Ochojska: Polen sollte die Flüchtlinge aus Afghanistan, unsere Verbündeten, gut aufnehmen
18. August 2021
Polen versucht, Afghanen, die mit dem polnischen Militär und Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet haben, [aus Afghanistan] herauszuholen. […]
OKO.press fragt Janina Ochojska, Gründerin und langjährige Chefin der Polnischen Humanitären Aktion (Polska Akcja Humanitarna) und Europaabgeordnete der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), wie die Afghanen in Polen aufgenommen werden sollten.
Adam Leszczyński: Polen hat beschlossen, ein Flugzeug für die Mitarbeiter unserer Streitkräfte, Diplomaten und Nichtregierungsorganisationen sowie ihre Familien nach Kabul zu schicken. Hat das nicht zu lang gedauert? Hätte man nicht früher daran denken müssen?
Janina Ochojska: Natürlich hätte man früher daran denken müssen, als bereits klar war, dass die Taliban Afghanistan überfluten, als sie sich Kabul näherten – das versteht sich von selbst!
Das sind Menschen, denen wir versprochen haben, dass wir sie schützen werden, wenn sie etwas bedroht. Ein Teil der Mitarbeiter, zum Beispiel ein Teil der Menschen, mit denen die Polnische Humanitäre Aktion zusammengearbeitet hat, wurde evakuiert – manche schon vor mehr als zehn Jahren – und sind jetzt in Polen.
Leider haben alle Prozedere so lang gedauert, dass sie erst nach zehn Jahren anfangen, sich mehr oder weniger ein eigenes Leben aufzubauen. Ich bin gespannt, wie das jetzt sein wird. Zum Beispiel ist ein Teil der Familien unserer ehemaligen Mitarbeiter dort geblieben, das weiß ich, sie sollen auch evakuiert werden und auf alle Fälle bemühen wir uns darum. Es kann allerdings zu spät sein, denn jetzt alle diese Menschen zusammenzuholen, zu finden, sogar wenn sie auf dem Flughafen in Kabul sind, der überfüllt ist – das wird nicht einfach.
Zur Vergewisserung: Der Vertrag mit den Menschen, mit denen Polen in Afghanistan zusammengearbeitet hat, sah folgendermaßen aus: Wir schützen sie auch nach Beendigung der Zusammenarbeit?
So war es. Wir sprechen hier von zwei Gruppen von Menschen. Manche, insbesondere zum Beispiel die, die mit der Polnischen Humanitären Aktion bis 2009, als wir unsere Mission beendeten, zusammengearbeitet haben, erwarteten von uns Hilfe beim Verlassen Afghanistans aus Sicherheitsgründen. Manche wollten bleiben.
Vollkommen anders ist es bei den Menschen, die mit dem Militär zusammengearbeitet haben. Die Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen zieht nicht solche Konsequenzen nach sich wie die Zusammenarbeit mit der Armee.
Ich präzisiere: Die Zusammenarbeit mit dem Militär ist riskanter?
Ja, und daher sollte jeder Mensch, der sich zu einer solchen Zusammenarbeit verpflichtet hat, sei es aufgrund von Sprachkenntnissen oder aufgrund von Geländekenntnissen oder aufgrund anderer Fertigkeiten, die bei den Streitkräften gefragt waren, jeder Mensch sollte in dem Moment automatisch evakuiert werden, wenn sich die Armee aus Afghanistan zurückzieht.
Viele sind jedoch geblieben. Ähnlich war es übrigens im Irak. Zum ersten Mal habe ich im Irak davon gehört, dass die Mitarbeiter oder Übersetzer zurückgelassen wurden. Natürlich nicht alle; es gibt welche, denen es gelang, auszureisen.
In Afghanistan sollte das absolut alle betreffen, es sei denn, jemand unterschreibt eine Erklärung, dass er nicht will.
Wer sind diese Menschen?
Das sind ganz unterschiedliche Personen. Wir haben Englischkurse durchgeführt, also haben wir Menschen gebraucht, die diese Kurse halten konnten. Wir haben auch Computerkurse durchgeführt, sowohl in Kabul als auch außerhalb. Wir haben Schulen aufgebaut und Wasserentnahmestellen, also haben wir Arbeitskräfte eingestellt, wir brauchten zum Beispiel eine Bauaufsicht. Wir haben mit einem Ingenieur zusammengearbeitet, der in Polen sein Studium beendet hat. Er hatte eine Bauaufsichtsberechtigung, er konnte also bestimmte Gebäude abnehmen. Wir hatten Fahrer, die uns an verschiedene Orte gefahren haben.
Wir hatten nicht sehr viele Mitarbeiter, denn wir konnten uns das ganz einfach nicht leisten und haben viel selbst gemacht. Wir brauchten allerdings auch Übersetzer, die mit uns in die Ämter gingen, um Angelegenheiten zu erledigen.
Meistens haben wir sie über Anzeigen gefunden oder über andere Organisationen. Alles hing davon ab, wen wir suchten.
Sie haben erwähnt, dass die Prozedere der Übersiedlung in Polen sehr lange dauerten. Worin bestanden die Probleme? Ist die polnische Bürokratie besonders abweisend oder arbeitet sie besonders schlecht in solchen Situationen?
Flüchtlinge sind bei uns in Polen nicht besonders gern gesehen. Ich kann leider nicht allzu viele Einzelheiten nennen, denn ich will nicht, dass diese Menschen identifizierbar werden.
Zuerst lebten diese Personen in einem Flüchtlingslager. Sie wohnten lange dort, aber das ist kein Ort, an dem sich ein Mensch entwickeln kann. Englischunterricht, Polnischunterricht, alle Prozedere, Dokumente, die man bekommen musste – das dauerte. Ganz zu schweigen davon, dass es für einen Afghanen, der die Sprache noch nicht gut kennt, sehr schwer ist, eine Arbeit zu finden.
Unterdessen mussten sie sehr häufig das Lager verlassen und selbst für ihren Unterhalt sorgen – sie kannten aber die Sprache noch nicht so gut. Eine Wohnung oder ein Zimmer zu finden war noch schwieriger.
Wenn jemand in Polen leben soll, muss er ein selbständiges Leben führen, das heißt für sein Auskommen sorgen können, eine Unterkunft haben und durch seine Arbeit seinen Unterhalt verdienen.
Am Anfang hatten sie übrigens keine Beihilfe, denn im Flüchtlingslager bekommt man 50 Zloty Taschengeld.
Was sollte Polen mit den Hundert Menschen tun, die es jetzt hierherholt? Sollten sie ein Sonderverfahren durchlaufen oder können sie in die Prozedere aufgenommen werden, in die alle Flüchtlinge kommen? Im polnischen Verständnis sind die Prozedere schrecklich – sie sind sicherlich immer schrecklich, aber hier besonders schrecklich. Das sind ja unsere Verbündeten.
Ich denke, es ist sehr schwer, ein Sonderverfahren zu schaffen… Vor allem müssen die Betreffenden ihren Willen bekunden, ob sie in Polen bleiben oder in ein anderes europäisches Land gehen wollen, wo sie zum Beispiel Verwandte haben. Das ist ein grundlegender Punkt.
Das Wichtigste ist, diesen Menschen hier ein würdiges Leben zu gewährleisten, und zwar der Art, dass sie nicht alles erbitten müssen und für alles den Weg durch die Behörden gehen müssen. Das ist für mich eine absolut grundlegende Bedingung. Sie sollten gleich zu Anfang darüber informiert werden, was sie erwarten können und was nicht, damit sie das wissen, wenn sie Entscheidungen treffen. Zum Beispiel ob jemand den Polnischkurs finanziert oder nicht. Ob sie Englisch weiterlernen wollen oder nicht. Sie müssen wissen, ob sie in einer großen oder in einer kleinen Stadt wohnen und welchen Beruf sie ausüben wollen – sie sollten gewissermaßen sofort die Rahmenbedingungen kennen.
Bei uns ist es doch meistens so, dass es zufällig gelingt, dem Beamten etwas aus dem Kreuz zu leiern, aber meistens wissen die Flüchtlinge ganz einfach nicht, was sie überhaupt erwarten können. Ich befürchte, dass es bei unseren Verbündeten aus Afghanistan dasselbe sein wird.
Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von OKO.press.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: OKO.press. https://oko.press/ochojska-polska-powinna-dobrze-przyjac-uchodzcow-z-afganistanu/ (abgerufen am 13.10.2021).