Zunächst ist festzuhalten, dass sich die regierenden Rechtspopulisten fast alle öffentlichen Institutionen untergeordnet haben und sie für eine koordinierte Anti-Oppositions-Propaganda einsetzen. Insbesondere das öffentliche Polnische Fernsehen (TVP) zeichnet sich durch systematische Negativkampagnen aus, die gegen die Hauptpersonen und -gruppierungen der Opposition gerichtet sind. Leider hat auch der deutsche Medienkonzern Verlagsgruppe Passau dazu beigetragen, diese Vorgehensweise zu erleichtern, denn er verkaufte etliche regionale Tageszeitungen, Wochenzeitungen und online-Portale an den polnischen Mineralölkonzern Orlen, der von Akteuren, die der Regierungspartei nahe stehen, kontrolliert wird (siehe Polen-Analysen Nr. 269, https://www.laender-analysen.de/polen-analysen/269/). Die aufgekauften Zeitungen wurden der Propagandamaschine des Regierungslagers angeschlossen.
Von Hackern enthüllte E-Mails privater E-Mailkonten von Mitgliedern der Regierungsmannschaft zeigten, dass es ein permanenter und wesentlicher Bestandteil der Beratungen und Besprechungen des Regierungslagers ist, sich selbst ein positives Image zu geben sowie Möglichkeiten zu ersinnen, die Opposition anzuschwärzen. Sowohl im Hintergrund als auch in der Regierung arbeitet eine spezialisierte Gruppe von Experten für politisches Marketing und Wettbewerb, die sich fortlaufend Propagandakampagnen ausdenkt. Dabei kommen auch antideutsche und antieuropäische Narrationen zum Einsatz, welche die Politiker der Opposition als Diener deutscher und europäischer, aber nicht polnischer Interessen diskreditieren sollen.
Das Hauptziel dieser Propagandaattacken ist Donald Tusk. Der ehemalige Ministerpräsident Polens stammt aus einer Familie, die in der ehemaligen Freien Stadt Danzig (heute Gdańsk) lebte; von 2014 bis 2019 übte er das Amt des EU-Ratspräsidenten aus. Er eignet sich also dafür, die deutschen und europäischen Verflechtungen zu repräsentieren sowie den angeblichen Einfluss der Opposition auf Berlin und Brüssel, wobei er als ihr wichtigster Akteur angesehen wird.
Das Kräfteverhältnis im Oppositionslager
Tusk steht gegenwärtig an der Spitze der stärksten Oppositionspartei, der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO). Er hat diesen Platz vor einigen Monaten erneut eingenommen, als er seine Mission in der Europäischen Union beendet hat und in die polnische Politik zurückgekehrt ist. Zuvor hatte er seine Partei im Zustand der Krise zurückgelassen, die von mehreren Wahlniederlagen sowie der scharfen Konkurrenz vonseiten der oppositionellen Gegner hervorgerufen worden war. Seine Rückkehr aus Brüssel belebte die PO wieder und stärkte ihre Spitzenposition im Oppositionslager mit Umfragewerten, die sich um 25 Prozent bewegen. So scheint sich seine persönliche Position – er ist wahrscheinlich der erfahrenste und in der internationalen Politik am stärksten verwurzelte polnische Politiker – günstig auf die von ihm geführte Partei auszuwirken. Die PO ist liberal-konservativ; ihre Europaabgeordneten gehören zur Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die CDU angehört. Tusk steht zurzeit dieser Fraktion vor.
Platz zwei auf der Unterstützungsskala der Anti-Regierungswähler belegt eine erst im Jahr 2020 vom damaligen Präsidentschaftskandidaten Szymon Hołownia initiierte Gruppierung. Hołownia ist relativ jung (45 Jahre) und ein Anfänger in der Politik, gleichzeitig aber ein bekannter katholischer Publizist und TV-Moderator, der 2020 recht unerwartet seine Anwartschaft auf das Präsidentenamt verkündete und im landesweit durchgeführten ersten Wahlgang knapp 14 Prozent erzielte. Er kam nicht in den entscheidenden zweiten Wahlgang (in dem der amtierende Präsident und Kandidat des rechtskonservativen Lagers, Andrzej Duda, nur knapp den für die PO angetretenen Stadtpräsidenten von Warschau, Rafał Trzaskowski, schlug), aber es gelang ihm mit der Unterstützung seiner Wähler, eine politische Bewegung ins Leben zu rufen, deren Umfragewerte rasch stiegen. Zeitweilig übertrafen sie die der PO und Hołownias Gruppierung besetzte die Führungsposition im oppositionellen Lager. Seit Tusks Rückkehr auf die polnische politische Bühne und der Stärkung der PO liegt die Unterstützung für Hołownias Bewegung Polen 2050 (Polska 2050) zwischen 10 und 15 Prozent. Da sie relativ neu ist, hat sie praktisch keine parlamentarische Repräsentanz, zumal ihr nur vereinzelt Personen aus anderen Parteien mit ihren Abgeordnetenmandaten beitraten, und ist in staatlichen Institutionen, deren Entscheidungsgremien gewählt werden, noch nicht vertreten.
Die Übernahme von Politikern und Akteuren anderer, länger bestehender oppositioneller Gruppierungen ist einer der Vorwürfe, den deren Anführer Hołownia machen. Er selbst versichert, dass er im Stande sei, Akteure und Wähler der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) für Polen 2050 zu gewinnen und so das summarische und proportionale Ergebnis der Opposition gegenüber dem der PiS zu verbessern. Das erwies sich allerdings als unhaltbare Erklärung, denn Untersuchungen zeigen, dass ein verschwindend geringer Anteil der PiS-Anhänger Polen 2050 als zweite Option betrachtet.
Hołownia selbst hatte noch vor einigen Jahren recht konservative, wenngleich tolerante Ansichten im Geiste eines offenen Katholizismus und trat für diese auch in seiner Publizistik ein. In letzter Zeit mildert er sie ab, zum Beispiel in Fragen der Rechte für LGBT+-Personen oder der Zulässigkeit von Abtreibung, Themen, die Gegenstand heftiger weltanschaulicher Kontroversen sind. In der aktuell für Polen grundlegenden politischen Frage der Notwendigkeit, sich gegen den fortschreitenden Autokratismus zu stellen und für die Verteidigung des demokratischen Rechtsstaates einzustehen, vertritt Hołownia prodemokratische und prorechtsstaatliche Ansichten. Dabei ist er bemüht, sie als eigenständig darzustellen, gesondert vom Rest der Opposition, von der er sich abgrenzt.
Dies liegt im Hauptproblem Hołownias und seiner Gruppierung begründet, und zwar der ideellen und weltanschaulichen Ähnlichkeit zur PO und dem sich daraus ergebenden starken Bedürfnis, Andersartigkeit zu markieren. Zu seinen Gunsten wirkt der Effekt des Neuen, der jedoch allmählich verfliegt. Immer häufiger richten sich vonseiten der oppositionellen öffentlichen Meinung Ermunterungen oder sogar Überredungsversuche an ihn, sich mit den Kräften der PO zu verbinden. Hołownia hat dies bisher recht entschieden abgelehnt. Vermutlich will er seine politische Gruppierung in Wahlen testen; die nächsten wären die Parlamentswahlen, die regulär in anderthalb Jahren stattfinden würden.
Tief in der Krise steckt der linke politische Flügel. Er tritt zurzeit unter dem Schild Neue Linke (Nowa Lewica) auf, hinter dem der Zusammenschluss der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) und der Partei Gemeinsam (Razem) mit der an Bedeutung verlierenden Partei Frühling (Wiosna) des bekanntesten homosexuellen Politikers in Polen und aktuell Europaabgeordneten, Robert Biedroń, steht. Die Neue Linke erhielt in den Parlamentswahlen 2019 über zwölf Prozent; in den Meinungsumfragen liegt sie aber seit langem unter zehn Prozent und bewegt sich in Richtung Fünf-Prozent-Hürde (2015 hatte sie nicht in den Sejm einziehen können, weil sie die für Wahlbündnisse erforderlichen acht Prozent nicht erreicht hatte). Einer der Gründe für ihre nun schwachen Unterstützungswerte sind Reibereien, die den Zusammenschluss von SLD und Frühling begleiteten, aber auch die zweideutige Haltung gegenüber der rechtspopulistischen Regierung, die eine Politik verschwenderischer Sozialtransfers betreibt, was einem Teil der linken Aktivisten gefällt.
Das spektakulärste Beispiel war die Unterstützung linker Abgeordneter für den Landesaufbauplan, das von der polnischen Regierung der Europäischen Union vorgelegte Programm für den Einsatz von EU-Finanzmitteln, welche die EU ihren Mitgliedsländern mit dem Ziel bereit stellt, die infolge der Corona-Pandemie geschwächten Wirtschaften der EU-Staaten zu unterstützen. Die Europäische Kommission verweigerte dem polnischen Landesaufbauplan die Zustimmung. Gründe dafür sind die Verletzung der EU-Rechtsstaatsprinzipien durch Polen, die fehlende Anerkennung Polens der in diesem Bereich gesprochenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes sowie inoffiziell auch die berechtigte Sorge, dass die Mittel den regierenden Rechtspopulisten dazu dienen würden, Wählerstimmen zu »kaufen«. Die Unterstützung der Linken für die polnische Regierung, entgegen der Warnungen der EU, rief einen Konflikt in der Opposition und negative Reaktionen in der linken Wählerschaft hervor.
Vor einigen Wochen verließen die linken Senatoren die Fraktion der Linken im Senat und schlossen sich neu zusammen.
Krisengebeutelt ist auch die schwächste der Oppositionsparteien, die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL). Einst zwei Legislaturperioden lang Regierungspartner der PO, distanziert sie sich seit langem vom ehemaligen Koalitionspartner und balanciert in Umfragen um die Fünf-Prozent-Hürde herum. Die regierenden Rechtspopulisten eroberten auf dem Land und in der Provinz eine umfangreiche gesellschaftliche Basis und verdrängten die früher dort dominierende PSL.
Außerhalb des Regierungslagers gibt es noch eine weitere parlamentarische Gruppierung, die rechtsnationalistische, libertäre und antieuropäische Konföderation (Konfederacja), die weltanschaulich mit der deutschen Partei AfD vergleichbar ist. Ihren oppositionellen Status lebt sie zweigleisig aus, indem sie sich sowohl von den anderen Oppositionsparteien abgrenzt als auch aus ihren radikalen Positionen heraus teilweise die Regierung angreift (zum Beispiel beim Auftritt gegen Corona-Impfungen oder der Bekämpfung jeglicher Corona-Schutzmaßnahmen). Insgesamt wird sie als potentieller Koalitionspartner der PiS betrachtet, sollte diese dauerhaft ihre parlamentarische Mehrheit verlieren.
Perspektiven gemeinsamen Handelns
Die bei den Wahlen zum Sejm (der unteren Parlamentskammer) geltende proportionale Sitzzuteilung nach dem D’Hondt-Verfahren, das die stärkeren Gruppierungen bevorzugt, und die Fünf-Prozent-Hürde veranlassen viele Kommentatoren und Wähler, die Bildung eines oppositionellen Blocks in Erwägung zu ziehen, der das nationalistisch-populistische Lager besiegen und vor allem garantieren soll, dass keine Stimme der oppositionellen Wähler vergeudet wird. Die Gegner argumentieren wiederum, dass die bisher unternommenen Versuche in diese Richtung in einem Fiasko mündeten.
In der Tat unternahm der damalige PO-Vorsitzende Grzegorz Schetyna vor den Wahlen zum Europäischen Parlament (2019) einen solchen Vereinigungsversuch. Auf seine Initiative hin bildete sich die Europäische Koalition (Koalicja Europejska), die 38,5 Prozent der Stimmen erhielt und gegen die regierende PiS verlor, die mehr als 45 Prozent erlangte. Allerdings startete damals auch Frühling von Robert Biedroń und bekam mehr als sechs Prozent (er selbst erlangte ein Abgeordnetenmandat) und befand sich die PiS zu dieser Zeit auf dem Gipfel ihrer politischen Stärke.
Die Europäische Koalition brach auseinander und zu den Parlamentswahlen in Polen noch im selben Jahr gingen die oppositionellen Gruppierungen gesondert, wobei sich um die PO ein kleineres Bündnis unter dem Namen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) bildete, was die liberale Partei Die Moderne (Nowoczesna), die kleine linke Gruppierung Initiative Polen (Inicjatywa Polska) sowie die schwache Partei Die Grünen (Zieloni) einband. Die PiS gewann auch diese Wahlen mit fast 45 Prozent, in absoluten Zahlen allerdings wurden knapp eine Million Stimmen mehr für die zersplitterte Opposition (ohne Konföderation) als für die PiS abgegeben. Bis heute ist das eines der Hauptargumente der Befürworter einer Vereinigung der Opposition.
Für die gleichzeitig stattgefundenen Wahlen zum Senat, bei denen das Mehrheitswahlrecht gilt, bildeten die Oppositionsparteien einen gemeinsamen Block (in jedem Ein-Mandats-Kreis wurde nur ein einziger und gemeinsamer Kandidat aufgestellt) und bekamen knapp die Mehrheit der Sitze dieser zweiten Parlamentskammer, die zu einer wichtigen Barriere für die autoritären Bestrebungen der regierenden PiS geworden ist.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass es zu einer engeren Zusammenarbeit und Koordination der Aktivitäten der Oppositionsparteien noch vor den Parlamentswahlen in Ungarn im April 2022 kommen wird. Die Opposition dort hat einen gemeinsamen Block gebildet und dessen Ergebnis wird für die polnischen Politiker und Publizisten ein wichtiges Argument werden. Eine Niederlage wird vermutlich endgültig die Chancen auf Vereinigung der Opposition in Polen zunichtemachen.
Einige ihrer Vertreter berufen sich auf das Beispiel Tschechien, wo im vergangenen Jahr zwei oppositionelle Blocks die Populisten schlugen. Ein Fürsprecher dieser Lösung ist insbesondere der Parteichef der PSL, Władysław Kosiniak-Kamysz, der nahelegt, dass ein links-liberales Bündnis um die PO einerseits und seine Partei mit Polen 2050 als konservativer Block andererseits nicht nur die oppositionelle Wählerschaft mobilisieren, sondern auch diejenigen Wähler gewinnen kann, die bisher für die rechten Populisten gestimmt haben.
Donald Tusk verfolgt am entschlossensten von allen Parteiführern die Idee der Vereinigung der Opposition, ruft damit aber Widerspruch bei potentiellen Partnern hervor, die in dieser Strategie den Wunsch sehen, sie zu dominieren. Dabei schließt Tusk recht entschieden die Linke aus einem eventuellen gemeinsamen Block aus, da sie nicht ausreichend regierungskritisch sei. Die PSL will trotz der gemeinsamen Regierungserfahrung mit der PO und der Zugehörigkeit zur selben Fraktion im Europäischen Parlament keine Zusammenarbeit mit der PO und versucht, um die Stimmen auf dem Land zu kämpfen, wo die PO als Partei der Mittelklasse und der großstädtischen Wählerschaft (alle größeren Städte in Polen werden von PO-Vertretern oder Politikern, die von der PO unterstützt werden, regiert) nicht populär ist. Hołownia wiederum will seine neue Gruppierung selbständig in den Wahlen prüfen.
Einer der Hauptgründe für die Zurückhaltung der kleineren Oppositionsparteien gegenüber dem Vorschlag der Kooperation ist demnach die Sorge, von der PO dominiert zu werden. Sie zählen darauf, dass sie mit der Zeit ihre Umfragewerte verbessern und in eventuellen Verhandlungen mit Tusk noch vor den Wahlen eine stärkere Position werden einnehmen können. Immer mehr weist darauf hin, dass sich diese Rechnung als Fehlkalkulation erweisen kann. Ein Teil der Wähler signalisiert, dass, falls es nicht zur Aufstellung gemeinsamer Wahllisten für die gesamte Opposition kommt, er die stärkste oppositionelle Formation, also PO/KO, unterstützen wird. Das würde bedeuten, dass die übrigen Parteien Unterstützung verlieren und nicht gewinnen werden.
Sollte allerdings eine der Oppositionsparteien unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen und nicht in den neuen Sejm einziehen, würde das eine Niederlage für die gesamte Opposition bedeuten, denn über ihren Sieg oder Niederlage werden wahrscheinlich nur wenige Prozent entscheiden.
Sehr wahrscheinlich ist dagegen die Bildung eines gemeinsamen Blocks für die Senatswahl, ähnlich wie im Jahr 2019. Ein erneuter Erfolg würde hier jedoch nicht bedeuten, der PiS die Regierungsmacht abzunehmen, denn der Senat hat keinen Einfluss auf die Regierungsbildung. Er kann allein Gesetzgebungsinitiativen verlangsamen oder blockieren sowie auf die Besetzung mancher staatlicher Institutionen Einfluss nehmen.
Die Übernahme der Regierungsverantwortung wird nicht leicht
In letzter Zeit geben die Umfragen insgesamt der Opposition, sogar wenn sie so zersplittert bleibt, den Vorrang vor der PiS. Den Rechtspopulisten die Regierungsverantwortung abzunehmen, wird allerdings nicht leicht werden, da diese alle ergreifbaren Mittel einsetzen, um dies zu verhindern.
Wie unlängst bekannt wurde, haben die von der PiS kontrollierten Geheimdienste mit Hilfe der in Israel gekauften Überwachungssoftware Pegasus mutmaßlich den Chef des Wahlkampfstabes der PO im Jahr 2019 ausgespäht und damit auch die Aktivitäten der stärksten Oppositionspartei. Auch soll zu den durch Pegasus Überwachten ein bekannter Rechtsanwalt und Rechtsbevollmächtigter von Donald Tusk gehört haben. Außerdem tauchten Informationen darüber auf, dass der Vater des PO-Wahlkampfleiters Krzysztof Brejza sowie seine damalige Assistentin, heute Abgeordnete, wohl gehackt und abgehört wurden (bei der Enthüllung halfen Journalisten der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit«). Immer häufiger werden in der öffentlichen Debatte in Polen Warnungen ausgesprochen, dass es bei den kommenden Parlamentswahlen zu vielfältigen Manipulationen und Missbrauch kommen kann, die zur Folge haben können, dass die Wahlen nicht gleich, möglicherweise nicht einmal frei sein werden. Es werden Befürchtungen lauter, dass das Regierungslager versuchen kann, die Wahlordnung zu seinen Gunsten zu verändern. Sollte die Opposition jedoch trotz dieser Hindernisse und Erschwernisse die Mehrheit im Parlament erlangen und die PiS aus der Regierung drängen, würde vermutlich keine Schwierigkeit mit der Bildung der Regierungskoalition bestehen. Die Oppositionsparteien eint das gemeinsame Bestreben, die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherzustellen, den autoritären Praktiken ein Ende zu setzen und sie auszuschalten sowie die demokratischen und zivilgesellschaftlichen Institutionen zu erneuern. Das wären die Hauptaufgaben einer solchen künftigen Regierung.
Ein Hindernis wären hier allerdings das Vetorecht von Präsident Duda, dessen Amtszeit bis 2025 dauert, sowie zahlreiche Institutionen, die mit von der PiS nominiertem Personal ausgestattet sind, einschließlich dem Verfassungstribunal, dessen Präsidentin Handlangerin der PiS und ihres Chefs Jarosław Kaczyński ist. Vorstellbar ist also die Situation, dass von der neuen parlamentarischen Mehrheit verabschiedete Gesetze vom Präsidenten mit Veto belegt oder vom Verfassungstribunal in Frage gestellt werden (der Präsident hat das Recht, sie dorthin zu verweisen). Vor diesem Hintergrund entstand, insbesondere vonseiten der PO, die politische Initiative »276«. 276 ist die erforderliche Anzahl der Mandate (zwei Drittel des Sejm), die es bedarf, um ein Veto des Präsidenten abzulehnen. Ein so hohes Ergebnis für die Opposition erscheint allerdings zurzeit unrealistisch (um die Regierung zu stellen, bedarf es 231 Abgeordnetensitze im Sejm).
Aufseiten der Opposition sind, wenngleich nicht allzu laute, Stimmen zu vernehmen, die dazu aufrufen, im aktuellen Sejm für eine Mehrheit zu sorgen, dass ein neues Kabinett mit Rückhalt aller parlamentarischen Fraktionen außerhalb des jetzigen Regierungslagers berufen werden kann. Möglich wäre das nur mit einem konstruktiven Misstrauensvotum – in Polen kann eine amtierende Regierung nur mit Hilfe der Einberufung einer neuen abgesetzt werden, was bedeutet, dass es für die neue Regierung eine parlamentarische Mehrheit geben muss. Hypothetisch ließe sich das machen, denn das aktuelle Regierungslager verfügt nur über 228 Stimmen, was ihm nicht die Mehrheit gibt, weshalb vor jeder Abstimmung die Unterstützung einiger unabhängiger Abgeordneter oder am Rande stehender, kleiner Abgeordnetenkreise gesucht wird. Bisher ist das den führenden Akteuren der Regierungsmannschaft gewöhnlich gelungen – auch oder insbesondere unter Zuhilfenahme von Methoden politischer Korruption, beispielsweise Versprechen vielfältiger Vorteile, Posten usw., die sich aus der Unterstützung für Machthaber ergeben, die über weitreichenden Einfluss verfügen. Jedoch traten für das Regierungslager auch mehrmals Niederlagen bei Abstimmungen im Sejm ein, wenngleich in der Regel bei weniger wesentlichen Fragen.
Als sehr wichtig, vielleicht sogar entscheidend für die Zukunft der aktuellen Regierungskoalition kann sich die für März angekündigte Abstimmung über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der mutmaßlichen Überwachung von Politikern der Opposition und Personen in ihrem Umfeld mit Hilfe der Kontrollsoftware Pegasus erweisen. Nicht ausgeschlossen ist die Unterstützung des Antrags von einzelnen Abgeordneten, die bislang das Regierungslager unterstützt haben, was für dieses eine empfindliche Niederlage bedeuten würde. Hinzu kommt, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses Einzelheiten ans Licht bringen könnte, die die Akteure des Regierungslagers kompromittieren könnten. Einige solcher Details wurden von einem bereits berufenen Senatsausschuss festgestellt, allerdings hat dieser weniger Kompetenzen und Befragungsmöglichkeiten.
Versuchen, im aktuellen Sejm eine Anti-Regierungsmehrheit zusammenzubringen, steht Donald Tusk ablehnend gegenüber, zumal er bedeutsame Erfahrungen gemacht hat. 2007, als die damals regierende PiS ihren Koalitionspartner und die parlamentarische Mehrheit verlor, wurde Tusk zugeredet, eine Regierung aus der ganzen damaligen Opposition zu bilden. Er ließ sich darauf nicht ein, es kam zu Neuwahlen, und diese gewann die PO, die anschließend zwei Wahlperioden zusammen mit der PSL regierte (Tusk bekleidete das Amt des Ministerpräsidenten sieben Jahre). Eine Wiederholung heute ist nicht ausgeschlossen.
Der wichtigste Grund für Spannungen und Risse im Regierungslager ist zurzeit das Verhältnis zur Europäischen Union. Ein Teil des insgesamt euroskeptischen rechtspopulistischen Lagers zeigt sich offen, sogar ostentativ antieuropäisch. In einer der am stärksten proeuropäisch eingestellten Gesellschaften Europas kann das zu einem Auslöser für politische Turbulenzen werden.
Die Dilemmata der Opposition
Die politische Opposition in Polen steht demzufolge vor einigen Dilemmata: auf die fortschreitende Zersetzung und einen möglichen Bruch des rechtspopulistischen Regierungslagers warten oder die Regierungsverantwortung noch vor Ablauf der regulären Wahlperiode zu übernehmen versuchen? Bis zu welchem Ausmaß innerhalb der Opposition um Wählerstimmen kämpfen und in welchem Umfang zusammenarbeiten? Sich auf gemeinsamen Wahllisten vereinigen oder zwei oder mehr eigenständige oppositionelle Blocks bilden? Mögliche Absprachen mit den oppositionellen Partnern und potentiellen Koalitionären schon jetzt ausloten oder auf Veränderungen im Kräfteverhältnis innerhalb der Opposition – möglicherweise erst infolge des Wahlergebnisses – warten? Versuchen, die bisherigen Wähler der Rechtspopulisten zu erreichen, was bedeuten würde, ihnen entgegengehen zu müssen, oder auf die Mobilisierung der eigenen Wähler setzen, also einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung tun?
Leider schreitet die Zerstörung des demokratischen Rechtsstaates durch das aktuelle Regierungslager fort, so dass die Aufgaben, die vor einer möglicherweise siegreichen Opposition stehen, zunehmen, wenn sie das System der liberalen Demokratie in Polen wiederherstellen will.
Viel wird von den Signalen abhängen, welche die oppositionell eingestellte öffentliche Meinung den Anführern der Opposition senden wird. Sie zeigt eine zunehmende Ungeduld und fordert immer lauter die Vereinigung aller oppositionellen Kräfte. Stimmen, die zum gemeinsamen Handeln der politischen Opposition aufrufen, kommen auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die gegen die autoritäre Politik der regierenden Rechtspopulisten eintreten. Sie organisieren u. a. Demonstrationen als Protest gegen die Aktivitäten des Regierungslagers und stellen damit einen bedeutsamen gesellschaftlichen Rückhalt für die politische Opposition dar.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate