Das Gericht kommt
Anna Goc und Artur Sporniak im Gespräch mit dem Priester und Psychotherapeuten Jacek Prusak SJ
Anna Goc, Artur Sporniak: Nach dem Anschauen des Films »Sag es nur niemandem« [Tylko nie mów nikomu; Regie Tomasz Sekielski, Produktion: Marek Sekielski] sagtest Du in einer Predigt, dass auf Wölfe im Priesterkragen das Gericht wartet. Das göttliche oder das menschliche?
Priester Jacek Prusak SJ: Das eine und das andere. Was das erste betrifft, bin ich sicher. – Ich wusste, was ich sagen wollte, obgleich ich keine schriftlich formulierte Predigt hatte. Nach diesem Film bleiben die Menschen nicht mehr gleichgültig. Aber ohne das menschliche Gericht würden wir die Probleme nicht lösen, von denen das Dokument der Brüder Sekielski spricht. Das muss endlich geschehen. Weitere Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Geistliche kann man nicht als etwas Missliches, als Versäumnis behandeln. Die Stimme der Opfer ist deutlich. Das alles ist das Gericht.
Solche Geschichten gab es schon sehr viele, beschrieben in den Medien, gesammelt in Berichten. Woher kommen die Überraschung und die Betroffenheit unter den Geistlichen, insbesondere denjenigen, die doch Zugang zu den Aussagen der Opfer gehabt haben müssen?
In der Mehrheit der Fälle begannen die Bischöfe erst seit kurzem, sich mit den Opfern zu treffen. Bisher befassten sich damit Leute aus der Kurie, meistens die Kanzler der Kurie oder Juristen. Wenn Du das Opfer nicht vor Dir hast, berührt Dich sein Zeugnis nicht.
Und der Jurist repräsentiert die Kirche und nicht das Opfer.
Vor Jahren habe ich Opfer vor einem der Kirchengerichte repräsentiert. Ich war bereits Priester und Therapeut. Während der Aussage fühlte ich mich so, als sei ich der Beschuldigte. Ich erinnere mich genau an dieses Gefühl. Damals stellte ich mir vor, was das Opfer durchstehen muss. Die Priester, die mich befragten, machten das so, dass ich anfing, mich zu verteidigen. Ich fühlte, solange ich etwas nicht nachweise, bin ich unglaubwürdig. Die Fragen waren so formuliert, dass ich länger überlegt habe, was da vor sich ging. Das war vor vielen Jahren, das Prozedere hat sich verändert, aber mir wurden damals zwei Dinge bewusst. Erstens: Dass es für das Opfer nicht leicht ist, sich mit Funktionären zu messen. Zweitens: Dass bei diesen Treffen die Anwesenheit des Bischofs fehlt. Er erhält die Aussage als indirekte Botschaft, des Schmerzes und der Emotionen entledigt. Aber vom Bischof hängt das weitere Vorgehen in der Angelegenheit ab.
Im Film sehen wir, dass entgegen der geltenden Richtlinien der Delegierte des Bischofs die Person vor die Tür weist, die dem Opfer während der Aussage beistehen sollte.
Um den Opfern zu helfen, reicht eine Schulung nicht aus, ebenso wie Empathie nicht ausreicht. Notwendig ist hier Wissen, Ausbildung, um diesem Menschen zu helfen, und nicht nur, ihm kein Unrecht zu tun. In der Szene, als die Begleitung des Opfers vor die Tür gewiesen wurde, sehen wird die Verteidigungsmentalität. Der Priester denkt nicht an das Opfer als Person, der geholfen werden muss, sondern als Person, die eine Bedrohung darstellt. Ähnlich ist es beim Ablegen des Schwures.
Hast Du bei Deiner Aussage auch einen solchen Schwur abgelegt?
Ja. Ebenso wie noch ein anderer, der in derselben Angelegenheit aussagte. Als wir den Schwur abgelegt hatten, konnten wir uns über die Angelegenheit nicht mehr verständigen. Der Schwur hat uns den Mund verschlossen. Wir konnten darüber sprechen, was wir vorher erfahren hatten, aber nicht darüber, was wir im Verlauf der Aussagen erfuhren.
Für das Opfer kann das das Ende der Unterstützung bedeuten.
Das Gespräch mit dem Opfer sollte nach ähnlichen Grundsätzen stattfinden wie in der Psychotherapie: Für mich als Therapeuten gilt die Verschwiegenheit, aber ich kann das nicht von meinem Klienten oder Patienten verlangen. Das einzige, was ich machen kann, ist, darum zu bitten, dass er wohlüberlegt über unsere Treffen erzählt. Wenn ihm das Gespräch darüber mit jemand anderem noch Unterstützung gibt, kann ich ihm das nicht verbieten.
Das zeigt, wie das Recht gegen das Opfer eingesetzt wird, wie damit manipuliert wird.
In der Tat kann es wie eine Manipulation wirken. Auf psychologischer, unbewusster Ebene kann dem Opfer, aber auch dem Zeugen auf diese Weise die Möglichkeit des weiteren Handelns verschlossen werden. Für das Opfer ist das ein viel größeres Abgeschlossensein, weil es verursacht, dass es mit seinem Schmerz allein bleibt. Aus seinem Schmerz wird ein Geheimnis gemacht, das nicht das Opfer, sondern die Institution schützen soll.
Die Richtlinien, die Papst Franziskus eingeführt hat, ändern nicht viel. Dem Opfer wird in der Kirche immer noch nicht zugesprochen, Rechtssubjekt zu sein. Die Angelegenheit, die es zur Sprache bringt, betrifft also nicht es selbst, sondern die Beziehung zwischen dem Täter und seinem Bischof bzw. Ordensvorgesetzten. Das Opfer hat kein Recht, Informationen über den Verlauf des Verfahrens zu fordern, nicht einmal darüber, was mit dem Täter geschieht.
Dass Franziskus das bisher nicht behoben hat, bedeutet nicht, dass er es nicht tun wird. Aber hier geht es um mehr als nur um die Änderung des kanonischen Rechtes. Notwendig ist die Änderung des Denkens. Momentan ist nur der Täter wichtig und sein Vorgesetzter, der für ihn verantwortlich ist. Das Opfer ist in dieser Beziehung ein Bittsteller. Damit sich seine Situation verändert, ist es notwendig, dem Opfer Rechte zuzugestehen, die es bisher nicht hatte. Die bisherige Herangehensweise ergibt sich aus der Theologie der Weihe. Im Verlauf der Weihe verpflichtet sich der Bischof öffentlich, einen neuen Kaplan an Sohnes statt anzunehmen, und der Kaplan verpflichtet sich zu väterlicher Verehrung in der Beziehung zum Bischof. Damit geht eine Mentalität einher, die erlaubt festzustellen: Du hast etwas Böses gemacht, aber wir lösen das zwischen uns, denn es geht hier um unsere Beziehung. Die Institution war mehr darauf konzentriert, den Priester zu repräsentieren als das Opfer, denn der Priester durfte in seiner Angelegenheit alles wissen. Wir haben es mit zwei Systemen im Bereich der einen Kirche zu tun. Das erste ist das System Priester – Bischof. Und das zweite: Der gläubige Bittsteller, den bisher niemand in der Kirche repräsentierte außer er selbst. Das Opfer hat das Recht zu wissen, was sich in seiner Angelegenheit tut und was mit dem Täter geschieht. Deshalb reicht die Änderung eines Paragraphen nicht aus, notwendig ist eine Änderung der Theologie.
Die von Bischöfen wiederholten Worte, dass im Zentrum das Opfer stehe, sind leer?
Ich weiß nicht, ob sie leer sind, sie sind nicht adäquat. Dass jetzt das Opfer im Zentrum steht, führt nur zu einem: Wir haben die Pflicht zuzuhören.
Hat die Kirche Experten, die in der Lage sind, den Opfern zu helfen?
Hat sie nicht, denn bisher hatte sie höchstens Kanzler und Juristen, die sich mit den Anzeigen der Opfer aus formaler und rechtlicher Sicht befassten. Verfahrensmäßig: Protokolle schreiben, Aussagen sammeln, den Bittsteller entlassen. Und falls bei solchen Gesprächen Professionelle engagiert waren, nicht geistliche Personen, war das selten und eher notgedrungen und nicht auf der Grundlage der Regel. Die, die den Opfern helfen, sollten eine solide Ausbildung haben. Am besten wäre es, wenn es Psychologen wären, die Erfahrungen in Gesprächen mit Menschen haben, die ein Trauma erlitten haben. Auf diese Bedürfnisse hat die Kirche bisher nicht adäquat geantwortet.
Warum lässt die Kirche zu diesen Angelegenheiten keine Weltlichen zu?
Vielleicht kann die Kirche immer noch nicht den weltlichen Experten trauen, über die sie ja keine vollständige Kontrolle hat. Vielleicht wird befürchtet, dass das Opfer »aufgehetzt« wird? Dass der weltliche Experte fordern wird, dass das Opfer mehr sagt? Das sind nur Arbeitshypothesen, aber sie führen dazu, dass wir kein Vertrauen zu den Laien haben. Am Ende besteht nur die Überzeugung, dass einen Priester nur ein Priester verstehen kann. Im Guten und im Schlechten. Dass nur er verstehen kann, womit sich ein anderer Priester in seiner Berufung messen muss. Dieses Denken ist verbreitet, ich habe es sogar von Priestern gehört, die ich sehr schätze.
Um die Mentalität zu verändern, muss die Theologie verändert werden?
Es bedarf eines Umbruchs, das ist die Notwendigkeit der Ereignisse, die wir zurzeit beobachten. Franziskus versucht, zur Vision der Konzilskirche zurückzukehren. Johannes Paul II. erinnerte daran: »Der Mensch ist der Weg der Kirche«. Übertragen wir die Worte auf die aktuelle Situation. Der Täter war bisher der Weg der Kirche und der Bischof hat darüber nachgedacht, wohin er das Opfer auf diesem Wege stellen soll. Wir haben mit einem Problem zu tun, das wir in der polnischen Kirche nach dem Konzil nicht aufgearbeitet haben, – mit dem immer noch klerikalen Modell.
Das heißt?
Die Kirche sind die Geistlichen und der Rest ist für sie nur eine Zugabe. Zweitens: Die Kirche sind die Geistlichen und Du musst immer von unten zu ihnen hinaufschauen. Im Film wird diese unglückselige Vorstellung gezeigt, als der Pfarrer auftaucht, dessen Vorgänger ein pädophiler Priester war und der misstrauisch sagt, dass ein Priester doch schließlich wie Jesus sei. Der Priester ist ein Schüler Jesu, nicht Jesus! In den Sakramenten überlässt der Priester Jesus seinen Kopf, seine Hände, sein Herz, wenn er sie noch hat. Der Klerikalismus beruht grade darauf, dass der Priester über sich denkt, er sei wie Jesus, wohingegen Jesus für ihn Ansporn und Vorbild sein sollte. Daher ist es so nah zu dem Denken, dass die Nähe zu einem Priester die Nähe zu Gott bedeutet, dass, wenn Dich der Priester berührt, Dich eigentlich Jesus berührt. Das ist eine demolierte Theologie, denn den Menschen berühren allein die Sakramente.
Das Opfer denkt, dass, wenn sich der pädophile Priester von ihm abwendet, dann wird auch Gott es verlassen.
Oder dass er es bestraft. Das Ausnutzen dieser Macht und Symbolik, des geistlichen Status entmündigt das Opfer. Unlängst habe ich gehört, dass der Bischof der Nachfolger der Apostel ist. Was die apostolische Erbfolge betrifft, ist das in der Tat die Wahrheit. Aber dieser Zugabe ist gefährlich: Du fängst an zu denken, dass Du der zweite Heilige Petrus bist, dass Du die Assistenz des Heiligen Geistes hast – nur deshalb, weil Du den Mund aufmachst. So ist es nicht – aber so ist die Überzeugung. Immer noch funktioniert im kulturellen Katholizismus die starke Überzeugung, dass Du fast den Himmel berührst, wenn Du den Ring des Bischofs küsst. Deshalb hat Franziskus nicht erlaubt, ihm den Ring zu küssen. Es ging hier nicht um Hygiene, sondern darum, zu zeigen, dass er Bischof von Rom ist und kein wandelnder Gott.
In der Predigt sagtest Du, dass man nicht vor den Priestern niederknien solle. Das ist symbolisch, aber was sollen die Laien tun?
Eine einfache Sache: Die Menschen, die die Predigt hören, haben das Recht, zum Kaplan zu gehen und ihm zu sagen, dass dieses oder jenes Fragment ihnen nicht gefallen hat. Es ist ja das Wort für sie, also haben sie das Recht zu reagieren. Die Passivität in solche Situationen ist, sich von der eigenen Verantwortung für die Kirche loszusprechen. Franziskus spricht davon, dass die Kirche synodischer werden solle und in seiner Vision bedeutet das deutlich mehr, als die Gemeinderäte zu aktivieren. Aber das ist ein langer Weg, dass sich der Priester von dem Denken loslöst, dass man ohne ihn über nichts in der Kirche entscheiden dürfe.
Der Rahmen befestigt dieses Denken noch.
Es ist wichtig, dass der Seminar-Rahmen sich nicht darauf reduziert, die zukünftigen Priester das Leben in der Einsamkeit zu lehren. Das Priesterseminar war bisher dazu da, dass Du Wissen für die Ausübung des Berufes erlangst und dass Du lernst, allein unter anderen, Dir ähnlichen zu leben. Indessen sollte der formelle Rahmen darauf vorbereiten, dass der Priester ein Teil der Gemeinschaft ist, der er dient. Bisher war das Seminar sechs mit den Kollegen verbrachte Jahre. Dadurch treten starke kollegiale Bindungen auf, es entsteht eine Kasten-Mentalität. Es ist wie beim Militär, eine Kompanie von Brüdern. Allenfalls fragen wir die Laien nach etwas, aber raten kann man uns nicht – so denken die Priester. Und genau das muss sich ändern. Auf dem unentbehrlichen Hören der Stimme der Laien beruht das Synodale, das sich erst herausbildet. Wir müssen uns loslösen von der Formation in Gestalt eines monastischen Klosters hin zu einem Modell, das erst geschaffen werden muss.
Ebenso muss sich der Lebensstil des Priesters ändern, dem im Film der Brüder Siekielski siebenjährige Mädchen die Küche aufräumen.
Das Modell des Pfarrers, des Gutsbesitzers, zu dem die Leute kommen, um Fronarbeit zu leisten. Das stützt sich auf das Denken: Wenn Du dem Priester dienst, dienst Du Gott.
Die Akteure des Films sind auch die Eltern, die nicht auf die Signale ihrer missbrauchten Kinder reagierten.
Die ganze Zeit geistert eins herum: Wem glauben wir mehr, dem Erwachsenen oder dem Kind? Vor meiner Priesterweihe, während einer Fahrt mit einer Gruppe, die ich auf die Firmung vorbereitete, bemerkte ich, dass eines der Mädchen sehr niedergeschlagen war. Nach einiger Zeit sagte es mir, was los war. Der Nachbar, der ein lokaler Politiker war, hatte es in einer Weise angefasst, die ihm unangenehm war. Aber als es sich bei seiner Mutter beklagte, hörte es, wenn es so ein kurzes Röckchen trage, sei es selbst schuld. Hier gewann das Prestige des Erwachsenen, dem öffentliches Vertrauen entgegengebracht wurde. Bis vor kurzem hatte der Priester in der Gesellschaft einen noch höheren Status. Im Film der Brüder Sekielski ist zu sehen, wie das fehlende Bewusstsein der Eltern Kinder ganz einfach an den Rand des Todes führen kann, wenn sie Opfer einer Gewalttat sind. Wenn die Eltern ihre Kinder in die Gemeinde schickten, dann gingen sie davon aus, dass sie nirgendwo anders sicherer sein würden. Jetzt allerdings ist es notwendig, Präventivmaßnahmen einzuführen, einen Verhaltenskodex inbegriffen, was Menschen, die in Kontakt mit Kindern stehen, dürfen und was nicht, welches Verhalten in welchen Kontexten zulässig ist oder nicht. Erzbischof Grzegorz Ryś gab seinen Priestern in der Erzdiözese Lodz [Łódź] sieben Tage Zeit, sich mit dem neuen Prozedere in der Erzdiözese bekannt zu machen und es zu unterschreiben.
Das heißt, es geht um den gesellschaftlichen Status der Priester?
Vor noch nicht langer Zeit war es für die Menschen eine Auszeichnung, wenn der Priester sie zu Hause besuchte. Als ich in den Vereinigten Staaten war, hörte ich das Bekenntnis eines Priesters, der in seiner Jugend von einem Priester missbraucht worden war, der ein Freund der Familie war. Der Täter kam zu Besuch und blieb absichtlich so lange, dass die Eltern ihm anboten, zu übernachten. In der Nacht kam er dann zu jenem ins Zimmer und missbrauchte ihn. Die Eltern haben nie etwas davon mitbekommen, und er hat sich nie beklagt. Es herrschte eine Art Gemeinschaft ohne Grenzen – der Priester konnte sich bei ihnen unter seinen eigenen Bedingungen aufhalten. Natürlich geht nicht von allen Priestern eine Gefahr aus – das Problem ist eine Minderheit. Aber dadurch, dass der Mehrheit ein so großes Vertrauen entgegengebracht wurde, hat die Minderheit es ausgenutzt.
In der Predigt hast Du anschaulich gesagt, dass die Priester unsere Kinder ausnutzten – unsere, nicht ihre. Was können also die Eltern tun, damit ihre Kinder sicherer sind, abgesehen von der normalen elterlichen Aufmerksamkeit und Umsicht?
Erstens müssen sie wissen, was der Priester darf und was er nicht darf in der Beziehung zu ihrem Kind. Sie sollten sich also mit den kirchlichen Präventionsrichtlinien bekannt machen. Zweitens sollten sie dieses Wissen ihren Kindern in der Weise vermitteln, dass das Kind keine Angst hat zu sagen, wenn es sich in der Beziehung mit einem Priester schlecht fühlt. Es sollte wissen, was eine ungefährliche Berührung ist. Diese Wissensvermittlung werden die Priester nicht leisten.
Wie können wir den Opfern helfen?
Vielleicht sollten wir über einen Fonds für psychologische Therapie und Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche nachdenken. Man sieht, dass die Opfer, die im Film von Sekielski zu Wort kommen – auch wenn sie alle Nebenwirkungen durchlebt haben, zum Beispiel zerbrochene Ehen –, dennoch ihr Trauma verarbeitet haben und Anführer für Veränderungen zugunsten der anderen Opfer geworden sind. Das sind prosoziale Menschen. Es gibt allerdings viele Opfer, die das Trauma so zerstörte, dass sie unterhalb dem Niveau leben, auf dem sie leben könnten. Sie sind zerschlagen, es sollte also irgendeine Form von Hilfe aus der Glaubensgemeinschaft zu ihnen gelangen. Natürlich muss das Opfer dies gestatten.
Du hast öffentlich bekannt, dass Du als Kind Zeuge warst, dass ein Kind von einem Priester missbraucht wurde. Was hast Du gesehen?
Als Ministrant und Lektor wusste ich, dass es in unserem Kreis einen pädophilen Priester gibt; natürlich kannte ich damals weder diesen Begriff noch habe ich alles verstanden. Ich wusste, dass er manchen meiner Kameraden Leid zufügt, aber als Jugendlicher war ich noch nicht imstande, ihn damit zu konfrontieren, wenn ich mich auch selbst zu schützen wusste. Er konnte mich nicht verbiegen, denn ich habe so einen Charakter, dass er mich aussparte. Ich wurde nach anderen Regeln behandelt; er bemühte sich, mich zu bevorzugen und isolierte mich von bestimmten Dingen. Aber ich beobachtete aus der Nähe, wie er als Täter agierte. Er erfreute sich großer Autorität und war sehr gerissen. Bei ihm in der Wohnung waren die Jungen täglich. Wir kamen zu ihm, manche schliefen sogar dort, aber die, die missbraucht wurden, sprachen darüber nicht direkt, weil sie es nicht konnten.
Wie wurde die Angelegenheit gelöst?
Das erste Mal, als ich schon im Jesuitennoviziat war, traf ich mich mit einem Vertreter der Kurie, da handelte es sich um die Übermittlung einer vertraulichen Information. Das zweite Mal, viele Jahre später, schon als Priester, sagte ich vor einem kirchlichen Gericht aus.
Welches Ende nahm es?
Der Täter starb und damit wurde die Angelegenheit endgültig abgeschlossen.
Was bedeutet die Angelegenheit für Dich?
Ich habe nie vergessen, dass es Opfer gab und ich gesehen habe, wie die Gerissenen imstande sind, Straftäter zu sein, und wie stark sie durch die Funktion und Struktur geschützt werden.
Du forderst die Berufung einer innerkirchlichen Kommission mit Beteiligung von Laien zur Untersuchung von Missbrauchsfällen. Wäre eine solche Kommission unter der Kuratel des Bischofs wirksam?
Aus der Perspektive des weltlichen Rechtes sind viele Fälle verjährt oder waren keine Straftaten, zum Beispiel das Zusammenleben mit einem Menschen, der älter als 15 Jahre ist. Deshalb sollte es eine kirchliche Kommission geben, und die Laien, die nicht direkt dem Bischof unterstehen, würden die Kontrolle garantieren. Jedes Mitglied der Kommission hätte Einsicht in die kirchlichen Akten. Aus der von Franziskus berufenen vatikanischen Kommission zum Schutz von Minderjährigen traten schnell Menschen aus, die in der Kindheit Opfer waren, als Zeichen des Protestes gegen die Wirkungslosigkeit der Kommission. Sie erwies sich nicht deshalb als wirkungslos, weil sie falsch zusammengesetzt war, sondern deshalb, weil sie von manchen Kardinälen der römischen Kurie ignoriert wurde. Paradoxerweise darf man gerade aus diesem Grund nicht auf diese Idee verzichten.
Wenn Du entscheiden könntest, was würdest Du mit dem Denkmal des Priesters Makulski in Licheń machen?
Ich würde es ohne Skrupel entfernen.
Pater Rydzyk, manche Publizisten und auch Politiker sagen, dass jetzt ein frontaler Angriff auf die Kirche stattfindet.
Das ist eine Verteidigungsreaktion. Das sagen diejenigen, die es nicht zu echten Reformen in der Kirche kommen lassen wollen. Was ist das für ein Angriff auf die Kirche, wenn wir uns in der Kirche mit den Opfern der Kirche befassen? Wir haben es mit der größten Krise in der Allgemeinen Kirche seit der Reformation zu tun, die wir auf eigenen Wunsch geschaffen haben. Es sind doch keine Außerirdischen, die Kinder in der Kirche missbrauchen, noch tragen ihnen dies die Feinde der Kirche auf!
Meinst Du, dass Erzbischof Leszek Głódź zurücktreten sollte?
Ich denke, ja. Und so denkt die deutliche Mehrheit der Katholiken.
Und wie kann es dazu kommen?
Konsequent nicht nachlassen. Die Aufklärung aller Angelegenheiten bezüglich der Danziger Erzdiözese fordern und sich nicht von leeren Entschuldigungen irreführen lassen.
Kann die Fahrt von Erzbischof Charles Scicluna nach Polen etwas verändern?
Wahrscheinlich viel, denn ich glaube nicht, dass das ein »Höflichkeitsbesuch« sein wird.
Aber er kommt als Experte und nicht als Staatsanwalt.
Die Bischöfe hatten ihn als Zeugen eingeladen, dass sie in Einklang mit den päpstlichen Richtlinien vorgehen. Sie haben sich verrechnet, denn sie hatten nicht erwartet, dass in der Zwischenzeit eine solche Krise ausbricht. Scicluna, der nach Polen zur Plenarversammlung des Episkopats am 13. und 14. Juni 2019 kommen wird, wird hervorragend über unsere Probleme informiert sein. Natürlich, wenn der Papst ihm keine besonderen Befugnisse gibt, wird er nichts Zusätzliches machen. Aber es reicht, dass er die Stimmen hört, die sonst nicht zu ihm durchdringen würden. Ich glaube übrigens nicht, dass er sich dessen nicht bewusst ist, dass der Charakter seines Besuchs zumindest inoffiziell einer Veränderung unterliegen muss. Ich nehme an, dass Franziskus ihn in der Angelegenheit Polens zusätzlich zu etwas bevollmächtigt.
Priester Jacek Prusak SJ, geb. 1971, ist Jesuit, Theologe, Psychotherapeut und Leiter des Lehrstuhls für Psychopathologie und Psychoprophylaxe des Instituts für Psychologie der Akademie Ignatianum in Krakau (Akademia Ignatianum, Kraków). Er ist langjähriges Redaktionsmitglied der katholischen Wochenzeitung »Tygodnik Powszechny« und seit 2018 dort ständiger Mitarbeiter.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: https://www.tygodnikpowszechny.pl/sad-idzie-158897 (abgerufen am 24.05.2019), mit freundlicher Genehmigung