Die Feinheiten des Wahlkalenders
Der Wahlkalender ist einer der ausdifferenziertesten Bestandteile einer Wahlordnung, der allerdings keiner tiefergehenden Reflexion unterzogen wird. Das ist vermutlich deshalb der Fall, weil die Mehrheit der Länder ihr System für selbstverständlich hält und nicht in Betracht zieht, dass es auch anders aussehen könnte. Der polnische Wahlkalender liegt – wie viele polnische Angelegenheiten – zwischen zwei Extremen, für die die Wahlordnungen in den beiden Nachbarländern Schweden und Deutschland herangezogen werden können. In Schweden finden alle Wahlen an ein und demselben Tag statt, sowohl die landesweiten Parlamentswahlen als auch die regionalen sowie die lokalen Wahlen. Der Wahltag ist mit dem zweiten Sonntag im September alle vier Jahre eindeutig festgelegt. Das ändert nicht einmal die Durchführung vorgezogener Parlamentswahlen beispielsweise im Falle einer politischen Krise. Die Wahlperiode des neu gewählten Parlaments ist dann kürzer, um die Regel aufrechtzuerhalten. Das andere Extrem ist die Situation in Deutschland, wo die Wahltermine, abgesehen von den Bundestagswahlen, in jedem Bundesland (Landes- und Kommunalwahlen) separat festgelegt werden. Keine Wahl wird mit dem Wahlkalender auf Bundesebene koordiniert, der im Falle der Auflösung des Bundestages geändert werden kann.
Die Wahlen in Polen werden zentral festgelegt. Jeder Wahltyp hat seine eigene Spezifik. Die Parlamentswahlen (Sejm und Senat), die für das politische Leben des Landes am wichtigsten sind, finden in der Regel alle vier Jahre statt, wobei eine Verkürzung der Wahlperiode im Falle einer politischen Krise möglich ist. Dazu kam es bisher zwei Mal, jedes Mal genau in der Mitte der Wahlperiode. Daher fanden alle Wahlen immer im Herbst statt. Die vorgezogenen Neuwahlen führten jedes Mal zu einer mehr oder weniger spektakulären Niederlage des Regierungslagers, das die Vorverlegung der Wahlen selbst betrieben hatte. Jedes Mal war die Verkürzung der Wahlperiode möglich, weil zumindest ein Teil der Akteure des Regierungslagers sie unterstützte, allerdings wurden in beiden Fällen die Hoffnungen enttäuscht, dass die neue Sitzverteilung einen Teil des Regierungslagers stärken und ihm erlauben würde, an der Macht zu bleiben. Insofern ist es schwer vorstellbar, dass irgendjemand irgendwann eine Wiederholung des Szenarios vorgezogener Neuwahlen wird herbeiführen wollen.
Die in politischer Hinsicht zweitwichtigsten Wahlen, die Präsidentenwahlen, finden alle fünf Jahre statt. Die Amtszeit kann sich jedoch bei Amtsverzicht oder Tod des amtierenden Präsidenten verkürzen. Dies war bisher ein Mal der Fall, als das damalige Staatsoberhaupt bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk (2010) tödlich verunglückte. Die Wahlen wurden damals allerdings nur um einige Monate vorgezogen, vom Herbst auf den Frühsommer. Zu einer geringen Verspätung kam es außerdem im Jahr 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie; wobei das eigentliche Schema des Wahlkalenders trotzdem keiner Veränderung unterlag. Noch stabiler ist die Situation bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, da die Änderung des Wahlkalenders außerhalb der Zuständigkeit der polnischen Akteure liegt. Die Selbstverwaltungswahlen (Woiwodschaften und Kommunen) fanden bislang alle vier Jahre statt. Zunächst – 1990 und 1994 – betrafen diese Wahlen ausschließlich die Gemeinden. Ab 1998 fanden dann gemeinsam mit den Wahlen der Gemeinderäte auch die der Kreisräte und der Woiwodschaftstage (sejmik wojewódzki) statt. Seit 2002 werden an demselben Termin außerdem die Gemeindevorsteher, Bürgermeister und Stadtpräsidenten gewählt.
Diese Regeln erzeugen ein eigentümliches Kaleidoskop. Es entstanden Interdependenzen, die sich in jedem Wahlzyklus in einem anderen Muster darstellen. Schlüsselbedeutung für die aktuelle Situation hat die Verbindung zwischen den landesweiten Parlamentswahlen und den Selbstverwaltungswahlen. Das sind die Wahlen, welche die politische Klasse in höchstem Maße engagieren, da die Anzahl der beteiligten Personen am größten ist ebenso wie die reale Macht, über deren Zugang mit Hilfe der Wahlen entschieden wird.
In den Jahren 1994 bis 2006 fanden die Selbstverwaltungswahlen ein Jahr nach den Parlamentswahlen statt. Jedes Mal ergab sich daraus ein gewisses Kräftemessen zwischen dem Wahlsieger der letzten Wahlen und den bedeutendsten Kräften der Opposition, und es zeigte sich, inwieweit die Unterstützung für die Zentralregierung fortbestand, wie sich auch die Möglichkeit bot, dass sich die Opposition neu gruppierte. Die Selbstverwaltungswahlen im Jahr 2006 waren gleichzeitig der Beginn eines neuen Trends – die vorgezogenen Neuwahlen des Sejm im Jahr 2007 hatten zur Folge, dass fortan die Selbstverwaltungswahlen ein Jahr vor den Sejmwahlen stattfanden. Das wiederum bewirkte, dass diese zu einem gewissen Teil auch zu einem Kräftemessen zwischen den wichtigsten politischen Parteien wurden. Das Abschneiden in den Selbstverwaltungswahlen wurde als Aussage über die politischen Präferenzen für die Wahlen der Zentralregierung aufgefasst. Wegen der wachsenden politischen Spannungen und Polarisierung hatte dies bei den Selbstverwaltungswahlen im Jahr 2018 besondere Bedeutung. Es kam damals zu einem deutlichen Anstieg der Wahlbeteiligung, vor allem in den Orten, wo die oppositionellen Kräfte die größere Unterstützung hatten. Hier ließ sich eine ähnliche Logik wie bei den US-amerikanischen Zwischenwahlen erkennen, allerdings sollte die Ähnlichkeit aufgrund der Spezifik der polnischen politischen Szene in den Selbstverwaltungswahlen nicht überstrapaziert werden.
Die Spezifik der Selbstverwaltungswahlen
Bei den Selbstverwaltungswahlen nehmen lokale Gruppierungen zwar eine sehr starke, doch keine übermächtige Position ein (Gendźwiłł & Żółtak 2014). Formal betrachtet, haben sie auf der wichtigsten Ebene, den Gemeinden, im halben Land die Regierungsverantwortung inne; im anderen Teil des Landes sind landesweit vertretene Parteien die Wahlsieger und üben die Regierungsfunktionen aus. Wichtig wäre hier darauf hinzuweisen, dass in dem Teil, wo die Kandidaten formal unabhängig sind (d. h. nicht aus den Reihen einer landesweit vertretenen Partei kommen), sie jedoch sehr häufig in irgendeiner Form mit einer landesweit agierenden Partei verbunden sind. Hier geht es um Identitäten, die aus taktischen Gründen verdeckt bleiben. Beispielsweise verbergen sich hinter lokalen Namen Bündnisse zwischen bestimmten Parteien oder die betreffende Partei verzichtet auf die Aufstellung eines eigenen Vertreters zugunsten eines ideologisch nahestehenden Kandidaten, der nicht in den Parteistrukturen engagiert ist.
Die politische Bedeutung einer im Sejm vertretenen Partei ist umso stärker, je größer sie ist und je höher der Urbanisierungsgrad des Wahlbezirks. Das Urbanisierungsgefälle wurde eine der Hauptachsen der politischen Aufteilung in Polen. Für Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die zurzeit die Zentralregierung anführt, besteht hier ein großes Problem. Nimmt man beide Aspekte zusammen, ergibt sich, dass in den Orten, wo die PiS stärker ist, die Position politischer Parteien schwächer ist. Daher ist diese Partei seltener imstande, lokale Wahlen zu gewinnen, und fällt in Auswertungen der formalen Parteizugehörigkeit der Wahlsieger sehr schwach aus. Dagegen hat in den Landesteilen – vor allem in den Großstädten –, in denen die politischen Parteien entscheidende Bedeutung für das Abstimmungsverhalten der Wähler haben, die wichtigste Oppositionspartei, die Bürgerplattfom (Platforma Obywatelska – PO), ein deutliches Übergewicht. Das ist ein Faktor, der großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Selbstverwaltungswahlergebnisse in den überregionalen Medien hat. Aus ihm ergibt sich ein weiterer Faktor des asymmetrischen Wahlerfolgs, der bereits 2018 sichtbar wurde. In diesen Wahlen versuchte die PiS, gestärkt durch Umfragen, die eine deutliche Überlegenheit gegenüber der Opposition zeigten, sowie durch die Unterstützung von Politikern der Zentralregierung, einen deutlich größeren Machtanteil bei den Wahlen der Gemeindevorsteher, Bürgermeister und Stadtpräsidenten zu erreichen. Der Versuch misslang. Weniger schlecht erging es der Regierungspartei bei den Regionalwahlen. Bei den Wahlen 2010 und 2014 fiel das Ergebnis der PiS auf regionaler Ebene sehr schwach aus – nur ein Mal übernahm sie die Regierungsmacht in einer Woiwodschaft. Im Jahr 2018 hoffte sie darauf, dieses Kräfteverhältnis umzukehren, doch obwohl sie in landesweiten Umfragen führte und das Selbstbewusstsein einer erfolgreichen Partei hatte, gelang es ihr nur, ihren Besitzstand an den der Opposition anzugleichen. Der Grund dafür war, dass an den Selbstverwaltungswahlen eine etwas andere Wählerschaft als an den Parlamentswahlen teilnimmt (Gendźwiłł & Kjaer 2021). Daher fallen die Erfolge der beiden größten im Sejm vertretenen Parteien in jenen gewöhnlich schwächer aus als in den landesweiten Wahlen und Umfragen. Die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) sowie die unabhängigen Kandidaten nehmen dagegen eine größere Rolle ein. Sie haben gewöhnlich keine stabile Position und gefestigte Identität, doch sogar ihr bescheidener Erfolg schwächt die großen Parteien in einzelnen Woiwodschaften. Die Spezifik der Selbstverwaltungswahlen war ausschlaggebend für die Folgen der Änderungen der Wahlordnung, die das Regierungslager 2017/2018 vollzog.
Der große kleine Wandel
Das ganze Reformpaket wurde vor den Selbstverwaltungswahlen im Jahr 2018 durchgesetzt. Eine Änderung war die Verlängerung der Wahlperiode der territorialen Selbstverwaltung (das sind die Gemeinderäte, Kreisräte und Woiwodschaftstage ) auf fünf Jahre. Das rief damals keine größeren Kontroversen hervor, denn die Aufmerksamkeit richtete sich auf andere Änderungen, welche die unmittelbar bevorstehenden Wahlen und ihre Durchführung betrafen, beispielsweise die Einführung einer Begrenzung der Anzahl von Amtszeiten bei Gemeindevorstehern, Bürgermeistern und Stadtpräsidenten. Die Verlängerung des Wahlzyklus war Teil der internen Aushandlung zwischen den Parteien der Regierungskoalition der Vereinigten Rechten (Zjednoczona Prawica) und der Preis, den die PiS bereit war, dem kleinen Koalitionspartner, der Verständigung von Jarosław Gowin (Porozumienie Jarosława Gowina), im Tausch für die Einführung der genannten Begrenzung der Amtszeiten zu zahlen. Jedoch wurden damals schon Warnungen laut, dass die Verlängerung der Wahlperiode zu einem Zusammentreffen der Parlamentswahlen mit den Selbstverwaltungswahlen im Herbst 2023 führen wird. Allerdings waren damals noch keine Einzelheiten eines möglichen Wahlkalenders bekannt. Hier gewinnt eine Besonderheit des polnischen politischen Systems an Bedeutung: Zwar ist die Länge der Regierungszeit gesetzlich generell festgelegt, aber es besteht hier auch eine gewisse Beliebigkeit. Die Regeln benennen einige Wochen, in denen die jeweiligen Wahlen durchgeführt werden können. Die konkrete Entscheidung trifft das Organ, das die betreffende Wahl ansetzt. Das ist allerdings jedes Mal eine andere Stelle und nie die, die gewählt wird. So legt den Termin für die Sejmwahlen der Präsident fest, den Termin der Präsidentenwahlen der Sejmmarschall und den Termin für die Selbstverwaltungswahlen der Ministerpräsident.
Letztlich resultiert der Wahlkalender 2023 aus den allgemeinen Regeln sowie konkreten Terminen, die ausgewählt wurden, um die Wahlen 2018 und 2019 (Parlament) durchzuführen. Zusammen führten diese Entscheidungen zu einem spezifischen Muster möglicher Wahltermine im Jahr 2023. Nach geltendem Recht sollen die Selbstverwaltungswahlen an einem von drei Sonntagen stattfinden, die dem frühesten von vier möglichen Terminen für die Parlamentswahlen vorangehen. Im Ergebnis kann die Zeit zwischen den Wahlen zwischen einer und sechs Wochen liegen, abhängig von der Entscheidung des Ministerpräsidenten und des Staatspräsidenten.
Das Szenario, dass die Selbstverwaltungswahlen unvermeidlich den Sejmwahlen vorausgehen müssen, löste in der Regierungspartei PiS Befürchtungen aus. Eine Niederlage in den Selbstverwaltungswahlen, sichtbar insbesondere im Fall der Großstädte, die das Medieninteresse auf sich ziehen, kann der Partei, also ihren Kandidaten, Aktivisten und letztlich auch ihren Anhängern, die Flügel stutzen. Das wiederum vergrößert die Wahrscheinlichkeit eines Machtverlustes in den Parlamentswahlen.
Zusätzlich kann diese enge Abfolge der Wahlen auch eine ganze Reihe von organisatorisch-rechtlichen Komplikationen hervorrufen. Hier geht es vor allem um die Belastung der Wahlkommissionen der Kreise im Zusammenhang mit der Registrierung der Kandidaten, der Überprüfung der dafür notwendigen Unterschriften und der Abrechnung der Wahlkampfkosten. Diese Bedenken gründen auch darauf, dass die Organisation von Wahlen in den vergangenen Jahren zweimal Ursache für ernste politische Krisen war. 2014 ergab sie sich aus der undurchdachten Einführung eines neuen Stimmzettels (Flis & Kaminski 2021, Pierzgalski et con. 2020). 2020 wurde die Krise durch Versuche hervorgerufen, während der Corona-Pandemie die allgemeine Briefwahl durchzusetzen, und die Notwendigkeit, die Präsidentenwahlen zu verschieben, da die Umsetzung der Briefwahl zur Lähmung der Wahlvorbereitungen auf konventionelle Weise geführt haben (Flis & Kaminski 2022). Das nährte dann Befürchtungen, dass eine weitere Anhäufung von Pflichten für den Wahlapparat erneut zu einer Krise führen könnte. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Kumulierung von Wahlen nichts völlig Neues ist. Im Jahr 2005 fanden die beiden Wahlgänge der Präsidentenwahl und die Parlamentswahlen im Abstand von zwei Wochen statt und führten zu keiner organisatorischen Krise. Diese Ereignisse zeichnete jedoch eine andere Besonderheit aus – die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen war damals im Zeitraum von 30 Jahren die bisher niedrigste in Polen. Auch die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass die Wähler bei allzu häufigen Wahlen ermüden und lieber zu Hause bleiben.
Außer organisatorischen Schwierigkeiten ruft das Zusammentreffen von Wahlen auch eine Reihe politischer Probleme hervor. Das erste ist das Problem der doppelten Kandidatur (für den Sejm sowie für ein lokales Amt). Für die Parlamentswahlen wird eine offene Liste aufgestellt. In der Praxis bedeutet das, dass die Listen außer mit den amtierenden Sejmabgeordneten mit Hunderten lokaler Akteure besetzt werden. Hier spielen insbesondere die Abgeordneten der unterschiedlichen Ebenen (Woiwodschaft, Kreis, Gemeinde) eine große Rolle. Sie haben weniger die Aufgabe, Repräsentanten der Wähler ihrer lokalen Gesellschaft zu sein (denn ihre Chancen auf einen Abgeordnetensitz sind in der Regel rein theoretisch), sondern sie sind vielmehr eine Art »Handelsvertreter« ihrer Partei für verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Ein damit verbundenes Phänomen ist der Start eines großen Kreises von Abgeordneten als Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters bzw. Stadtpräsidenten, denn im polnischen politischen System ist die reale Macht eines Bürgermeisters sicherlich größer als die eines Sejmabgeordneten auf den hinteren Bänken. Die außerordentliche Nähe der Parlaments- und der Selbstverwaltungswahlen bedeutet ein unvermeidliches Durcheinander – Desorientierung bei den Wählern, Dilemmata bei den Kandidaten und den Parteien, Unklarheiten bei der Registrierung der Kandidaten und der Festsetzung der Ergebnisse. Hinzu kommen rechtliche Probleme bei der Abrechnung der Wahlkampfausgaben, und als völlig kurios erweist sich die sog. »Wahlruhe«, d. h. das Einstellen des Wahlkampfes vor dem Wahltag, die für den einen Wahlgang gilt, aber nicht für das andere Wahlformat.
Lösungen
Alle diese Probleme lassen sich auf verschiedene Arten lösen. Es können rechtlich verbindliche Anpassungsmaßnahmen der Art umgesetzt werden, dass die Wahlen an ein und demselben Tag stattfinden (wie in Schweden) oder mit nur geringem Abstand. Es kann auch die Wahlperiode des Sejm geringfügig verkürzt werden, immerhin ist dieser der Verursacher dieses Durcheinanders, und zwar so, dass die Parlamentswahlen im Juni 2023 und die Selbstverwaltungswahlen Ende September stattfinden. Damit würden alle organisatorischen Probleme verschwinden und es gäbe am wenigsten Störungen im Wahlkalender. Jedoch hat sich das Regierungslager zu einer Lösung entschlossen, die in rechtlicher Hinsicht die meisten Zweifel hervorruft, und zwar die Verlängerung der Wahlperiode der Selbstverwaltung, so dass deren Wahlen im April 2024 stattfinden. Diese Lösung stieß auf heftige Kritik aufseiten der Opposition. Eine Verlängerung der Amtszeit der Selbstverwaltung gab es bereits im Jahr 1998 im Zusammenhang mit der Selbstverwaltungsreform, doch dahinter standen damals rechtlich vorhergesagte verfassungsrechtliche Probleme. Im aktuellen Fall dienen als formale Begründung organisatorische Probleme, die anders gelöst werden könnten. Die Opposition hebt dagegen hervor, was die eigentliche Motivation sei – die Angst des Regierungslagers vor einer Wahlniederlage.
Die Akteure der Selbstverwaltung waren in dieser Frage gespalten. Ein Teil von ihnen protestierte entschieden gegen diese Lösung. Ein Teil verhielt sich distanziert, denn die Verlängerung der Regierungszeit um ein halbes Jahr ist sicherlich nichts, wogegen die schwächeren Bürgermeister und Stadtpräsidenten protestieren wollten. Letztlich setzte das Regierungslager diese Lösung im Sejm durch. Anschließend wurde sie vom Senat, den die Opposition kontrolliert, abgelehnt, aber dessen Veto wurde wiederum von einer deutlichen Mehrheit im Sejm zurückgewiesen.
Diese deutliche Unterstützung bedeutet jedoch keinesfalls, dass diese Lösung für die PiS günstig ist. Wahrscheinlich ist dieses Szenario noch schlechter, als die Sejmwahlen in zeitlicher Nähe zu den Selbstverwaltungswahlen durchzuführen – vorher oder nachher. In dem Fall, dass die Selbstverwaltungswahlen knapp vor den Parlamentswahlen durchgeführt werden würden, hätte die Opposition ebenfalls politische Probleme. Die Betroffenen selbst haben dies nicht aufgegriffen, aber eine sinnvolle Herangehensweise der Opposition an die Wahlen der Woiwodschaftstage würde es erforderlich machen, solche Koalitionen einzugehen, die aus der Perspektive der Parlamentswahlen ungünstig wären. Bei den Wahlen zum Woiwodschaftstag sind die Wahlkreise noch kleiner, die Prozenthürden sind höher – daher wäre der Antritt der Oppositionsparteien mit vier separaten Wahllisten sehr riskant für sie (Flis et con. 2020). Die Verschiebung der Selbstverwaltungswahlen auf einen späteren Termin bedeutet auch, dass die Oppositionsparteien mit einem deutlich größeren Engagement der aktuellen Mitglieder der unteren regionalen und lokalen politischen Ebenen für die Sejmwahlen rechnen können. Für sie zahlt es sich aus, die Wahllisten der im Sejm vertretenen Parteien zu unterstützen, um sich selbst eine zusätzliche öffentliche Sichtbarkeit zu sichern. Diese Probleme werden nicht herausgestellt, denn für die Opposition ist es günstiger, die Botschaft zu vermitteln, dass die Verlegung der Wahlen ein Beweis für die Eigennützigkeit und den Defätismus des Regierungslagers ist.
Zusätzlich stellen die ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen stattfindenden Selbstverwaltungswahlen eine sehr große Gefahr für die PiS im Falle einer Wahlniederlage dar – und auf eine Niederlage weisen alle aktuellen Umfragen hin. Nach jeder der bisherigen drei Wahlniederlagen der PiS, d. h. nach den Sejmwahlen 2007 und 2011 sowie nach den Präsidentenwahlen 2010, kam es zu massiven Spannungen sowie einem teilweisen Zerfall dieses politischen Lagers. Dieses Problem betraf nicht allein die überregionale Ebene. Nach den verlorenen Wahlen im Jahr 2007 verließ jeder vierte Woiwodschaftstag-Abgeordnete die Partei. Es kann also passieren, dass die erwartbare Wahlniederlage in den Parlamentswahlen im Herbst deutliche Verluste in der Partei bei den Regionalwahlen nach sich ziehen wird – größere als in dem Fall, dass die Wahlen in umgekehrter Reihenfolge oder mit einem geringeren Abstand durchgeführt werden würden.
Eine Folge der per Gesetz herbeigeführten Änderung kann darüber hinaus sein, dass sich auf den lokalen politischen Bühnen die Konfigurationen verändern. Bisher hatte die PiS hier die starke Position des nörglerischen Anwärters inne, d. h. einer Gruppierung, die gewöhnlich gesellschaftliche Unzufriedenheit äußert und darauf ihr politisches Kapital gründet. In einigen Städten ist sie daher ständig als wichtiger Akteur präsent, sogar wenn sie regelmäßig die lokalen Wahlen verliert. Erinnert sei daran, dass auch der aktuelle Staatspräsident Andrzej Duda seine Karriere von einem formal verlorenen Start in den Wahlen zum Stadtpräsidenten von Krakau (Kraków) aus begann.
Des Weiteren werden die verschobenen Selbstverwaltungswahlen während des Wahlkampfes für die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden, d. h. sehr viele der organisatorisch-rechtlichen Probleme wurden durch die Verlegung gar nicht gelöst. Sie wiederholen sich nur in einer etwas anderen Konfiguration, aber nicht unbedingt in geringerem Ausmaß. Wenn die Selbstverwaltungswahlen gerade vor den Europawahlen stattgefunden haben, kann es sehr wahrscheinlich zu einem sehr deutlichen Rückgang der Wahlbeteiligung bei letzteren kommen. Das kann auch für die Regierungspartei negative Folgen haben. Die Europawahlen im Jahr 2009, die nach den im Jahr 2007 von der PiS verlorenen Wahlen stattfanden, waren diejenigen, in denen das Übergewicht der PO über die PiS das größte in der Geschichte ihrer Rivalität überhaupt war.
Die Schlussfolgerung all dieser Überlegungen ist, dass das Problem, dessen Ursache eine falsche Entscheidung vor knapp fünf Jahren ist, auf schlechtmöglichste Art und Weise gelöst wurde – auch aus der Perspektive der Interessen des Regierungslagers. Zusätzlich werden die Ansichten über das Regierungslager bestätigt, dass es Aktivitäten unternimmt, denen man leicht Unehrlichkeit vorwerfen kann, und dass es nicht besonders kompetent ist. Weiter gefasst, lässt sich hier auch die Bestätigung der These finden, dass Manipulationen mit Hilfe der Spielregeln für Wahlen die Tendenz haben, sich gegen ihre Initiatoren zu wenden. In dem Versuch, Regeln den eigenen Interessen anzupassen, wird sehr häufig eine Reihe von Bedingungen übergangen, was zu einer Situation führt, die noch schlechter ist als die des Ausgangspunktes. Betrachtet man die Situation jedoch positiv, lässt sie sich als Impuls verstehen, den gesamten polnischen Wahlkalender zu überdenken. Gut wäre es, eine reflektierte, angemessene Entscheidung zu treffen, wie das angezielte Muster des Kalenders, das von den Wahlen auf den verschiedenen Ebenen gebildet wird, sein sollte. Es sollte so sein, dass keine Probleme entstehen, die nicht nötig sind, keine Interessengemeinschaften ad hoc gebildet werden, keine Versuchung besteht, Tricksereien anzuwenden, und auch keine Angst vor üblen Tricks.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate