Die deutsch-polnischen Beziehungen im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine – mögliche Entwicklungen

Von Thomas Mehlhausen (Universität Leipzig), Adrian Wagstyl (Universität Warschau)

Zusammenfassung
Russlands Krieg gegen die Ukraine und die bevorstehenden Parlamentswahlen im Oktober in Polen werfen entscheidende Fragen zur Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen auf. Die folgenden vier Szenarien zur Entwicklung der bilateralen Beziehungen bis zum Jahr 2040 sollen mögliche Entwicklungspfade mit verschiedenen Risiken und Chancen für die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Warschau aufzeigen. Sie sollen zum Nachdenken anregen, indem sie die langfristigen Konsequenzen möglicher Entscheidungen und Ereignisse vor Augen führen. Auf der Grundlage der vier alternativen Szenarien werden Handlungsempfehlungen abgeleitet, um in eine konstruktiv gestaltete Zukunft zu navigieren.

Zukunftsszenarien: zur Methodologie

Szenarien beziehen sich auf einen Zeithorizont, in dem aufgrund vorherrschender Unsicherheiten zwar keine Prognosen mehr möglich sind, doch ein gewisses Zukunftswissen allzu utopische bzw. dystopische Entwicklungen unwahrscheinlich erscheinen lässt (Abbildung 1). Der zu wählende Zeitrahmen ist abhängig von der Fragestellung, insbesondere wie wandlungsfähig bzw. -resistent das Analysefeld ist. Für Themen der internationalen Beziehungen eignen sich 10–20 Jahre, für andere Fragestellungen (etwa in der IT-Branche) auch weniger oder (etwa zum demographischen Wandel) deutlich mehr.

Qualitativ hochwertige Szenarien loten möglichst eine große Spannbreite an denkbaren Entwicklungen aus und erfüllen die vier Qualitätskriterien Neuartigkeit, Plausibilität, Robustheit und Kommunizierbarkeit (Abbildung 2). Erstens können wir davon ausgehen, dass die Zukunft nicht eine quantitative Verlängerung der Gegenwart ist, sondern qualitativen Wandel mit Brüchen und Überraschungen beinhaltet. Nur neuartige, ungewohnte Entwicklungen fordern unser Denken heraus und zwingen uns, unsere Zukunftserwartungen kritisch zu prüfen. Zweitens müssen Szenarien plausibel sein. Sie müssen nicht unbedingt wahrscheinlich sein, aber wir müssen Entwicklungspfade skizzieren können, die zur beschriebenen Zukunft führen können. Drittens sind Szenarien dann robust, wenn sie möglichst mehrere Trends benennen können, die den Verlauf begünstigen. In diesem Fall könnte die modellierte Zukunft auch dann eintreten, wenn einer der Faktoren doch nicht wie erwartet wirkt oder ein Ereignis nicht eintritt. Schließlich, viertens, sind Szenarien stets Kommunikationsmittel mit einer klaren Botschaft. Denn nur dann können sie auch unser Denken verändern.

Unsere vier Szenarien zu den deutsch-polnischen Beziehungen basieren auf der Analyse von deutschen und polnischen Experten im Rahmen eines Workshops, der während der letzten Phase des Forschungsprojekts »Deutschland und Polen in einer differenzierten Europäischen Union« stattfand (siehe auch Danksagung am Ende des Textes). Zu der Leitfrage, wie die deutsch-polnischen Beziehungen sich vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine bis 2040 entwickeln würden, wurden zunächst zwei Typen von relevanten Einflussfaktoren unterschieden (Abbildung 3): Zukunftswissen (oder TINAsThere Is No Alternative) und ausschlaggebende Faktoren (oder Driver). Bei Ersterem ist die Wirkungsrichtung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bekannt, bei Letzterem ist sie ungewiss. Nachdem aus den besonders relevant erachteten Drivern (Abbildung 4) die zwei wirkungsvollsten ausgewählt wurden, entsteht durch Kreuzung beider ein sogenannter Zukunftskompass mit vier Möglichkeitsräumen (Abbildung 5). Ergänzt werden die als besonders relevant eingestuften TINAs (Abbildung 6).

Auf dieser Grundlage wurden Szenarien modelliert, die möglichst unterschiedliche Konstellationen durchspielen: bezüglich des Ausgangs des Krieges in der Ukraine z. B. ein vollständiger Sieg einer der beiden Kriegsparteien, ein ausgehandelter Frieden oder ein eingefrorener Konflikt und bezüglich des Vorherrschens nationaler Ideologien im bilateralen Kontext ähnliche oder unterschiedliche Regierungen entlang der GAL-TAN-Dichotomie (grün-alternativ-libertär vs. traditionell-autoritär-nationalistisch). Die Szenarien wurden sukzessive anhand des TELL IT-Verfahrens (Trends, Essential actors, Leverage, Lessons learned, Indicators, Title) optimiert, indem die zugrundeliegenden Trends, entscheidenden Akteure, wirksamsten Hebel und relevantesten Politikempfehlungen geprüft und ergänzt wurden.

Im Folgenden beschreiben wir in jedem Szenario zunächst den Endzustand im Jahre 2040 im Sinne einer Zusammenfassung und zur Verdeutlichung des Kontrastes zu heute. Danach beschreibt ein detaillierter Entwicklungsverlauf, wie es zu dieser Zukunft kommen könnte. Wir haben den Verlauf in je drei Phasen unterteilt, die aus wegweisenden Ereignissen und Entscheidungen resultieren. Am Ende schlagen wir drei Handlungsempfehlungen für die deutsch-polnischen Beziehungen vor.

Szenario 1: Erzwungene Verbündete

Die deutsch-polnischen Beziehungen im Jahr 2040

Russland ist es gelungen, die Ukraine komplett zu besetzen. Moskau erklärt offiziell, auch die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken schrittweise »vereinen« zu wollen. Die aggressive russische Außenpolitik lässt Deutschland und Polen in ihren Außenpolitiken weiter zusammenrücken und insbesondere die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in einer zunehmend alarmierten und militarisierten Europäischen Union voranschreiten. Innere und äußere Sicherheit sind die vorherrschenden Themen in den öffentlichen Diskursen beider Länder und tragen dazu bei, die tiefen diplomatischen Reibungen zwischen ihnen zu überwinden.

Russland verzeichnet Landgewinne dank schwindender Unterstützung für die Ukraine (2023–2026)

In einem immer heißer werdenden Stellvertreterkrieg um Taiwan scheitert Pekings Ablenkungsmanöver, Russland mit Munition und Waffen zu versorgen, als der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump beschließt, die US-Außenpolitik ganz auf Asien auszurichten. Angesichts der veränderten Kräfteverhältnisse kann Russland in der Ukraine kontinuierlich an Boden gewinnen und zwingt Kiew 2026 zu einem Waffenstillstand, der die derzeitige Frontlinie am Dnjepr zementiert.

Innerhalb der EU eskaliert der Streit um eine angemessene Unterstützung für die Ukraine. Während die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i SprawiedliwośćPiS) eine entschiedenere Reaktion Deutschlands und anderer EU-Mitglieder fordert, verweigert die neue CDU/CSU-FDP-Regierung Kiew weiterhin Kampfjets und zögert, ohne die Unterstützung der USA eine aktivere Rolle zu übernehmen. Für die Polen ist der Westen in seinem Bemühen, ein imperialistisches Russland in die Schranken zu weisen, wieder einmal nicht entschlossen genug und erinnert sie an ihre verhängnisvollen historischen Erfahrungen seit dem späten 18. Jahrhundert.

Gegenseitige Vorwürfe infolge anhaltender Aggression (2027–2031)

Die anhaltende Aggression Russlands vertieft die gegenseitige Enttäuschung zwischen Deutschland und Polen. Als Wladimir Putin plötzlich stirbt, setzt die regierende SPD darauf, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Sie hofft, eine historische Chance zu ergreifen, um mit der neuen Führung in Moskau endlich eine diplomatische Lösung zu finden und gleichzeitig von der wachsenden Kriegsmüdigkeit in Deutschland zu profitieren. So kann die SPD die vorgezogene Bundestagswahl 2027 vor allem mit sozialen Versprechen gewinnen. In ihrem außenpolitischen Programm schlägt sie einen Drei-Punkte-Plan für eine neue EU-Ostpolitik vor: ein Auslaufen der Sanktionen gegen Russland, eine schrittweise Wiederaufnahme von Gaslieferungen über Nord Stream 1 und 2 und die Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates mit der Ukraine als Beobachter. In Polen lehnen sowohl die neu gewählte Regierung der Bürgerkoalition (Koalicja ObywatelskaKO) als auch die oppositionelle PiS diese diplomatischen Bemühungen mangels überzeugender Beweise für einen außenpolitischen Wandel in Russland unisono ab und vergleichen die deutsche Initiative mit dem Hitler-Stalin-Pakt. In einer Meinungsumfrage fürchtet eine große Mehrheit der Polen um die Souveränität Polens, ungeachtet seiner NATO-Mitgliedschaft.

Anfang 2028 startet das neue russische Regime jedoch einen weiteren, dieses Mal mit chinesischen Militärkapazitäten ausgestatteten und effektiveren Angriff auf die Ukraine. Es ist in der Lage, die restlichen Teile der Ukraine zu unterwerfen, nachdem das belagerte Kiew schließlich kapituliert. Die Ukraine ist kein unabhängiger Staat mehr, und Millionen von Ukrainern suchen Asyl in der Europäischen Union. Wenig später droht Russland unverblümt mit »angemessenen« Maßnahmen, wenn die Minderheitenrechte ethnischer Russen in den baltischen Staaten nicht ausreichend geschützt würden, während es gleichzeitig seine Armee an seinen westlichen Grenzen konzentriert. Ende 2028 bekennt sich der neu gewählte demokratische US-Präsident ausdrücklich zu seinen NATO-Verpflichtungen und kündigt an, nach einer diplomatischen Lösung des Taiwan-Konflikts die US-Militärkapazitäten in Polen und den baltischen Staaten drastisch zu erhöhen. Die bilateralen Beziehungen haben einen weiteren Tiefpunkt des Vertrauens erreicht, als polnische Parteien Deutschland immer wieder für die anhaltende Aggression Russlands verantwortlich machen.

Schulterschluss aus historischer Verpflichtung (2032–2040)

CDU und CSU profitieren von der allgemeinen Frustration über die Außenpolitik der SPD und gewinnen Wähler von einer sich weiter radikalisierenden AfD zurück. Für Bündnis 90/Die Grünen (B90/Grüne) stimmen die Befürworter eines linken Kurses und diejenigen, die sich über die immer deutlicher spürbaren Folgen des Klimawandels sorgen. Am Ende nehmen sie ein Angebot von CDU/CSU zur Bildung einer großen Koalition an. In Polen kann die PiS die Wahlen mit Warnungen vor einer angeblich erhöhten Wahrscheinlichkeit einer russischen Invasion, einem Versprechen einer erfolgreichen Modernisierung des Militärs und einem festen Bekenntnis zur NATO gewinnen. Mit einem gemeinsamen Feind an den Grenzen ändert die polnische Regierung allmählich ihre allgemeine Haltung gegenüber der europäischen Integration und lädt andere EU-Mitgliedstaaten zu einem Sicherheitsgipfel ein, um sich auf einen gemeinsamen, aber restriktiven Ansatz in der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU und ein stärkeres Engagement in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einigen. Diese Initiative stößt in Deutschland auf große Resonanz, insbesondere innerhalb der CDU/CSU. Trotz anhaltender interner Kontroversen erklären sich sogar B90/Grüne bereit, die restriktivere Migrationspolitik unter der Bedingung besserer Sozialleistungen für bestehende Einwanderer und im Gegenzug für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen. Im Jahr 2036 akzeptiert der Rat der Europäischen Union eine restriktivere Asylpolitik und stimmt zu, zwei Prozent des EU-Haushalts für Militärinvestitionen auszugeben.

Deutschland und Polen stehen in engem Kontakt mit der ukrainischen Exilregierung in Warschau. Die schwindende chinesische Unterstützung für Russland, die sich ausbreitenden Proteste in Russland gegen die steigende Inflation und die an Wert verlierenden Gehälter sowie die zunehmend effektiven Guerillakämpfe gegen das Stellvertreterregime in Kiew nähren die Hoffnung, dass die Ukraine bald ihre Souveränität zurückerlangen wird. In der EU ist die deutsche Ostpolitik zutiefst diskreditiert, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erheblich gestärkt und Polen als führende Stimme der EU in ihrer Ostpolitik mehr denn je akzeptiert.

Szenario 2: Pragmatische Partner

Die deutsch-polnischen Beziehungen im Jahr 2040

Die KO lobt die kooperativen Beziehungen zu der von B90/Grüne geführten Regierung, insbesondere den gemeinsamen Ansatz in der Ostpolitik: eine abgestufte NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine und eine strikte Anwendung der Kopenhagener Kriterien für ihren EU-Beitritt. Beide Regierungen betonen öffentlich die Westintegration der Ukraine als eine historische Errungenschaft ihrer bilateralen Zusammenarbeit. Die strukturellen Unterschiede zwischen beiden Ländern schlagen sich jedoch regelmäßig in unterschiedlichen Ansätzen in wichtigen Politikbereichen nieder.

Deutsch-polnische Zerwürfnisse in der Nachkriegsordnung (2023–2026)

Nachdem die USA und die EU der Ukraine zahlreiche Kampfflugzeuge zur Verfügung gestellt haben, Pekings Unterstützung aufgrund diplomatischer Turbulenzen mit Moskau schwindet und Russland zunehmend unter den Auswirkungen der westlichen Sanktionen leidet, verliert der russische Präsident Putin rasch an Unterstützung und wird schließlich in einem erbitterten Machtkampf gestürzt. Russland ist gezwungen, sich aus der Ukraine, einschließlich der Krim, zurückzuziehen, auch wenn es die Gebietsverluste nicht offiziell anerkennt. Die USA und die EU heben ihre Sanktionen gegen Russland vollständig auf, doch die Beziehungen bleiben angespannt und explosiv. Bei der Überarbeitung der Östlichen Partnerschaft treten frühere Spaltungen innerhalb der EU wieder zutage: Während die SPD-geführte Regierung die Dringlichkeit betont, Russland substanzielle Anreize für eine friedliche Zusammenarbeit zu bieten, warnt die PiS vehement davor, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Dementsprechend drängt Warschau auf einen raschen EU-Beitritt der Ukraine, während Berlin angesichts einer Reihe von Korruptionsskandalen im Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die vollständige Umsetzung der Kopenhagener Kriterien pocht. Die Fronten in den bilateralen Beziehungen sind verhärteter denn je.

Die Koalition von Recht und Gerechtigkeit bleibt an der Macht, nachdem sie die Parlamentswahlen 2023 in Polen mit knappem Vorsprung gewonnen hat. Die Reibungen mit Berlin verschärfen sich aufgrund der anhaltenden Forderungen nach Reparationszahlungen aus Deutschland und der Versuche, Oppositionsführer aus politischen Gründen juristisch zu verfolgen. Trotz der weiteren Entfremdung in den bilateralen Beziehungen gelingt es Deutschland und Polen, eine verstärkte Zusammenarbeit bei der lang erwarteten EU-Körperschaftsteuer einzuleiten, um einen Unterbietungswettbewerb innerhalb der EU zu verhindern, was beide Regierungen als wichtigen Meilenstein für die soziale Gerechtigkeit feiern.

Ein unbeständiges politisches Tauwetter (2027–2035)

Der überragende Sieg der KO bei den Parlamentswahlen 2027 in Polen ist der Startschuss für ein neues, wenn auch unbeständiges politisches Tauwetter in den bilateralen Beziehungen. Jahre der wirtschaftlichen Rezession und der eingeschränkte Zugang zu EU-Mitteln haben Zweifel an der Finanzierbarkeit der ständig wachsenden Sozialausgaben genährt, und der Tod von Jarosław Kaczyński hat seine PiS in heftige Machtkämpfe gestürzt. Die neue polnische Regierung setzt sich kontinuierlich für die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der staatlichen Medien ein. Dennoch kommt es bald zu Konflikten. Bereits Ende 2027 eskalieren die Auseinandersetzungen um die Mehrjährige Finanzielle Vorausschau für 2028–2034. Trotz ihrer pro-europäischen Haltung besteht die Linksregierung in Berlin auf eine deutliche Kürzung des EU-Haushalts in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession, während Polen eine Aufstockung unter Hinweis auf die Verantwortung der EU für eine rasche Erholung der Ukraine fordert. Mit ihren Forderungen nach mehr Inflationsbekämpfung und einer restriktiven Asylpolitik wollen CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2029 Wähler von der immer noch populären AfD zurückgewinnen – doch vergeblich. Gleichzeitig verlieren sie die politische Mitte an SPD und B90/Grüne, die mit Die Linke eine neue Regierung bilden können.

Trotz Meinungsverschiedenheiten über die Ursachen des Krieges nähern sich die Standpunkte über die Aufnahme der Ukraine in westliche Organisationen auf dem EU-Sicherheitsgipfel in Warschau Ende 2035 weitgehend an. Einerseits akzeptiert Warschau, dass der EU-Beitritt der Ukraine strikt auf der Grundlage der Kopenhagener Kriterien erfolgen muss. Andererseits unterstützt Deutschland den polnischen Ansatz, ein NATO-Ukraine-Bündnis auf einer weicheren Version von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags aufzubauen: Im Falle eines Angriffs auf einen der Verbündeten durch einen Dritten ist das Bündnis verpflichtet, umfassende militärische Ausrüstung und Waffen anzubieten. Eine gemeinsame Kriegserklärung oder die Entsendung von Truppen ist damit jedoch nicht verbunden. Russland kritisiert diese Institutionalisierung der bisherigen westlichen Hilfe für die Ukraine heftig, eskaliert aber angesichts seiner reduzierten Fähigkeiten nicht.

Strukturelle Konflikte trotz ideologischer Nähe (2036–2040)

In den folgenden Jahren politischer Meinungsverschiedenheiten untergraben strukturelle Unterschiede zwischen beiden Ländern die insgesamt ähnliche ideologische Ausrichtung der beiden Regierungen. Nach der Erholung von der langanhaltenden Rezession veröffentlicht die Europäische Kommission ein Weißbuch, in dem sie dazu aufruft, die vorübergehende Lockerung der Wirtschaftshilfe und der Rettungsmaßnahmen für die Mitgliedstaaten rückgängig zu machen. Trotz ihrer anfänglichen Unterstützung führt der Protest der heimischen Unternehmen dazu, dass sich die KO-geführte Regierung in Warschau schließlich dem Widerstand des südeuropäischen Blocks anschließt. Diese Kehrtwende hinterlässt eine Narbe in den deutsch-polnischen Beziehungen, da die grüne Kanzlerin in Berlin die vollständige Liberalisierung der EU-Wirtschaft nach der Krise als wesentlich für den Wiederaufbau und die erneute Expansion der deutschen Elektroauto- und Pharmaindustrie betrachtet. In den bilateralen Beziehungen gibt es nach wie vor erhebliche Konflikte, auch wenn sich beide Nachbarn bemühen, diese in der Öffentlichkeit herunterzuspielen.

Berlin und Warschau beobachten mit großer Sorge, wie pro-westliche Parteien in der Ukraine an Zuspruch verlieren, während nationalistische Kräfte mit ihrer Kritik an der zögerlichen Bereitschaft, die Ukraine in die EU und NATO aufzunehmen, an Unterstützung gewinnen. Aufgrund der stagnierenden Transformation in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft ist die Europäische Kommission jedoch nicht bereit, neue Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Der Beitrittsprozess verliert an Schwung und droht in einen Teufelskreis aus Enttäuschung und Radikalisierung in der Ukraine abzugleiten, weil man sich – auch von Polen – im Stich gelassen fühlt. Während die Spannungen zwischen Polen und der Ukraine aufgrund der historischen Konflikte wieder aufflammen, weist die polnische Rechtsopposition die Schuld an der scheiternden Ostpolitik Deutschland und der KO zu.

Szenario 3: Enttäuschte Nachbarn

Die deutsch-polnischen Beziehungen im Jahr 2040

Trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit in der Ostpolitik stehen die deutsch-polnischen Beziehungen erneut unter starkem Druck. Nachdem die Ukraine einem Friedensabkommen mit Russland zugestimmt hat und der EU beigetreten ist, führen Millionen von ukrainischen Migranten in Deutschland zur Erstarkung der AfD und treiben eine Minderheitsregierung aus CDU/CSU und FDP zu einer zunehmend harten und nationalistischen Außenpolitik. Ungeachtet der ukrainischen Westintegration ist die neue polnische Regierung besorgt, dass sich Polen wieder in einer zunehmend bedrohlichen Sandwichposition zwischen Deutschland und Russland befindet.

Tauwetterphase dank erfolgreicher Ostpolitik (2023–2026)

Nach schwelenden Konflikten über anhaltende polnische Reparationsforderungen an Deutschland und deutsche Forderungen an die polnische Regierung, die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren, treten die bilateralen Beziehungen mit einem Durchbruch in der Ostpolitik in eine Tauwetterphase ein. Während eine sich radikalisierende PiS die Parlamentswahlen 2023 gewinnt, gehen in Deutschland eine zerstrittene CDU/CSU und eine skandalumwitterte SPD mit B90/Grüne als lachende Dritte in die Bundestagswahl 2025. In den Verhandlungen für eine große Koalition fällt es ihnen leicht, sich mit CDU/CSU auf eine ambitioniertere Ostpolitik als zentrales außenpolitisches Ziel zu einigen und daraus Kapital zu schlagen, um einen schwelenden Konflikt zu lösen. Nachdem die PiS ein Veto gegen Ursula von der Leyens zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin im Jahr 2024 eingelegt hat, angeblich um eine deutsche Hegemonie in der EU zu verhindern, wird gemunkelt, dass die PiS schließlich ihren Widerstand unter der Bedingung aufgibt, dass Deutschland sich für einen beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine einsetzt.

Trotz starker Vorbehalte innerhalb der EU gegen die Aufnahme offizieller Beitrittsverhandlungen mit einem vom Krieg zerrütteten Nachbarland ist es einer deutsch-polnischen Initiative gelungen, einen neuen Mechanismus für »Sondierungsverhandlungen« einzuführen: Diese Verhandlungen dienen zwar der Vorbereitung eines Beitrittskandidaten, gelten aber formal nicht als Annäherung der Ukraine an die Vollmitgliedschaft. Die Initiative bringt neue Hoffnung für die Ukraine, deren Gegenoffensive gegen den russischen Angreifer mit schweren Verlusten auf beiden Seiten endet.

Aufbruchsstimmung nach ukrainisch-russischem Friedensvertrag (2027–2032)

Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau verbessern sich aufgrund von Regierungswechseln in beiden Ländern und eines Friedensvertrags zwischen der Ukraine und Russland weiter. Während weder Kiew noch Moskau zum Einlenken bereit sind, macht sich in beiden Ländern aufgrund der steigenden Zahl von Todesopfern und der drastischen wirtschaftlichen Rezession Kriegsmüdigkeit breit. In von der Türkei vermittelten Friedensgesprächen erklärt sich Moskau schließlich Anfang 2030 bereit, einen Friedensvertrag zu akzeptieren, demzufolge es die annektierten Gebiete in der Ostukraine zurückgeben und die ukrainische EU- und NATO-Mitgliedschaft im Gegenzug für den Erhalt der Krim akzeptieren würde. Obwohl der ukrainische Präsident Selenskyj ein solches Abkommen vehement ablehnt, lässt er die Bevölkerung über das Friedensangebot abstimmen. Angesichts der fortgeschrittenen Sondierungsverhandlungen verspricht der Europäische Rat, den Beitritt der Ukraine noch im selben Jahr abzuschließen, sollte ein Abkommen mit Russland angenommen werden. Auch die USA und China bringen ihre Hoffnung auf einen baldigen Frieden zum Ausdruck. Im Referendum überwiegen das Verlangen der Ukrainer nach Frieden und Wohlstand sowie ihr Wunsch nach einer raschen Integration in den Westen gegenüber den patriotischen Forderungen, an der Krim festzuhalten. Während die russische Propaganda den Deal als heldenhaften Sieg über den Westen verkauft, tritt die Ukraine Ende 2030 sowohl der EU als auch der NATO bei.

In Deutschland und Polen wird die Westintegration der Ukraine als wichtiger Beitrag zur Förderung von Stabilität und Wohlstand in Osteuropa gefeiert. Die bilateralen Beziehungen verbessern sich weiter, als die neue polnische Friedenspartei bei den Wahlen im Jahr 2027 in den Sejm einzieht. Mit ihrer pro-europäischen Vision und ihrer starken sozialen Agenda spricht sie viele Polen an, die mit der nicht enden wollenden Rivalität zwischen der PiS und der KO unzufrieden sind, die beide nach dem Rücktritt von Kaczyński und Donald Tusk an Popularität verlieren. Am Ende gelingt es der Friedenspartei, eine Regierung mit der KO als Juniorpartner zu bilden. Nichtsdestotrotz kommt es nach dem ukrainischen EU-Beitritt zu schweren Konflikten in der Migrationspolitik. Die deutsch-polnische Initiative, Kiew den sofortigen Schengen-Beitritt zu gewähren, löst eine weitere Migrationswelle von mehreren Millionen Ostukrainern aus, die ihr Land in der Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen wollen.

Vertrauenskrise infolge politischer Divergenzen (2033–2040)

Trotz historischer Erfolge in der gemeinsamen Ostpolitik rutschen die bilateralen Beziehungen in eine der konfliktreichsten Phasen nach dem Ende des Kalten Krieges. In Polen herrscht ein schwindendes, aber immer noch breites Gefühl der Solidarität mit dem östlichen Nachbarn. In Deutschland hingegen nutzt die AfD den Friedensschluss erfolgreich mit Verweis darauf aus, dass sie seit langem eine diplomatische Lösung in der Ukraine fordert und beharrlich vor einer Masseneinwanderung warnt. In Ermangelung einer absoluten Mehrheit bei der Bundestagswahl 2033 beschließen CDU/CSU, eine Minderheitsregierung mit der FDP zu bilden, nachdem SPD und B90/Grüne nach erbittertem Wahlkampf eine Koalition mit den Konservativen abgelehnt haben. Die AfD feiert die neue Koalition als eine Regierung von ihren Gnaden, während die übrige Opposition eben dies mit Verweis auf die bereits enge Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und AfD in zahlreichen Kommunen heftig kritisiert.

In Warschau ist die Koalition aus KO und Die Linke (Lewica) entsetzt über den wachsenden Einfluss der AfD auf Bundesebene und befürchtet, dass sie der Vorbote einer modernen Version deutscher Machtpolitik ist. Als Reaktion auf den massiven Zustrom ukrainischer Flüchtlinge fordert der neue CSU-Kanzler umgehend die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl zugunsten von begrenzten Migrationskontingenten mit leistungsbezogenen Auswahlkriterien. Zudem setzt Berlin auf bilaterale statt multilaterale Hilfe für die Ukraine, nimmt die russischen Energielieferungen durch die wiederhergestellten Nord Stream 1 und 2 wieder auf und weigert sich, die Beiträge an die EU nach dem EU-Beitritt der Ukraine zu erhöhen. In Warschau hält man das Argument nicht für stichhaltig, die konservative deutsche Regierung verfolge die einzig vernünftige Strategie, um einen Sieg der extremistischen AfD bei den nächsten Wahlen zu verhindern.

Szenario 4: Sprachlose Fremde

Die deutsch-polnischen Beziehungen im Jahr 2040

Im Laufe der Jahre wurde die Ukraine weitgehend als ein weiteres osteuropäisches Land mit einem eingefrorenen Konflikt akzeptiert. Während eine uneinige EU ihre Prioritäten von ihrer östlichen Flanke wegverlagert, mäßigt die neue russische Führung ihren Ton und schlägt vor, die Beziehungen zum Westen zu normalisieren. Öffentliche Debatten und Wahlkämpfe in Deutschland konzentrieren sich darauf, wie der Lebensstandard in einem ungünstigen internationalen Umfeld aufrechterhalten werden kann. Polen hingegen hat sein Vertrauen in die westliche Solidarität längst verloren und liebäugelt mit einem Polexit aus der EU. In den bilateralen Beziehungen verhindern die geringen gegenseitigen Erwartungen weitere Enttäuschungen und erlauben es, den allmählichen Verlust der Bindungen in EU und NATO zu vernachlässigen.

Schwindende Solidarität mit der Ukraine in der EU (2023–2027)

Aufgrund ihrer geografischen Nähe zur Ukraine sind Deutschland und Polen daran interessiert, die zunehmend umstrittene Ostpolitik auf der Tagesordnung der EU zu halten. Nachdem es der KO, Lewica und Polen 2050 (Polska 2050) Ende 2023 gelingt, eine Regierung zu bilden, sind sie sich schnell einig, dass der Frieden in der Ukraine und eine führende Rolle Polens innerhalb der EU die wichtigsten außenpolitischen Ziele sein sollen. Allerdings erkennt die neue Koalition in Warschau, dass Europa früher oder später für seine eigene Sicherheit sorgen muss: Die USA stoppen Ende 2023 die Militärhilfe für die Ukraine aufgrund eines Parteienstreits über die Ausgaben für 2024, und die NATO-Mitgliedstaaten verfallen in eine Debatte über eine angebliche Überdehnung des Bündnisses.

Angesichts der russischen Landgewinne, die auf den Mangel an Munition und Waffen in Kiew zurückzuführen sind, beschließt die polnische Regierung, mit der Einberufung eines Osteuropa-Gipfels maximalen Druck auf die zögerlichen EU-Mitglieder auszuüben. Warschau schlägt vor, die Sanktionen gegen Russland zu verlängern, einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine einzurichten und einen Termin für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine festzulegen. Während des Gipfels will sich der ungarische Ministerpräsident Orbán an die Spitze der Skeptiker setzen und ruft zu einem Referendum über die Neuausrichtung der EU-Ostpolitik auf. Wenige Wochen später stimmt eine große Mehrheit der Ungarn für die sofortige Aufhebung der Sanktionen gegen Russland sowie gegen jegliche Solidaritätsmaßnahmen für die Ukraine. Um den Druck auf Moskau aufrecht zu erhalten, gelingt es Polen dennoch, Deutschland, Frankreich, die skandinavischen, baltischen und Benelux-Staaten davon zu überzeugen, den geplanten Fonds für die Ukraine in Form einer verstärkten Zusammenarbeit umzusetzen. Auch wenn Warschau erleichtert ist, auf die feste Unterstützung der wiedergewählten SPD-Grüne-FDP-Koalition zählen zu können, verstärkt sich der Eindruck, in der Ukraine an Dynamik zu verlieren.

Schrittweise Entfremdung (2028–2032)

In einem allmählichen Gewöhnungsprozess verliert der anhaltende Krieg in der Ukraine seinen Schrecken und führt zu Enttäuschung und Entfremdung in den deutsch-polnischen Beziehungen: Während die Deutschen das Gefühl entwickeln, vom Krieg nicht betroffen zu sein, erkennen die Polen, dass die westliche Hilfe an ihre Grenzen stößt. Nachdem sich CDU/CSU zusammen mit der FDP bei der Bundestagswahl 2029 gegen die amtierende Koalition aus SPD und B90/Grüne durchsetzen können, verkünden sie sofort, dass sie zu ihrer Politik der »Schwarzen Null« zurückkehren will. Die neue Regierung gelobt, die deutsche Lebensart und den Lebensstandard trotz der wirtschaftlichen Rezession im Zuge des sich verschärfenden Handelskrieges zwischen China und den USA zu erhalten. Warschau ist besonders besorgt darüber, dass die Sparmaßnahmen auch drastische Einschränkungen bei den Militärausgaben und der Militärhilfe für die Ukraine umfassen.

Während Berlin seine Besorgnis über die autoritären Tendenzen und die antagonistische Rhetorik des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zum Ausdruck bringt, warnt die liberale Regierung in Warschau immer wieder, dass dies nur Teil des alten Plans des Kremls ist, durch seine massive Cyber-Desinformationskampagne einen Keil in die westliche Unterstützung für die Ukraine zu treiben. Die Prioritäten der EU verschieben sich völlig, als der Zypernkonflikt wieder aufflammt. Nachdem die Türkei die riesigen Gasfelder vor Zypern blockiert hat, konzentrieren Ankara und Athen immer mehr Truppen auf den geteilten Inseln und machen sie zum weltweit am stärksten militarisierten Gebiet. Am Rande eines Krieges zwischen den beiden NATO-Verbündeten ist es sowohl für die NATO als auch für die EU oberste Priorität, einen Kompromiss auszuhandeln – allerdings vergeblich.

Tiefes Misstrauen zwischen zwei entfremdeten Nachbarn (2033–2040)

Während die meisten westlichen Länder nach einem einheitlichen Weg zu einer neuen Normalität suchen, driften die Ostpolitiken Deutschlands und Polens weiter auseinander. Getrieben von der deutschen Nachkriegsverpflichtung zu Pazifismus und militärischer Zurückhaltung begrüßt die neue deutsche SPD-B90/Grüne-Regierung den Vorstoß der neuen Kreml-Führung, die diplomatischen Bemühungen um bessere Beziehungen zur EU und zur NATO zu intensivieren. Obwohl Moskau nicht bereit ist, die annektierten Gebiete aufzugeben, gibt es seine antiwestliche Rhetorik auf und stellt seine Desinformationskampagne gegen die Ukraine ein. Aus wirtschaftlicher und geopolitischer Notwendigkeit nach einem erschöpfenden Krieg und einer verstärkten Abhängigkeit von China erklärt Russland sein Einverständnis mit einer ukrainischen EU- und NATO-Mitgliedschaft. Es schlägt eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der EU innerhalb des nächsten Jahrzehnts im Sinne von Gorbatschows »Gemeinsamem Haus Europa« vor. Ungeachtet der schwindenden westlichen Unterstützung besteht Kiew auf der Wiederherstellung seiner territorialen Integrität.

Polen ist beunruhigt, als die meisten EU-Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – angesichts der angeblich dringenderen Herausforderungen in Zypern ihre Bereitschaft signalisieren, ihre Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Nach den Parlamentswahlen 2035 ist die rechtsextreme Konföderation (Konfederacja) in der Lage, die allgemeine Enttäuschung der Polen über die mangelnde Solidarität innerhalb der EU und der NATO sowie die Frustration über die anhaltende Rivalität zwischen der KO und der PiS für sich zu nutzen. Trotz ihrer unterschiedlichen sozioökonomischen Programme einigen sich die Konfederacja und die PiS darauf, eine Regierung zu bilden. Nach dem Scheitern eines Referendums über den Polexit verkündet die neue rechte Regierung stattdessen den Austritt aus Schengen und eine noch restriktivere Migrationspolitik. Im Jahr 2040 sind die beiden Nachbarn so entfremdet wie noch nie seit dem Ende des Kalten Krieges.

Handlungsempfehlungen für die bilateralen Beziehungen

Szenarien sollen die langfristigen Folgen möglicher heutiger Maßnahmen aufzeigen, um reflektierte Meinungen und nachhaltige Entscheidungen zu erleichtern. Aus unseren Szenarien leiten wir die folgenden politischen Empfehlungen ab:

Die Hoffnung auf ein plötzliches Ende der russischen Invasion in der Ukraine aufgrund eines Führungswechsels in Moskau sollte nicht zu einer überstürzten Rückkehr zu einer engen Zusammenarbeit mit Russland verleiten, ohne dass es handfeste Beweise für einen tiefgreifenden Regimewechsel gibt. Fällt Deutschland vorschnell in die frühere Ostpolitik zurück, könnten die historischen Befürchtungen Polens, in eine verhängnisvolle Lage zwischen Deutschland und Russland zu geraten, an Bedeutung gewinnen. Dies dürfte die deutsch-polnischen Beziehungen stark beeinträchtigen.Obwohl die EU der Ukraine den Kandidatenstatus zuerkannt hat, erfordert der Beitritt einen tiefgreifenden Wandel hin zu Demokratie und Marktwirtschaft, um die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen. Trotz des tobenden Krieges sollte die EU Kiew in seinem Bestreben, den Acquis communautaire zu übernehmen, weiterhin aktiv unterstützen und bereit sein, auch ungewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen. Eine erfolgreiche Westintegration der Ukraine kann die deutsch-polnischen Beziehungen beflügeln.Die deutsch-polnischen Beziehungen waren in den vergangenen Jahren aufgrund der gegensätzlichen Haltungen zur liberalen Demokratie und zur europäischen Integration angespannt. Doch selbst wenn sich die innenpolitischen Ideologien der Regierungen nach den Wahlen annähern, werden strukturelle Unterschiede höchstwahrscheinlich für anhaltende Konflikte in verschiedenen Politikfeldern sorgen. Der Schlüssel zu einer vertieften Zusammenarbeit könnte in der Verknüpfung verschiedener Politikfelder zu ausgehandelten Paketlösungen liegen. Die Qualität der bilateralen Beziehungen wird dann davon abhängen, wie man mit den unterschiedlichen nationalen Interessen konstruktiv umgeht.

Danksagung: Dieses Szenario basiert auf einem Foresight-Workshop mit polnischen und deutschen Experten für bilaterale Beziehungen. Wir danken insbesondere Piotr Andrzejewski, Joanna Andrychowicz-Skrzeba, Justyna Bokajło, Karoline Gil, Robert Grzeszczak, Irene Hahn-Fuhr, Klaudia Hanisch, Markus Hildebrand, Łukasz Jasiński, Ireneusz P. Karolewski, Małgorzata Kopka-Piątek, Bart Kot, Magdalena Lemańczyk, Daniel Lemmen, Elżbieta Opiłowska, Sebastian Płóciennik, Wojciech Przybylski, Alexander Radunz, Jolanta Szymańska, Pierre-Frédéric Weber und Piotr Womela. Die Publikation ist Teil des Forschungsprojekts »Deutschland und Polen in einer differenzierten Europäischen Union« in Zusammenarbeit zwischen der Universität Leipzig, der Universität Warschau und der Konrad-Adenauer-Stiftung, gefördert durch die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung.

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Zum Weiterlesen

Analyse

Ins kalte Wasser: Deutschland und Polen ein halbes Jahr nach den Bundestagswahlen

Von Peter Oliver Loew, Agnieszka Łada-Konefał
Der Regierungswechsel in Deutschland im Herbst 2021 hat, wie jeder Wandel nach einer Periode längerer Stabilität, Fragen über mögliche Veränderungen auch in den deutsch-polnischen Beziehungen aufgeworfen. Insbesondere die polnische Seite machte sich hierüber Gedanken, obwohl Experten die Erwartungen schon gleich dämpften: Sie sagten voraus, dass es in der deutschen Politik keine große Revolution und keine neue Strategie geben würde, sondern eher eine Schwerpunktverlagerung. Ein halbes Jahr nach dem Regierungsantritt der Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz kann man sagen, dass nicht die neue Bundesregierung, sondern die völlig durcheinandergewirbelte internationale Situation die deutsch-polnischen Beziehungen massiv verändert hat. Was sich im Vergleich zu den letzten Jahren nicht verändert hat, ist, dass diese Beziehungen in erster Linie vom Handeln der polnischen Regierung beeinflusst werden, während sich die deutsche Regierung Polen gegenüber defensiv verhält.
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