Politischer Umbruch in Polen: Demokratischer Reset mit Hindernissen

Von Stefan Garsztecki (Technische Universität Chemnitz)

Zusammenfassung
Die neue polnische Regierung konnte trotz des klaren Wahlsieges der Opposition nur mit Verzögerung gebildet werden. Seitdem ist sie mit einer Vielzahl politischer, institutioneller und rechtlicher Herausforderungen konfrontiert, die aus der Politik der Vorgängerregierung resultieren. Die anhaltende scharfe politische Auseinandersetzung mit der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), juristische Probleme bei der Rücknahme der Justizreform der PiS oder bei der Entpolitisierung der öffentlich-rechtlichen Medien und die starke institutionelle Stellung des PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda erschweren einen politischen Neuanfang. Demgegenüber sind neue Akzente in der Außenpolitik, verbunden mit einer Stärkung der polnischen Position in der EU und einem Reset in den deutsch-polnischen Beziehungen, leichter umzusetzen, aber hier sind zunächst lediglich Ansätze erkennbar. Innenpolitisch dürfte der Konflikt zwischen der Regierung und der PiS als stärkster Oppositionspartei nicht zuletzt aufgrund der anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen und der Wahlen zum Europaparlament in diesem Frühjahr anhalten. Ein innenpolitischer Kompromiss ist vorerst nicht in Sicht.

Start mit politischem Konflikt – Sejm und Senat ohne PiS-Marschälle

Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Opposition nach ihrem Sieg in den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 erwies sich aufgrund politischer, institutioneller und rechtlicher Herausforderungen als ausgesprochen schwierig. Wahlsieger waren die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) um ihren Spitzenkandidat Donald Tusk, den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates (2014–2019) und mehrfachen Ministerpräsidenten Polens (2007–2014), das Bündnis Dritter Weg, bestehend aus der Partei Polen 2050 um den Publizisten Szymon Hołownia und der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) um ihren Vorsitzenden Władysław Kosiniak-Kamysz, und die Neue Linke (Nowa Lewica) mit ihren Vorsitzenden Robert Biedroń und Włodzimierz Czarzasty. Sie alle hatten sich bereits vor den Wahlen auf eine Koalitionsregierung verständigt, um nach acht Jahren die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) um ihren Vorsitzenden Jarosław Kaczyński von der Macht abzulösen und den Marsch in die illiberale Demokratie aufzuhalten. Das Artikel 7-Verfahren der Europäischen Union, das diese wegen der Verletzung des Rechtsstaatsprinzips bereits vor Jahren gegen Polen eingeleitet hatte, ist beredter Ausdruck des politischen Wandels in Polen seit der Machtübernahme durch die PiS im Herbst 2015 und führt bis heute zu einer Blockade der Kohäsionsmittel und der Mittel aus dem Aufbau- und Resilienzfazilitätsfonds (ARF) der EU für Polen nach der Covid-Pandemie. Insgesamt sind dadurch rund 75 Milliarden Euro aus den Kohäsionsfonds und rund 35 Milliarden Euro aus dem ARF für Warschau blockiert.

Die angeführten politischen Herausforderungen waren dabei weniger mit der Abstimmung zwischen den zukünftigen Regierungsparteien verbunden. Zwar entschloss sich die Partei Linke Gemeinsam (Lewica Razem) um ihren Vorsitzenden Adrian Zandberg, deren Kandidaten auf der Liste der Neuen Linken in den Sejmwahlen kandidiert hatten, nach der Wahl, der Koalition nicht beizutreten, aber die Mehrheit der Bürgerkoalition, des Dritten Weges und der Neuen Linken war auch ohne die sieben Abgeordneten der Partei Linke Gemeinsam mit 241 ausreichend, um eine neue Regierung im 460 Abgeordnete umfassenden Sejm zu wählen.

Die erste politische Hürde, welche die neue Regierung zu nehmen hatte, war das Zusammenspiel mit der PiS als Oppositionspartei, die ihre Wahlniederlage nicht bereit war zu akzeptieren. Dabei wurde sie in hohem Grade von Präsident Andrzej Duda unterstützt, der aus den Reihen der PiS kommt und bis zu seiner ersten Wahl zum Präsidenten im Frühjahr 2015 PiS-Abgeordneter im Sejm (2011–2014) und im Europäischen Parlament (2014–2015) war. Häufig ist nun von einer totalen Opposition seitens der PiS der Rede. Diese Formulierung stammt allerdings aus der vorherigen Parlamentsperiode. Damals sprach Grzegorz Schetyna, der damalige Vorsitzende der größten Oppositionspartei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO; sie ist die größte Partei der aktuell aus vier Parteien bestehenden Bürgerkoalition), von einer »totalen Opposition« angesichts des Agierens der damaligen Regierungspartei PiS. Diese Wortwahl kehrte nach dem Wahlsieg der Opposition nach den Parlamentswahlen vom Herbst 2023 zurück, als sich in den Reihen der PiS der Eindruck verstärkte, als stärkste Partei um den Wahlsieg betrogen worden zu sein.

Die Empörung auf Seiten der PiS und das allgemeine Hochschaukeln der politischen Stimmungslage entzündete sich vor allem an der Wahl der stellvertretenden Parlamentspräsidenten (Sejmmarschälle). Die von der PiS vorgeschlagene bisherige Parlamentspräsidentin Elżbieta Witek war für die neue Mehrheit nicht akzeptabel und sie fiel daher bei der Wahl durch. Die bisherige Opposition warf ihr insbesondere vor, dass sie als Parlamentspräsidentin im Jahr 2019 eine Abstimmung über die Wahl von Sejmmitgliedern in den Landesjustizrat (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS) wiederholen ließ, da die PiS ihre Kandidaten vorgeblich aufgrund technischer Probleme mit dem Abstimmungsgerät nicht durchbrachte. Unter Verletzung der Vorschriften wurde die Wahl wiederholt und die PiS-Kandidaten kamen in den KRS. Auch andere Abstimmungsniederlagen für die PiS verhinderte Witek als Parlamentspräsidentin durch Wahlwiederholungen, so dass die neue Parlamentsmehrheit nun bei der konstituierenden Sejmsitzung am 13. November 2023 Elżbieta Witek die Zustimmung verweigerte. Im Ergebnis hat die PiS bis heute keinen Vertreter im Sejmpräsidium und hält an der Kandidatur von Frau Witek fest. In den vorherigen Parlamentsperioden, in denen die PiS über die Mehrheit verfügte, wurden hingegen Kandidaten der Opposition für das Amt des Vizemarschalls auch von der PiS unterstützt: So stimmten 202 von 235 PiS-Abgeordneten am 12. November 2019 für die Wahl von Małgorzata Kidawa-Błońska von der Bürgerplattform zur Vizepräsidentin. Auch die Wahl von Marek Pęk (PiS) zum stellvertretenden Senatsmarschall bei der konstituierenden Sitzung des Senats am 27. November 2023 gelang nicht. Vertreter des Regierungslagers warfen ihm vor, dass er in der vorherigen Senatsperiode Senatoren der damaligen Opposition im Juli 2023 auf Twitter als russische Agenten bezeichnet hat. Dafür wurde er von der Ethikkommission des Senats gerügt und im November 2023 nicht zum Vizemarschall des Senats gewählt, obgleich er dieses Amt in der vorherigen Kadenz bereits innegehabt hatte. Wie im Sejm hat die PiS damit auch im Senat keinen eigenen Vizemarschall. Ein Kompromiss ist in beiden Fällen vorläufig nicht in Sicht, auch da die PiS mit Blick auf die anstehenden Wahlen zu den kommunalen und regionalen Vertretungen in Polen am 7. April und den Wahlen zum Europaparlament am 9. Juni dieses Jahres die Konfrontation mit der Regierung als Strategie zur Mobilisierung der eigenen Wähler erkoren hat und der Regierung fehlende parlamentarische Kultur vorwirft.

Präsident Duda schöpft den verfassungsrechtlichen Zeitrahmen aus

Zu dem fundamentalen politischen Konflikt zwischen neuer Regierung und Opposition tritt ein institutionelles Problem. Dem polnischen Präsidenten kommt bei der Regierungsbildung nach der Verfassung eine wichtige Rolle zu. Er beruft innerhalb von vier Wochen die erste, konstituierende Sitzung des Sejm ein und hat im Anschluss noch zwei Wochen Zeit, um einen Ministerpräsidenten zu designieren. Präsident Duda nutzte letztlich die in der Verfassung vorgegebenen Fristen nahezu vollends aus. Der neue Sejm trat damit erst am 13. November zusammen und als Ministerpräsident wurde der bisherige Amtsinhaber Mateusz Morawiecki (PiS) am 14. November vom Präsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt, obgleich er angesichts von lediglich 194 PiS-Abgeordneten keinerlei Aussichten hatte, eine Mehrheit im Sejm hinter sich zu bringen, da alle anderen im Sejm vertretenen Parteien Gespräche über eine Regierungsbildung ablehnten. In der Begründung verwies der Präsident darauf, dass er den Vertreter der stärksten Parlamentspartei traditionsgemäß ausgewählt habe, er hätte aber auch direkt Donald Tusk (KO) designieren können, so dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass der Präsident hier der PiS entgegenkam und der abtretenden Regierung mehr Zeit einräumte, den Übergang in ihrem Sinne zu planen. Erwartungsgemäß scheiterte das Vertrauensvotum des designierten Ministerpräsidenten Morawiecki im Sejm am 12. Dezember und noch am gleichen Abend wurde Donald Tusk von 248 Abgeordneten, alle Mitglieder der neuen Regierung einschließlich der sieben Abgeordneten der Partei Linke Gemeinsam, zum Ministerpräsidenten gewählt. Der Präsident nahm dem Ministerpräsidenten und seinen Ministern am 13. Dezember 2024 dann den Amtseid ab, ein symbolisches Datum, da am 13. Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt worden war. Die neue Regierung wird in den Augen geschichtsbewusster Polen damit in den Kontext eines Unrechtsregimes gestellt.

Rechtliche Herausforderungen bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit

Schließlich steht die neue Regierung auch vor einem Berg rechtlicher Probleme. Der neue Ministerpräsident Tusk hatte bereits in seinem Exposé am 13. Dezember 2023 verkündet, dass dem Recht und der Rechtsstaatlichkeit eine außerordentlich große Rolle zukomme. Zugleich hat sich die neue Koalition auf die Fahnen geschrieben, die Justizreformen der PiS aus dem Jahr 2017, denen von der Opposition und auch seitens der EU eine Verletzung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen wurde, wieder rückgängig zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch um die Freigabe der blockierten Kohäsionsmittel und der Gelder aus dem Aufbau- und Resilienzfazilitätsfonds. Hinsichtlich der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit sind eine Reihe von Problemen zu behandeln: Erstens wird die Zusammensetzung des Landesjustizrates, von dessen 25 Mitgliedern seit einer Novelle Ende 2017 15 vom Sejm gewählt werden und der seitdem unter der Kontrolle der PiS steht, als problematisch erachtet. Da der Landesjustizrat für die Auswahl der Richter zuständig ist, wird die Novelle von 2017 von der Mehrheit der Juristen und Vertretern der damaligen Opposition als Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz betrachtet. Die Amtszeit des Landesjustizrates beträgt allerdings vier Jahre bzw. im Fall der Mitgliedschaft ex officio, des Präsidenten des Obersten Gerichts, des Obersten Verwaltungsgerichts und des Justizministers, solange, wie sie im Amt sind. Beim Präsidenten des Obersten Gerichts und im Fall des Präsidenten des Obersten Verwaltungsgerichts beträgt die Amtszeit jeweils sechs Jahre. Die Amtszeit der 2014 vom damaligen Präsidenten Bronisław Komorowski (PO) zur Präsidentin des Obersten Gerichts bestellten Małgorzata Gersdorf hätte demnach regulär 2020 geendet, aber ein neues, mit PiS-Mehrheit verabschiedetes Gesetz über das Oberste Gericht aus dem Jahr 2018 führte eine Altersgrenze ein und beendete somit faktisch die Amtszeit von Frau Gersdorf vorzeitig. Aber weder Gersdorf selbst noch die Mehrheit der polnischen Juristen erkennt diese Amtszeitverkürzung und auch die Bestellung von Małgorzata Manowska als Nachfolgerin durch den Präsidenten im Mai 2020 an. Frau Manowska hatte in der Vollversammlung des Obersten Gerichts unter fünf Kandidaten mit 25 Stimmen lediglich das zweitbeste Ergebnis hinter Włodzimierz Wróbel (50 Stimmen) erzielt, war aber dennoch vom Präsidenten bestellt worden. Auf den Internetseiten des Obersten Gerichts wird gegenwärtig Manowska als Präsidentin des Gerichts geführt, auf den Seiten des Landesjustizrates allerdings immer noch Gersdorf! Hinzu kommt das Problem mit der Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die Polen mit der Justizreform von 2017 eingeführt hatte und die mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofes aus den Jahren 2019 bis 2023 zufolge die Unabhängigkeit der Richter gefährdet und daher geändert oder aufgehoben werden muss. Auf Vorschlag des Präsidenten wurde die Disziplinarkammer im Mai 2022 per Novelle des Gesetzes über das Oberste Gericht aufgehoben und an ihrer Stelle eine Kammer der beruflichen Verantwortung eingeführt, ohne dass dies bisher den Forderungen der EU entspricht bzw. die Urteile des Europäischen Gerichtshofes umsetzen würde.

Ähnlich problematisch verhält es sich im Fall des polnischen Verfassungsgerichtes, das nach Ansicht der damaligen Opposition und heutigen Regierungsmehrheit seit November 2015 nicht mehr verfassungskonform zusammengesetzt ist, da nach Auffassung der Mehrheit der Juristen und auf Grundlage eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Mai 2021 die Wahl dreier Richter des Verfassungsgerichts nicht verfassungskonform sei, da bereits vorher der Sejm in verfassungskonformer Weise drei Richter gewählt habe. Die Einbindung dieser sogenannten Doubles (so die umgangssprachliche Bezeichnung) in Entscheidungen ist demnach nicht verfassungskonform. Auch hier ist die neue Regierung gefordert, zumal der Präsident gegen alle neuen Gesetze nicht nur sein Veto einlegen kann, sondern er das Verfassungsgericht auch um Überprüfung der Verfassungskonformität bitten kann. Da das Verfassungsgericht gegenwärtig aber noch von Richtern, welche die PiS ausgewählt hat, dominiert wird, ist es wahrscheinlich, dass die Regierung in vielen Gesetzesvorhaben durch das Verfassungsgericht ausgebremst werden wird. Die neue Regierung hat hier somit erhebliche juristische Probleme zu lösen und muss dabei das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wahren.

Der Rahmen für die Umgestaltung der PiS-nahen öffentlichen Medien

Schwierig stellt sich auch die Situation bezüglich des staatlichen Fernsehens dar. Dieses war in seiner Berichterstattung und in seinen Informationssendungen nach Ansicht vieler Beobachter willfährig gegenüber der PiS-Regierung und hat insbesondere in der täglichen Hauptnachrichtensendung Wiadomości (Nachrichten) Regierungspropaganda verbreitet. Ministerpräsident Tusk hat daher bereits vor der Wahl verlauten lassen, dass die Umgestaltung des öffentlichen Fernsehens eine der ersten Aufgaben der Regierung sein werde. Allerdings hatte die PiS in der Vergangenheit den Nationalen Rundfunk- und Fernsehrat (Krajowa Rada Radiofonii i Telewizji) zunächst unter ihre Kontrolle gebracht und danach, obgleich in der Verfassung verankert, schachmatt gesetzt. Per Gesetz wurde im Sommer 2016 ein Rat Nationaler Medien (Rada Mediów Narodowych) geschaffen, der die Vorstände und Aufsichtsräte und damit letztlich die Intendanten der staatlichen Medien, also des Fernsehens, des Radios und der Polnischen Presseagentur (PAP), beruft und entlässt. Der Rat besteht aus fünf Mitgliedern, die für sechs Jahre berufen werden und von denen drei vom Sejm gewählt und zwei vom Präsidenten ernannt werden; letztere werden wiederum von den größten Oppositionsparteien nominiert. Problematisch ist dabei insbesondere der Umstand, dass mit dem Rat Nationaler Medien ein Konkurrenzorgan zum in der Verfassung verankerten Nationalen Rundfunk- und Fernsehrat geschaffen wurde. Auch hier gilt erstens, dass der Rat Nationaler Medien nicht automatisch mit dem Regierungswechsel seine Zusammensetzung ändert und zweitens, dass jegliche Veränderungen rechtsstaatlich erfolgen müssen.

Innenpolitischer Neuanfang: Exposé und Koalitionsvertrag der neuen Regierung

Die drei Parteien, die die neue Regierung tragen, haben sich in einem am 10. November unterzeichneten Koalitionsvertrag auf die wichtigsten Ziele für ihre Regierungsarbeit geeinigt (siehe Dokumentation im Anhang). Er besteht aus drei Teilen. Der erste Teil stellt in 24 Punkten das Programm vor, der zweite Teil behandelt die Aufarbeitung der Regierungszeit der PiS bzw. des Regierungslagers Vereinigte Rechte (Zjednoczona Prawica) und der dritte Teil erstreckt sich auf die Arbeitsprinzipien der Koalition.

Im ersten Abschnitt des Koalitionsvertrages wird unter Punkt 2 angekündigt, die von der Vorgängerregierung erschütterte Rechtsordnung wieder herzustellen. Gerichte und Staatsanwaltschaft sollen unabhängig agieren, der Landesjustizrat seine Arbeit unpolitisch ausüben können. Auch andere Staatsorgane sollen unparteiisch arbeiten können. Ein weiterer Punkt des Vertrages postuliert eine Stärkung der Frauenrechte und insbesondere eine Aufhebung des Verfassungsgerichtsurteils von 2020, das de facto Abtreibung in Polen bis auf wenige Ausnahmen (Schwangerschaft im Ergebnis einer Straftat, Gefährdung des Lebens der Frau) untersagt. Auch sollen pränatale Untersuchungen unterstützt und In-vitro-Fertilisation durch den Staat finanziert werden. Ferner wird der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung der Kampf angesagt, auch das ein deutlicher Kontrapunkt zur bisherigen Regierung. Hinsichtlich des Klimaschutzes wird eine aktive Politik zur Begrenzung der Auswirkungen des Klimawandels angekündigt. Zu den weiteren Punkten gehören die Entpolitisierung der Unternehmen, an denen der Staat Anteile hält, die Unterstützung der Landwirte, die Entpolitisierung der Bildung – erinnert sei in diesem Kontext an das von der PiS eingeführte Schulfach Geschichte und Gegenwart (Historia i Teraźniejszość – HiT) –, die Entpolitisierung der Medien, die strikte Trennung von Staat und Kirche und die Dezentralisierung des Staates.

In seinem Exposé bedankte sich Ministerpräsident Donald Tusk zunächst bei den Wählern, nahm anschließend eine historische Einordnung des Wahlsieges vor und knüpfte an die Proteste gegen die PiS-Regierung an, indem er die 15 Postulate von Piotr Paweł Szczęsny vorlas, der sich im Oktober 2017 aus Protest gegen die PiS-Regierung selbst verbrannt hatte (sieh Dokumentation im Anhang). Tusk appelliert im Anschluss aber auch daran, dass der 15. Oktober 2023 der Beginn einer Wiedergeburt einer echten Solidarität sei, einer Gemeinschaft, die unterschiedlichste Ansichten ertrage. Für eine nationale, republikanische Gemeinschaft sei jedoch die Anerkennung von Regeln notwendig und es gebe eine gemeinsame Verantwortung für das Vaterland. Diese Einheit sei auch angesichts der außenpolitischen Bedrohungen und hier zuvorderst des Krieges in der Ukraine notwendig.

Der Versuch von Tusk, die im Wahlkampf und in den letzten Jahren sichtbar gewordenen Gräben in der polnischen Gesellschaft zu überwinden, wird allerdings durch die politische Auseinandersetzung begrenzt und darauf bezog er sich auch in seinem Exposé, als er davon sprach, den Augiasstall zu säubern, womit er sich auf Verletzungen des Rechts und der guten Sitten durch die Vorgängerregierung bezog.

Einen Vorgeschmack auf den Ton der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition lieferten bereits erste Konflikte um das Fernsehen und um die Verhaftung der Abgeordneten Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik.

Erste Entscheidungen zur Entpolitisierung der öffentlichen Medien

Um dem postulierten Ziel einer Entpolitisierung des staatlichen Fernsehens gerecht zu werden, wurden von Juristen verschiedene Möglichkeiten durchgespielt. Der zuständige Minister für Kultur und nationales Erbe, Bartłomiej Sienkiewicz, berief am 19. Dezember 2023 die Aufsichtsräte des Polnischen Fernsehens, des Polnischen Rundfunks und der Polnischen Presseagentur ab und setzte neue Aufsichtsräte ein. Die genannten Institutionen sind staatliche Aktiengesellschaften, die in den Stand der Liquidation versetzt wurden, was nach Ansicht von Minister Sienkiewicz die Abberufung der bisherigen und die Bestellung neuer Aufsichtsräte erlaubt, ohne den Rat Nationaler Medien, der nach dem Gesetz von 2016 eigentlich dafür zuständig ist, einzuschalten. Hier hat bekanntlich die PiS noch die Mehrheit. Der Minister begründete seine Entscheidung mit dem Veto des Präsidenten gegen ein Gesetz zur Umsetzung des Budgets für das Jahr 2024. Auch Justizminister Adam Bodnar stützte das Vorgehen des Kulturministers, während die Helsinki-Stiftung und ebenfalls Präsident Duda Zweifel hinsichtlich des juristischen Vorgehens äußerten. Gleichwohl wurde das Signal für das Informationsprogramm TVP Info abgeschaltet und war nicht mehr zu empfangen. Abgeordnete der PiS und ihr nahestehende Journalisten besetzten infolge der Entscheidung von Kulturminister Sienkiewicz und aufgrund der Abschaltung des Signals von TVP Info am 21. Dezember 2023 das Gebäude des staatlichen Fernsehens. Am 18. Januar 2024 hat das Verfassungsgericht die Auflösung der staatlichen Sender und die Abberufung der Vorstände für verfassungswidrig erklärt, eine Entscheidung, die für das Kulturministerium nicht bindend ist, da sie unter Beteiligung der Richterdoubles zustande gekommen sei. Das Warschauer Bezirksgericht verweigerte wenige Tage später am 21. Januar die Aufnahme der Liquidation der staatlichen Medien in das nationale Gerichtsregister. Derweil ist die Hauptnachrichtensendungen Wiadomości um 19:30 Uhr durch das Informationsprogramm (Program Informacyjny) ersetzt worden und prominente Journalisten, die eng mit der PiS verknüpft waren, haben den Sender verlassen. Die Polizei räumte im Januar schließlich das Gebäude und auch ein von der PiS organisierter sogenannter »Marsch freier Polen« am 11. Januar konnte dies nicht verhindern. Die Verteidigung der Pressefreiheit durch die PiS ist angesichts der jahrelangen Propaganda und der Verletzung journalistischer Standards im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bizarr, unabhängig von der Frage, ob der von der Regierung gewählte Weg zur Entpolitisierung der öffentlich-rechtlichen Medien klug gewählt und rechtlich in Ordnung ist. Die Frage der Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien bleibt vorerst aber ungelöst.

Die PiS-Politiker Kamiński und Wąsik als Streitfall

Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Regierung auf der einen Seite und der PiS mit Präsident Duda auf der anderen Seite drehte sich um das Schicksal der beiden Abgeordneten Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik (siehe auch Grafik 1). Kamiński war in der letzten PiS-Regierung Innenminister und Geheimdienstkoordinator, Maciej Wąsik sein Staatssekretär. Das Warschauer Kreisgericht verurteilte beide am 20. Dezember 2023 in einem Berufungsverfahren zu zwei Jahren Haft wegen Amtsmissbrauch im Rahmen einer Korruptionsaffäre: Kamiński hatte als Chef des Antikorruptionsbüros (Centralne Biuro Antykorupcyjne – CBA) gemeinsam mit seinem damaligen Vize Maciej Wąsik dem damaligen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper von der Bauernpartei Selbstverteidigung (Samoobrona) im Jahr 2007 eine Falle gestellt, um Korruption im Zusammenhang mit der Umwidmung landwirtschaftlicher Flächen in Bauland zu belegen (sog. Boden-Affäre/afera gruntowa). Die damalige Regierung unter PiS-Führung, Ministerpräsident war damals Jarosław Kaczyński, zerbrach daran. Präsident Duda hatte Kamiński und Wąsik im November 2015 begnadigt, bevor ein Gericht aufgrund der in ihre Verantwortung fallenden Spezialoperation des CBA ein Urteil gegen sie fällen konnte. Damit war die Begnadigung nach Ansicht vieler Juristen letztlich nicht gültig, was während der Regierungen von PiS aber keine Rolle spielte. Nach der Verurteilung durch das Warschauer Gericht in zweiter Instanz im Dezember 2023 wurden die Abgeordneten schließlich vom Präsidenten in seinen Amtssitz eingeladen, wo sie am 10. Januar 2024 bei kurzzeitiger Abwesenheit Dudas von der Polizei verhaftet wurden. Der Präsident war empört, lud die Ehefrauen der beiden Politiker zu sich in den Amtssitz ein und sprach wenige Tage später vom »Terror der Rechtsstaatlichkeit«. Zugleich weigerte er sich, eine erneute Begnadigung vorzunehmen, da er dies ja bereits einmal getan habe. Zugleich organisierte die PiS einen Protestmarsch in Warschau und Jarosław Kaczyński sprach davon, dass die neue Regierung Polen vernichten wolle. Erneut wurde an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit appelliert. Präsident Duda begnadigte schließlich am 23. Januar Kamiński und Wąsik erneut, vertrat aber auch die Auffassung, dass sie ihre Abgeordnetenmandate damit auch behalten würden. Dies war für ihn auch ein Argument, das Haushaltsgesetz am 31. Januar zwar zu unterzeichnen, es aber zugleich zur Überprüfung an das Verfassungsgericht zu überweisen, da die beiden Abgeordneten an der parlamentarischen Arbeit nicht hätten teilnehmen können. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus.

Im Kontext der Verabschiedung des Haushalts gab es zudem Erwartungen bei der Führung der PiS, dass der Präsident das Haushaltsgesetz zurückweisen würde und so formal das Recht hätte, das Parlament aufzulösen und vorzeitige Neuwahlen auszuschreiben. Davon nahm der Präsident bekanntlich Abstand, aber die Zuspitzung des Konfliktes zwischen beiden Seiten wurde offensichtlich. So sehr man auch über die Liquidation der öffentlich-rechtlichen Medien diskutieren kann, so ist doch im Fall der beiden Abgeordneten Kaminski und Wąsik die Sachlage klar. Beide wurden in zweiter Instanz rechtskräftig verurteilt und ihr Abgeordnetenmandat ist damit, trotz erneuter Begnadigung, nach Ansicht vieler Juristen weiterhin erloschen, auch wenn die PiS keine Nachrücker für die Mandate benannt hat.

Untersuchungen, Abberufungen, Gesetzesvorhaben

Darüber hinaus hat die Regierung gemäß ihrem Koalitionsvertrag auch auf anderen Feldern ihre Tätigkeit aufgenommen. So wurde beispielsweise am 17. Januar eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt, welche die Nutzung und Legalität des Programms Pegasus, einer israelischen Spyware zum Ausspähen von iOS- und Android-Geräten, durch die Polizei, Geheimdienste und die Regierung im Zeitraum zwischen dem 16. November 2015 und dem 20. November 2023 unter anderem gegen Vertreter der Opposition untersuchen soll. Zudem prüft die Regierung die Abberufung von Vorständen in Unternehmen mit staatlicher Beteiligung. So wurde der Vorsitzende des Energiekonzerns Orlen, Daniel Obajtek, Anfang Februar abberufen. Der Staatsschatz ist mit knapp 50 Prozent der größte Aktienbesitzer von Orlen. Die Firma hatte, noch unter der PiS-Regierung, im Dezember 2020 das Medienunternehmen Polska Press übernommen und kontrolliert seitdem einen Großteil der regionalen Zeitungen. Schließlich soll auch das Zentrale Antikorruptionsbüro aufgelöst werden, aber hier steht ein Gesetzentwurf noch aus.

In Vorbereitung sind weitere Gesetze, beispielsweise um die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts zu ändern oder um die Kammer der beruflichen Verantwortung beim Obersten Gericht aufzulösen, aber nach den Erfahrungen im Umgang mit den öffentlich-rechtlichen Medien ist hier eine sorgfältige juristische Vorarbeit notwendig. Zudem muss stets mit einem Veto des Präsidenten gerechnet werden, dass nur mit 3/5-Mehrheit im Sejm zurückgewiesen werden kann, eine Mehrheit, über die die Regierung nicht verfügt. Darüber hinaus kann der Präsident ein Gesetz an das Verfassungsgericht überweisen, in dem von der PiS ernannte Richter nach wie vor über eine Mehrheit verfügen.

Schließlich dürfte auch bald eine Veränderung beim Abtreibungsrecht anstehen, zumal dieses Thema vom Ministerpräsidenten in seinem Exposé selbst angerissen worden ist. Von der Neuen Linken wurde am 14. November 2023, also einen Tag nach Konstituierung des neuen Sejm, ein Gesetz zum sicheren Abbruch einer Schwangerschaft eingebracht, aber es ist noch kein Gesetzesvorhaben der gesamten Regierung. Zudem würde auch im Fall eines Gesetzes zur Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein Veto des Präsidenten drohen, so dass eine erfolgreiche Behandlung dieses Themas momentan unwahrscheinlich ist.

Außenpolitik: zurück nach Europa

Angesichts der Turbulenzen in der Innenpolitik waren die Veränderungen und Initiativen im Bereich der Außenpolitik relativ gering, zumal außenpolitisches Handelns einen anderen Zeithorizont hat. Im Koalitionsvertrag wie auch im Exposé des Ministerpräsidenten wurde gleichwohl auch die Außenpolitik angesprochen. Ein Exposé des neuen Außenministers Radosław Sikorski (KO) steht allerdings noch aus.

Der Koalitionsvertrag betont bereits im ersten Punkt, die Sicherheit Polens insbesondere angesichts des Krieges in der Ukraine zu stärken. Diese Sicherheit baut demzufolge auf drei Säulen auf, der nationalen Gemeinschaft, der Festigung der polnischen Position in der EU und der NATO und in der Stärkung der polnischen Armee. Ansonsten bezieht sich der Koalitionsvertrag nicht auf die Außenpolitik.

Deutlicher wird hier das Exposé des Ministerpräsidenten, in dem unterschiedliche Felder der Außenpolitik berührt werden. Zunächst wird die nationale Einheit mit Blick auf den Krieg in der Ukraine hervorgehoben. Polen werde ein zuverlässiger Bündnispartner der USA in der NATO sein und seine Regierung trachte danach, die polnische Position in der EU zu stärken und die Rolle als eines der führenden Länder zurückzugewinnen. Es sei der Wunsch der Polinnen und Polen, die für seine Koalition gestimmt hätten, dass Polen auf den ihm zustehenden Platz in Europa zurückkehre. Polen allein könne die Risiken jedoch nicht meistern. Damit kündigt Tusk sehr deutlich eine Rückkehr in den Kern der EU an und erteilt allen Träumen und Aussagen über eine absolut verstandene nationale Souveränität eine Absage. Weder die Migrationskrise noch die Bekämpfung des Klimawandels seien rein national zu bewältigen. Einen großen Akzent legt der Ministerpräsident auch auf die weitere Unterstützung der Ukraine. Auffällig ist allerdings auch, dass den deutsch-polnischen Beziehungen, die während der PiS-Regierungen in den letzten Jahren in der Sackgasse steckten, nicht ein Wort gewidmet wird.

Dennoch ist erkennbar, dass die neue Regierung auch hier einen Neuanfang vertritt. Ende Januar besuchte Außenminister Radosław Sikorski Berlin und traf sich mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock. Sikorski sah dieses Treffen als Beginn einer Wiederbelebung der bilateralen Beziehungen und drückte zudem den Wunsch aus, das Weimarer Dreieck (Deutschland, Frankreich, Polen) wieder zu aktivieren. In den letzten Jahren waren die bilateralen Beziehungen vor allem geprägt von einem klaren antideutschen Akzent in der Warschauer Außenpolitik, von Reparationsforderungen von polnischer Seite an die deutsche Adresse und einem nahezu völligen Fehlen gemeinsamer Initiativen zur Unterstützung der Ukraine oder in anderen europäischen Fragen. Ein Neuanfang ist hier zwingend erforderlich.

Dieser Neuanfang wurde auch deutlich beim Treffen von Ministerpräsident Donald Tusk mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin am 12. Februar dieses Jahres. Sowohl hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine als auch bei der Bekämpfung des Klimawandels möchten beide Regierungen eng zusammenarbeiten. Zudem scheint das persönliche Verhältnis zwischen beiden Regierungschefs zu stimmen und man sollte die gute Atmosphäre für gemeinsame Initiativen nutzen, bevor zum Beispiel der Wahlkalender im kommenden Jahr in Deutschland wieder andere Akzente setzt.

Neben der Unterstützung der Ukraine und einem Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen ist auch ein Reset in der polnischen Europapolitik notwendig, um die blockierten EU-Mittel freizugeben. Hier ist die EU zuvor zwingend auf die Umsetzung der sogenannten Meilensteine angewiesen. Dazu zählen vor allem die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz und die Bekämpfung der Korruption. Die EU-Kommission hat im November 2023 noch vor Bildung der neuen Regierung allerdings angekündigt, unter bestimmten Auflagen 5,1 Milliarden Euro aus dem Aufbau- und Resilienzfazilitätsfonds freizugeben. Ein Anfang ist also gemacht.

Auf dem Weg zu einem politischen Kompromiss?

Ministerpräsident Donald Tusk hat in seinem Exposé den nationalen Zusammenhalt beschworen und die Opposition aufgefordert, in wichtigen Politikfeldern mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Zugleich enthält der Koalitionsvertrag aber in seinem zweiten Abschnitt Aussagen über die politische und juristische Aufarbeitung der Regierungen der Vereinigten Rechten. So sollen unter anderem Untersuchungskommissionen und die Staatsanwaltschaft die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit während der Regierungszeit der PiS untersuchen.

Zweifellos ist die Aufarbeitung der Verfassungsverletzungen und der Regierungen der PiS notwendig. Sowohl die EU als auch die Mehrheit der Juristen im Lande fordern eine eindeutige Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und dazu gehört auch die Überarbeitung der von der PiS durchgeführten Justizreform. Auch die Neuaufstellung der öffentlich-rechtlichen Medien, die in den letzten Jahren zum reinen Sprachrohr der Regierung geworden sind, ist überfällig. Allerdings ist es nicht ganz einfach, hier das richtige Maß und passende juristische Lösungen zu finden. Das Vorgehen im Fall der öffentlich-rechtlichen Medien weckte auch bei der Helsinki-Stiftung Vorbehalte und ist juristisch noch genau zu klären. Auch der Umgang mit der Opposition im Sejm ist zu hinterfragen. Die Weigerung, Elżbieta Witek zur Vizemarschallin des Sejm zu wählen, ist zwar aufgrund der Schärfe der politischen Auseinandersetzung in den letzten Jahren verständlich, aber es ist gute Tradition im polnischen Parlament, dass die Kandidaten der anderen Parteien akzeptiert und gewählt werden.

Allerdings sieht es nicht danach aus, dass die PiS auf einen Ausgleich bedacht ist. Die anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen sowie die Wahlen zum Europaparlament im Frühjahr dieses Jahres machen eine Betonung der eigenen Position geradezu erforderlich. Aber auch weit darüber hinaus pflegt die PiS-Führung und hier insbesondere der Vorsitzende Jarosław Kaczyński den Konflikt mit der Regierung. Weder ist eine Aufarbeitung der Wahlniederlage noch der vergangenen Regierungsjahre erkennbar. Zudem ist die Nachfolge des 74-jährigen Kaczyński ungeklärt. Das Vorpreschen des ehemaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki im Januar traf innerhalb der Partei nicht auf einhellige Unterstützung.

Schließlich ist auch die polnische Gesellschaft nachhaltig gespalten. Verschiedene Umfragen unterschiedlicher Institute vom Januar und Februar dieses Jahres belegen eine nahezu unveränderte Unterstützung für die im Parlament vertretenen Parteien (siehe Grafik 2). Die Polarisierung der Gesellschaft hält also an und in Zeiten einer politischen Cohabitation scheint eine vollständige juristische Aufarbeitung erst nach den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr möglich zu sein. Unklar ist allerdings, wie die Regierung vorgehen wird, sollte der Nachfolger von Andrzej Duda wieder aus dem PiS-Lager kommen. Es lohnt sich daher, bereits vorher einen Schritt auf den Präsidenten und die Opposition zuzugehen und mit Blick auf die EU und die Gegensätze in der polnischen Gesellschaft Kompromisslinien auszuloten. Dazu dürfte es vor den anstehenden Wahlen im Frühjahr allerdings kaum kommen. Die Zeichen stehen vorläufig also weiter auf Konflikt.

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