In den vergangenen Wochen war das Hauptthema am polnischen Medienmarkt die Möglichkeit, dass der staatliche Mineralölkonzern und Tankstellenbetreiber Orlen die Mediengruppe Polska Press übernimmt. Dieser Kauf muss in einen größeren Kontext gesetzt werden, und zwar die seit mehreren Jahren in Polen geführten Diskussionen über das Thema Medienfreiheit und über die »Repolonisierung« der Medien, die von der Regierungskoalition der Vereinigten Rechten (Zjednoczona Prawica) gefordert wird.
Die Freiheit der Äußerung ist ein breites, diskussionswürdiges Thema, daher sollen an dieser Stelle einige internationale Rankings und Bewertungen angeführt werden. In der »Rangliste der Pressefreiheit 2020«, erstellt von der Nichtregierungsorganisation »Reporter ohne Grenzen«, steht Polen auf Platz 62 von insgesamt 180. Dies ist das schlechteste Ergebnis für Polen seit dem Jahr 2002, als die Liste zum ersten Mal erstellt wurde. Den bisher niedrigsten Rang – Platz 18 – besetzte Polen im Jahr 2015, also in dem Jahr, in dem am Jahresende die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) die Regierung übernahm. »Reporter ohne Grenzen« erklärt den Abstieg im Ranking mit den Bestrebungen der polnischen Regierung, sich das Justizsystem unterzuordnen, und der wachsenden Tendenz, kritische Stellungnahmen unter Strafe zu stellen. Dies beginne Einfluss auf die Freiheit der Äußerung der unabhängigen Medien zu nehmen. Journalisten würden sich aus Angst Selbstzensur auferlegen, während sich die staatlichen Medien zu Sprachrohren der Regierung wandeln würden.
Der Kauf der Polska Press von der Verlagsgruppe Passau, den Orlen im Dezember 2020 bekannt gab, ist wiederum mit der Diskussion über die Eigentumsverhältnisse auf dem polnischen Medienmarkt verknüpft. Seit der Regierungsübernahme im Jahr 2015 vertrat die Koalition der Vereinigten Rechten die These, dass sich zu viele Printmedien und Radiosender in ausländischer Hand befinden. Das habe zur Folge, dass der polnische Rezipient mit Nachrichten versorgt werde, auf die ausländische Auftraggeber Einfluss nehmen. Im Verständnis des PiS-Lagers vertreten diese Auftraggeber Interessen, die im Widerspruch zu den polnischen nationalen Interessen stehen. Angeblich wollen sie die polnische öffentliche Meinung manipulieren, um die Pläne der eigenen Staaten zu verwirklichen. Daher traten seit 2015 aufseiten der Regierung Forderungen nach der Repolonisierung der Medien in Polen auf, das heißt nach einer Verringerung des ausländischen Kapitalanteils am Medienmarkt. Die Übernahme der Polska Press durch Orlen wird als ein Schritt in diese Richtung bewertet.
Woher haben die Polen ihr gesellschaftspolitisches Wissen?
Zunächst sei jedoch darauf hingewiesen, dass die deutsche Sicht auf die Rolle und Eigenschaften der Presse nicht einfach auf die polnischen Gegebenheiten übertragen werden kann.
Erstens geht es im Unterschied zu Deutschland bei den polnischen Medien nicht vorrangig um eine politische Färbung à la konservative FAZ und linksliberale Süddeutsche Zeitung etc., sondern um eine enge Verknüpfung mit politischen Lagern, die man in Deutschland eher aus der Zeit der Weimarer Republik kennt.
Zweitens war die Zeitungslektüre in Polen nie so verbreitet wie in Deutschland. Vor allem gibt es in Polen keine so starke Tradition des Zeitungsabonnements im Privathaushalt. Die Polen schöpfen ihr Wissen aus sehr unterschiedlichen Quellen, was mitgedacht werden muss, wenn über den Informationserwerb gesprochen wird.
Zwar vergrößerte sich im Jahr 2020 der Anteil der Polen, die das Internet nutzen, doch nach wie vor bleibt das Fernsehen das wichtigste Medium in Polen. 97,1 Prozent der Haushalte besitzen ein Fernsehgerät. Gleichzeitig sinkt die Einschaltquote der TV-Programme, ähnlich wie auch die Zeitungslektüre. Auf gleichbleibendem Niveau hält sich dagegen die Radiorezeption.
Im Rahmen der Untersuchungen des »Deutsch-polnischen Barometer 2020« gefragt, woher sie ihre Informationen über Gesellschaft und Politik beziehen (es durften zwei Informationsquellen genannt werden), nannten die Polen im Februar 2020 an erster Stelle (70 Prozent) das Fernsehen. Knapp ein Drittel gab das Internet an (31 Prozent). Den dritten Platz belegten Freunde und Verwandte (16 Prozent) und erst danach folgten Radio (13 Prozent) und Presse (9 Prozent). Bei den jüngsten Befragten (15 bis 17 Jahre) waren Fernsehen und Internet gleichermaßen populär (jeweils 47 Prozent). In den anderen Altersgruppen sank die Beliebtheit des Internets, während die des Fernsehens stieg (14 bzw. 84 Prozent in der Altersgruppe 60+). Zum Vergleich: Von allen befragten erwachsenen Deutschen nannten 82 Prozent das Fernsehen, 38 Prozent die Presse, zwölf Prozent das Radio und 19 Prozent das Internet.
Die Polen, die das Fernsehen als primäre Informationsquelle angaben, nutzten am häufigsten den Sender TVN (42 Prozent), es folgte der Sender TVP (31 Prozent). Bei den Befragten, die das Radio nannten, überwogen die Sender des Polnischen Radio (52 Prozent) sehr deutlich die kommerziellen Sender RMF (20 Prozent) und Radio ZET (elf Prozent). Zeitungsleser nannten am häufigsten die Tageszeitungen »Gazeta Wyborcza« (31 Prozent), »Super Express« (18 Prozent) und »Fakt« (13 Prozent).
Warum ist die Übernahme von Polska Press durch Orlen beunruhigend?
Der polnische Konzern PKN Orlen ist einer der größten Mineralölkonzerne in Mittelosteuropa. 27,5 Prozent seiner Aktien gehören dem polnischen Staatsschatz. Im Dezember 2020 gab die Aktiengesellschaft bekannt, dass sie einen Vorvertrag über den Kauf der Polska Press von der Verlagsgruppe Passau abgeschlossen hat. Die Transaktion hängt von der Zustimmung des Amtes für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz (Urząd Ochrony Konkurencji i Konsumentów – UOKiK) ab; die Entscheidung sollte Ende Januar 2021 bekannt gegeben werden, liegt aber noch nicht vor. Bisher konnte der Mineralölkonzern Orlen keine Erfahrungen mit der Führung einer Verlagsgruppe und der dazugehörigen Internetplattformen vorweisen, dessen ungeachtet soll er Herausgeber von über 20 Regionalzeitungen, 120 lokalen Wochenzeitungen und zahlreichen Internetangeboten werden. Daniel Objatek, Präsident von Orlen, stellte fest: »Der Zugang zu den 17,4 Mio. Nutzern der von Polska Press bereit gestellten Internetportale ist mit Blick auf die Verkaufsentwicklung eine effektive Stärkung der gesamten Orlen Gruppe. Die Marketing-Kosten werden optimiert und der weitere Ausbau des Big Data ermöglicht.« Übereinstimmung besteht darüber, dass das Vorhaben vielschichtig und facettenreich ist. Im Folgenden werden die Fakten und Argumente vorgestellt, die am häufigsten in der Debatte genannt werden.
Einer der wichtigsten Aspekte der Transaktion ist, dass ein bedeutendes Mediensegment von einer Gesellschaft des Staatsschatzes übernommen werden soll. Die Anhänger der PiS betrachten das als wichtigen Schritt in Richtung der geforderten Repolonisierung der Medien. Die Gegner der Übernahme von Polska Press durch Orlen äußern ernste Sorge mit Blick auf die Unabhängigkeit der übernommenen Medien. Angesichts der sinkenden Leserzahlen bei den gedruckten Pressetiteln geht es hier vor allem um einen sehr großen Markt von Internetportalen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass Orlen, also ein staatlich kontrollierter Konzern, mit der Transaktion Verlage, Druckereien und Vertriebskanäle (ihm gehört außerdem bereits die Kioskkette »Ruch«, die Printmedien vertreibt) übernimmt. Das kann dazu führen, dass dann die eigenen Titel im Vertriebssystem bevorzugt werden. Schon jetzt kann man beobachten, dass die Tageszeitungen »Gazeta Polska Codziennie«, »Sieci« und »Do Rzeczy« deutlich häufiger in den Orlen Tankstellen zum Verkauf angeboten werden als die »Gazeta Wyborcza« oder »Polityka« (wenn Orlen auch verneint, den Zugang zu den Letztgenannten zu erschweren).
Ein weiteres Problem ist die Ungleichheit im Bereich der Werbewirtschaft. Orlen, der dann sowohl eigene Medien als auch Mediaagenturen besitzt, könnte andere Titel diskriminieren und den Werbemarkt in Polen verzerren.
Außerdem übernimmt Orlen nicht nur Presseverlage, sondern kauft auch Druckereien, was bedeutet, dass der Konzern Einfluss auf die Herstellung von konkurrierenden lokalen Pressetiteln hätte. Das könnte den Wettbewerb am Markt der Lokalpresse beeinflussen.
Aus wirtschaftlicher Perspektive ist hinzuzufügen, dass Polska Press seit Jahren einen deutlichen Leserschwund verzeichnet, was dazu führt, dass Printpublikationen zurückgefahren werden. Nach Angaben des online-Informationsportals Wirtualnemedia verzeichnete Polska Press im Jahr 2019 einen Verlust bei den Verkaufseinnahmen in Höhe von 6,5 Prozent, das ist ein Rückgang auf 398,44 Mio. Zloty, sowie einen Rückgang des Nettogewinns von 9,64 Mio. Zloty auf 8,59 Mio. Zloty. Die Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf verringerten sich um 8,9 Prozent und die Werbeeinnahmen um 4,9 Prozent. Die Anzahl der Arbeitnehmer sank um 107 auf 2.126. Der Wiederaufbau dieses Bereichs würde nicht nur hohe finanzielle Summen erfordern – die Orlen imstande wäre, aufzubringen –, sondern auch Kenntnisse des regionalen und lokalen Marktes. Der Konzern verfügt jedoch über dieses Wissen nicht und auf lokaler Ebene wird es ebenfalls schwer werden, dafür geeignete Personen zu finden.
Zeitungen in Polen – Verkauf, Leserquoten, Eigentumsverhältnisse
Um den Einfluss der potentiellen Übernahme von Polska Press durch Orlen auf den polnischen Zeitungsmarkt und den Markt der Internetportale zu verstehen, sollen verschiedene Zeitungen und Zeitschriften sowie Internetportale unter den Aspekten Verkauf, Leserquote und Eigentumsstrukturen betrachtet werden. Bei Letzterem hat im Zusammenhang mit der Repolonisierungsdebatte die Frage nach der Abhängigkeit von polnischem bzw. ausländischem Kapital Schlüsselbedeutung.
Verkauf
2020, im Jahr der Corona-Pandemie, ging die kostenpflichtige Verbreitung der Presse in Polen bei der Mehrheit der Titel zurück, was mit den epidemiebedingten Handelsbeschränkungen erklärt wird. Allerdings gibt es insbesondere bei den Wochenblättern Steigerungen. Aktuellen Daten zufolge (Polnische Leser-Forschungen: »Audit des Verbands für die Kontrolle der Distribution von Presseerzeugnissen«/Polskie Badania Czytelnictwa: »Audyt Związku Kontroli Dystrybucji Prasy«), die aus einer Umfrage unter 77 Verlagen generiert wurden (von denen einige mehrere Zeitungen und Zeitschriften herausgeben), war die durchschnittliche kostenpflichtige Verbreitung (Einzelverkäufe, Abonnements) aller überregionalen Tageszeitungen im Oktober 2020 17 Prozent niedriger als im Oktober 2019 und belief sich auf 463.657 Druckexemplare. Alle Pressetitel dieser Untersuchung verzeichneten Rückgänge. Die meistgekaufte Zeitung war das Boulevardblatt »Fakt« (Herausgeber: Ringier Axel Springer Polska). Platz zwei besetzte ebenfalls eine Boulevardzeitung, »Super Express« (ZPR Media) und Platz drei die linksliberale Tageszeitung »Gazeta Wyborza« (Agora). Die offen PiS-freundliche Tageszeitung »Gazeta Polska Codziennie«, die zur Forum-Gruppe gehört (deren Vorsitzender war bis vor kurzem Grzegorz Tomaszewski, ein Verwandter von PiS-Chef Jarosław Kaczyński), verzeichnet einen dauerhaften Rückgang und lag auf Platz sechs.
Unter den meinungsbildenden Wochenzeitungen führte die linksliberale »Polityka« (Polityka) die Verkaufszahlen im Jahr 2020 an. Sie stieg von Platz zwei auf, den sie in den Jahren 2018 und 2019 belegt hatte. Auf den zweiten Platz fiel die Sonntagszeitung »Gość Niedzielny« (Instytut Gość Media). Hier lässt sich der Rückgang der Verkaufszahlen vor allem damit erklären, dass das konservative, mit der Regierung sympathisierende Wochenblatt hauptsächlich im Umfeld von Gottesdiensten verbreitet wird. Infolge der Einschränkungen zum Schutz vor Covid-19 sank jedoch die Anzahl der Gottesdienstbesucher in den untersuchten Monaten. Auf Platz drei stand »Newsweek Polska«, ein regierungskritisches Wochenmagazin (Ringier Axel Springer Polska).
Die genannten Zahlen umfassen auch die elektronischen Ausgaben der aufgeführten Titel. Die Daten für Januar und Februar 2020, also den Zeitraum vor Beginn der Corona-Epidemie, zeigen einen deutlichen Anstieg der Verkaufszahlen gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Leserquoten
Die »Landesweiten Untersuchungen der Leserquote von Pressemedien« (»Ogólnopolskie Badania Czytelnictwa Prasy«, pbc.pl) ergeben, dass das Boulevardblatt »Fakt« in einer landesweiten Rangfolge für die Monate Juni bis November 2020 Platz eins belegte. Das entspricht den Daten des Verkaufsrankings der Tageszeitungen. »Fakt« lesen im Durchschnitt 2,7 Prozent der Befragten, das sind 802.000 Leser. Auf den folgenden Plätzen stehen die linksliberale »Gazeta Wyborcza« (2,1 Prozent, 645.000 Leser), das Boulevardblatt »Super Express« (1,6 Prozent, 495.000 Leser), die Sportzeitung »Przegląd Sportowy« (1,3 Prozent, 378.000 Leser) und die regierungskritische und sehr objektive Tageszeitung »Dziennik Gazeta Prawna« (0,6 Prozent, 191.000 Leser). Wenn man diese Zahlen mit den Daten vom Zeitraum Mai bis Oktober vergleicht, sieht man schnell, dass sich die Zahlen bei jedem Titel um ca. 0,1 Prozentpunkte, also um mehrere Tausend Leser verschlechtert haben.
In den einzelnen Woiwodschaften spielen außerdem regionale Tageszeitungen eine große Rolle. Beispielsweise nimmt in der Woiwodschaft Vorkarpaten »Nowiny« (105.000 Leser) Platz eins ein, in der Woiwodschaft Lodz »Dziennik Łódzki« (49.000 Leser), in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern »Gazeta Pomorska« (47.000 Leser), in der Woiwodschaft Pommern »Dziennik Bałtycki« (44.000 Leser) und in der Woiwodschaft Westpommern »Głos – Dziennik Pomorza« (37.000 Leser).
Die Liste der Wochenzeitschriften führt die Fernsehzeitschrift »Tele Tydzień« an, gefolgt von der Illustrierten »Życie na Gorąco« und der Zeitschrift »Angora«, die Artikel aus anderen Pressemedien nachdruckt. Das Magazin »Newsweek«, das die Opposition unterstützt, hat ca. 675.000 Leser, die linksliberale »Polityka« ca. 533.000 und das vor allem im kirchlichen Umfeld verbreitete Wochenmagazin »Gość Niedzielny« 481.000 Leser. Die konservative Zeitschrift »Sieci« mit weniger als 200.000 Abnehmern besetzt erst den 16. Platz und die ebenfalls konservativen Magazine »Do Rzeczy« und »Gazeta Polska« (letztere korrespondiert mit der Tageszeitung »Gazeta Polska Codziennie«) befinden sich nicht unter den ersten 20 Positionen. Diese drei sind offen regierungsfreundliche Periodika.
Leserquoten und Eigentumsverhältnisse
Diese detaillierten Informationen sind wichtig, um zu verstehen, welche Bedeutung die Übernahme der Polska Press-Gruppe durch Orlen hat, sowie die Vorwürfe des rechten politischen Flügels, dass das ausländische Kapital die Überhand auf dem Pressemarkt habe.
Die Mehrheit der Verlage von Bedeutung gehört ausländischen Unternehmen. Bauer, Ringier Axel Springer, Polska Press (Eigentümer ist die Verlagsgruppe Passau Capital Group) und Edipresse Polska sowie Burda International Polska zählen zum deutschen, US-amerikanischen bzw. schweizerischen Kapital und Bonnier Business Polska gehört einem schwedischen Unternehmen. Egmont Polska ist ein internationaler Zusammenschluss, deren Anfänge in Dänemark liegen. Sie kontrollieren ca. 70 Prozent des Pressemarktes in Polen. Zu den Verlegern mit polnischem Kapital gehören Agora, ZPR Media, Grupa Gremi, Westa Druk Mirosław Kuliś, Infor Biznes, Fundacja Gościa Niedzielnego, Polityka, PMGM Polskie Media (Platforma Mediowa Point Group und Orle Pióro), Fratria, Forum SA, Niezależne Wydwnictwo Polskie, Tygodnik Powszechny, Fundacja Oratio Recta.
Mit Blick auf die Einnahmen aus dem Verkauf der jeweiligen Titel und der Werbung waren die größten Verlage im Jahr 2018 die Bauer-Gruppe (464 Mio.), Polska Press (426 Mio. Zloty), Ringer Axel Springer (312 Mio. Zloty), Edipresse (153 Mio. Zloty), Burda (145 Mio. Zloty) und Agora (131 Mio. Zloty).
Werden die Informationen zu den Eigentumsverhältnissen und den Leserquoten verknüpft, wird deutlich, dass über die Hälfte der meistgelesenen Zeitungen einen polnischen Eigentümer hat, und zwar »Super Express«, »Gazeta Wyborcza«, »Rzeczpospolita«, »Gazeta Prawna«, »Gazeta Polska Codziennie« und »Parkiet Gazeta Giełdy«. »Fakt« und »Przegląd Sportowy«, welche die höchste Leserquote verzeichnen, gehören der schweizerisch-deutschen Gruppe Ringier Axel Springer und die Zeitung »Puls Biznesu«, die zu den zehn beliebtesten Tageszeitungen gehört, gehört der schwedischen Gruppe Bonnier. Neun der zehn meistgelesenen Wochenmagazine in Polen haben einen einheimischen Eigentümer. Die einzige ausländische Verlagsgruppe im Ranking ist Ringier Axel Springer, der das mit US-amerikanischer Lizenz herausgegebene Wochenmagazin »Newsweek« gehört. Vollkommen anders sieht es bei den monatlich erscheinenden Zeitschriften aus (die meistverkaufte ist die Frauenzeitschrift »Kobieta i życie« mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren). Hier werden die ersten acht Plätze von deutschen Eigentümern eingenommen, wobei das Unternehmen Bauer Media Polska deutlich dominiert. Polnischen Gesellschaften gehören nur zwei von zehn Zeitschriften, das Frauenmagazin »Zwierciadło« und die Gartenzeitschrift »Działkowiec«.
Nicht sofort erkennbar ist in den Übersichten, dass Polska Press auf dem Pressemarkt eine führende Position einnimmt, da die Verlagsgruppe 20 von 24 in Polen erscheinenden regionalen Tageszeitungen herausgibt (die, wie bereits gesagt, in den Regionen auf großen Zuspruch stoßen) sowie knapp 120 lokale Wochenzeitungen und außerdem 500 online-Portale betreibt.
Der Werbemarkt
Die Situation der Medien ist in hohem Maße vom Werbemarkt sowie den Abonnements großer Abnehmer, insbesondere staatlicher Institutionen sowie Gesellschaften des Staatsschatzes, abhängig. Es ist kein Geheimnis, dass staatliche Institutionen in den vergangenen Jahren kostenpflichtige Anzeigen und Texte aus regierungskritischen Medien zurückgezogen haben. Die Unterstützung ist also nicht von der Auflagenhöhe, sondern von der Nähe zu den präsentierten politischen Einstellungen abhängig. Ein Teil der staatlichen Institutionen kündigte außerdem die Abonnements bei regierungskritischen Medien. Viel Staub wirbelte beispielsweise eine Anordnung des Finanzministeriums aus dem Jahr 2016 auf, die verhinderte, dass die Finanzämter die politischen Magazine »Newsweek«, »Polityka« oder »Wprost« abonnierten. Ein Jahr später, im Juni 2017, zog das Ministerium die Anordnung zurück.
Auch staatliche Unternehmen entzogen den kritischen Periodika ihre Werbung und ließen sie in regierungsfreundlich eingestellten Medien veröffentlichen. Aus Daten des Marktforschungsinstituts Kantar geht hervor, dass viele Firmen und Institutionen, an denen der Staat beteiligt ist, regierungsnahe Zeitungen unterstützten, als im Jahr 2020 pandemiebedingt der Werbemarkt einbrach; sie erhöhten ihre Ausgaben für Werbung in den betreffenden Zeitungen. Insgesamt finanzierten die größten Gesellschaften des Staatsschatzes (u. a. PKN Orlen, Bank Pekao SA, Grupa Lotos, Grupa PKP, KGHM Polska Miedź, PGE, PKO BP, PZU, Tauron, PGZ, Totalizator Sportowy) in sechs Wochenzeitungen Werbung in Höhe von 41,45 Mio. Zloty. Von März bis Mai 2020 verzeichnete die Wochenzeitung »Gazeta Polska« in diesem Bereich den größten Einnahmenanstieg, während die Magazine »Sieci« und »Do Rzeczy« an der auf diese Weise unterstützten Werbung am meisten verdienten.
Internetportale
Das Jahr 2020 wies eine besondere Dynamik bei der Internetnutzung auf, deren solide Analyse erst möglich ist, wenn die Daten für das gesamte Jahr vorliegen. Die Angaben für das Jahr 2019 zeigen, dass die Zahl der Internetnutzer in Polen (Untersuchungen von Gemius Polska/PBI) im Dezember 2019 insgesamt 27,7 Mio. betrug. Nach Informationen des Statistischen Hauptamtes (Główny Urząd Statystyczny) hatten ca. 87 Prozent der Haushalte in Polen Internetzugang. Dabei besteht ein Unterschied zwischen den hoch urbanisierten Gebieten, wo die Zugangsquote höher ist, und den ländlichen Gebieten. Ein fehlender Internetzugang war vor allem darauf zurückzuführen, dass kein Bedarf bestand. An zweiter Stelle wurden fehlende digitale Kenntnisse angegeben und erst an dritter bzw. vierter Stelle hohe Kosten des Gerätekaufs bzw. des Internetzugangs. Im April 2020, also einen Monat nach Einführung des pandemiebedingten Fernunterrichts für Schüler und Studenten sowie des Umzugs eines Teils der Arbeitnehmer ins Homeoffice, stieg die Anzahl der Internetnutzer in Polen auf 28,2 Mio.
Leserquoten und Eigentumsverhältnisse
Der Polska Press-Gruppe, die von Orlen übernommen werden soll, gehören die meisten regional ausgerichteten Internetportale. Unter den ersten Zehn der am häufigsten besuchten überregionalen Portale gehören polnischen Unternehmen: wp.pl (Grupa Wirtualna Polska SA), gazeta.pl sowie wyborcza.pl (Agora), natemat.pl (Glob360 Sp. z.o.o.), se.pl (ZPR Media SA), interia.pl (Cyfrowy Polsat SA), außerdem das deutsch-schweizerische onet.pl i fakt.pl (Ringier Alex Springer Polska) sowie das tschechische radiozet.pl (SFS Ventures) und das US-amerikanische tvn24.pl (Discovery).
Die Mehrheit von ihnen bietet ihren Service kostenlos an, aber auch kostenpflichtige Angebote sind beliebt. Im Bericht des Internationalen Verbands der Presseperiodika (Fédération Internationale de la Presse Périodique – FIPP) belegte als einzige Tageszeitung aus Polen die »Gazeta Wyborcza« mit über 240.000 Abonnenten (1. Quartal 2020) Platz 21 eines globalen Rankings und Platz zehn im europäischen Vergleich.
Weitere Eigenschaften des polnischen Pressemarktes
Das bisher dargestellte Bild des polnischen Pressemarktes wird im Folgenden durch weitere Eigenschaften ergänzt, die ihn von den deutschen Gegebenheiten unterscheiden bzw. die in den nächsten Jahren seine Qualität und Entwicklung beeinflussen werden.
Während bei den polnischen überregionalen Tageszeitungen in den letzten Jahren keine großen Veränderungen auftraten, erschienen einige neue konservative Wochenzeitungen wie »Sieci« (2012), »Do Rzeczy« (2013) und »Uważam Rze« (2011–2016), deren Journalisten und Chefredakteure eine wichtige Rolle in öffentlichen Debatten spielen. Das konservative Magazin »Wprost« (seit 1982) hat seit April 2020 keine Printversion mehr.
Trotz der wichtigen Rolle der regionalen Tageszeitungen auf dem polnischen Medienmarkt konzentrieren sich die Hauptaktivitäten des polnischen Pressemarktes in Warschau. Zwar hat die Redaktion des Wochenblattes »Gość Niedzielny« ihren Sitz in Kattowitz (Katowice) und die des »Tygodnik Powszechny« in Krakau (Kraków), aber diese Ausnahmen ändern nichts daran, dass andere Städte in der polnischen Medienlandschaft keine Rolle spielen. Dies ist auf die generelle Zentralisierung in Polen zurückzuführen. Die Sparmaßnahmen der Redaktionen, die mit einem Verzicht auf Korrespondenten in den Regionen einhergehen, fördern diese Situation zusätzlich.
Eine weitere Eigenschaft, die im Zusammenhang mit der Qualität der polnischen Medien genannt werden muss, ist die geringe Anzahl von Auslandskorrespondenten. Auch hier ist der Grund dafür die Einsparung von Kosten. In den vergangenen Jahren wurde ihre Anzahl im Bereich der Presse fast vollständig reduziert. Beispielsweise hat keine Zeitung mehr einen ständigen Korrespondenten in Berlin. Die Meldungen aus dem Ausland sind also Zusammenfassungen des Materials, das die Presseagenturen liefern, oder sie werden in Warschau zusammengestellt, ohne tiefere Einblicke in die Situation vor Ort des betreffenden Landes. Das hat zur Folge, dass die Berichterstattung anfälliger für einseitige Darstellungen ist. Die Informationen aus Deutschland (sowie teilweise aus der Europäischen Union) werden zum Teil auch vom polnischsprachigen Service der Deutschen Welle vervollständigt. Deren Material wird auf der Grundlage von Verträgen mit polnischen Internetportalen (zum Beispiel Onet.pl, Interia.pl, wp.pl) bzw. unter Angabe der Quelle von den polnischen Medien übernommen.
Ein auch für weitere Analysen wichtiges Thema ist die Ausbildung und Vorbereitung der polnischen Journalisten, insbesondere derjenigen, die erfahrene Reporter und Moderatoren in den öffentlichen Medien ersetzten. Das betrifft sowohl die Presse als auch Radio und Fernsehen. Schlechte Vertragsbedingungen, niedrige Bezahlung und das sinkende Ansehen des Berufes tragen nicht dazu bei, dass talentierte und gut vorbereitete Personen angezogen werden. Die Profis arbeiten für Zeitungen oder Sender, die von den Eliten rezipiert werden und mit Blick auf die Gesamtheit eine relativ niedrige Leser- bzw. Einschaltquote haben.
Charakteristisch ist auch, dass sich die Medien vor allem auf Experten aus »ihrem« politischen Lager berufen bzw. diese einladen. Umgekehrt ist festzustellen, dass Politiker oder Fachleute Aussagen für Medien verweigern, die die andere politische Seite vertreten. Hinter dem Boykott steht die Sorge, dass die Aussage aus dem Kontext gerissen und damit verfälscht werden könnte. Moderiert ein Journalist eine Diskussion, an der ein Vertreter des Regierungslagers teilnimmt, kann man sicher sein, dass jener die regierungsfreundlichen Medien repräsentiert.
Ausblick
Die für Ende Januar 2021 angekündigte, aber noch ausstehende Entscheidung des Amtes für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz zum Kauf der Polska Press durch den Konzern Orlen wird zweifellos eine große Bedeutung für die Eigentumsstruktur des Pressemarktes und seiner Internetportale und daher auch für deren Pluralismus haben. Die mögliche Übernahme eines so großen Segments durch einen staatlichen Konzern bedeutet jedoch nicht, dass die Polen den Zugang zu zuverlässigen Informationen verlieren oder die Gesellschaft nur noch Informationen einer politischen Richtung verfolgen kann. Viel wird davon abhängen, was sich ändern wird und wie einschneidend, sowie davon, ob die Leser der Regionalzeitungen und -portale diesen treu bleiben oder deren Lektüre aufgeben. Hinzu kommt, dass in der Regionalpresse der Schwerpunkt gegenwärtig auf der Region und lokalen Angelegenheiten liegt – wenngleich auch diese von unterschiedlichen politischen Seiten instrumentalisiert werden können. Gewöhnlich findet hier kein Investigativjournalismus statt, den eher überregionale gesellschaftspolitisch ausgerichtete Zeitungen und Wochenmagazine betreiben. Deren Anzahl zeigt, dass der Zugang zu einem pluralistischen Meinungsspektrum in Polen immer noch gegeben ist. Zwar erhalten die regierungsnahen Medien finanzielle Unterstützung, aber die oben genannten Zahlen machen deutlich, dass sie dennoch keine Erfolge am Markt erzielen. »Gazeta Polska« und »Gazeta Polska Codziennie«, »Sieci«, »Do Rzeczy« und »Nasz Dziennik« belegen die unteren Plätze in Verkaufsrankings und bei den Leserquoten. Die größte Besorgnis könnte hervorrufen, dass zur Polska Press-Gruppe eine ganze Reihe von Internetportalen gehört. Aber auch hier stellt sich die Frage, wie viele Leser die Portale haben und wer sie liest. Ein Beispiel ist das seit 2016 arbeitende Internetportal »oko.press«, das von Leserbeiträgen sowie geringen Zuschüssen finanziert wird. In der vom Reuters Institute in Auftrag gegebenen Studie »Digital News Report 2020« steht »oko.press« auf Platz eins in der Kategorie »Other Online News Brands« in Polen. Diese umfasst die nicht herkömmlichen medialen Marken, die zu keinem Medienkonzern gehören. »Oko.press« stellt Informationen und Analysen zur Verfügung und bezieht eindeutig gegen die gegenwärtige Regierung Position. In Untersuchungen zur Meinungsbildung gehörte das Portal im Jahr 2020 in mehreren Monaten zu den zehn am häufigsten zitierten Internetportalen.
Die weitreichende politische Polarisierung des polnischen Pressemarktes wird im Jahr 2021 mit Sicherheit keiner Veränderung unterliegen, abgesehen davon, dass sie noch stärker werden kann. Die offensichtliche oder subtile Unterstützung für eine der Seiten des politischen Konfliktes in Polen wird die polnischen Rezipienten auch in den nächsten Jahren begleiten.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate