Grzegorz Balawender spricht mit Marek Belka
G.B.: Gibt es ein Verschuldungslimit, das wir erreichen dürfen, wenn wir mehr Geld in die Wirtschaft stecken?
M.B.: Ich würde vorschlagen, sich jetzt nicht mit dem Verschuldungslimit zu befassen, obschon dies mit großer Wucht auf uns zurückschlagen wird. Das wichtigste ist jetzt, einen so großen Teil der Wirtschaft wie nur möglich vor dem Zerfall zu retten. Viele kleine und mittlere Betriebe könnten in ein paar Monaten nämlich nichts mehr haben, was sie aufbieten können.
Der vor ein paar Tagen modifizierte »Antikrisenschild« soll den Firmen helfen. Wie beurteilen Sie ihn?
Wer schnell gibt, gibt zwei Mal. Es ist besser, gleich mehr anzubieten und schließlich nicht alles auszuschöpfen, als zu wenig zu geben. Das könnte uns dann teurer zu stehen kommen. Die Lage ist derart instabil und unvorhersehbar, dass man sich nicht mit der Beurteilung ablenken sollte, ob die Summen zu hoch oder zu niedrig sind. Man muss vernünftig und den Umständen entsprechend handeln.
Es wird sich zeigen, ob diese Maßnahmen ausreichen. Am wichtigsten ist es, den »Schild« auf die Erfahrungen der Unternehmer zu stützen, man braucht keine allzu große Bürokratie. Was mir fehlt, ist eine ausführliche Information an die Firmen. Vielleicht sollte sie der Polnische Entwicklungsfonds (Polski Fundusz Rozwojowy – PFR) leisten? Man müsste schnell ein Informationsportal in Gang setzen. Hoffentlich wird das alles funktionieren und brauchen wir keine weiteren Schutzschilder mehr. […]
Wie wird der Exit aus der Krise aussehen? Wird es steil nach oben gehen, oder wird es ein eher langsamer Wiederaufbau?
Je länger der »Lockdown«, umso schwieriger wird es, wieder Fuß zu fassen. Wenn die Lähmung der Wirtschaft drei Monate dauern wird, kann der Sprung nach oben schneller und dynamischer erfolgen. Die Firmen bleiben zahlungsfähig und werden die Belegschaften noch halten können, ebenso bleiben die Lieferketten bestehen. Wenn der »Lockdown« länger andauert, z. B. sechs Monate, dann wird der Wiederaufbau schwieriger. […]
Wenn Sie jetzt Regierungschef wären, wie würde Ihre Exit-Strategie aussehen?
Wenn ich heute Ministerpräsident wäre, würde ich sofort vor das Volk treten und verkünden: »Es kann keine Rede von Präsidentschaftswahlen in nächster Zeit sein. Alles, was wir machen, ist den Belangen der Gesellschaft, dem Schutz der Bevölkerung untergeordnet. Wir lassen uns von keinen anderen Motiven leiten.« Auf diese Weise käme es zum Umbruch in der Wahrnehmung dessen, was in Polen geschieht. Und es geschieht eine ganze Menge. Ich kann nicht sagen, dass wir uns als Staat nicht Mühe geben. Wir sind in einer Situation, in der alle an Bord gebraucht werden. Dazu braucht man eine Atmosphäre des Vertrauens. Diese würde durch die erwähnte Erklärung aufgebaut. Als Zweites würde ich mit Unternehmern und Gewerkschaften Schritt für Schritt überlegen, wie der »Antikrisenschild« ergänzt werden kann. Dass wir Fehler machen, ist normal. In dem Moment, wenn wir die Sache entpolitisieren, kommt der Glaube zurück, dass wir alle im besten Interesse des Landes handeln. Das wesentlichste ist, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht auf dem Papier bleiben und nicht auf mediale, sondern tatsächliche Effekt zugeschnitten sind. Dass die Staatsbediensteten und auch die Bankangestellten in den privaten Banken den Ernst der Lange begreifen.
Es fehlten wohl Gespräche mit der Wirtschaft?
Ich weiß nicht, wie bedeutend und konkret die Gespräche waren, aber das muss ich nicht wissen. Wenn die Regierung beschließt, dass der Rat für den Gesellschaftlichen Dialog (Rada Dialogu Społecznego – RDS) zu einer Fassade wird, dass jemand, der die Regierung kritisiert, aus dem Rat entlassen werden kann, wovon sprechen wir dann? Das sind Schritte, die die Atmosphäre des Dialogs zerstören.
Wird die Regierung einen Teil der Sozialausgaben wie das Kindergeld 500+, die dreizehnte Rentenzahlung oder die steile Anhebung des Mindestlohnes abschaffen?
Diese Frage stellen sich die Abgeordneten verschiedener Parteien immer wieder. Aber das sind keine Fragen für heute. Die Abschaffung irgendwelcher dieser Leistungen wäre Selbstmord. Für viele Menschen stellen sie eine wichtige Einkommensquelle dar, die sie vor extremer Armut bewahrt. Erst wenn sich alles wieder beruhigt, wird die Regierung auf die Sozialpolitik mit etwas kritischeren Augen schauen müssen. […]
Wie beurteilen Sie die Tätigkeit der Nationalbank? Zwei Mal hat sie schon den Zinssatz reduziert und kauft Staatsanleihen zurück?
Ich halte diese Schritte für richtig. Klar würde ich mich in normalen Zeiten darüber aufregen. Aber das sind keine normalen Zeiten. Diese Aktivitäten wurden schon von der Europäischen Zentralbank angewendet und das in einer weit weniger dramatischen Situation. Später werden wir dafür zahlen müssen, weil man das alles ordnen und stabilisieren muss. Uns muss auch bewusst sein, dass wir die Warnstufen überschreiten dürfen, auch die Schuldenbremse von 60 Prozent des BIP. […]
Ist das der Anfang vom Ende der Globalisierung?
Ich kann mir eine Abkehr von der Globalisierung nicht vorstellen. Die Unternehmen werden sich bemühen, dass ihre Lieferketten näher liegen, z. B. in Europa. Vielleicht wird China nicht mehr die Werkbank der Welt sein. Auf der anderen Seite kann China als eine Diktatur besser mit solchen Krisen umgehen.
Werden wir nach der Krise eine andere Ökonomie haben?
Mit Sicherheit wird die Risikobereitschaft abnehmen, was bedeutet, dass die Weltwirtschaft weniger Dynamik erfahren wird. Das betrifft auch die Konsumfreudigkeit, was diejenigen freuen wird, die gegen den übermäßigen CO2-Ausstoß und den Klimawandel ankämpfen.
Allerdings schien es auch nach der letzten Krise, dass sich unsere Gewohnheiten ändern und die Neigung zum Risiko nachlassen wird. Dazu ist es nicht gekommen. Die Unbekümmertheit auf den Finanzmärkten kam schnell zurück. Ich bin hier kein allzu großer Optimist.
Wird die Krise die EU stärken oder schwächen?
Allein der Gedanke, darüber zu sprechen, macht mir Angst. Auf der einen Seite ist das eine Chance, um einen nächsten Schritt in der Integration zu vollziehen. Auf der anderen Seite werden die Landespolitiker die EU für die eigenen Fehler verantwortlich machen und Brüssel wie einen Prügelknaben behandeln. Jetzt schon hört man die Klage, dass es keine gemeinsamen epidemiologischen Maßnahmen gäbe, und man vergisst dabei, dass wir der EU dazu keine Befugnisse gegeben haben. Mich ärgert auch die ständige Beteuerung, wie toll wir vor dem Hintergrund anderer Länder im Kampf gegen das Corona-Virus dastehen. Das stimmt nicht.
Plötzlich sind wir aufgewacht und stellen fest, dass das Gesundheitswesen auch ein Teil des Wirtschaftslebens ist und zwar ein überaus wichtiger. Ein schwächeres Gesundheitssystem bedeutet die Notwendigkeit, die Wirtschaft länger im Stillstand verharren zu lassen.
Wir dürfen nun auch anders auf die Eurozone blicken. Wenn wir drin wären, wären auch unkonventionelle Antikrisenmaßnahmen, wie etwa eine indirekte Finanzierung einiger Ausgaben durch die Zentralbank, weniger riskant. Wir wären Teil einer größeren Einheit, Teil eines stabileren Währungsmarktes. Aber wir sind es nicht, weil wir es nicht wollten.
Übersetzung aus dem Polnischen: Andrzej Kaluza
Marek Belka (Jg. 1952) ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten). Er war Berater des Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski, von 2004 bis 2005 Ministerpräsident Polens, von 2010 bis 2016 Präsident der Polnischen Nationalbank (Narodowy Bank Polski – NBP). Belka gehört zu den wichtigsten Wirtschaftswissenschaftlern des Landes.
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Erlaubnis für Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von GREMI MEDIA SA
Der Artikel erschien in der Tageszeitung »Rzeczpospolita« am 14.04.2020: https://www.rp.pl/Gospodarka/304149917-RZECZoBIZNESIE-Marek-Belka-Robmy-to-co-niezbedne-To-jest-wojna.htmlStatistik