Künstliche Intelligenz – Entwicklung und Akzeptanz in Polen

Von Reinhold Vetter (Warschau)

Zusammenfassung
Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung gewinnt Künstliche Intelligenz (KI) an Bedeutung. Recherche-, Sprach- und Schreibprogramme der großen Internetkonzerne erreichen auch in Polen ein Millionenpublikum. Wie in anderen östlichen und westlichen EU-Staaten schwanken die Meinungen der Bürger über die KI zwischen Euphorie und großen Befürchtungen. Wissenschaftler bemühen sich um realistische Einschätzungen. Vielfach wird die Forderung nach klaren rechtlichen und administrativen Regeln für die Nutzung der KI laut.

Die Digitalisierung ist auch in Polen längst auf dem Vormarsch. Das bedeutet, dass zunehmend Algorithmen und Künstliche Intelligenz genutzt und weiterentwickelt werden. Nicht zuletzt durch die Covid-19-Pandemie hat sich das berufliche und soziale Leben der Menschen deutlich in den Bereich des Digitalen verlagert. Doch zeigt sich diese Entwicklung nicht nur im Alltag der Bürger, sondern sind auch industrielle Abläufe und unternehmerische Strategien, gesellschaftliche Diskurse sowie das politische Geschehen und die Tätigkeit der staatlichen Verwaltung davon betroffen.

Von Dating-Apps über die automatisierte Vorauswahl bei Bewerbungen um Arbeitsplätze bis hin zur Gesichtserkennung im öffentlichen Raum werden Algorithmen und Künstliche Intelligenz eingesetzt. Supermärkte und andere große Geschäfte reduzieren ihr Personal und installieren zunehmend digitale Kassen zur Selbstbedienung durch die Kunden. Arztpraxen, große medizinische Zentren, Anwälte, Steuerberater und Stadtverwaltungen setzen mehr und mehr »intelligente« Computer ein, die Anfragen von Bürgern beantworten. Gerade älteren Menschen wird gar nicht oder erst im Laufe des Telefonats bewusst, dass sie sich mit einer Maschine »unterhalten«. Das Smartphone ist allgegenwärtig und bestimmt die menschliche Kommunikation immer mehr. Schüler und Studenten bestellen Texte im Internet, um diese dann als Hausaufgabe oder Seminararbeit vorzulegen. Angehende Wissenschaftler kopieren Texte, die im Netz angeboten werden, um damit ihre Publikationsliste zu verlängern. Politiker lassen sich von online-Diensten ihre Reden schreiben. So sind Algorithmen und Künstliche Intelligenz – oft nicht sichtbar – integraler Teil des Lebens vieler Menschen.

Algorithmische Systeme können durchaus menschliche Schwächen ausgleichen. Auch können sie die Bürger beim Umgang mit komplexen Zusammenhängen und Datenvielfalt unterstützen sowie ihnen zu konsistenteren, effizienteren und fairen Entscheidungen verhelfen. Andererseits kann ihr unkontrollierter und verantwortungsloser Einsatz zu Diskriminierung führen und damit gesellschaftliche Ungerechtigkeiten verstärken. Eine weitere Gefahr ist, dass sich Künstliche Intelligenz von politischen Gruppierungen auch für eine undemokratische Machtausübung nutzen lässt. Die sozialen Auswirkungen der zunehmenden Automatisierung sind also enorm und für die Zukunft nicht vollständig abschätzbar.

Investitionen in KI und neue Technologien

Da Mikrochips und andere Bauteile für elektronische Geräte wesentliche Bedeutung haben, ist auch Polen in den globalen Wettbewerb um die Herstellung solcher Teile eingestiegen. So kündigte der amerikanische Chiphersteller Intel im Juni 2023 den Bau einer Fabrik in Niederschlesien (Dolny Śląsk) an, für den der Konzern insgesamt 4,2 Milliarden Euro investieren will. Die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki erklärte ihre Bereitschaft, dieses Projekt mit erheblichen finanziellen Mitteln aus dem Staatshaushalt zu unterstützen, wobei sie jedoch keinen konkreten Betrag nannte. Die Subventionen sollen für die Zufuhr von Energie und Wasser sowie den Ausbau der Transportinfrastruktur genutzt werden. Es war die Rede von 2 000 neuen Arbeitsplätzen durch die Investition von Intel.

Ebenfalls im Juni 2023 hatte die EU-Kommission ein Programm zur Unterstützung der Produktion von Chips und von Mikroelektronik insgesamt verabschiedet. Im Rahmen dieses Programms mit dem Titel »Important Projects of Common European Interest« sollen Beihilfen von mehr als acht Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Die neue polnische Regierung wird sich sicherlich um diese Gelder bemühen.

Bei der Künstlichen Intelligenz geht es darum, dass Computer zunehmend menschliche Fähigkeiten übernehmen. Das umfasst Lesen und Sprechen sowie das Erkennen von Bildern und graphischen Darstellungen ebenso wie die Sammlung und Auswertung großer Datenmengen, die Entwicklung von Konzepten und Strategien sowie die Kontrolle von deren Umsetzung.

Insbesondere die großen Internetkonzerne arbeiten mit Nachdruck an der Entwicklung Künstlicher Intelligenz und setzen ihre Produkte offensiv ein, um nicht zuletzt am polnischen Markt Anteile zu erringen. So hat das amerikanische Unternehmen OpenAI mit ChatGPT ein Programm entwickelt, das auf dem sprachlichen Niveau eines Menschen kommunizieren kann. Bereits wenige Monate nach dessen Veröffentlichung hatten auch in Polen schon Millionen von Internetnutzern darauf zugegriffen. Zuvor war bereits Apple mit dem Sprachprogramm Siri an den Markt gegangen, das aber weniger sprachgewandt als ChatGPT ist. Nach der Veröffentlichung von ChatGPT kündigte Apple-Chef Tim Cook die Entwicklung eines Konkurrenzproduktes an, bei dem man sich, wie er sagte, auch auf die Identifizierung von Fotos, die Autokorrektur beim Schreiben von Texten sowie die Analyse von Autounfällen konzentrieren wolle. Google wiederum brachte das Sprachprogramm Bard auf den Markt, das der Pole Jacek Krawczyk an führender Stelle entwickelt hat. Facebook beteiligt sich mit seinem Programm Metaverse am globalen Wettbewerb. Schon jetzt kursieren Unmengen von Texten und ganzen Büchern zahlreicher Anbieter im Netz, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz verfasst wurden und vielfach eine schlechte Qualität aufweisen. Diese »Ghostwriter« bieten potentiellen Kunden auch für spezielle Anfragen ihre Dienste an.

Steigende Internetnutzung

Schon ein Blick auf die Nutzung des Internets zeigt, wie groß der Markt auch in Polen ist, den die internationalen Konzerne nutzen können, um ihre KI-basierten Produkte zum Einsatz zu bringen. Aus einer Studie des polnischen Meinungsforschungsinstituts CBOS vom Juni 2023 geht hervor, dass inzwischen 77 Prozent der Erwachsenen regelmäßig das Internet nutzen – Tendenz steigend. Bei den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar 100 Prozent und bei den 25- bis 44-Jährigen immerhin 98 Prozent. Ausschlaggebend ist dabei das Bildungsniveau. Während Bürger mit höherer Bildung zu 98 Prozent regelmäßig auf das Internet zugreifen, sind es bei denjenigen mit einfacher Schul- und Berufsausbildung nur 52 Prozent. Nutzer des Internets findet man vor allem unter Führungspersonen in Wirtschaft und Gesellschaft, Spezialisten in technischen Berufen, Verwaltungsangestellten und Beschäftigten des Dienstleistungssektors. Wie in anderen europäischen Ländern auch, sind es auch in Polen vor allem die Einwohner großer und mittlerer Städte, die täglich das Internet nutzen.

Die Studie von CBOS zeigt auch, wofür das Internet eingesetzt wird. So ist der online-Einkauf von Kleidung, Elektrogeräten, Fahrzeugen, Lebensmitteln sowie von Filmen, CDs und Computerspielen in den letzten fünf Jahren sprunghaft angestiegen. Hinzu kommen die Abwicklung von Bankgeschäftigen, die Erledigung von Verwaltungsangelegenheiten, die Vereinbarung von Terminen etwa bei Ärzten und die Nutzung von Informationsangeboten der Medien.

Deutlich wird außerdem, welche Kommunikatoren bei der Internetnutzung in Polen eine große Rolle spielen. Dazu zählen insbesondere Messenger (Facebook), WhatsApp, Instagram, YouTube, Skype, Hangouts (Google) und LinkedIn und Sprach- und Textprogramme wie ChatGPT, Bard und Metaverse. In all diesen Fällen kommen Künstliche Intelligenz und spezielle Algorithmen ins Spiel, die von den Internetkonzernen für ihre Angebote und Dienstleistungen, für die von ihnen präsentierten Informationen und deren Gewichtung sowie für Werbestrategien eingesetzt werden.

Veränderungen wirtschaftlicher Strukturen

Entwicklung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz ist insbesondere für die polnische Wirtschaft von großer Bedeutung. Internationale Investoren und die politisch Verantwortlichen in Warschau haben dies erkannt, was nicht zuletzt der von Intel geplante Bau einer Fabrik für Mikrochips in Niederschlesien zeigt. Immerhin ist Polen das Land mit der größten Volkswirtschaft unter den ostmitteleuropäischen Staaten, die im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind.

KI und die damit verknüpften Technologien haben das Potential, wirtschaftliche Strukturen wesentlich zu verändern. Sie können die Produktivität von Unternehmen steigern und betriebliche Abläufe rationalisieren und damit Kosten senken, sie stimulieren wirtschaftliches Wachstum und beeinflussen Marktstrukturen. Das hat Einfluss auf den Arbeitsmarkt und zieht Strukturveränderungen nach sich.

Wie aus einer Untersuchung der Fakultät für Management der Technischen Universität in Warschau hervorgeht, nutzten schon im Jahr 2019 annähernd 3 300 größere und mittlere polnische Unternehmen Künstliche Intelligenz. Deren Zahl dürfte sich seither deutlich vergrößert haben. Im Allgemeinen geht es um den Einsatz computergesteuerter Maschinen bis hin zu Robotern, die Modernisierung des betrieblichen Finanzwesens, Marketing und Vertrieb sowie Software für die betriebliche Sicherheit. Finanzstarke medizinische Versorgungszentren nutzen zunehmend Geräte für Computertomografie und andere anspruchsvolle medizinische Untersuchungen. So kann KI dazu beitragen, Krankheiten früher zu erkennen und verlässlicher zu diagnostizieren. Sprachmodelle sind in der Medizin eine große Chance, um mehr Leben retten oder Leiden verringern zu können.

Gerade in großen Unternehmen des Landes finden sich oft Gruppen von 40 oder gar 50 Spezialisten, die ausschließlich daran arbeiten, KI für ihren jeweiligen Betrieb fruchtbar zu machen. Allein in Warschau setzen mehr als 40 Prozent aller Unternehmen solche Fachleute ein, die zum Teil vorher als Wissenschaftler an Universitäten gearbeitet haben.

Künstliche Intelligenz in Forschung und Lehre

Auch im Bereich der Wissenschaft, sowohl in der Forschung als auch der Lehre, findet Künstliche Intelligenz zunehmend Aufmerksamkeit. An verschiedenen Universitäten des Landes wurden Lehrstühle und andere wissenschaftliche Zentren eingerichtet, an denen sich Forscher und Lehrkräfte schwerpunktmäßig mit KI beschäftigen. Auch interuniversitäre Netzwerke sind entstanden. Insbesondere Wirtschaftswissenschaftler schalten sich zunehmend in die Debatte über die KI ein. Vorreiter in Sachen KI sind vor allem die Marie Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, die Bergbau- und Hütten-Akademie in Krakau (Kraków), die Technischen Universitäten in Warschau, Breslau (Wrocław) und Gleiwitz (Gliwice) sowie die private Leon Koźmiński-Universität in Warschau. Mittlerweile bieten mehrere Universitäten Bachelor-Studiengänge in Künstlicher Intelligenz an.

So entstand an der genannten Lubliner Universität im Jahr 2022 ein Zentrum für Künstliche Intelligenz und die Entwicklung von Computern (Centrum Sztucznej Inteligencji i Modelowania Komputereowego). Die Forscher befassen sich sowohl mit mathematisch-technischen als auch mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragestellungen, die sich aus der Nutzung von Künstlicher Intelligenz ergeben. Hier geht es sowohl um Forschung und Lehre an der Universität als auch um Wissensvermittlung in die Gesellschaft hinein und speziell an diejenigen gerichtet, die unternehmerisch und administrativ tätig sind. Die Mitarbeiter des Zentrums organisieren Diskussionsveranstaltungen an Schulen der Region, beraten Mitarbeiter der städtischen und regionalen Verwaltungen beim Einsatz von KI und stehen Vertretern von kleineren und größeren Unternehmen mit ihren Kenntnissen zur Verfügung.

Aus einer Untersuchung des staatlichen Zentrums zur Sammlung und Auswertung wissenschaftlicher Daten (Ośrodek Przetwarzania Informacji – Państwowy Instytut Badawczy – OPI/PIB) geht hervor, dass Wissenschaftler und andere KI-Fachleute bereits in den Jahren 2010 bis 2021 weltweit fast eine Million Texte zu dem Thema veröffentlicht haben, wobei knapp 14 000 von polnischen Autoren verfasst wurden. Unter den EU-Staaten stand Polen damit an fünfter Stelle hinter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Weltweit führend waren China (257 000 Publikationen), die USA (140 000) und Indien (105 000), weit abgeschlagen Deutschland (knapp 37 000), Frankreich (knapp 29 000), Italien (annähernd 28 000) und Spanien (mehr als 26 000).

Eine Umfrage des OPI unter polnischen Wissenschaftlern, die sich vorrangig mit KI beschäftigen, ergab, dass sich die deutliche Mehrheit von ihnen (knapp 75 Prozent) positive Effekte von KI verspricht. Bei den Wissenschaftlern, die sich nicht oder nur am Rande mit KI befassen, lag dieser Anteil bei 41 Prozent. Optimistisch äußerten sich vor allem Vertreter der technischen und der Ingenieurwissenschaften sowie der Kommunikations- und der Wirtschaftswissenschaften. Skepsis kam eher aus dem Bereich der Geisteswissenschaften. Generell vertraten 82 Prozent der Befragten die Befürchtung, dass der Staat KI nutzen könnte, um die Bürger auszuhorchen und zu überwachen, und dass in diesem Zusammenhang die Privatsphäre gefährdet werden könne.

Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung

Was die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung anbelangt, hat Polen in den letzten Jahren schon viel erreicht (siehe auch Polen-Analysen 312). Das resultiert insbesondere aus den Bemühungen des Ministeriums für Digitalisierung, das im August 2018 ein Programm der Integrierten Informatisierung des Staates (Program Zintegrowanej Informatyzacji Państwa) vorgelegt hatte. Ziel dieses Programms, das zwei Jahre später aktualisiert wurde, ist der Aufbau eines zentralen online-Verwaltungsportals, das die Bürger landesweit über die Aufgabenbereiche der Behörden informieren und ihnen Zugang zu allen angebotenen Dienstleistungen ermöglichen soll.

Schon jetzt können die Bürger Polens mehrere Hundert digitale Angebote des öffentlichen Dienstes auf den verschiedenen Verwaltungsebenen nutzen. Dazu zählt z. B. das Internetportal obywatel.gov.pl, über das man diverse Behördengänge erledigen kann, insbesondere die Ausstellung von Geburts- und Sterbeurkunden, Pässen, Personalausweisen und Führerscheinen. Auch werden Informationen über Formalitäten bei Reisen ins Ausland, Informationen über Schulen und Kindergärten, staatliche finanzielle Unterstützungsleistungen für Familien, Steuern u. ä. bereitgestellt. Weitere online-Plattformen öffentlicher Behörden sind Platforma Usług Administracji Publicznej (ePUAP) und Platforma Usług Elektronicznych Zakładu Ubezpieczeń Społecznych (PUE ZUS).

Aus einer vom Warschauer Institut für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP) durchgeführten Untersuchung geht hervor, dass der Stand der Digitalisierung in Regierungsbehörden wie der Sozialversicherungsanstalt (Zakład Ubezpieczeń Społecznych – ZUS), der Staatlichen Finanzaufsicht (Komisja Nadzoru Finansowego – KNF) und dem Staatlichen Rehabilitierungsfonds für Menschen mit Behinderungen (Państwowy Fundusz Rehabilitacji Niepełnosprawnych – PFRON) weiter fortgeschritten ist als in den Ministerien der Zentralregierung. Sehr unterschiedlich dagegen ist das Niveau der Digitalisierung in den lokalen Behörden, was insbesondere in kleineren Gemeinden auf die eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten, die mangelnde Kompetenz der Kommunalbeamten bei der Beschaffung technischer Ausrüstung und die unzureichenden Kenntnisse der Angestellten hinsichtlich der Digitalisierung zurückzuführen ist.

Da, wo Digitalisierung systematisch durchgeführt wird, zeigt sich in der Regel, dass sich die Arbeit der Angestellten verbessert und ihre Leistungsbereitschaft zunimmt. Ebenso kommt es zu einer stärkeren Vereinheitlichung von Verwaltungsabläufen, die zudem transparenter sind, weil Dokumente digital archiviert werden und deshalb leichter zugänglich sind. Gleichzeitig steigen das Tempo und die Intensität der Arbeit. Hinzu kommen verstärkt auftretende gesundheitliche Probleme, die vor allem auf die längere sitzende Tätigkeit vor dem Bildschirm zurückzuführen sind. Die erhöhte Arbeitsintensität und die Eintönigkeit der Tätigkeit sorgen für Stress und Ermüdung, was langfristig auch zu Burn out führen kann. Ständige Arbeit am Computer kann Entfremdung unter Kollegen und insgesamt das Gefühl der sozialen Vereinsamung hervorrufen.

Natürlich gibt es auch in Polen eine Diskussion darüber, welche Folgen für die Beschäftigung durch den Einsatz von KI zu erwarten sind. Tatsächlich kommt es durch die Substitution von arbeits- und kapitalintensiven Produktionsverfahren zu einer geringeren Nachfrage nach Arbeitskräften vor allem in niedrig- und mittelqualifizierten Tätigkeiten mit einem hohen Anteil an Routinearbeit. Allerdings kann sich die Einführung neuer Technologien auch in höherer Produktivität, sinkenden Preisen und einer dadurch steigenden Nachfrage niederschlagen, was wiederum einen positiven Effekt auf die Nachfrage nach Arbeitskräften haben kann. Betroffen von der Automatisierung sind vor allem Tätigkeiten in der Produktion, der Verwaltung, im Verkauf sowie im Bereich Logistik- und Transportdienstleistungen. Geringer ist das Risiko im Fall von Installations-, Wartungs- und Reparaturarbeiten. Am wenigsten tangiert sind Tätigkeiten, die Kreativität und soziale Intelligenz erfordern, sowie Fähigkeiten, die im Gesundheitswesen, im Bereich der Bildung und der Medien von Bedeutung sind.

Was wissen die Bürger?

Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Begriffe wie Algorithmen und Künstliche Intelligenz inzwischen eine gewisse Rolle im Denken vieler Menschen in Polen spielen. Es steigt die Zahl derer, die mit diesen Begriffen vertraut sind und wissen, wo sie zu verorten sind. Aber es herrscht auch eine große Unsicherheit darüber, wie die Auswirkungen digitaler Technologien zu bewerten sind. Viele Menschen haben keine eindeutige Meinung zu der Frage, ob sich daraus für sie persönlich oder für die Gesellschaft letztlich mehr Vor- oder mehr Nachteile ergeben.

Aufschlussreich sind die Arbeitsergebnisse des staatlichen Computer-Forschungsnetzwerks (Naukowa i Akademicka Sieć Komputerowa – NASK), das sich mit Fragen der Datensicherheit im Internet, der Gewährleistung des Schutzes für die Nutzer und der Effektivität elektronischer Prozesse befasst. Das Institut steht unter der Aufsicht des Ministeriums für Digitalisierung. Aus einer auf Befragungen basierenden Untersuchung des NASK geht hervor, dass fast 90 Prozent der Internetnutzer schon einmal mit dem Begriff »Künstliche Intelligenz« in Berührung gekommen sind. Annähernd 56 Prozent waren der Auffassung, dass sie als durchschnittliche Bürger das Wirken entsprechender Technologien letztendlich nicht beeinflussen könnten. Gut 50 Prozent der Befragten sagten, dass KI Einfluss auf ihr tägliches Leben habe. Das gelte insbesondere für die Informationsbeschaffung, die Erziehung und Bildung der Kinder, den online-Handel, die Steuerung von PKW, die Kontrolle des Energieverbrauchs, die Abläufe am Arbeitsplatz und die Nutzung von Computerspielen.

Geht es um die positiven Auswirkungen der Nutzung von KI, dann verwiesen 34 Prozent der Befragten auf eine Anhebung des Lebensstandards, mehr Datensicherheit im Netz (33 Prozent), weniger Unfälle am Arbeitsplatz (32,7 Prozent) und die verbesserte Qualität von Dienstleistungen (30,3 Prozent). Die größten Nutznießer der technologischen Revolution seien die globalen Internetkonzerne (53,9 Prozent), große Firmen (52 Prozent), die Spezialisten der IT-Branche (47,4 Prozent) sowie Universitäten und Wissenschaftler insgesamt (40 Prozent).

Andererseits befürchten viele polnische Internetnutzer, dass sie einer permanenten Überwachung unterliegen könnten und damit ihre Privatsphäre beeinträchtigt werde (60,5 Prozent), dass die Arbeitslosigkeit zunehme (40,1 Prozent) und sie Cyberattacken unterliegen könnten (37,7 Prozent). Deshalb müssten detaillierte rechtliche Vorschriften für die Nutzung Künstlicher Intelligenz erlassen werden. Das gelte besonders für die Sicherheit persönlicher Daten im Internet (57,4 Prozent) und den Schutz der Privatsphäre (47,8 Prozent). Verantwortlich für die Durchsetzung solcher Vorschriften seien das Parlament und die Regierung (53,7 Prozent) sowie internationale Organisationen (48,9 Prozent).

Bei den Forschungsergebnissen des NASK fällt auf, dass sie ähnlich ausfallen wie etwa die des deutschen Instituts für Demoskopie Allensbach, insbesondere wenn es um Ängste und Befürchtungen der Menschen hinsichtlich der Künstlichen Intelligenz geht. Generell zeigt sich auch in der öffentlichen Debatte in Polen eine ähnliche Polarisierung wie in anderen westlichen und östlichen Staaten der EU. Euphorie oder zumindest Optimismus bzw. Vertrauen in die elektronische Technik auf der einen Seite, Ängste und Befürchtungen oder Skepsis andererseits.

Resonanz in den Medien

Zunehmend befassen sich auch die Medien mit der Künstlichen Intelligenz und publizieren Berichte, Reportagen und Analysen zu diesem Thema. Das gilt sowohl für Zeitungen sowie Fernseh- und Radiosender, die sich allgemein an das polnische Publikum wenden, als auch für Publikationen, die sich an eine bestimmte Zielgruppe richten. Dazu zählt z. B. die Zeitschrift Wspólnota, ein Organ der regionalen Selbstverwaltung, in der bereits intensiv über Nutzen und Gefahren des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz bei der Bewältigung der administrativen Aufgaben und der Dienstleistungen diskutiert wurde. Vorgestellt wurde z. B. das Projekt »Smart City«, ein elektronisches, KI-gestütztes Programm, das die Stadtverwaltung in Krakau nutzt.

In überregionalen Zeitungen wie der Rzeczpospolita kommen Protagonisten der Künstlichen Intelligenz wie der bereits genannte Jacek Krawczyk zu Wort. Krawczyk setzt große Hoffnungen auf KI, fordert aber auch eine intensivere öffentliche Debatte über juristische und andere Kontrollvorschriften, um Gefahren eindämmen zu können, die von dem internationalen online-Auftritt der großen IT-Konzerne ausgehen. Ähnlich äußerte sich Piotr Harasimowicz, Gründer der auch in Polen tätigen Firma Vector Synergy, die sich mit Datensicherheit im Internet befasst. Harasimowicz verwies nicht zuletzt auf die Möglichkeit, mit Hilfe bestimmter Technologien Einfluss auf noch unentschlossene Wähler im Vorfeld von Wahlen zu nehmen.

Einen interessanten Beitrag veröffentlichte der polnische Zeichner, Maler und Satiriker Patryk Sroczyński in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, in dem er sich Gedanken darüber machte, ob denn Computer via Künstliche Intelligenz eines Tages in der Lage sein könnten, menschliche Fähigkeiten und Emotionen wie Solidarität, Hilfsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Humor und Ironie zu zeigen, so dass sie zu einer tödlichen Konkurrenz für Künstler werden könnten. Sroczyński gab sich optimistisch und meinte, dass dies wohl eher nicht der Fall sein werde. Das Wochenmagazin Polityka verwies in einem Artikel eindrucksvoll auf die unglaubliche Fülle von Personaldaten, die bereits in Ministerien, bei den Sicherheitsdiensten, der Polizei und der staatlichen Krankenversicherung angehäuft wurden und die bei unsachgemäßer Nutzung auch zur Kontrolle und Überwachung der Bürger eingesetzt werden können.

Insbesondere Wissenschaftler, die an den Universitäten über Künstliche Intelligenz forschen, melden sich in den Medien zu Wort. Unter ihnen sind sowohl Naturwissenschaftler als auch Juristen, Soziologen und Philosophen. Der Anthropologe Waldemar Kuligowski thematisiert in seinen Seminaren Künstliche Intelligenz mit Blick auf Sprach- und Textprogramme. Mehr als 30 Wissenschaftler äußern sich in der 520 Seiten starken Publikation »Prawo sztucznej inteligencji i nowych technologii« [Rechtliche Aspekte der Künstlichen Intelligenz und neuer Technologien] zu diversen rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Aspekten der Nutzung Künstlicher Intelligenz.

Ausblick

Somit stellt sich die Frage, was bisher erreicht wurde und was nicht. Einerseits ist Künstliche Intelligenz schon heute in Polen ein wichtiger Faktor im Leben vieler Menschen, andererseits gibt es in diversen Bereichen noch viel zu tun, was die Digitalisierung und damit die Nutzung »intelligenter« technologischer Systeme angeht. Das Ausmaß der Aufgaben wird deutlich, wenn man das Dokument »Die Politik zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz in Polen seit dem Jahr 2020« (Polityka dla rozwoju szutcznej inteligencji w Polsce od roku 2020) zur Kenntnis nimmt, das die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki im Dezember 2020 verabschiedet hat. Hier werden auf mehr als 70 Seiten zahlreiche Aufgaben benannt, die kurz-, mittel- und langfristig erledigt werden sollen. Strategisch werden sechs Themenbereiche benannt: die weitere digitale Ausstattung der Gesellschaft, die Nutzung Künstlicher Intelligenz durch innovative Unternehmen, Wissenschaft und Umsetzung von Forschungsergebnissen, Künstliche Intelligenz im Rahmen der Ausbildung, internationale Kooperation und die fortgesetzte Digitalisierung des öffentlichen Sektors.

Die Autoren des Dokuments gehen davon aus, dass die verstärkte Nutzung Künstlicher Intelligenz die Dynamik des polnischen Bruttoinlandsprodukts um mehr als zwei Prozent jährlich steigern könnte. Dank der Anwendung von KI-Lösungen könnten bis 2030 fast 50 Prozent der Arbeitszeit automatisiert werden. Als Resultat würden neue, besser vergütete Arbeitsplätze entstehen. Ein wichtiger Aspekt sei die Wertsteigerung heimischer Technologien in globalen Lieferketten. Bei all dem müsse der ethischen Dimension Aufmerksamkeit geschenkt werden, was die menschliche Würde und Verantwortung umfasse. Dabei spielten auch rechtliche Fragen und technisch-organisatorische Standards, unter anderem Definitionen und Normen für die Datenverwaltung und Zertifizierung, eine wichtige Rolle. Deutlich wird, dass sich auch die neue Regierung der Herausforderung durch die Künstliche Intelligenz wird stellen müssen.

Der Index für den Digitalisierungsgrad der einzelnen EU-Staaten (DESI) zeigt, wo Polen im europäischen Umfeld steht. Der Index bewertet mit Hilfe eines Punktesystems die Fortschritte der Mitgliedsstaaten in den Bereichen Konnektivität, also Vernetzung der Gesellschaft mit dem Internet bzw. Informations- und Kommunikationstechnologien, digitale Kompetenzen, Nutzung des Internets durch Privatpersonen, Integration digitaler Technik durch Unternehmen und Digitalisierung der öffentlichen Dienste. Nach DESI 2022 beträgt der Durchschnittswert 52,28 Punkte. In der Spitzengruppe rangieren Finnland, Dänemark, die Niederlande, Schweden und Irland mit Werten zwischen 69,60 und 62,73, während im breiten Mittelfeld Estland, Österreich, Frankreich, Deutschland und Litauen mit Ergebnissen zwischen 56,51 und 52,71 Punkten vertreten sind. Polen gehört mit 40,55 Punkten zum unteren Drittel, zusammen u. a. mit Kroatien, Ungarn und Griechenland.

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Analyse

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Polen

Von Dominik Owczarek
Polen verfolgt in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ein ambitioniertes Programm. Das Ziel ist, mittels nur eines online-Verwaltungsportals alle von öffentlichen Behörden angebotenen elektronischen Dienstleistungen zugänglich zu machen. Der Stand der Digitalisierung ist dabei unterschiedlich stark entwickelt, von ausgeprägt in einigen zentralen Institutionen bis unzureichend in einigen Gemeinde- und Kommunalverwaltungen. Einen entscheidenden Schub erhielt die Digitalisierung in der Zeit der Corona-Pandemie, als viele Mitarbeiter das Homeoffice nutzten, was zu einer Erweiterung der digitalen Dienste für den Bürger führte. Für die Gewerkschaften stehen jedoch Digitalisierungsaspekte in der öffentlichen Verwaltung in Polen bislang nicht im Vordergrund. (…)
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