Robustheit trotz Corona. Die deutsch-polnischen Handelsbeziehungen

Von Adrian Stadnicki (Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, Berlin)

Zusammenfassung
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich Polen 2020 in die Top 5 der deutschen Handelspartner vorgearbeitet. Dass dieser Erfolg in das Krisenjahr der Corona-Pandemie fällt, ist kein Zufall. Er hat vielmehr mit der Stärke Polens als crisis performer zu tun. Die polnische Wirtschaft erwies sich im ersten Jahr der Pandemie im internationalen Vergleich als besonders widerstandsfähig – ähnlich wie schon während der globalen Finanzkrise 2008/2009. Damals war Polen sogar das einzige Land in der EU, das noch ein positives Wirtschaftswachstum verzeichnen konnte. Dies gelang im Corona-Jahr 2020 zwar nicht mehr, aber mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von rund −2,8 Prozent schnitt Polen deutlich besser als der EU-Durchschnitt von −6,3 Prozent ab. Für Deutschland bezifferte sich der Rückgang auf fünf Prozent.

Aus Sicht der Handelsbeziehungen gilt: Deutschland ist für Polen am wichtigsten, Polen wird für Deutschland immer wichtiger. Das deutsch-polnische Wirtschaftstandem war selbst im Krisenjahr der Corona-Pandemie 2020 ein Erfolgsmodell für Europa und stabilisiert die bilateralen Beziehungen.

Polen überholt Italien

Im Jahr des 30-jährigen Jubiläums des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrages zählt Polen nunmehr zusammen mit China, den Niederlanden, den USA und Frankreich zu den fünf wichtigsten Handelspartnern der Bundesrepublik weltweit. Mit diesem Sprung nach vorn ereignete sich gleichzeitig im deutschen Außenhandel ein echter Wachwechsel: Polen zog damit an Italien vorbei. Das ist vor dem Hintergrund des Größenunterschiedes zwischen beiden Volkswirtschaften bemerkenswert. Italiens Bruttoinlandsprodukt entspricht fast vier Mal demjenigen Polens, auch die Einwohnerzahl ist mit 60 Millionen deutlich größer als die polnische mit 38 Millionen.

Eine Auswertung der aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass sich der deutsch-polnische Handel nach einem kurzen, aber heftigen Einbruch im zweiten Quartal 2020 überraschend schnell wieder erholen konnte. Die Lockdowns, Grenzschließungen und Lieferkettenunterbrechungen infolge der Corona-Pandemie wirkten sich damals zunächst massiv auf den bilateralen Warenaustausch aus. Allein im April belief sich der Rückgang gegenüber dem Vorjahr auf 25 Prozent. Doch bis zum Jahresende konnte der deutsch-polnische Handel die zwischenzeitlich dramatischen Verluste nahezu komplett aufholen und erreichte fast noch das Vorjahresniveau von 123 Milliarden Euro. Der Rückgang betrug am Ende nur noch −0,4 Prozent gegenüber 2019.

Im globalen Vergleich zählt Polen damit zu den absoluten Ausnahmen. Der gesamte Warenaustausch der Handelsnation Deutschland erlitt im Jahr 2020 einen Einbruch in Höhe von −8,3 Prozent. China war das einzige Land unter den Top 10 der Handelspartner Deutschlands, das ein Plus im Warenaustausch von drei Prozent erreicht hat. Der Handel Deutschlands mit den USA (−9,7 Prozent), Frankreich (−14,5 Prozent) und Italien (−8,4 Prozent) verzeichnete hingegen deutliche Einschnitte. Vor diesem Hintergrund zählt Polen damit zu den wenigen Konjunkturstabilisatoren im deutschen Außenhandel.

Diese enorm wichtige Rolle Polens für die deutsche Wirtschaft sollte auch in der Öffentlichkeit viel stärker gewürdigt werden. Denn Polen erzählt nicht mehr und nicht weniger als eine der großen Erfolgsgeschichten der EU-Osterweiterung von 2004.

1991 – 2004 – 2020

1991, im Jahr der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages, umfasste der deutsch-polnische Handel umgerechnet gerade einmal acht Milliarden Euro. Die Handelsbeziehungen waren bis dahin kaum ausgeprägt, trotz der geographischen Nähe. Zwar bemühte sich der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft seit seiner Gründung 1952 um den Aufbau von Geschäftskontakten, der langjährige Vorsitzende Otto Wolff von Amerongen und der Krupp-Manager Berthold Beitz waren in Warschau gern gesehene Gesprächspartner und gehörten auch beim legendären Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt 1970 in Warschau zur deutschen Delegation. Aber der Eiserne Vorhang und die Zugehörigkeit Polens zum Warschauer Pakt erschwerten jahrzehntelang die Geschäftskontakte ebenso wie die nicht kompatiblen Wirtschaftssysteme in West und Ost.

Dies änderte sich mit dem Wendejahr 1989. Nach der Öffnung der polnischen Volkswirtschaft nahm der bilaterale Warenaustausch in den 1990er Jahren Fahrt auf. Bis zum EU-Beitritt Polens 2004 konnte sich so der Warenaustausch über die Oder und Neiße vervierfachen: Im Jahr 2004 belief er sich auf 35 Milliarden Euro. 1991 von Platz 15 aus gestartet, stand das Land im Jahr 2004 an 11. Stelle in der deutschen Außenhandelsstatistik. Die Aufnahme Polens in den europäischen Binnenmarkt führte dann zu einer rasanten Beschleunigung. Infolge der sich vertiefenden Wirtschaftsbeziehungen und immer engmaschigerer, gemeinsamer Lieferketten kletterte Polen weiter im Ranking der deutschen Handelspartner nach oben.

Im Jahr 2006 wurde im bilateralen Handel die Marke von 50 Milliarden Euro geknackt. Und kurz vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise hatte sich der Warenaustausch im fünften Jahr nach dem EU-Betritt bereits auf 67 Milliarden Euro gegenüber 2004 nochmals verdoppelt.

Die Weltfinanzkrise 2009 ging nicht spurlos am Handel zwischen den beiden Ländern vorbei. Der Rückgang fiel mit −20 Prozent gewaltig aus, das Vorkrisenniveau konnte aber dennoch schnell wieder erreicht werden. Gleichzeitig zog Polen im Jahr 2010 erstmals in die Top 10 der deutschen Handelspartner weltweit ein.

Im deutschen »Osthandel«, also unter den 29 Partnerländern des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, ist Polen bereits seit dem Jahr 2013 die unangefochtene Nummer eins. Damals konnte das Land erstmals Russland als wichtigsten deutschen Handelspartner in der Region überholen. Parallel mit dem Aufstieg Polens fiel Russland seit dieser Zeit kontinuierlich unter den größten Handelspartnern zurück, sechs Jahre nach der Annexion der Krim und dem Beginn von Wirtschaftssanktionen ist Russland als Handelspartner hinter Tschechien und Ungarn abgerutscht.

2016 kam es dann zu einer historischen Zäsur: Polen übersprang als erstes Land in Mittel- und Osteuropa die magische Marke von 100 Milliarden Euro im Handel mit Deutschland. Und der positive Trend ging weiter: 2019 zog Polen an Großbritannien vorbei auf Platz 6 im Handelsranking. Dieses Überholmanöver kam überraschend früh und hatte zwei Gründe: Die gewohnt hohen Wachstumsraten der polnischen Wirtschaft und das Schwächeln Großbritanniens vor dem Hintergrund des Brexit. Großbritannien ist inzwischen noch weiter zurückgefallen. Das aus der EU ausgetretene Land belegte 2020 nur noch Platz 8 im Ranking der deutschen Außenhandelspartner.

Champion im Handel mit Mittel- und Osteuropa

Der Warenaustausch mit allen 29 Ländern östlich der Oder belief sich 2020 auf insgesamt 422 Milliarden Euro, was einem Anteil von rund 19 Prozent am deutschen Außenhandel entspricht. Sogar die Weltmächte China und USA kommen zusammen nicht auf diese enorme Summe. Das Volumen im Handel mit diesen beiden Wirtschaftsgiganten beläuft sich »nur« auf 384 Milliarden Euro.

Die Tragweite und Bedeutung des deutschen Osthandels wird inzwischen stark von Polen geprägt, dessen Anteil allein bei rund 30 Prozent liegt. Auf die größte Volkswirtschaft in Osteuropa, die Russische Föderation, entfallen hingegen nur noch elf Prozent. Im vergangenen Jahr ist der deutsch-russische Handel um −22,2 Prozent eingebrochen.

Zu den wichtigen Playern im deutschen Osthandel zählen neben Polen insbesondere die anderen Mitglieder der Viségrad-Gruppe: die Slowakei, Tschechien und Ungarn. Als Einheit betrachtet, beläuft sich der Warenaustausch der Bundesrepublik mit der V4-Gruppe inzwischen auf 286 Milliarden Euro. Zusammengerechnet ist die Ländergruppe mit ihren 65 Millionen Einwohnern im Außenhandel damit sogar weit wichtiger für die deutsche Wirtschaft als das 1,4 Milliarden Einwohner zählende China (212 Milliarden Euro).

Für alle V4-Länder hat sich der EU-Beitritt 2004 zu einer großen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte entwickelt. Die Länder sind innerhalb kürzester Zeit zu Top-Partnern der deutschen Wirtschaft avanciert. Sie stehen inzwischen für 12,8 Prozent des weltweiten Handels der Bundesrepublik, Tendenz steigend. Während Deutschland mit der Slowakei, Tschechien und Ungarn sogar ein Handelsdefizit aufweist, werden nach Polen weiterhin mehr deutsche Güter exportiert, als von dort importiert.

Für alle V4-Länder ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Damit wird auch umgekehrt deutlich, wie stark diese Länder von der deutschen Wirtschaft und der Verlängerung deutscher Wertschöpfungsketten im Zuge der EU-Osterweiterung profitiert haben. Das Beispiel Polens zeigt die enorme Bedeutung der Bundesrepublik aus Sicht der V4 auf: Mit einem Volumen von 123 Milliarden Euro steht Deutschland im Ranking der polnischen Handelspartner mit großem Abstand an erster Stelle. Mit 36 Milliarden Euro folgt die Volksrepublik China auf dem zweiten Platz. Zwischen dem wichtigsten und dem zweitwichtigsten Handelspartner Polens klafft also eine Lücke von bemerkenswerten 87 Milliarden Euro.

Die herausragende Bedeutung Deutschlands lässt sich auch am Anteil an den Gesamtexporten bzw. -importen veranschaulichen: Schätzungen des polnischen Statistischen Hauptamtes (Główny Urząd Statystyczny – GUS) zufolge beläuft sich der Anteil Deutschlands an allen polnischen Exporten auf 29 Prozent und der Anteil an allen Importen auf 22 Prozent.

Aus polnischer Sicht ist zudem das Handelsungleichgewicht mit China interessant: Im Gegensatz zu Deutschland exportiert Polen kaum Güter nach China. Die Ausfuhren in die Volksrepublik fallen mit knapp drei Milliarden Euro gering aus. Im Vergleich dazu werden fast zehn Mal so viele Waren aus China nach Polen importiert. Das Handelsdefizit Polens mit dem Reich der Mitte beläuft sich auf rund 29 Milliarden Euro. Als Absatzmarkt ist China für Polen derzeit kaum relevant.

Ein Blick in die Handelsstatistik mit den übrigen Mitgliedern der Viségrad-Gruppe ist ebenfalls lohnend. Eine herausgehobene Stellung kommt hier Tschechien zu. Das Land rangiert bei den polnischen Exporten auf Platz zwei. Die Handelsumsätze mit Ungarn und der Slowakei sind für Polen dagegen nicht von außerordentlicher Bedeutung. Das liegt vor allem an der ähnlichen Wirtschaftsstruktur. Die Länder der Viségrad-Gruppe sind wirtschaftlich auf die größeren westlichen Absatzmärkte in Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien fokussiert.

Rein ökonomisch betrachtet, steht die Gruppe in einem starken internen Wettbewerb. Die Slowakei, Polen, Tschechien und Ungarn sind bemüht, den Sprung zur innovationsbasierten Wirtschaft möglichst schnell zu schaffen und in den internationalen Wertschöpfungsketten aufzusteigen. Die Länder konkurrieren derzeit nicht mehr um reine Industrieinvestitionen, sondern um Investments im Bereich der Forschung und Entwicklung.

Trotz ihrer politischen Bedeutung zählen sowohl die USA als auch Russland nicht zu den Schwergewichten im polnischen Handel. Entgegen der enormen politischen Distanz zu Russland, ist der polnische Warenaustausch mit dem östlichen Nachbarn (17 Milliarden Euro) deutlich größer als der mit dem NATO-Partner USA (13 Milliarden Euro). Infolge der Diversifizierung der polnischen Gasimporte dürfte Russland allerdings weiter an Bedeutung verlieren.

Besonderheiten in den deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen

Die Stabilität des deutsch-polnischen Handels basiert auch auf dessen Diversität. Sehr viele unterschiedliche Warengruppen passieren die Grenzen, der Erfolg ist auf vielen Schultern verteilt. Das senkt die Anfälligkeit in Krisenzeiten. Zudem sticht keine einzelne Warengruppe besonders heraus, wie dies etwa beim deutschen Handel mit Russland der Fall ist, bei dem Erdgas oder Erdöl eine herausgehobene Stellung einnehmen.

Im Jahr 2019 exportierte Deutschland vor allem chemische Erzeugnisse (14,5 Prozent), Maschinen (14,4 Prozent) sowie Kfz und die dazugehörigen Teile (10,9 Prozent) nach Polen. Textilien, Elektrotechnik und Elektronikgüter spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Polen exportierte umgekehrt Kfz und die dazugehörigen Teile (13,6 Prozent), Maschinen (9,9 Prozent) und Nahrungsmittel nach Deutschland (9,4 Prozent).

Eine Besonderheit in der Warenstruktur ergibt sich im Hinblick auf die polnischen Exporte von Möbeln nach Deutschland. Da Polen der größte Möbelexporteur der Welt ist, nimmt diese Kategorie auch mit einem Anteil von 6,4 Prozent einen relativ wichtigen Platz in den polnischen Exporten nach Deutschland ein.

Die Struktur der Importe und Exporte ähnelt sich ansonsten stark. Das gilt als Indikator für eine enge Verzahnung der beiden Volkswirtschaften. Innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne von 30 Jahren wurde Polen engmaschig in die deutschen Wertschöpfungs- und Lieferketten integriert. Qualität (höhere Wertschöpfung) und Quantität (mehr Handel) dürften weiter zunehmen.

Ausgehend von der engen Verzahnung der beiden Volkswirtschaften ist insbesondere die Entwicklung des Außenhandels im vergangenen Jahr von Interesse. Es stellt sich hier die Frage, wie sich die Lockdowns infolge der Corona-Pandemie mit ihren Grenzschließungen und Lieferkettenunterbrechungen auf die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ausgewirkt haben.

Die jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes ermöglichen eine Auswertung der monatlichen Handelsumsätze des gesamten Jahres 2020. Anhand eines Vergleichs mit dem Vorjahreszeitraum (2019) lassen sich tatsächlich einige Auswirkungen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen auf den Warenaustausch beobachten. Die ersten Lockdowns und die polnischen Grenzschließungen im März 2020 machten sich in der Handelsstatistik sofort bemerkbar: Im Monat April brach der bilaterale Warenaustausch bereits um 2,5 Milliarden Euro ein, was einem Rückgang von einem Viertel entspricht. Damals kam es infolge von Grenzschließungen durch Polen zeitweise zu LKW-Staus von 40 Kilometern Länge an der Oder-Neiße-Grenze. Die stark rückläufige Tendenz war in ähnlicher Ausprägung noch im Mai zu beobachten. Im Juni verringerte sich dagegen der Einbruch bereits auf 0,6 Milliarden Euro, ehe sich der Handel ab Juli wieder auf dem Vorjahresniveau einpendelte.

Dass es sich dabei um keine Selbstverständlichkeit handelt, zeigt der Vergleich mit Tschechien, das 2019 noch Waren im Wert von 93 Milliarden Euro mit Deutschland handelte. Ähnlich wie Polen meldete Tschechien im ersten Halbjahr nur geringe Infektionszahlen. Dennoch waren die Einschnitte größer und hielten länger an.

Der Warenaustausch mit Tschechien verzeichnete im April 2020 dadurch einen Rückgang von 2,9 Milliarden Euro, was einem Minus von 37 Prozent entspricht. Bis zum Juni waren die Einschnitte noch deutlich spürbar und erst gegen Jahresende, im November, wurden die Monatszahlen des Vorjahres wieder erreicht. Der deutsch-tschechische Handel konnte sich nach einem starken und langen Einbruch letztlich im Gesamtjahr nicht mehr vollständig erholen. Dies dürfte vor allem auf die höhere Abhängigkeit von der Automobilindustrie zurückzuführen sein.

Die deutschen Exporte nach Polen gingen dagegen im Gesamtjahr 2020 mit −1,7 Prozent nur sehr leicht zurück. Aus polnischer Sicht besonders erfreulich: Die deutschen Importe aus Polen legten sogar leicht zu (+1,0 Prozent). Paradoxerweise war »Made in Poland« damit im »Corona-Jahr« gefragter denn je in der Bundesrepublik. Polen exportierte insgesamt Güter im Wert von 58 Milliarden Euro nach Deutschland.

Betrachtet man das Ranking der Außenhandelspartner nur nach Importen, dann steht Polen sogar an vierter Stelle. Mehr Waren importiert Deutschland nur noch aus China (116 Milliarden Euro), den Niederlanden (88 Milliarden Euro) und den USA (67 Milliarden Euro).

»Polnische Wirtschaft« als Qualitätssiegel

Das Stereotyp der »polnischen Wirtschaft« als ineffizientem und unorganisiertem Wirtschaftsmodell dürfte angesichts der starken Handelszahlen endgültig widerlegt sein. »Made in Poland« ist inzwischen zu einem Qualitätssiegel avanciert. Produkte aus dem Nachbarland erfreuen sich im qualitätsorientierten Deutschland erkennbar einer besonderen Beliebtheit.

Abschließend stellt sich die Frage nach den Gründen für die polnischen Erfolge: Polen begegnet den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise aus einer Position der Stärke heraus. Das Land ist die einzige Volkswirtschaft in der Europäischen Union, die seit 1990 ein ununterbrochenes Wachstum verzeichnete. Experten führen dies vor allem auf das antizyklische Kaufverhalten der Polinnen und Polen zurück. In Krisenzeiten werden demnach in Polen vermehrt Güter nachgefragt, während in anderen, eher auf Ersparnisse orientierten Ländern der private Konsum stark einbricht. Das führt dazu, dass die Bevölkerung in Polen sozusagen ein eigenes Konjunkturpaket auflegt und die Wirtschaft stabilisiert.

Die polnischen Wachstumsraten waren auch im Zeitraum vor der Krise mit 4,8 Prozent (2017), 5,4 Prozent (2018) und 4,5 Prozent (2019) sehr hoch und lagen deutlich über dem jeweiligen EU-Durchschnitt. Bereits vor der Krise war Polen damit ein Wachstumsmotor der EU.

Das Wachstum der polnischen Wirtschaft fußt insgesamt auf drei Säulen. Dazu zählen die starke Binnennachfrage (auch in normalen Zeiten, denn die Polinnen und Polen sind konsumfreudig), die auf EU-Fördermitteln beruhenden Investitionen und die steigenden Exporte. Alle drei Faktoren kurbeln das polnische Wachstum an, wobei der private Konsum der stärkste Treiber ist. Die Sozialprogramme der nationalkonservativen Regierung, zu denen auch das Kindergeld 500+ gehört, wirken sich ebenfalls auf den privaten Konsum aus. Hinzu kommen die üppigen Konjunkturpakete der Regierung. Während der Corona-Pandemie wurden mehr als 70 Milliarden Euro an Hilfsgeldern mobilisiert, in seiner Gesamtheit das größte Konjunkturpaket in Mittel- und Osteuropa.

Auch in Zukunft wird die polnische Wirtschaft durch EU-Fördermittel angekurbelt. Warschau dürfte weiterhin ein Top-Profiteur von EU-Kohäsionsgeldern sein. Nach dem gerade verabschiedeten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU kann Polen für die Jahre 2021 – 2027 mit 75 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds rechnen. Damit geht jeder fünfte Kohäsionseuro nach Polen. Aus dem europäischen Konjunkturpaket »NextGenerationEU« dürften zudem mehr als 20 Milliarden Euro an weiteren Zuschüssen nach Polen fließen.

Never ending success story? Yes, we can

Polen ist für Deutschland nicht nur der wichtigste Handelspartner in Mittel- und Osteuropa und ein wirtschaftlicher Impulsgeber, sondern auch ein Stabilisator der deutschen Konjunktur in Krisenzeiten. Das Land ist längst auch keine verlängerte Werkbank mehr, sondern wird immer mehr zu einem Innovationspartner für die deutsche Wirtschaft. Viele deutsche Unternehmen entwickeln ihre digitalen Produkte bereits in Polen und nutzen so die IT-Affinität der im EU-Durchschnitt jungen Bevölkerung.

Zu den vielversprechenden Signalen zählte im vergangenen Jahr auch, dass der größte Börsengang in Europa mit dem Internetauktionshaus Allegro aus Polen kam. Mit positiven wirtschaftlichen Überraschungen aus Warschau ist also weiter und vermehrt zu rechnen. Allerdings: Die Konkurrenz schläft nicht. Dass der US-amerikanische Onlineversandhändler Amazon 2021 erstmals auch in den polnischen Markt eintrat, deutet an, dass die polnischen Unternehmen nun verstärkt auch im globalen Wettbewerb bestehen müssen. Hier scheint eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen sinnvoll, wie sie etwa im Automobilbereich bereits gang und gäbe ist.

Der Ausblick bleibt positiv: Die Megatrends der Digitalisierung und auch der europäische Green Deal dürften die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland weiter befeuern. Hier gibt es im traditionellen Kohleland Polen infolge des klimagerechten Umbaus der europäischen Wirtschaft bis 2050 große Potenziale, die gemeinsam gehoben werden können.

Zusammenfassend betrachtet stellen die deutsch-polnischen Handelsbeziehungen also eine gemeinsame Erfolgsgeschichte dar. Die Chancen für eine Fortsetzung stehen gut. Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass Polen im Jubiläumsjahr des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages eine derart große Bedeutung für Deutschland erreichen würde? Diese Entwicklung gilt es entsprechend zu würdigen, richtet sich der Fokus der Öffentlichkeit doch in der Regel gern auf die Themen, die beide Länder voneinander trennen.

Lesetipps / Bibliographie

„Jahrbuch Polen 2020: Wirtschaft“, herausgegeben vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2020.

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Von Michał Olszewski
Der Autor vergleicht die Diskussion und die konkreten Schritte zu der von der Politik postulierten Energiewende in Deutschland mit der Situation in Polen. Während er die Umsetzung in Deutschland von einer breiten Mehrheit getragen sieht, stellt er für Polen große Vorbehalte gegenüber erneuerbaren Energien und einer grundlegenden Umstrukturierung des Energiesektors fest. Zurückzuführen sei die Zurückhaltung weniger auf finanzielle Gründe als auf das mangelnde Verständnis von der umweltpolitischen Notwendigkeit und auf den Einfluss von traditionellen energiepolitischen Lobbygruppen. Der Autor behauptet einen Mangel an Einsicht, dass es keine Alternative zu dem von der EU befürworteten Energiekurs gibt, und an Mut, sich in Polen den mit einer energiepolitischen Wende einhergehenden Reformen zu stellen.
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