ins Verfassungsgericht berief. Seither bleibt ihm lediglich das Veto (das die Parlamentsmehrheit überstimmen kann), um Gesetze zu blockieren, die seine Interessen verletzen. Mit anderen Worten: Indem er zur Übernahme des Verfassungsgerichts durch die Regierung beitrug, hat der Präsident selbst seine Position gegenüber Parlament und Regierung geschwächt.
Der derzeitige Streit in Polen wird von der Frage beherrscht, ob die von einer Partei ernannten Richter später »apolitisch« und »unabhängig« urteilen können. Eine systemische Perspektive ist wenig populär – im Regierungslager ebenso wie in der Opposition und unter Juristen. Dagegen ist sie in den ausländischen juristischen Debatten sowie in der Urteilsfindung des Europäischen Gerichtshofes überaus präsent. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass es den Europäischen Gerichtshof überzeugt, wenn sich die polnische Regierung auf Beispiele aus anderen EU-Ländern beruft, wo »Politiker gleichfalls an den Wahlen der Richter beteiligt sind«. Eine solche Argumentation kann unter Journalisten und Publizisten Zweifel säen, doch die Mitglieder des Europäischen Gerichtshofes lassen sich davon nicht beeindrucken. Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH wird sich dieser kaum auf eine Diskussion darüber einlassen, warum ein polnischer Minister nicht über die Besetzung der Gerichte befinden darf, etliche deutsche Minister dies aber dürfen.
Alles auf das Konto einer Partei
Die Erfahrungen autoritärer Länder zeigen, dass selbst in Diktaturen gewählte Richter ihre Unabhängigkeit gegenüber der Regierung wahren können, wenn sie eine sichere Amtszeit haben, während der sie nicht abberufen werden können, und sie im Zweifel sind, ob die Diktatur Bestand hat. In solchen Fällen müssen sogar Diktatoren damit rechnen, dass Richter gegen sie entscheiden. Es steht also nicht zu befürchten, dass die Justizreform aus Polens Richtern Marionetten der Regierung macht. Dagegen spricht auch, dass sich die Richterschaft bisher erfolgreich dagegen gewehrt hat, von der Regierung als Instrument zur Schikanierung Oppositioneller gebraucht zu werden. Der Hund liegt woanders begraben: in den systemischen Folgen solcher Veränderungen und in ihrem Einfluss auf andere, scheinbar von der Reform unberührte Institutionen. Indem in Polen die Justiz parteiabhängig wurde und sich die Regierungspartei des Verfassungsgerichts bemächtigte, veränderte sich das Kräfteverhältnis zwischen den Staatsorganen, wobei die Position des Parlaments und des Präsidenten geschwächt und die der Regierung gestärkt wurde. Die Staatsanwaltschaft ist dem Justizminister hörig – nichts zeigt dies besser als der Rückzieher der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren gegen den Privatsender TVN nach der Intervention der US-Botschafterin in Polen: Es handelt sich hier um den für den unabhängigen Fernsehsender TVN eines amerikanischen Kapitaleigners (Discovery Channel) tätigen Journalisten Piotr Wacowski. Dieser hatte einen in TVN ausgestrahlten Film über eine geheime Feier einer polnischen neonazistischen Gruppe zu Hitlers Geburtstag gedreht und – um diesen Film überhaupt zu ermöglichen – an diesem Treffen aktiv teilgenommen. Ihm drohte dafür ein Prozess wegen Verbreitung von Nazipropaganda, obgleich er lediglich seiner Journalistenpflicht nachgekommen war und, bei Entlarvung seiner wahren Identität, das Risiko auf sich genommen hatte, an Leib und Leben bedroht zu werden.
Die Exekutive kann jetzt die Gerichte weitaus besser steuern als jede vorherige Regierung, allerdings nicht mit Hilfe der Richter, sondern der Staatsanwaltschaften und der Disziplinarkammer beim Obersten Gerichtshof und mittels des Landesjustizrates. Die einzige Kontrollinstanz, der es noch möglich ist, ihrer Aufgabe voll gerecht zu werden, ist der von der Regierung unabhängige Teil der Medien. Dank ihm besteht eine gewisse Garantie, dass Vetternwirtschaft und Korruption im Regierungslager an der Wahlurne bestraft werden. Eine strafrechtliche Verfolgung haben Protagonisten des Regierungslagers nur dann zu befürchten, wenn ihre Vergehen der Regierungspartei direkt schaden.
Dieses Schwert hat zwei scharfe Schneiden. Die Perspektive der Straffreiheit ist ein klares Signal an die Mitglieder und Anhänger der regierenden Partei, dass sie von Seiten der Justiz für ihre Handlungen keine Schwierigkeiten zu befürchten haben, solange sie sich nur auf Kosten der Allgemeinheit und auf Kosten von Menschen und Einrichtungen bereichern, die für die Regierungspartei keine Relevanz haben. Andererseits gilt unter der Voraussetzung einer pluralistischen Publizistik: Wann immer sie gegen das Gesetz verstoßen, wird es in den Augen der Bürger das Ansehen des Regierungslagers belasten, und dies selbst dann, wenn weder PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński noch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ihre Taten gut geheißen haben.
Sie können die Schuld für die Vergehen der Mitglieder des eigenen Lagers weder der Ignoranz noch der Sorglosigkeit der Geheimdienste und Ermittlungsorgane anlasten und genauso wenig der Justiz oder der Polizei. Indem sie sich diese untergeordnet haben, hat die PiS die volle Verantwortung für deren Handlungen übernommen. Dies illustriert die Affäre Amber Gold. [Es handelt sich um den 2012 aufgedeckten Finanzbetrug, bei dem durch eine Art Finanzpyramide Zehntausende ihr Vermögen verloren haben. Ein Untersuchungsausschuss des von der PiS kontrollierten Sejm befragte 2018 Donald Tusk, den damaligen Ministerpräsidenten, in einer mehrstündigen Anhörung, um ihm – wenngleich vergeblich – die politische Verantwortung für dieses Verbrechen anzulasten. – Anm. d. Übers.]. Donald Tusk konnte die Schuld an die Staatsanwaltschaft zurückgeben, denn zu jener Zeit hatte er auf sie keinerlei Einfluss. Die jetzige Regierung kann sich nicht in gleicher Weise aus der Affäre ziehen.
Die jüngsten Korruptionsskandale bei der Finanzaufsicht (Komisja Nadzoru Finansowego – KNF) und um das von Parteichef Jarosław Kaczyński geleitete Firmenkonglomerat um eine parteinahe Stiftung und das Lech-Kaczyński-Institut sind eine offensichtliche Folge der Justizreform. Nach bisherigen Medienberichten hat PiS-Parteichef Kaczyński einen österreichischen Bauunternehmer mit Vorarbeiten für den Bau zweier Bürohochhäuser in Warschau beauftragt, mit deren Mieteinnahmen dann die Partei und parteinahe Stiftungen finanziert werden sollten. Der Unternehmer wurde nie bezahlt; er zeigte die Beteiligten dann an und veröffentlichte Tonbandaufzeichnungen der Verhandlungen. Das polnische Gesetz über die Parteifinanzen verbietet Parteien, direkt unternehmerisch tätig zu werden. Kritiker sehen dieses Verbot dadurch verletzt, dass Kaczyński zwar formal in den als potentielle Bauherren auftretenden Körperschaften keine Rolle spielt, aus den Mitschnitten jedoch klar hervorgeht, dass er die alleinige Entscheidungsmacht über sie hatte. Sämtliche Elemente dieses Szenarios sind hier charakteristisch: Mitglieder des Regierungslagers haben im Bewusstsein der Straffreiheit so lange ihre Geschäfte betrieben, bis ihr Handeln dem Regierungslager zu schaden begann. Für die öffentliche Meinung ist die Antwort auf die Frage, wie tief diese Affäre reicht, das allerwichtigste. Mit Blick auf das staatliche System und die Funktion der Institutionen ist etwas anderes von größerer Bedeutung: Wer systematisch jene Kontrollinstanzen ausschaltet, die in der Verfassung vorgesehen sind, um den Spielraum der Regierenden einzuengen und sie zu kontrollieren (Jarosław Kaczyński pflegt das als »juristischen Impossibilismus« verächtlich zu machen), ebnet den Weg zu einer systemischen und nicht nur inzidentellen Korruption. Das führt zur Errichtung eines Systems, in dessen Rahmen der Staat effektiv und hart gegen den einzelnen Bürger (und gegen Regierungsgegner) vorgehen kann, aber angesichts von Korruption und Nepotismus der Regierenden machtlos ist.
Quelle: Klaus Bachmann: Ku władzy monopartii. In: Tygodnik Powszechny Nr. 50 vom 09.12.2018. S. 24–27, mit freundlicher Genehmigung; redigiert und aktualisiert vom Verfasser.
Übersetzung aus dem Polnischen: Theo Mechtenberg