Die Parlamentswahlen 2015 gewann die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) unter anderem mit dem Versprechen, eine neue finanzielle Unterstützung für Kinder einzuführen (das sog. 500+-Programm). Dabei hatte zwei Jahre zuvor bereits die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) eine familienpolitische Wende eingeleitet, indem sie eine einjährige bezahlte Elternzeit eingeführt hatte; indes konnte die damalige Regierung kaum politisches Kapital daraus schlagen. Auch im Wahlkampf 2023 spielten Debatten um die Erhöhung der 500 Zloty Kindergeld sowie um die Einführung einer neuen Leistung – des sog. »Omageldes« (Babciowe) – durch die PO eine große Rolle. Auffällig ist dabei, dass andere sozialpolitische Themen wie etwa die Ausgestaltung der sozialen Grundsicherung kaum adressiert wurden, obwohl dies angesichts des Inflationsschocks 2022/23 (kumuliert lag sie bei über 25 Prozent) durchaus nahegelegen hätte. Sozialpolitik wurde also vor allem anhand familienpolitischer Maßnahmen verhandelt. Lediglich die Debatte um die Zahlung einer 13. und 14. Rente brachte diesbezüglich noch ein anderes Thema ein. Dass beide Politikfelder in Polen oft zusammengedacht werden, zeigt sich bereits an ihrer institutionellen Zusammenlegung im Ministerium für Familie und Sozialpolitik (Ministerstwo Rodziny i Polityki Społecznej).
Im Folgenden diskutiere ich die polnische Familien- und Sozialpolitik nach 2015, wobei ich die These vertrete, dass gewisse polnische Spezifika wie die genannte starke Fokussierung auf familienpolitische Leistungen existieren, die den Regierungswechsel im Dezember 2023 überdauert haben. Mehr noch handelt es sich hierbei aus meiner Sicht um eine Art politischer Pfadabhängigkeit, die einer weiteren Analyse bedarf. Diese Ausrichtung der polnischen Sozialpolitik ist zudem nicht ohne die ihr zugrundeliegenden Geschlechternarrative zu verstehen, die folglich stets mitgedacht werden müssen. Beginnen werde ich mit einem vergleichenden Blick auf die Entwicklung der institutionellen und häuslichen Kinderbetreuung oder anders gesprochen auf das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit.
Institutionelle Kinderbetreuung – stiefmütterlich behandelt
Kaum jemand hat einen schlechteren Ruf als die Stiefmutter im Märchen. Oft vernachlässigt sie ihre nichtleiblichen Kinder, manchmal hasst sie diese gar, aber vor allem schenkt sie nur den eigenen Kindern ihre mütterliche Liebe. Ähnliche Vorwürfe werden bis heute an Mütter gerichtet, die ihre (Klein-)Kinder nicht selbst betreuen. Sie sind einer der Gründe dafür, dass Kleinkinder unter drei Jahren in Polen noch immer ganz überwiegend innerhalb der Familie betreut werden (siehe »Statistik«, Grafik 1). So besuchten 2023 nur 12,6 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe zumindest zeitweise eine staatliche oder private Kinderbetreuungseinrichtung. In der Europäischen Union lag das Land lediglich vor Tschechien (4,4 Prozent) und der Slowakei (1 Prozent) auf dem drittletzten Platz und damit weit hinter dem europäischen Durchschnitt von 37,5 Prozent; von Staaten wie den Niederlanden mit deutlich über 70 Prozent ganz zu schweigen. Hier sei erwähnt, dass auch die Bundesrepublik unterdurchschnittlich abschneidet, was insbesondere an den niedrigen Betreuungsquoten in Süd- und Westdeutschland liegt. Bei der Gruppe der Kinder zwischen drei und sechs Jahren, die mindestens eine Stunde wöchentlich eine Betreuungseinrichtung besuchen, steigt ihr Anteil in Polen auf über 60 Prozent an, liegt aber immer noch deutlich hinter dem europäischen Durchschnitt von knapp 80 Prozent (siehe dazu auch »Statistik«, Grafik 2).
Diese Zahlen lassen sich auf unterschiedliche Weise interpretieren. Von konservativer Seite wird in der Regel argumentiert, die niedrigen Zahlen seien dem Wunsch der Eltern, die Kinder selbst zu betreuen, geschuldet. Tatsächlich scheint die Überzeugung, eine Betreuung durch die Mutter (nur sehr selten durch den Vater) sei besser als in einer staatlichen Betreuungseinrichtung, noch immer weit in der Gesellschaft verbreitet. Dieses Narrativ, das auch von zahlreichen politischen Akteuren forciert wird, die keineswegs nur aus dem katholisch-konservativen Lager stammen, ist ein bedeutender Unterschied beispielsweise zu den skandinavischen Ländern, wo eine Betreuung durch ausgebildete Fachkräfte meist als vorteilhaft für die Kinder angesehen wird. Ihm liegt zum einen die Vorstellung zugrunde, nur eine Mutter könne ihrem Kind die nötige Liebe in der Betreuung schenken. Zum anderen spielt das Bild der Matka Polka, d. h. einer polnischen Frau, die sich für die patriotische und religiöse Erziehung ihrer Kinder zum Zwecke der Erhaltung der polnischen Nation aufopfert, eine große Rolle. Jedes Abweichen von dieser »natürlich« weiblichen Bestimmung erscheint somit notwendigerweise als eine Bedrohung der polnischen Nation. Zugleich ist Polen keineswegs als politischer Monolith zu verstehen; vielmehr zeigt sich innerhalb des Landes eine große bzw. zunehmende Heterogenität bei der Bewertung von Betreuungseinrichtungen. So sind es vor allem eher konservativ geprägte ländliche Regionen im Nord- und Südosten des Landes, wo der Anteil betreuter Kinder besonders niedrig liegt (analog zum Süden der Bundesrepublik); am höchsten liegt er hingegen in den Großstädten sowie in Schlesien.
Dass diese traditionalistischen Narrative nur ein Teil der Wahrheit sind, zeigt sich auch daran, dass die Nachfrage nach Kinderbetreuung in Polen deutlich höher ist als das Angebot. Anders gesprochen, würden viele Eltern ihr Kind gerne in eine Kita o. Ä. geben, können dies aber nicht; insbesondere in ländlichen Regionen fehlt es oft noch immer an jeglichen Betreuungsangeboten. 2024 gab es in über 40 Prozent aller Gemeinden in Polen keinerlei Betreuungsangebote, weder in privaten noch in staatlichen Einrichtungen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Betreuungsquoten in den Großstädten deutlich über denen in ländlichen Regionen liegen. Ein weiteres Problem sind die teils horrenden Gebühren, die die Einrichtungen, die im Übrigen zu 74 Prozent in privater Hand sind, erheben. Auch hier zeigen sich interessante Parallelen zu Deutschland, wo die Spannweite der Kosten für die Kinderbetreuung von Gebührenfreiheit (z. B. in Berlin) bis zu knapp 1.000 Euro monatlich reichen. Auch dort herrscht ein enormer Mangel an Betreuungsplätzen.
Der Status quo ist also alles andere als zufriedenstellend. Zugleich darf nicht übersehen werden, dass in den vergangenen zehn Jahren durchaus ein Ausbau von Betreuungsplätzen stattfand. So existierten vor 2004 fast gar keine Einrichtungen für Kleinkinder und auch bei den Drei- bis Sechsjährigen lag Polen innerhalb der Europäischen Union auf dem letzten Platz. Seitdem hat sich also Einiges getan, was allerdings weniger der Zentralregierung als den Kommunen bzw. privaten Anbietern zuzuschreiben ist. Auf diese Weise entstand vor allem in den boomenden Großstädten langsam eine Betreuungsinfrastruktur, deren Ausbau indes weniger emanzipatorischen oder bildungspolitischen Überlegungen geschuldet war. Vielmehr waren sie ein Ergebnis des Arbeitskräftemangels sowie des damit einhergehenden Ziels einer stärkeren Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsmarkt. Der Ausbau relativiert sich allerdings, betrachtet man die Summen, die in die Unterstützung der häuslichen Betreuung flossen und fließen. Dies wird beispielsweise am 2021 eingeführten Knirps+-Programm (Maluch+) deutlich, dessen Ziel es ist, die Betreuung für unter Dreijährige auszubauen. Für den Zeitraum von 2022 bis 2029 waren dafür 5,5 Mrd. Zloty (ca. 1,3 Mrd. Euro) vorgesehen und damit nur ein Bruchteil dessen, was für die häusliche Betreuung ausgegeben wurde.
Häusliche Care-Arbeit als Norm
Die finanzielle Priorität auf nationalstaatlicher Ebene lag auf der Stärkung der häuslichen Kinderbetreuung durch Mütter oder Großmütter. Vor allem nach 2015 investierte der polnische Staat viel Geld in Programme wie das Kindergeld 500+, das 2016 von der PiS-Regierung ins Leben gerufen wurde und monatlich 500 Zloty (ca. 115 Euro) pro Kind auszahlte. Allein 2022 wurden so rund 42 Mrd. Zloty (knapp 10 Mrd. Euro) ausgegeben. Die Summe stieg an, als das Programm, das ursprünglich erst ab dem zweiten Kind ausgezahlt wurde, seit 2019 auch auf das erste Kind ausgeweitet wurde. Im Januar 2024 wurde die Leistung schließlich (nun unter der neuen Regierung) auf 800 Zloty (ca. 175 Euro) pro Kind erhöht.
Ferner existiert ein Dickicht aus vielen weiteren familienpolitischen Leistungen, wie etwa der »Erziehungsurlaub«, der bis zu 36 Monate lang genommen werden kann, allerdings nur für bedürftige Eltern eine wirkliche finanzielle Kompensation bietet. Hinzu kommen eine einmalige »Entbindungsbeihilfe« (jednorazowa zapomoga z tytułu urodzenia się dziecka) für Geringverdienerinnen sowie Zahlungen von 300 Zloty (ca. 70 Euro) im Rahmen des »Guter Start«-Programms (Świadczenie »Dobry Start«), die für jedes Kind zum Schuljahresbeginn gezahlt werden, sowie weitere kleinere oder an bestimmte Bedingungen geknüpfte Leistungen.
Einige dieser familienpolitischen Leistungen haben sicherlich ihre Berechtigung. Zugleich ist unverkennbar, dass sie explizit Mütter adressieren und ihnen die Kinderbetreuung zu Hause (und die Entscheidung zu mehreren Kindern generell) schmackhaft machen sollen. So heißt es beispielsweise in einer offiziellen Verlautbarung des Familien- und Sozialministeriums zur Einführung des Kindergeldes (500+), dass dieses »allen Frauen offen steht, die ein Kind geboren haben.« Eine Fußnote am Ende der Seite verweist dann darauf, dass es unter bestimmten Umständen auch von Pflegeeltern oder Vätern in Anspruch genommen werden könne.
Die geschlechterpolitische Ausrichtung des Programms ist also mehr als eindeutig. Dies wird auch an einem Vorschlag deutlich, den Donald Tusk 2023 präsentierte, nämlich die Einführung einer neuen Leistung, des o. g. Omageldes. Damit sollten Großeltern, die sich um ihre Enkel kümmerten, finanziell entlohnt werden, wobei bereits der Name darauf verweist, dass die Regierung in erster Linie an Großmütter dachte. Dieser Vorschlag verweist zudem auf die in Polen weitverbreitete Norm, die Großmütter für die Betreuung ihrer Enkel verantwortlich macht. Nicht zuletzt deshalb können (und sollen) Polinnen fünf Jahre früher in Rente gehen als männliche Arbeitnehmer. Im Ergebnis betreut fast ein Drittel aller polnischen Großmütter zwischen 50 und 69 Jahren täglich ein oder mehrere Enkelkinder, womit das Land weit vor allen anderen EU-Staaten liegt. Auch bezogen auf den Anteil der Kinder, die primär von Großmüttern betreut werden, liegt Polen zusammen mit Griechenland, Italien und Ungarn an der Spitze.
Wie sehr die Kinderbetreuung weiterhin als (oft alleinige) Aufgabe der Mutter gesehen wurde, zeigt sich auch daran, dass 2021 rund 377.000 Frauen die o. g. Elternzeit in Anspruch nahmen, aber nur 4.000 Väter, was einem Anteil von 1,06 Prozent entspricht. Von der Möglichkeit einer bis zu zweiwöchigen Auszeit für Väter während und nach der Geburt machten 41 Prozent der Männer überhaupt keinen Gebrauch (d. h. nicht einmal einen Tag). Weitere 43 Prozent nahmen einige Tage bis zu zwei Wochen in Anspruch. Frauen schieden hingegen in 85 Prozent der Fälle über acht Monate aus dem Erwerbsleben aus. Diese Zahlen sind insofern wenig verwunderlich, als dass alles, was mit Kindern in Verbindung steht, lange Zeit als ausschließlich weibliche Sphäre gesehen wurde. Sichtbar ist dies nicht nur an der weitgehenden Verweigerung viele Männer, sich an der Betreuung zu beteiligen, sondern auch am bis in die 2010er Jahre praktizierten Ausschluss der Väter aus Kreißsälen oder daran, dass es bis in die 2010er Jahre fast unmöglich war, nach einer Scheidung als Vater ein (auch nur partielles) Sorgerecht zu bekommen. Diese Regelungen wurden auch von sich als feministisch verstehenden Frauen als »weibliches Vorrecht« verteidigt. Eine traditionelle Vorstellung von »natürlichen« Geschlechterrollen ist also in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet und kein rein männliches Phänomen.
Die direkte Folge dieser Familienpolitik nach 2015 war ein relatives Absinken der Erwerbstätigkeit von Frauen um 2 bis 3 Prozent, d. h. um rund 200.000 Personen, was in Zukunft wiederum in niedrigen Renten für Frauen und eine Verschärfung des Arbeitskräftemangels resultieren wird; von emanzipatorischen Überlegungen ganz zu schweigen. Ersteres ist bereits daran ersichtlich, dass sich die Höhe des Rentenbezugs zwischen den Geschlechtern kontinuierlich auseinander entwickelt. Im Ergebnis bezogen Frauen im Jahr 2018 bereits 27 bis 28 Prozent weniger Rente als Männer – Tendenz steigend.
Familienpolitik als Sozialpolitik zwischen 2015 und 2023
Die diskutierten Maßnahmen zeigen, dass durchaus Geld in der Haushaltskasse vorhanden war und ist. Die stetig steigenden Staatseinnahmen ermöglichten es der PiS nach 2015, große Summen in ihre sozialpolitischen Prestigeprojekte zu stecken, womit sie enorm an Glaubwürdigkeit gewann, da sie viele ihrer sozialpolitischen Versprechungen umsetzte (wenn auch keineswegs alle) und zugleich die Vernachlässigung der staatlichen Sozialpolitik vor 2015 beendete. Neben den familienpolitischen Leistungen sind vor allem die stetige Erhöhung des Mindestlohns auf 2.600 Zloty (ca. 610 Euro) im Jahr 2020 sowie die strengere Reglementierung von Anstellungen, die keinen sozialverträglichen Arbeitsvertrag hatten, durchaus als sozialpolitische Erfolge zu werten. Die Rücknahme der Erhöhung des Renteneintrittsalters von 67 Jahren für Frauen und Männer auf 60 bzw. 65 Jahre ist hingegen kaum nachhaltig. Zum einen stieg seitdem die Altersarmut von Rentner:innen (vor allem von Frauen) weiter an, zum anderen ist die erneute Einführung geschlechterspezifischer Regelungen als gleichstellungspolitischer Rückschritt zu werten.
In anderen Bereichen kann ebenso wenig von einer neuen und nachhaltigen Sozialpolitik die Rede sein. So wurden weder Probleme im Gesundheitswesen, das von einer massiven Unterfinanzierung und niedrigen Löhnen betroffen ist, noch bei der Armutsprävention behoben. Zwar hatten die diskutierten familienpolitischen Leistungen kurzfristig eine positive Wirkung, insbesondere im Hinblick auf Kinderarmut, zugleich aber ist die relative Armut (verfügbares Einkommen unter 50 Prozent des Durchschnittseinkommens) nur leicht gesunken und die extreme Armut (2023 lag die Schwelle bei 901 Zloty bzw. rund 209 Euro pro Person/Monat) bis 2023 gestiegen. Auch die Kinderarmut steigt nach einem kurzfristigen Rückgang wieder stark an. Die Gründe liegen zum einen im Inflationsschock ab 2022 begründet, zum anderen aber auch darin, dass die Sozialhilfe (vor wie nach 2015) nur marginal erhöht wurde und in einem enormen Missverhältnis zu den großzügigen Familienleistungen steht. Generell ist die Sozialleistungsquote in Polen im letzten Jahrzehnt zwar leicht angestiegen, sie liegt aber mit 21 Prozent (2022) noch immer deutlich unter dem EU-Schnitt von 28 Prozent. Dass der Anstieg trotz der Einführung umfassender familienpolitischer Leistungen vergleichsweise gering ausfiel (2005 lag die Quote bei 20 Prozent), ist ein weiterer Hinweis darauf, dass andere Bereiche der Sozialpolitik vernachlässig wurden.
Alles neu nach der PiS?
Bei der Lektüre manch deutscher Zeitung könnte man meinen, dass sich durch die Abwahl der PiS und die Bildung einer neuen Regierung nach 2023 alles in Polen geändert habe. Indes sind in vielen Bereichen wie der Migrations- und Sicherheitspolitik und im besonderen Maße der Sozial- und Familienpolitik große Kontinuitäten zu erkennen. Am deutlichsten zeigt sich dies daran, dass die Bürgerplattform weder die Senkung des Rentenalters noch die Einführung des Kindergeldes zurücknahm, vielmehr erhöhte sie es von 500 auf 800 Zloty im Monat und behielt auch andere familienpolitische Leistungen bisher bei. Neu ist hingegen die Einführung dreier neuer Leistungen für Eltern im Oktober 2024 von bis zu 1.500 Zloty (ca. 350 Euro) im Monat. Mit dem »Aktive Eltern«-Programm (Aktywny Rodzic) wird Müttern und Vätern versprochen, dass sie die Freiheit hätten, selbst die Art der Betreuung ihres Kindes zu wählen, wobei ihnen gleichzeitig eine große Flexibilität ermöglicht werde, da zwischen verschiedenen Modellen gewechselt werden könne. An der Ausgestaltung des Programmes zeigt sich der Versuch der neuen Regierung, alle politischen Wünsche unter einen Hut zu bringen. Einerseits wird es (entsprechend der Idee des »Omageldes«) möglich, Großmütter – es ist tatsächlich nur von Großmüttern die Rede – für die Kinderbetreuung zu bezahlen. Andererseits kann die Betreuung zu Hause (faktisch durch die Mutter) weiter gefördert werden, während es gleichzeitig – so die dritte Option – Zuschüsse für eine Betreuung durch Dritte oder in Betreuungseinrichtungen geben kann.
Wie nachhaltig eine Familienpolitik ist bzw. sein kann, die versucht, es allen Gruppen recht zu machen, wird sich allerdings erst noch zeigen. So geht aus dem Haushaltsplan für 2025 hervor, dass allein das 800+-Programm zehn Prozent des Staatshaushaltes ausmacht, so dass sich durchaus die Frage stellt, ob diese enorme Summe nicht besser in einen verstärkten Ausbau staatlicher Kinderbetreuungseinrichtungen oder in das Bildungssystem investiert werden sollte. Dass dies nicht geschieht, zeigt, dass die polnische Familienpolitik auf absehbare Zeit von paternalistischen Vorstellungen geprägt sein wird, deren primäres Ziel letztlich die Unterstützung und Erhaltung der traditionellen, »normalen« Familie ist. Die Gründe dafür liegen einerseits in der Popularität dieser Maßnahmen (vor allem der Auszahlung direkter Geldleistungen), deren tendenziell konservative Ausrichtung zudem in der polnischen Gesellschaft mehrheitsfähig sein dürfte. Ferner sprechen sich Teile der Bürgerplattform sowie des Regierungspartners Dritter Weg (Trzecia Droga) grundsätzlich für eine familienzentrierte Sozialpolitik aus. Was dabei weitgehend ignoriert wird, ist die Tatsache, dass diese auch nach konservativen Maßstäben nicht funktioniert: So wurde etwa das wichtigste Ziel dieser Politik – die Erhöhung der Geburtenrate – nicht erreicht; vielmehr sinkt diese kontinuierlich weiter und ist mittlerweile eine der niedrigsten in der gesamten Europäischen Union (siehe »Statistik«, Grafik 4). Am höchsten ist sie im Übrigen in den skandinavischen Ländern sowie in Frankreich, die sich durch eine umfassende Infrastruktur staatlicher Betreuungseinrichtungen und Geschlechtergleichheit im Bereich der Arbeit auszeichnen. Zudem ist angesichts der steigenden Staatsverschuldung Polens fraglich, ob die familienpolitischen Leistungen die nächste Sparrunde überstehen werden. Nichtsdestoweniger werden die neu eingeführten Zuschüsse zur Inanspruchnahme von Kinderbetreuung wohl die Vereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit verbessern.
Schließlich ist auffällig, dass Sozialpolitik weiterhin weitgehend mit Familienpolitik gleichgesetzt wird. Die einzige bedeutende Ausnahme besteht darin, dass die aktuelle Regierungskoalition die kontinuierliche Anhebung des Mindestlohnes auf 4.000 Zloty (ca. 940 Euro) im Jahr 2024 fortsetzt, auch wenn diese Maßnahme nicht im eigentlichen Sinne zur Sozialpolitik zählt. Darüber hinaus sind keine grundlegenden Reformen wie beispielsweise in der sozialen Grundsicherung zu erwarten.
Sozialpolitische Herausforderungen
Somit bleiben einige bereits genannte Herausforderungen in der Sozialpolitik bestehen. Die Einkommensungleichheit in Polen ist eine der höchsten in Europa und steigt weiter an. Auch die Geschlechterunterschiede beim Einkommen sinken nicht mehr, bei den Renten gehen sie auseinander. Damit hängt eine hartnäckige und feminisierte Armut zusammen, wobei der Anteil der absolut Armen überdurchschnittlich hoch ist und zunehmend Rentnerinnen betroffen sind. Schließlich sind das polnische Gesundheits- und Bildungssystem latent unterfinanziert, gleiches gilt für die Qualität und Quantität staatlicher Kinderbetreuungseinrichtungen. Zwar ist seit dem Regierungswechsel 2023 in allen genannten Bereichen mit einer leichten Verbesserung der Situation zu rechnen, mit Ausnahme der Armutsprävention. Nichtsdestoweniger sind diese Fortschritte jedoch sehr gering und könnten viel bedeutender sein, wenn der massive Ausbau staatlicher Sozialleistungen nicht primär in finanzielle Leistungen an Eltern fließen würde. Ob sich dies ändern wird, ist mehr als fraglich. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bereits die (späte) Volksrepublik Polen auf eine sehr ähnliche Weise Familienpolitik betrieb und damit scheiterte. Die Ausrichtung sozialer Leistungen an einem konservativen Familienideal stellt also eine politische Konstante dar, die auch durch den Regierungswechsel von 2023 kaum erschüttert wurde.