Seit der Machtübernahme durch die Nationalkonservativen der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) im Jahr 2015 hat die politische Polarisierung in Polen zugenommen. Die Gräben sind tiefer geworden, sowohl in der Politik als auch der Gesellschaft. Das betrifft nicht nur innenpolitische Themen im engen Sinne, sondern gilt auch für die innenpolitische Instrumentalisierung insbesondere der Außen- und Sicherheitspolitik. Mit Polarisierung ist hier jedoch nicht die Intensivierung einer verantwortungsbewussten und von Argumenten getragenen inhaltlichen Debatte über Reformstrategien und politische Projekte gemeint. Vielmehr handelt es sich um eine massive Verschärfung der politischen Rhetorik, was vor allem der PiS und ihrem Koalitionspartner aus dem rechten Parteienspektrum zur Last gelegt werden kann. Doch auch die Opposition trifft eine Mitschuld an dieser Entwicklung. Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung sind insbesondere die geostrategischen Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine, die Einschätzung des bisherigen Umgangs des Westens mit Russland und dessen künftige Haltung gegenüber Moskau, die politische, militärische und moralische Hilfe für die Ukraine, die Diversifizierung der heimischen Energieversorgung, der Umgang mit den erstarkenden nationalistischen Kräften in verschiedenen Staaten Europas sowie auch das Problem der Rechtsstaatlichkeit in Polen und die Verwendung der EU-Finanzmittel in Polen.
Beispielsweise sorgte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki für beträchtliche Aufmerksamkeit in der europäischen Öffentlichkeit, als er in einem Zeitungsgespräch mit der Financial Times im Oktober 2021 allen Ernstes erklärte, dass die EU Warschau »die Pistole an den Kopf hält«, indem sie Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit in Polen mit dem Zurückhalten von EU-Geldern verknüpft. Sollte die EU-Kommission, betonte der Regierungschef, den »dritten Weltkrieg« beginnen, werde man die eigenen Rechte mit allen Waffen verteidigen, die dem Land zur Verfügung stünden. Auch Justizminister Zbigniew Ziobro, dessen Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska) mit der PiS die Regierung bildet, bedient sich regelmäßig scharfer politischer Rhetorik. Nachdem die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) beantragt hatte, Polen im Zusammenhang mit der Justizreform mit Strafzahlungen zu belegen, bezichtigte er die Kommission der »Aggression«, verbunden mit dem Hinweis, dass diese »mit Rechtsmitteln einen hybriden Krieg« gegen Polen führe. Die Europäische Union, so der Minister, entwickele sich zu einem »Instrument der brutalen Erpressung im Dienste des wirtschaftlich Stärkeren« (August 2021). Als dann der EuGH tatsächlich Strafzahlungen verhängt hatte, kommentierte Ziobros Parteifreund Sebastian Kaleta dies mit den Worten: »Die europäischen Richter […]verstehen nichts, sie haben keine Ahnung, was für ein System [Rechtssystem, d.Red.] das ist. Es ist schmerzhaft, dass sich Menschen, die versuchen, uns zu lehren, was Werte sind, auf diese Weise verhalten.«
Nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron den russischen Staatschef Wladimir Putin in mehreren Telefongesprächen aufgefordert hatte, die russischen Truppen aus der Ukraine abzuziehen, richtete Ministerpräsident Morawiecki in einer Rede in Krakau (Kraków) an Macron die Frage: »Herr Präsident, was haben Sie erreicht? Würden Sie mit Hitler, mit Stalin, mit Pol Pot verhandeln?« Morawiecki dürfte jedoch bekannt sein, dass sich in der Geschichte durchaus wiederholt die Notwendigkeit ergab, auch mit Diktatoren wie Stalin zu verhandeln. Vertreter der polnischen Opposition bzw. kritisch eingestellter Medien wiederum warfen der Regierung mehrfach vor, mit ihrer Schwächung der staatlichen Gewaltenteilung und insbesondere der Justiz eine »Putinisierung des polnischen Staates« zu betreiben, so der Vorsitzende der liberal-konservativen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), Donald Tusk, und der Chefredakteur der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik. Diese Klassifizierung ist absurd, wenn man daran denkt, wie in Russland Oppositionelle und kritische Journalisten mit roher Gewalt terrorisiert werden. Viele weitere Beispiele für eine derart ausufernde Rhetorik auf allen Seiten ließen sich anführen.
Diese dominiert nicht nur die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit, sondern auch die Debatten im Parlament, die zweitweise nur noch von einem schroffen Schlagabtausch beherrscht werden. Das Gleiche gilt für die meisten Diskussionsrunden in den verschiedenen Fernsehanstalten mit Ausnahme des unabhängigen Senders TVN. Diskurse unter Wissenschaftlern erreichen dagegen kaum eine breitere Öffentlichkeit.
Der Einsatz von Schlagworten
Nun ist bekannt, dass in allen Staaten, wie demokratisch sie auch sein mögen, Politik eine Auseinandersetzung um Interessen und Einfluss, ein Kampf um Meinungsführerschaft und Macht ist, der von den politischen Parteien und anderen Interessengruppen auch und gerade mit sprachlichen Mitteln ausgefochten wird. Wo Interessenkonflikte bestehen, liegt es natürlich nahe, plakative Begriffe und oberflächliche Bewertungen heranzuziehen und mit einprägsamen Schlagworten zu operieren, welche die jeweilige Position kurz und bündig auf den Punkt bringen – und dies besonders in Kriegs- und Krisenzeiten.
Ein wesentliches Element der politischen Rhetorik sind Schlagworte oder kurze Aussagen mit denen ein Problem, eine politische Tendenz oder ein Lösungsvorschlag für ein Problem mit einem Wort oder Satz charakterisiert und subjektiv bewertet wird. Die Schlagworte dienen dazu, die eigene Position positiv darzustellen und die des Gegners zu diskreditieren. In der Regel entspringen die Begriffe der Sichtweise und Programmatik der betreffenden Gruppierung und zielen auf Solidarisierung nach innen und Abgrenzung nach außen. Entsprechend sollen mit ihrer Hilfe politische Gegner, politische und wirtschaftliche Phänomene sowie internationale Gegebenheiten und Tendenzen, die abgelehnt oder gar als gefährlich eingestuft werden, stigmatisiert werden.
Gerade die in Polen regierenden Nationalkonservativen haben sehr gut verstanden, dass es im Sinne des Machterhalts wichtig ist, Begriffe zu »besetzen«, das heißt, sie mit eigenen Inhalten zu versehen und dann ständig in der Öffentlichkeit zu wiederholen. Das gilt beispielsweise für den Begriff der Solidarität, den lange Zeit die Gewerkschaften und die politische Linke für sich beansprucht haben. Nun reklamiert das Regierungslager diesen Begriff für sich, indem es unablässig betont, dass es allein diejenige politische Kraft sei, die sich um die Belange der einfachen Menschen kümmere.
Die »Diktatur« der Europäischen Union
Am Beispiel der Auseinandersetzung über die Bedeutung der Europäischen Union ist die Brisanz der polarisierend eingesetzten politischen Rhetorik deutlich erkennbar. Die Schlagworte, mit denen Vertreter des rechtskonservativen und -nationalen politischen Spektrums in Polen die Gemeinschaft belegen, sind weit entfernt von der Realität und mitunter regelrecht hasserfüllt. Mit einer inhaltlich durchdachten Kritik, die man durchaus am EU-Betrieb äußern kann, hat dies nichts zu tun. Die Schwäche der Oppositionsparteien wie der PO, der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) und der vereinigten Neuen Linken (Nowa Lewica) wiederum besteht darin, dass sie die EU weitgehend verteidigen und bestimmte Schwächen der Gemeinschaft wie etwa die komplizierte Entscheidungsfindung oder die ausufernde Brüsseler Bürokratie nicht kritisch genug unter die Lupe nehmen.
Für den rechten Flügel in der polnischen Politik gilt, dass er die EU sehr distanziert betrachtet oder gar grundsätzlich ablehnt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass nach Ansicht des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński die EU in ihrer jetzigen rechtlichen, politischen und administrativen Gestalt zum Scheitern verurteilt ist. Justizminister Ziobro wiederum möchte jedwede Entscheidungsfindung in den EU-Instanzen unterbinden, wenn diese seiner Meinung nach die Souveränität Polens beeinträchtigen. Skepsis oder gar Ablehnung richten sich gegen die Rechtsgrundlagen der EU und zusätzliche Vereinbarungen wie die Europäische Menschenrechtskonvention, die europäischen Gerichtsbarkeit, die Europäische Staatsanwaltschaft und auch die Arbeit der EU-Organe wie Parlament, Rat und Kommission.
Mitunter wird die EU regelrecht als Besatzungsmacht angesehen. So erklärte Marek Suski, ein enger Berater von Ministerpräsident Morawiecki und wichtiges Sprachrohr der PiS, dass es offenbar an der Zeit sei, gegen die »Besatzer aus Brüssel« zu kämpfen, die versuchten, Polen in die Knie zu zwingen, »damit es vielleicht ein deutsches Bundesland werde, aber kein stolzer Staat freier Polen«. Justizminister Ziobro behauptet regelmäßig, dass die EU Polen seine Souveränität nehmen wolle. In einem Interview mit der PiS-nahen Wochenzeitung Do Rzeczy verstieg er sich sogar zu der Bemerkung: »Die zynischen und verkommenen westlichen Eliten reden lautstark über Werte und füllen gleichzeitig die Kasse des Kreml mit Petrodollars. Putin hat sie korrumpiert.« Der Vizemarschall des Sejm und Vorsitzende der PiS-Fraktion, Ryszard Terlecki, spricht immer wieder von der »Diktatur der Brüsseler Bürokratie«. Der Europaabgeordnete der PiS und Berater von Kaczyński, Ryszard Legutko, regte sogar öffentlich die Auflösung des Europäischen Parlaments an. Mit Blick auf die von vielen polnischen und internationalen Experten zu Recht kritisierte und auch von den EU-Institutionen immer wieder bemängelte Gängelung der polnischen Justiz durch die politische Rechte antwortete der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta: »Die Reform des Justizwesens muss auf der Grundlage von Entscheidungen im eigenen Land abgeschlossen werden, nicht auf der Grundlage von Erpressungen durch die EU. Es kann nicht sein, dass irgendein Beamter der EU-Kommission uns beleidigt und sagt, wir seien kein Rechtsstaat.«
Wenn die PiS keinen Austritt Polens aus der Europäischen Union befürwortet, obwohl dies durchaus ihren ideologisch-politischen Grundsätzen entsprechen würde, dann vor allem deshalb, weil etwa 80 Prozent der Bürger Polens die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU grundsätzlich befürworten. Hinzu kommt, dass die von der PiS geführte Regierung ohne die umfangreichen EU-Mittel nicht in der Lage wäre, ihre aufwendigen Sozialprogramme und die enorme Aufstockung der Verteidigungsausgaben zu finanzieren – insbesondere in einer Zeit, da der russische Krieg gegen die Ukraine auch enorme Folgen für die nationale und internationale Wirtschaft und somit auch für den Staatshaushalt hat.
Feindbild Deutschland
Antideutsche Töne bzw. große Skepsis gegenüber Deutschland sind im rechten Parteienspektrum Polens nichts Neues. Diese Tendenz war bereits in den frühen 1990er Jahren zu beobachten, beispielsweise bei der Zentrumsallianz (Porozumienie Centrum), der Vorläuferpartei der PiS. Ein Teil der PiS-Wähler reagiert positiv auf scharfe Kritik an Deutschland – mal stärker, mal verhaltener. Nach 2015, mit dem erneuten Regierungsantritt der PiS, sind die antideutschen Töne allerdings lauter geworden. Das gilt nicht nur für das öffentliche Auftreten von Parteien des rechten Spektrums, sondern auch für die von ihnen dominierten Medien. Im Rundfunksender Polskie Radio ist deutschlandfeindliche Propaganda an der Tagesordnung, regelmäßig auch in den Sendungen der Fernsehstationen von Telewizja Polska. Natürlich haben solche Tendenzen eine deutlich innenpolitische Funktion.
Wenn Deutschland angegriffen wird, dann vor allem in zweierlei Hinsicht. Erstens geht es darum, Deutschland als die absolut dominante Macht in Europa darzustellen, deren Ziel es sei, die anderen Staaten auf dem Kontinent zu beherrschen. Nicht selten wird dabei an das 19. Jahrhundert erinnert, als Deutschland zu den Teilungsmächten Polens gehörte, oder an die deutsche Besetzung des Landes im Zweiten Weltkrieg. So sagte der PiS-Vorsitzende Kaczyński in einem Zeitungsinterview: »Die letzten Jahrzehnte waren eigentlich der Versuch, das Konstrukt des ehemaligen Reichskanzlers Bismarck zu wiederholen, nämlich die Vorherrschaft Deutschlands an der Seite Russlands. Deutschland hat keine moralische Grundlage, Europa zu dominieren.« In einem Kommentar der PiS-nahen Wochenzeitung Sieci hieß es sogar: »Die Deutschen, die ihre Macht auf Diebstahl, Mord und die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges gründen, […] negieren die europäischen Werte in fast allem, was sie tun.« Nun lässt sich ein bedeutender Einfluss Deutschlands in der EU, der den anderer Mitgliedsländer übertrifft, oft im Zusammenwirken mit Frankreich, tatsächlich feststellen, doch die These, Deutschland als absolut dominante Macht hinzustellen, hält nicht stand.
Zum Zweiten geht es darum, Deutschland als das Land zu charakterisieren, das neben Russland die größte Verantwortung für die Aggression gegen die Ukraine trägt und außerdem das größte Hindernis für eine wirksame politische und vor allem militärische Hilfe für die Ukraine ist. Hier seien nur zwei Beispiele genannt. So wird Regierungschef Morawiecki bei seinen Auftritten in ganz Polen nicht müde zu behaupten, dass Deutschland »der größte Bremser in der EU« und »das Haupthindernis für schärfere Maßnahmen gegen Russland« sei, wenn es um die praktische Unterstützung für die Ukraine geht. Der PiS-nahe Historiker Bogdan Musiał, der sich gegenwärtig vor allem mit Reparationsfragen beschäftigt, sagte dem einflussreichen Internetportal wPolityce: »Deutschland und Frankreich wollen den russisch-ukrainischen Krieg beenden und möchten dabei, dass es ein Sieg für Russland und eine Niederlage für die Ukraine wird, weil sie die Achse Paris-Berlin-Moskau retten wollen […]. Die SPD in Deutschland, die eine verfassungswidrige Partei ist, die mit dem mafiösen, terroristischen und verbrecherischen Staat Russland zusammenarbeitet, sollte aufgelöst werden. Sie will Geschäfte mit Russland machen, Geld waschen, mit der Mafia und Terroristen zusammenarbeiten. Das ist doch wohl strafbar, oder?«
In der Tat kann man die von der SPD geführte Bundesregierung dahin gehend kritisieren, dass sie die Hilfe für die bedrohte Ukraine zu zögerlich und zu vorsichtig angegangen ist, vor allem was Waffenlieferungen betrifft. Diese Kritik wird ja auch in Deutschland formuliert. Doch wird bei den Äußerungen im rechten Lager Polens oft verschwiegen, welche Hilfe Deutschland in welchem Umfang schon geleistet hat – politisch, moralisch, mit Waffenlieferungen und bei der Durchsetzung von Sanktionen, etwa des Ölembargos – und auch, dass sich die Position der Bundesregierung im Laufe der Wochen seit Beginn des russischen Angriffskrieges weiterentwickelt hat. Kaum Erwähnung findet auch die Tatsache, dass Bundeskanzler Olaf Scholz bemüht ist, der Ukraine zu helfen, ohne Deutschland zu schaden, und er besorgt darauf hinweist, dass die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen durch Russland und des Ausbruchs eines Weltkrieges bestehe. Interessanterweise haben im Gegensatz zu den Vertretern der polnischen Rechten führende Politiker aus anderen ostmitteleuropäischen Ländern wie der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš die deutsche Hilfe für die Ukraine positiv bewertet.
Leider wird die in Deutschland begonnene kritische Debatte über die deutsche Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte von Vertretern der polnischen Rechten gar nicht aufgegriffen und diskutiert. Auch in den polnischen Medien wird diese nur am Rande erwähnt.
Vertreter der PiS und von Solidarna Polska sowie Kommentatoren der mit diesen Parteien sympathisierenden Medien wie Bronisław Wildstein und Jacek Karnowski sprechen regelmäßig von der Existenz einer »deutschen Partei« in Polen. Dieser sollen, wie es heißt, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehören, die sich Deutschland besonders verbunden fühlen und die immer wieder eifrig ihre Loyalität zu diesem Land bekunden würden. Ihnen wird vorgeworfen, dass ihnen die Interessen Deutschlands oft wichtiger seien als die Polens. Genannt werden insbesondere die Linkspolitikerin und ehemalige Vizemarschallin des Sejm Wanda Nowicka, eine Aktivistin der polnischen Frauenbewegung, der Vorsitzende der Bürgerplattform Donald Tusk, ehemaliger polnischer Ministerpräsident sowie Präsident des Europäischen Rates, der frühere Außenminister Radosław Sikorski und Adam Bodnar, der bis 2021 das Amt des Bürgerrechtsbeauftragten innehatte. Die »deutsche Partei«, so wird betont, sei bereits 1989 gegründet worden. Sie trete als Fürsprecher der deutschen Hegemonie in Polen auf und sei das Ergebnis finanzieller Hilfe aus Deutschland in Form von Stipendien, Auszeichnungen sowie gut dotierten Einladungen an Experten. Deutschlandfreundliche Politiker, Wissenschaftler und Kulturschaffende hätten im Laufe der Jahre enorme finanzielle Unterstützung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten.
Tusk wird aber immer wieder auch als führender Vertreter einer »Partei der Freunde Putins« tituliert, weil er, wie viele internationale Politiker, in seiner Zeit als Regierungschef auch Gespräche mit dem russischen Präsidenten geführt hat. Mitarbeiter polnischer Ermittlungsbehörden führen eine Untersuchung gegen Tusk, weil er, wie es heißt, eine politische und moralische Mitverantwortung für den Absturz der polnischen Regierungsmaschine bei Smolensk im Jahr 2010 und somit für den Tod des damaligen Staatspräsidenten Lech Kaczyński trage. Bis heute allerdings konnten polnische Behörden keinen Beweis für den von der polnischen Rechten immer wieder behaupteten Anschlag auf das Flugzeug vorlegen, der angeblich von russischen Geheimdienstagenten inszeniert worden sei. Doch obwohl dieser Beweis nicht vorliegt, erklärte PiS-Chef Jarosław Kaczyński öffentlich, dass Tusk für seine Mitverantwortung an dem Anschlag »hinter Gitter gehört«. Deutlicher kann man eine mediale Vorverurteilung und Stigmatisierung nicht ausdrücken.
Polen als »moralisches Gewissen« Europas
Ohne Zweifel hat Polen seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine dem bedrängten Land umfangreiche politische, moralische und militärische Hilfe geleistet und sich auf europäischer Ebene für scharfe Sanktionen gegenüber Moskau eingesetzt. Polen hat weitaus mehr getan als manches andere Mitgliedsland der EU. Die Hilfe wird von der breiten Bevölkerung mitgetragen – nicht zuletzt durch deren Engagement in der Flüchtlingshilfe. Dennoch erscheint es anmaßend, wenn sich Ministerpräsident Morawiecki quasi als Moralapostel gegenüber dem »Rest« der EU aufspielt, als weitsichtige Führungsperson, die als einzige in der Gemeinschaft nie Zweifel an Russlands aggressiven Plänen gehegt habe. Auch die führenden Politiker der baltischen Staaten haben schließlich nie Illusionen über die imperialen Absichten des Putin-Regimes gehabt.
Als Meister der politischen polarisierenden Rhetorik sagte Morawiecki in einem Interview mit dem englischen Wochenmagazin The Economist, der »Westen hat sich wie ein Frosch im Wasser verhalten, das langsam zum Kochen gebracht wird. Er hat selbst dann noch nicht reagiert, als Russland die Temperatur erhöht hat«. Auf einer Pressekonferenz in Warschau verwies er auf die besondere Aufgabe, die Polen zu erfüllen habe, indem er erklärte: »Angesichts der Verbrechen, die in der Ukraine geschehen, haben wir ein besonderes Mandat, das Gewissen Westeuropas wachzurütteln.« Dazu gehört wohl auch, dass auf Anweisung von Morawieckis Regierung in vielen westlichen Hauptstädten mobile Plakatwände aufgestellt wurden, auf denen unter den Überschriften »StopRussiaNow« und »BloodOil« Fotos sowohl von russischen Verbrechen in der Ukraine zu sehen sind als auch beispielsweise von Cafés in westlichen Städten, in denen Besucher bei Sonnenschein eine Erfrischung genießen. Letzteres hätte natürlich auch in Warschau und anderen polnischen Städten fotografiert werden können.
Bald nach Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine verging kaum ein Tag, an dem Morawiecki bei seinen Rundreisen durch Polen nicht Vorwürfe gezielt gegen westliche Politiker erhob. Seine Tiraden insbesondere gegen den französischen Präsidenten Macron und Bundeskanzler Scholz gingen durch die europäische Presse. Morawieckis Auslassungen mögen im Einzelfall eine gewisse Berechtigung haben, sind aber in ihrer Ausdrucksweise anmaßend und verletzend. So analysierte die Wochenzeitung Polityka, er reflektiere seine Rhetorik nicht und auch nicht darüber, welchen Schaden er damit anrichtet. Angesichts der Fülle der Auftritte Morawieckis im ganzen Land stellte die Zeitung zu Recht die Frage, ob es ihm nicht hauptsächlich darum gehe, innenpolitisches Kapital aus der Lage Polens als Grenzstaat der Ukraine zu ziehen, nicht aber um Solidarität mit dem Land.
Hinzu kommt, dass es in Morawieckis Partei PiS und der gesamten polnischen Rechten vor Beginn der russischen Aggression kaum politisches Interesse am Nachbarland Ukraine und keine politischen Konzepte für eine polnisch-ukrainische Kooperation gab – sieht man von einzelnen Solidaritätserklärungen während der Orangen Revolution in der Ukraine und den Ereignissen auf dem Majdan ab. Das gilt auch und gerade für die Zeit ab 2015, als die PiS die Regierungsverantwortung in Polen übernahm. Eine aktive Ukraine-Politik gab es im Grunde zuletzt in der Amtszeit von Präsident Aleksander Kwaśniewski (1995 bis 2005), der aus dem linken politischen Lager kommt. Die polnische Rechte hingegen war hauptsächlich daran interessiert, Debatten über unterschiedliche Ansichten zu Ereignissen der polnisch-ukrainischen Geschichte zu führen, die als schwierig bewertet werden.
Wer ist schuld an der hohen Inflation?
Auch im innenpolitischen Streit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere über die wachsende Inflation, spielt die vereinfachende politische Rhetorik eine große Rolle, was abermals besonders seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine zu beobachten ist. Nun ist dies nicht weiter verwunderlich, steuert Polen doch mit Sicherheit auf eine tiefe Rezession zu. Laut Umfragen sehen etwa die Hälfte der polnischen Unternehmen in dem Krieg eine Gefahr für ihre wirtschaftliche Tätigkeit. Als bedrohlich wird vor allem die Teuerung bei den Energieträgern angesehen. Die Haushaltsbudgets vieler polnischer Familien sind den steigenden Kraftstoffpreisen, dem Anstieg der Lebensmittelpreise und den höheren Kreditraten nicht mehr gewachsen. Seit Beginn des Krieges hat die polnische Währung deutlich an Wert verloren. Mitte Juni lag die Inflation bei fast 14 Prozent.
Laut Regierung, Vertretern der Polnischen Nationalbank, deren Präsident Adam Glapiński zu den engen politischen Weggefährten von Jarosław Kaczyński gehört, und Wirtschaftsexperten, die dem rechten politischen Flügel nahe stehen, ist die grassierende Inflation hauptsächlich eine Auswirkung des Krieges und geht auf die Energiemanipulationen des Kreml und die nur zögerlich einsetzende Abnabelung des Westens von Russland zurück. Letzteres ist nicht von der Hand zu weisen, reicht aber als Erklärung nicht aus. Zudem wird die Green Deal-Politik der EU-Kommission als Argument ins Feld geführt.
So erklärt Ministerpräsident Morawiecki immer wieder öffentlich: »Es ist sehr wichtig, dass jeder versteht, dass dies [die hohe Inflation – R.V.] Ergebnis der Putinflacja ist.« Mit diesem Begriff fasst Morawiecki alle ökonomischen und währungspolitischen Auswirkungen des Krieges und der energiepolitischen Abhängigkeit vom Kreml zusammen. Morawiecki und Glapiński zeigen in diesem Zusammenhang auch gerne auf die EU bzw. die Brüsseler Kommission, die ihrer Meinung nach durch ihre Klimapolitik, etwa hinsichtlich der Schadstoffemissionen, die Kosten in die Höhe treibe. »Das ist das Verdienst der Europäischen Union«, zeigte sich Glapiński wiederholt überzeugt.
Ohne Zweifel haben der Krieg und die energiepolitische Entwicklung Einfluss auf die Preisentwicklung sowie auch bestimmte klimapolitische und ökologische Weichenstellungen und Vorgaben seitens der EU. Die Kosten für den Staat und alle öffentlichen Einrichtungen steigen, die Unternehmen müssen ihre Investitionen neu ausrichten, die Kosten ihrer Transportwege neu kalkulieren und ihre Preispolitik durchdenken. Aber nur damit lassen sich die Hintergründe der Inflation nicht erhellen. So müsste die Regierung dringend ihre überbordenden Staatsausgaben überprüfen und eine strengere Fiskalpolitik betreiben. Notwendig wäre in diesem Zusammenhang auch eine realistische Überprüfung ihrer militärpolitischen Pläne. Eine Aufstockung und Modernisierung der polnischen Streitkräfte mag unter den neuen verteidigungspolitischen Gegebenheiten opportun erscheinen, sollte aber die wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte des Landes nicht übersteigen. So ist absehbar, dass für diese Pläne angesichts des desolaten Zustands der polnischen Rüstungsindustrie enorme Summen für den Import moderner Rüstungsgüter aufgebracht werden müssen. Ebenso müsste die Polnische Nationalbank eine striktere Geldpolitik betreiben und die Leitzinsen erhöhen. Die umlaufende Geldmenge ist viel zu hoch. Die polnische Opposition nennt die bisherige Politik der Nationalbank in Anspielung auf deren Präsidenten glapinflacja. Hinzu kommt das Problem der Verschuldung von mehr als vier Millionen Polen durch Fremdwährungskredite, das dringend einer Lösung bedarf.
Die massive Verschärfung der politischen Rhetorik hat innen- wie außenpolitische Ursachen. Vor jeder wichtigen Entscheidung der Regierung kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Koalitionspartnern PiS und Solidarna Polska, die durchaus öffentlich ausgetragen werden. Das gilt insbesondere für die Umgestaltung der Justiz. Dabei liegen die inhaltlichen Positionen der beiden Parteien in diesem Zusammenhang gar nicht so weit auseinander. Vielmehr dreht sich der Streit um die Frage, ob man, zumindest taktisch, Rücksicht auf die kritische Stimmung in der EU in Sachen Justiz nehmen soll, um den Zufluss von EU-Geldern nicht zu gefährden.
Hinzu kommt, dass das Regierungslager im Sejm aktuell keine Mehrheit mehr hat, weshalb vor jeder Abstimmung die Unterstützung einiger Abgeordneter gesucht werden muss, die kleineren Gruppierungen angehören oder parteilos sind. Auch diese Situation befeuert die polarisierende politische Rhetorik.
Darüber hinaus werfen die Parlamentswahlen im Herbst 2023 ihre Schatten voraus. Der Wahlkampf hat bereits begonnen. Da zurzeit die Umfragen für die Regierungsparteien schlechter werden, haben Jarosław Kaczyński und andere schon begonnen, über vorgezogene Wahlen nachzudenken.