Die Jugend in Polen 2020. Lifestyle statt Aufruhr

Von Tomasz Szlendak (Nikolaus Kopernikus-Universität, Thorn)

Zusammenfassung
Die Medien in Polen suchen verstärkt Anzeichen eines jugendlichen Aufruhrs und eines Konflikts zwischen den jungen Menschen und der Generation ihrer Eltern. Man könnte annehmen, dass zu einem solchen Aufruhr der von den älteren Generationen verursachte Klimawandel oder die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die rechtskonservative Regierung führen würden oder auch die neoliberale Ausformung des Marktes, die zur Folge hat, dass junge Menschen nicht mit einer Festanstellung rechnen können. Indessen begehrt die Jugend nicht auf und zwischen ihr und ihren Eltern wächst kein intergenerationeller Konflikt heran. Warum nicht?

Die ersten beiden Monate des Jahres 2020 gehörten in Polen Mata. Hinter diesem Pseudonym »verbirgt« sich Michał Matczak, ein 19-jähriger Rapper, der gerade eines der besten Warschauer Gymnasien beendet, Sohn von Marcin Matczak, einem Juraprofessor, der für seine scharfe Kritik an den Aktivitäten der polnischen Regierung gegenüber den Richtern bekannt ist. Das von Mata deklamierte Stück Patointeligencja behandelt das »echte« Leben reicher Gymnasiasten auf guten Schulen – ein Leben des zügellosen Konsums, der Exzesse wie in Pornofilmen, des Alkohol- und Drogenmissbrauchs. Seit dem 11. Dezember 2019 wurde es mehr als 24 Millionen Mal auf YouTube aufgerufen, und Mata selbst gewinnt auf der Plattform Spotify jeden Monat zirka eine Million Zuhörer hinzu.

Die Botschaft dieser Hip-Hop-Performance ist schnell erfasst: Die braven Kinder aus gutem Hause, die in guten Schulen lernen, sind gar nicht so brav. Sie machen Ärger und gehen aufs Ganze wie die Helden kalifornischer Gangsta-Musikvideos, werfen das Geld von Mami und Papi zum Fenster hinaus und sind dabei von dem mitgenutzten Wohlstand der Eltern unglaublich frustriert. Und eigentlich möchten sie jemand anderes sein, wie Mata am Ende seines Stückes schreit, nämlich nicht Kinderchen der oberen Mittelklasse, sondern böse Jungs aus den Plattenbauten, aus den gesellschaftlichen Niederungen, für die Hip-Hop das eigentliche Ausdrucksmittel ist.

Matas Darbietung und das mediale Rauschen, das sie in Polen hervorrief, sind der Schlüssel zum Verständnis erstens des Geisteszustands der polnischen Jugend und zweitens des Zustands der Beziehungen zwischen den Teenagern und jungen Erwachsenen von heute und ihren Eltern, deren Jugend in den 1990er Jahren lag. Allerdings soll an dieser Stelle gleich unterstrichen werden, dass fast alle in den Medien gemachten Aussagen zum Thema Mata und Patointeligencja, auch die Aussagen von »Experten für das Verstehen junger Menschen«, zwei Fehler beinhalten. Erstens, dass die Jugend in Polen generell beginnt, sich zu widersetzen, und zweitens, dass zwischen der Jugend und ihren Eltern ein Generationenkonflikt wächst. Indessen ist weder das erste noch das zweite richtig. Und enger gefasst: Wenn irgendjemand in Polen aufbegehrt, dann sind das keineswegs die Teenager oder Studenten gegen die Elterngeneration. Eher sind es manche jüngeren Erwachsene im Alter von 30+ aus der großstädtischen Mittelklasse, die gegen den Ausschluss eines Teils von ihnen aus dem liberalen Wirtschaftssystem sind, das noch aus der Zeit der polnischen Transformationsphase stammt, sowie jüngere Frauen, die gegen die altbackene, konservative, patriarchale Politik protestieren, der es in Polen in post-patriarchalen Zeiten unerwartet gut geht. Kurz und gut – die Konflikte in Polen Anno Domini 2020 werden keineswegs von generationellen Unterschieden bestimmt, sondern eher von unbefriedigten Interessen in Kategorien wie gesellschaftliche Klasse oder Geschlecht.

Auf der Suche nach dem jugendlichen Aufruhr

Natürlich ist die Generation 15+ in Polen deutlich anders als die Generation der Eltern. Allerdings unterscheidet sie sich von ihren Eltern erstens genauso wie sich junge Deutsche, Franzosen oder Schweden von ihren Eltern unterscheiden. Und zweitens erwächst aus diesem generationellen Unterschied bisher kein glühender Konflikt zwischen den Generationen.

In der letzten Zeit reagieren die Medien in Polen enthusiastisch auf jegliche Anzeichen eines intergenerationellen Konflikts und eines Jugendaufruhrs, das heißt sie reagieren auf alles, was sie mit einem solchen Aufruhr und Konflikt (unberechtigterweise) assoziieren. Ich habe den Eindruck, dass dieser Aufruhr und Konflikt in den politisch und kulturell unruhigen Zeiten in Polen mit aller Macht gesucht wird. Dabei verwüstet doch der Klimawandel die Felder und trocknet die Flüsse im Land aus. Dabei beschränkt doch die populistische, nationalkonservative Regierung die Redefreiheit. Und die Älteren, die in den 1990er Jahren den Markt befreit und alles in die Hände blutsaugender Banker und Unternehmer gegeben haben, haben ein politisch-ökonomisches System geschaffen, in dem junge Menschen weder mit einer Festanstellung noch mit einer eigenen Wohnung rechnen können.

Und die Jugend selbst? Nichts. Nichts und wieder nichts. Dabei sollte sie doch aufbegehren! Sie sollte gegen alle diese Katastrophen – die kulturelle, die ökonomische, die politische und die klimatische –, die ihnen von den Generationen ihrer Eltern und Großeltern serviert werden, protestieren. Und da sie es sollte, wurde Matas Werk als Ausdruck des Aufruhrs aufgefasst, allerdings keinesfalls eines Aufruhrs, wie er hätte sein sollen und auch nicht von der Seite, von der er erwartet wurde. Denn hier protestiert ein reicher Junge aus gutem Hause, der auf eine gute Schule geht, gegen die komfortablen Bedingungen, die sein Zuhause und seine Schule geschaffen haben.

Die ersten Spekulationen über einen intergenerationellen Konflikt hat übrigens Matas Vater in die Welt gesetzt, der mit einem Foto von sich und seinem Sohn breit lächelnd auf Instagram auftrat und schrieb, dass wir unseren Kindern gut zuhören sollten, weil sie uns so wichtige Dinge zu sagen hätten. Was so Wichtiges also hat uns Mata über sich und seine Altersgenossen mitzuteilen?

Helden des Internets

Die Persönlichkeit der jungen Menschen in Polen wird von den gleichen Kräften geprägt, die die Persönlichkeit in den Staaten des Westens formen; vor allem sind es das allgegenwärtige, ins Smartphone gepresste Internet sowie die Werte und Ambitionen, die einer Konsumgesellschaft eingeimpft werden. Ende der 1920er Jahre vertrat der russische Psychiater Lew Wygotski die Meinung, dass die Technologie die Kultur und den dominierenden Persönlichkeitstyp prägt. Die Persönlichkeit der Menschen, die von den Technologien des mittelalterlichen Dorfes beeinflusst waren, war deutlich verschieden von der Persönlichkeit der Menschen, die unter den technologischen Bedingungen im New York des 20. Jahrhunderts aufwuchsen. Die einen würden sich in der Umgebung der anderen nicht zurechtfinden und wären auch nicht in der Lage, sie zu verstehen. Heute jedoch, bei dem reißenden Tempo des technologischen Wandels, sitzen Generationen zur selben Zeit nebeneinander (Eltern und Jugendliche), deren Persönlichkeiten von einem extrem unterschiedlichen technologisch-gesellschaftlichen Umfeld geprägt wurden.

Die Jugendlichen heute kennen die Welt vor der Digitalisierung nicht, was zur Folge hat, dass sie ihre ganze Welt im Internet verorten und gestalten und alle zwischenmenschlichen Interaktionen mit Hilfe des Internets durchführen. Das Internet ist für die jungen Menschen eine Art Erkenntnisgerüst, das ihre Entscheidungen, Aussagen und Tätigkeiten für die »Alten« unverständlich oder schlicht und einfach inakzeptabel macht. Beispielsweise erleben Universitätsdozenten heute manchmal eine große Überraschung mit dem jüngsten studentischen Nachwuchs. Es stellt sich heraus, dass dieser Nachwuchs teilweise das Alphabet nicht kennt. Er ist nicht in der Lage, ohne Ausflüchte zu machen, zu stocken oder zu stottern, die Buchstaben des Alphabets von A bis Z aufzusagen. Die Dozenten irritiert das verständlicherweise maßlos – aber wozu sollen die Menschen das Alphabet können, die keine gedruckten Lexika und Wörterbücher benutzen? Wozu das Gehirn mit der Reihenfolge der Buchstaben zumüllen, wenn heute in die Suchmaske im Internet getippt wird? Der Suchmaschine ist es einerlei, ob der an sie »angeschlossene« Mensch das ABC kennt oder nicht.

Die gewaltigen technologischen Veränderungen haben dazu geführt, dass die jüngeren Generationen ihre Identität auf dem Prinzip des Puzzles aufbauen. Ein junger Mensch hat heute eine hybride Identität, er ist zusammengesetzt aus vielfältigen, an unterschiedlichen Stellen gefundenen Identitätskomponenten; Hauptsache, das Ganze findet sich im mit den Altersgenossen geteilten Alltag des Internets und der sozialen Medien wieder. Die jungen Menschen leben infolge der ständigen Anwesenheit im Netz in einer anderen Zeit als ihre Eltern – in einer Zeit fragmentierter, zerhackter Nachrichten, die man sofort zur Kenntnis nehmen muss, und sozialer messages, die eine sofortige Reaktion erfordern. Deshalb wird ihnen vorgeworfen, prinzipienlos zu sein, werden sie der Passivität angeklagt, des Mangels an elementarem Wissen, des Mangels an Vorbildern, fehlender gesellschaftlicher Aktivität, des Unvermögens, sich zu konzentrieren.

Mata funktioniert – ähnlich wie europäische oder amerikanische Gleichaltrige – in einer Welt, in der die medialen Repräsentationen im Internet für die jungen Menschen gleichzeitig Lebensumgebung, Verhaltensmuster und Ziel fast aller Handlungen sind. Ihr soziales Leben findet im Netz mit Hilfe des Netzes statt; sie finden Verhaltensmuster dort, weil es andere Quellen für diese Muster nicht mehr gibt. Hinzu kommt, dass sie das, was sie außerhalb des Internets machen, dafür tun, dass dies ins Internet komme. Alles ist der medialen Selbstpräsentation untergeordnet. Im Internet gemachte Erfahrungen sind das gleiche wie außerhalb des Netzes gesammelte Erfahrungen. Wir machen das, was wir im Netz beobachten – insbesondere wenn wir dafür die wirtschaftlichen Ressourcen haben wie die Kinder der oberen Mittelklasse –, jedoch eher in Bruchstücken als »im Ganzen«. Mit Sicherheit setzen sie nicht alle beobachteten Muster der Pornographie um, von denen sie im Netz attackiert werden, und sie greifen ja auch nicht so zu Drogen, wie es die Gangsta-Helden tun. Dennoch glauben sie, dass sie wie ihre Helden im Internet rau und böse sind – nur dass die Menschen, die keinen Zugang zu denselben Interneträumen haben wie sie, nichts davon wissen, zum Beispiel die Eltern. Die mediale Präsentation ihres Lebens wird zu ihrem Leben. Daran glauben sie tatsächlich. Es ist eine zusammenfabulierte Mischung aus dem, was im Internet gesehen wird, und dem, was infolgedessen tatsächlich getan wird. Bei YouTube eingestellt, wird der Anschein eines jugendlichen Aufruhrs erzeugt, auf den die Medien in Polen hereinfallen sowie die Publizisten, die sich nach einer aktiven Jugend sehnen.

Konsum hoch drei und der Zwang, ein Star zu sein

Zu alledem leben Junge und Alte, obwohl sie in unterschiedlichen technologischen Milieus aufgewachsen sind, in derselben effektheischenden Konsumgesellschaft. In diesem Gesellschaftstyp, in seiner heutigen vom Internet durchgepflügten Version, haben die jungen Menschen zwei grundlegende Lebensprioritäten oder, wie es der Netzkünstler Heath Bunting auffasst, zwei grundlegende Fantasien, die die Menschen lenken. Erstens ein Star zu sein. Jeder junge Mensch will ein Star sein in dieser effektheischenden Gesellschaft, in der alle dazu gezwungen sind, ihre Lebensläufe in die von Instagram oder TikTok bereitgestellten Muster einzupassen, und in der alle unaufhörlich von jedem Smartphone angeglotzt werden. Die zweite allgemein verbreitete Fantasie ist der Aufruhr gegen »das System«, wobei der Aufruhr heute – leider – schlicht und einfach gar nicht realisierbar ist, insbesondere wenn man wie der Rapper Mata ein junger Repräsentant der oberen Mittelklasse ist. Die Jagd nach dem Aufruhr kann nicht erfolgreich sein, weil es nichts gibt, wogegen man sich auflehnen könnte. Die Werte der Eltern und der Kinder sind ziemlich dieselben, sie sind gleichermaßen konsumorientiert. Die Generationen der heutigen Eltern und Kinder wollen das gleiche, kaufen das gleiche, sie funktionieren auf die gleiche Art und Weise im Alltag. Sie fahren zusammen in die Ferien, tragen die gleiche Kleidung und schauen dieselben Serien.

Das im Netz stattfindende Leben und die Konsumambitionen, die von der Elterngeneration übernommen werden, haben unlängst Züge einer Karikatur angenommen. Im Februar 2020 erlangte ein Film traurige Berühmtheit, der unter dem Titel How much is your outfit? auf YouTube eingestellt worden war. In ihm fragt der jugendliche Youtuber czuuX Gleichaltrige vor der Warschauer Einkaufspassage »Goldene Terrassen« (Złote Tarasy) nach den Preisen der Kleidung, die sie gerade tragen. Die »Ärmsten« haben mindestens einige Tausend Zloty am Leibe und die Reichsten mehr als 20.000 Zloty (der Mindestlohn beträgt in Polen 2.250 Zloty brutto, der Durchschnittslohn im Unternehmenssektor 5.604 Zloty brutto). Unnötig die Bemerkung, dass die Konsumwünsche der Warschauer Kinderchen von ihren Eltern erfüllt werden. Diese sind sich nur nicht vollständig darüber im Klaren, welchen Gebrauch die Kinder von ihren Markenoberteilen und -schuhen im Internet machen.

Woher kommen Frust und Depression?

Paradoxerweise können die Regeln der Konsumgesellschaft und das eingefügt Sein ins Internet bei jungen Menschen Frustrationen auslösen, deren Quelle zu erkennen und zu benennen sie aber nicht selbst in der Lage sind. Der Frust kann einerseits aus der Tatsache herrühren, dass das Netz sie ununterbrochen betrachtet und bewertet, und andererseits aus dem Unvermögen, sich dagegen zu wehren, und daraus, dass dies überdies zum eigenen Nachteil wäre.

Im Jahr 2016 erschienen die Ergebnisse einer Reihe von Untersuchungen (u. a. im Rahmen des Projektes »Jugend 2016« des regierungsnahen Meinungsforschungsinstituts CBOS), die nahelegen, dass die jungen Menschen in Polen konservativer werden, dass ihre Antworten die Sehnsucht nach der »starken Hand« suggerieren und dass sie manche Grundsätze des demokratischen Staates sogar gern aufheben würden. Aus den über die Jugend erhobenen Daten gehe ein deutlicher Rechtsruck hervor. Ebenfalls 2016 erschien in den USA eine Publikation von Howard Gillman und Erwin Chemerinsky, zweier Juristen an der University of California, Irvine. Sie lösten damit landesweit eine Diskussion aus, da sie festgestellt hatten, dass die Studierenden des ersten Studienjahres nicht zögern, eines der in der amerikanischen Verfassung verankerten Heiligtümer in Zweifel zu ziehen, und zwar den Grundsatz der Meinungsfreiheit. Gillman und Chemerinsky entdeckten schnell, dass die Studierenden nicht gegen die Freiheit des Wortes an sich sind und infolgedessen gegen die Demokratie. Konfrontiert allerdings mit täglichen Hasssprache-Attacken, die in den sozialen Netzwerken stattfinden, meinen sie, dass die Meinungsfreiheit nicht darin bestehe, alles zu sagen, was der Geifer aus dem Munde treibt, vielmehr dass eine Beschränkung der Freiheit derjenigen Worte bedenkenswert sei, von denen sie im Internet verletzt würden.

Ähnlich ist es im Falle der polnischen Jugendlichen. Angeklebt an ihre Smartphones, ringen sie täglich mit dem Hass im Netz, was in der Folge Abneigung gegenüber solchen demokratischen Grundsätzen wie die Meinungsfreiheit hervorruft. Dennoch sind sie keineswegs konservativer geworden und haben keine autoritären Ansichten. Aber dem Hass im Internet von Seiten ihrer eigenen Mitschüler und Altersgenossen ausgesetzt, wollen sie die Freiheit des Wortes einschränken, die sie als das Leben vergiftende Übersteigerung auffassen. Es sind die Werkzeuge des Internets selbst, derer sie sich zwar bedienen, die aber auch »antidemokratische« Einstellungen erzwingen, was die Eltern und Publizisten so sehr verwundert.

Die Kommunikationsmittel und Kontrollinstrumente des Internets sind eine der Ursachen für die in Polen unter jungen Menschen zunehmende »Massenkrankheit« Depression. Laut Schätzungen im Jahr 2016 hatte fast jedes vierte Kind mindestens eine depressive Phase bis zu seinem 18. Lebensjahr. Ebenfalls im Jahr 2016 haben 481 Jugendliche einen Selbstmordversuch unternommen; 161 kamen zu Tode. Polen steht damit auf dem zweiten Platz in Europa.

Junge Menschen wie Mata betreiben eine zwanghafte Beschäftigung mit sich selbst. Das Internet begafft sie ständig, also müssen sie geradezu ihr Leben in einer Reihe medialer Präsentationen öffentlich machen, was wiederum zur Folge hat, dass sie sich leidenschaftlich selbst betrachten. Sie konzentrieren sich auf sich, auf ihre Körper, ihre Klamotten, aber vor allem auf die Meinungen über sie, die Meinungen über ihre Körper und ihre Klamotten. Die Instrumente des Internets erlauben den unaufhörlichen Vergleich des eigenen Lebenslaufes und des eigenen Körpers mit den zahllosen anderen im Netz, von denen fast alle attraktiver sind und das von anderen geführte Leben abenteuerlicher und spitzenmäßiger daherkommt. Hinzu kommt, dass jede Internetpräsentation kommentiert wird, »gelikt« wird oder auch nicht. Die dem Internet innewohnende Ungleichheit und die unaufhörliche Bewertung erzeugen Frustrationen und Depressionen. Ich wache schon traurig auf und weiß nicht warum, sagte meine 16-jährige Tochter am Morgen nach einem ganzen Tag mit dem Smartphone in der Hand.

Die Angelegenheit wird nicht gerade erleichtert durch das starke, im Schulsystem und in den elterlichen Ambitionen verankerte Leistungsbedürfnis der Jugendlichen bei gleichzeitig unzulänglichen Kompetenzen beispielsweise in Form des Unvermögens, sich zu konzentrieren, und der Schwierigkeiten, längere Texte zu lesen, was darauf zurückzuführen ist, dass sie in den technologischen Strukturen des Internets aufwachsen und erzogen werden. Die Konkurrenz in der Schule und unter den Gleichaltrigen, gestützt durch die technischen Möglichkeiten im Internet, der Verachtung freien Lauf zu lassen, trägt ebenfalls Früchte.

Die jungen Menschen in Polen, insbesondere die aus der großstädtischen Mittelklasse, sind in ein Schema eingezwängt. Von Beginn an wissen sie, wie sie auftreten müssen, um genauso zu werden, wie ihre Eltern sind. Die Eltern, die gute Schule und alles um diese herum erlauben ihnen nicht, jemand anderes zu sein, und wachen über alle ihre Schritte. Die Schule und außerschulische Kurse füllen ihre Zeit aus, so wie sie ihr Denken ausfüllen und disziplinieren. Der Versuch des Aufbegehrens des jungen Rappers Mata kann ein Ausdruck der Sehnsucht sein, aus der Tretmühle auszubrechen, aber auf der anderen Seite wäre ein Ausbruch auch ein Bruch mit allen Ressourcen, die Mata und Seinesgleichen von Anfang an haben, ein Bruch mit dem relativen Reichtum, was sie eigentlich nicht wollen. Die Frustration der jungen Polen scheint teilweise daraus zu resultieren, dass sie keine Möglichkeit sehen, etwas Wichtiges im Leben zu machen, eigene Akzente zu setzen. Es bleibt nichts anderes zu erreichen, außer dem Status der Eltern, der in ihrem Falle irgendwann von selbst eintreten wird.

Die große Passivität

In der Unmenge von Ideen im Netz sind die jungen Polen ideenlos. In der heutigen Flut fundamentalistischer religiöser Botschaften nicht religiös. In der Zeit zunehmender Politisierung apolitisch. Und im Allgemeinen gesellschaftlich und kulturell nicht aktiv.

Linke Publizisten wünschen sich sicherlich eine andere Jugend – verstrickt in intergenerationelle Konflikte, politisch und voller Tatendrang –, aber die seit Jahren durchgeführten Untersuchungen der kulturellen Praktiken und Lebensstile lassen mich schlussfolgern, dass die Ambitionen, Werte und täglichen Aktivitäten junger Menschen in Polen allein darin bestehen, den Lebensstil ihrer »Boomer«-Eltern ins Extrem zu überdehnen. Im Allgemeinen wollen die jungen Menschen ein Leben voller Eindrücke, jedoch ohne sich dafür aufopfern zu müssen. Minimalismus oder ein ökologischer Lebensstil ist überhaupt nicht ihre Domäne, das findet sich bei der Altersgruppe 35+ in Polen, die in den Großstädten lebt. Die Mehrheit der Jugendlichen und der jungen Erwachsenen ist ideenlos, im Netz verhaftet und stark konsumorientiert. Sie wollen nichts außer einem hohen Lebensstandard. Zugegeben, eine Minderheit isst vegetarisch, aber ansonsten verschwenden sie Wasser und Strom und kaufen übermäßig viel Kleidung in den gängigen Modegeschäften. Sie schlafen anderthalb Stunden weniger als ihre Eltern in ihrem Alter, weil sie noch nachts auf die Tastatur ihres Smartphones tippen. Die Mehrheit weiß über die Welt leider so viel, wie in den Internetforen über sie gesprochen wird (und die Schule verstärkt diese von der Sozialisation durch das Internet verursachte Ignoranz nur noch mehr, indem sie ständig Reformen des Lehrprogramms durchführt).

Schätzungen zufolge fehlen in Polen zwei Millionen Wohnungen, die es den jungen Polen ermöglichen würden, aus dem Elternhaus auszuziehen und selbständig zu werden. Dies ist eine der Ursachen für die in Polen verbreitete Daseinsform des Nesthockers. Die jungen Polen leben im europäischen Vergleich am längsten bei ihren Eltern. Diese Situation, zusammen mit der wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheit in Polen und dem stärker werdenden Konkurrenzdenken verlangt den Eltern die Strategie des langen Anlaufs ab. Dass die jungen Menschen in Polen nicht erwachsen werden, ist die Norm. Seit den 1970er Jahren verlängerte sich der Anlauf zum Erwachsenenalter von 14 auf 22 Jahre.

Auf ihre Unreife weisen die kulturellen Präferenzen der jungen Menschen hin. Was sind die Lieblingsfilme der Jugendlichen? Horrorfilme und Animationsfilme à la Walt Disney. Die jungen Erwachsenen im Studentenalter wollen Kinder bleiben und funktionieren auch wie Kinder. Anders als ihre Eltern in ihrem Alter wollen die Jugendlichen heutzutage ständig bei Mama und Papa sein. Sie gehen ins Konzert mit den Eltern, sie sehen Filme auf Netflix mit den Eltern, Hotelaufenthalte mit den Eltern, Restaurantbesuche mit den Eltern. Auf der einen Seite ist das eine Ursache für die starken Bindungen zwischen den Generationen, die so ausgeprägt sind wie nie zuvor. Auf der anderen Seite ist es ein Grund für die gesellschaftliche Unreife. Letztere kommt zunehmend in Situationen zum Vorschein, wenn junge Menschen gleich nach dem Studium nach nur wenigen Wochen ihre Arbeitsstelle aufgeben, weil sie ihnen »kein Vergnügen bereitet« oder »zu wenig fun« dabei rauskommt. Das können sie tun, weil die Eltern und deren Ressourcen ein weiches Landekissen bereitstellen, zu dem man immer zurückkehren kann.

Die ästhetischen und kulturellen Entscheidungen der jungen Menschen werden zum Teil von dem im Internet geltenden Prinzip des good enough gesteuert, wie es Cory Doctorow beschreibt. Das, was im Internet populär ist, darf durchaus nur »ausreichend gut« sein. YouTube-Filme fordern von ihren Autoren keineswegs Professionalität oder Kenntnisse. Es reicht, dass sie easy sind. Wenn etwas easy ist, läuft es. In der Folge ist alles good enough. Experten beginnen zu beobachten, dass bei jungen Menschen Leistung, die Motivation und Fähigkeit, Grenzen zu überschreiten und Überdurchschnittliches hervorzubringen, bei Auftritten vor anderen Menschen wie in einer Prüfung oder einem Bewerbungsgespräch bereits selten sind. Wenn es easy ist, ist es bereits in Ordnung, reicht es aus, läuft es.

Insgesamt ergibt sich daraus, dass die Jugend generell ideenlos ist. Betrachtet man die Erklärungen der jungen Polen zu ihrer politischen Einstellung, dann siegt hier eindeutig die Partei »Schwer zu sagen«. Bei den Befragungen des Meinungsforschungsinstituts CBOS im Jahr 2016 wählten 64 Prozent der Schüler diese Antwort auf die Frage, ob sie rechte, linke oder gemäßigte Einstellungen vertreten. Die Mehrheit der Jugendlichen hat demnach keine politische Haltung und die Hinwendung zum rechten Spektrum gaben allein junge Männer auf Berufsschulen und technischen Schulen an (20 Prozent erklärten, eine rechte Einstellung zu haben). Entgegen dem aufgebauschten Anschein unterscheiden sich die jungen Menschen weniger von ihren Eltern als sich die Frauen von den Männern unterscheiden. Die jungen Frauen, die eine politische Einstellung angeben, sind eher links orientiert. Die jungen Männer dagegen, insbesondere Berufsschüler und Vertreter der unteren Gesellschaftsschicht, finden sich in radikalen, rechten Hooligan-Bewegungen und wählen gern die rechtsextreme Partei Konföderation (Konfederacja), die von Janusz Korwin-Mikke, Krzysztof Bosak oder Grzegorz Braun repräsentiert wird. Die Spaltung wird also weniger zwischen Eltern und Kindern sichtbar als zwischen jungen Frauen und jungen Männern.

In Matas Song »Gelbe Filzstifte und dicke Katechetinnen« (Żółte flamastry i grube katechetki) gibt es eine Zeile, die sich an Gott richtet: »Und obwohl ich in der Summe mehr Gründe dafür habe, dass es Dich überhaupt nicht gibt, bemühe ich mich so zu leben, als gäbe es Dich.« Es sieht so aus, als würde sich Mata nicht grundlegend von der Mehrheit der Gleichaltrigen unterscheiden, was die Beziehung zu metaphysischen Daseinsformen und Religion betrifft. Erstens ist er wenig religiös. Zweitens zweifelt er an der Existenz dessen, was seine Eltern eher nicht bezweifeln. Seit dem Jahr 2010 beobachten Soziologen, dass der Anteil der Antwort »ich weiß nicht« bei Fragen nach Werten, die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz Gottes inbegriffen, steigt. Knapp die Hälfte von Matas Gleichaltrigen weiß nicht, ob Gott existiert, weiß nicht, ob die Rechte oder die Linke bessere Ideen für die Gestaltung der politischen Ordnung hat, und weiß auch nicht, was besser ist, Individualismus oder Kollektivismus (wenn sie auch bei der zielgerichteten Frage der Soziologen Ersteres wählen). Es handelt sich hier um den erklärten Verzicht darauf, einen harten Standpunkt in Wertefragen einzunehmen, eine Art Flucht angesichts wankender Normen und Werte in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Lebensstile gibt und immer mehr Subkulturen von Gläubigen, die an etwas anderes glauben als wir.

Mata unterscheidet sich zwar von seinen Altersgenossen darin, dass er Blaise Pascals Wette kennt (was auch zeigt, wie gut seine Schule ist), aber er unterscheidet sich nicht allzu sehr von ihnen in seiner Einstellung zur Religion, die sich ganz allgemein betrachtet als gleichgültig bezeichnen ließe. Die Jugendlichen in Polen sind immer weniger religiös. Innerhalb von zehn Jahren, zwischen 2008 und 2018, entschwanden aus den letzten Klassen der Oberschulen 20 Prozent Gläubige. Im Jahr 2018 bezeichneten sich hier 63 Prozent der Schüler als gläubig, während es 2008 noch 81 Prozent waren. Es nehmen auch immer weniger Jugendliche am Religionsunterricht teil. Im Jahr 2018 waren es 70 Prozent, acht Jahre zuvor dagegen 93 Prozent. Nur 35 Prozent der jungen Polen gaben im Jahr 2018 an, dass sie jeden Sonntag in die Kirche gehen, 1996 waren es noch 62 Prozent. Über die Hälfte der jungen Menschen in den größten Städten in Polen praktiziert ihren Glauben nicht, obwohl sie angeben, gläubig zu sein. Und noch bedeutender ist, dass sich knapp ein Drittel der polnischen Jugendlichen als komplett ungläubig und überhaupt nicht praktizierend bezeichnet.

Nicht zu praktizieren ist bei den jungen Menschen noch stärker im kulturellen Bereich ausgeprägt. Das Nichtstun ist auf diesem Feld die Norm. Zum Beispiel: Obwohl organisierte Schulausflüge 13,6 Prozent der Museumsbesucher in Polen stellten, sank seit dem Jahr 2010 sukzessiv der Anteil der 15- bis 24-Jährigen, die im Laufe eines Jahres im Museum waren, und zwar von 5,3 Prozent auf 3,9 Prozent im Jahr 2018. Untersuchungen der kulturellen Aktivitäten in kleinen und mittleren Städten im Jahr 2016 zeigten, dass 89 Prozent der Personen bis zum 35. Lebensjahr weder Buch, Musik noch Film im Internet gekauft haben und 79 Prozent kein Abonnement (Netflix, Spotify o. ä.) genutzt haben.

An den berühmten Klimaprotesten nehmen in Polen nur die Schüler sehr guter Gymnasien teil. Was bringen Streiks, fragte meine 16-jährige Tochter auf meine Frage nach der Beteiligung am Klimastreik zurück. Und antwortete selbst: Nichts. Schulen haben während der Klimastreiks bereitwillig die Anwesenheit überprüft und Abwesenheit als Schwänzen behandelt. Die Mehrheit der Schüler ging folglich nicht demonstrieren. Es protestierten die Aufgeklärtesten, aber es steht zu befürchten, dass dies eher eine Party gegen die strenge Schule war, die mit der alten, nicht durch das Internet geprägten, unverständlichen Welt identifiziert wird, als eine Unterstützung für Greta Thunberg bei ihrem Engagement für eine bessere klimatische Zukunft.

Beschwören eines Klassenkonflikts

Die jungen Menschen in Polen – wie auch die Gesellschaft insgesamt – sind klassenmäßig und kulturell sehr gespalten. Zu finden sind eine Reihe separater Inseln, die sich sozial und kulturell sehr voneinander unterscheiden und in ihren eigenen Interneträumen eingeschlossen sind. Der Frust des jugendlichen Rappers Mata ist der Frust der Schüler seiner guten Schule, aber nicht der Frust seiner Alterskohorte. Vermutlich sind seine Frustrationen für einen großen Teil seiner Altersgenossen, die aus kleineren Städten oder aus anderen sozialen Schichten kommen, fremd, exotisch, lächerlich, sogar bedauernswert, stammen aus einer anderen Welt und Mikrokultur. Hinzu kommt, dass sich auch die Jugendlichen von den jungen Erwachsenen unterscheiden. Untersuchungen der kulturellen Praktiken in Warschau (2018, 9.000 Befragte) haben ergeben, dass die Aktivsten, die überall sind, gar nicht die Jugendlichen oder Studierenden sind, sondern die Menschen im Alter von 30+. Und diese, die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung am besten ausgebildet sind (jeder zweite hat eine Hochschulausbildung), in großen Konzernen viel verdienen und noch keine familiären Belastungen haben (in den polnischen Großstädten leben zwei Millionen Singles), stehen auf der einen Seite des Konflikts, der im Übrigen künstlich aufgeblasen ist und von den Medien als intergenerationeller Konflikt zwischen ihnen und der Elterngeneration 50+ dargestellt wird.

Die Mainstreammedien, aber auch linksorientierte Publizisten bauschen nicht nur, wie bereits festgestellt, den schwelenden Konflikt zwischen den Generationen auf, sie beschreiben auch einen Klassenkonflikt zwischen der neuen jungen polnischen Linken, den 30-Jährigen in den Großstädten, und den »alten« liberalen Eltern, die verantwortlich gemacht werden für die Bewirtschaftung der Welt im Sinne der Unternehmer in den 1990er Jahren. Nur dass diese »Jungen« (30+), die sich der Probleme bewusst sind, die sich aus einem Leben in einer schwierigen, neoliberalen Umgebung, initiiert von den Schöpfern der polnischen Transformation, ergeben, in den polnischen Städten acht bis zehn Prozent ausmachen. Das Problem besteht darin, dass diese aktivsten »jungen« Einwohner der größten Städte – so zeigt es zumindest die Warschauer Studie – eher konservativ sind und stark individualistische Züge an den Tag legen. Kurzum: Sie wollen weniger Staat in ihrem Leben, im Allgemeinen sind sie sogar gegen die staatliche Finanzierung der Kultur. Und ihre zehn Jahre jüngeren Kollegen wissen nicht einmal so richtig, was ein Unternehmer ist.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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Der Umbau der polnischen Justiz

Von Marta Bucholc, Maciej Komornik
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Analyse

"Jugend 2011" – der Regierungsbericht über die junge Generation der Polen

Von Krystyna Szafraniec
Der Regierungsbericht »Młodzi 2011« (»Jugend 2011«) stellt den Versuch dar, die junge Generation zu porträtieren, die das kommunistische Polen nicht erlebt hat und in der Transformationsphase nach 1989 aufgewachsen ist. Die Mehrheit der Jugend kennzeichnet der beispiellose Anstieg der Ambitionen in Sachen Bildung und Status, hohe Erwartungen an das Lebensniveau, Optimismus, Pragmatismus und eine aktive Lebenshaltung. Allerdings hatte der Massenkonsum von höherer Bildung zur Folge, dass die Bildungsabschlüsse ab- bzw. neubewertet werden. Dies sowie eine hohe Arbeitslosigkeit in der jungen Generation, befristete Arbeitsverträge, unflexible Arbeitszeiten und niedrige Einkommen für Berufsanfänger erschweren die Verwirklichung der beruflichen und persönlichen Pläne der jungen Polen. (…)
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