Die Ausgangslage: Warum sind die polnischen Präsidentschaftswahlen so wichtig?
Nach den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 wurde am 13. Dezember die Regierung unter der Führung von Ministerpräsident Donald Tusk vereidigt. Beobachter, sowohl in Polen als auch im Ausland, versprachen sich von dem Regierungswechsel eine Rückabwicklung des umstrittenen Umbaus des polnischen Justizwesens, der in den acht Jahren Amtszeit der PiS-geführten Vorgängerregierung stattgefunden hatte. Doch um die hierfür notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, ist die aktuelle Regierung auf den Präsidenten angewiesen. Dieser besitzt im polnischen Gesetzgebungsverfahren ein beinahe uneingeschränktes Vetorecht. Damit kann er jedes vom polnischen Parlament beschlossene Gesetz zurückweisen. Das Parlament wiederum kann ein solches präsidentielles Veto nur mit einer qualifizierten Dreifünftel-Mehrheit der Abgeordneten zurückweisen, eine Mehrheit, über die das Regierungslager nicht verfügt.
Der amtierende Präsident Andrzej Duda hat seit Tusks Wahl zum Ministerpräsidenten bereits mehrfach von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und immer wieder unterstrichen, dieses Instrument auch in Zukunft nutzen zu wollen, um die legislativen »Errungenschaften« der PiS-Regierungszeit zu bewahren. Um ihr politisches Programm umsetzen zu können, ist die Tusk-Regierung daher auf einen ihr wohlgesinnten Amtsinhaber im Präsidentenpalast angewiesen. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen 2025 gleichen daher einem Showdown. Gewinnt ein dem Regierungslager nahestehender Kandidat, ist der Weg frei für weitreichende politische Reformen. Gleichzeitig muss die Regierung dann auch wirklich liefern und kann mangelnde Reformfähigkeit nicht länger durch Verweis auf das präsidentielle Vetorecht kaschieren. Erringt jedoch ein PiS-Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen, drohen Polen weitere Jahre der Stagnation im Zeichen der Kohabitation zwischen Präsident und Regierung aus entgegengesetzten politischen Lagern.
Die Kandidatenschau
»Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen«, lautet ein geflügeltes Wort, das auch auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Polen zutrifft. Bislang haben nach Auskunft der Staatlichen Wahlkommission (Państwowa Komisja Wyborcza – PKW) 25 Wahlkomitees ihre Kandidaten registriert. Deren Zahl kann bis zum Wahltermin noch weiter steigen. Bis zum 4. April können weitere Kandidaten registriert werden. Neben dem Mindestalter von 35 Jahren und der polnischen Staatsbürgerschaft müssen sie eine Liste mit 100.000 Unterschriften wahlberechtigter Bürger vorlegen, die die jeweilige Kandidatur unterstützen.
Noch sind es mehr als zwei Monate bis zum Wahltermin und diese Zeitspanne, gepaart mit der unsicheren und dynamischen weltpolitischen Lage, könnte noch für die eine oder andere Überraschung sorgen. Dennoch lässt sich bereits eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhersagen: Es wird nach dem ersten Wahlgang am 18. Mai zu einer Stichwahl am 1. Juni kommen, in der sich der Warschauer Stadtpräsident Rafał Trzaskowski, der Kandidat der Bürgerplattform, und aller Voraussicht nach der von der PiS unterstützte Direktor des Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej – IPN), Karol Nawrocki, gegenüberstehen werden . In der folgenden Kandidatenschau werden wir daher zunächst die beiden erfolgversprechendsten Kontrahenten und Repräsentanten der antagonistischen Lager unter die Lupe nehmen, bevor wir uns dem Verfolgerfeld der übrigen Kandidatinnen und Kandidaten zuwenden.
Rafał Trzaskowski
Das Rennen eröffnet Rafał Trzaskowski, der bekannte Stadtpräsident seiner Heimatstadt Warschau (Warszawa), der bei den Präsidentschaftswahlen 2020 nur knapp unterlegen war. Der 53-jährige promovierte Politologe und Experte für EU-Fragen war unter anderem Minister für Europaangelegenheiten sowie für Verwaltung und Digitalisierung und Sejm-Abgeordneter. Seit 2020 ist er stellvertretender Vorsitzender der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), der stärksten Partei innerhalb der regierenden Bürgerkoalition. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2025 setzte er sich in einer parteiinternen Vorwahl eindeutig gegen den amtierenden Außenminister Radosław Sikorski durch.
Auch im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl liegt Trzaskowski bis heute klar auf Platz eins, wenngleich sein Vorsprung geschmolzen ist. So steht er vor der Herausforderung, die eigene Wählerschaft nicht in allzu großer Sicherheit zu wiegen, sondern sie zum Urnengang zu mobilisieren. Im zweiten Wahlgang muss Trzaskowski zudem Wähler jenseits des liberalen, progressiven Spektrums ansprechen und die konservative PiS-Wählerschaft nach Möglichkeit demobilisieren.
Es ist fast unmöglich, auf alle Herausforderungen gleichermaßen gut zu reagieren. Die aktive Mobilisierung liberalerer und linker Wähler, die von Natur aus geneigt sind, für den KO-Kandidaten zu stimmen, kann gleichzeitig auch die rechte Wählerschaft der PiS mobilisieren, während der Versuch, konservativere Wähler aus kleineren Ortschaften anzusprechen, diejenigen in der Stichwahl demobilisieren kann, die im ersten Wahlgang einen linken Kandidaten unterstützen werden.
Aufgrund der sozialen Struktur der polnischen Wählerschaft (etwa 60 Prozent der polnischen Wähler leben in Städten mit bis zu 50.000 Einwohnern) werden die Präsidentschaftswahlen abseits der Metropolen entschieden. Eine großstädtische und liberale Führungspersönlichkeit wie Trzaskowski muss sich im Präsidentschaftswahlkampf um das Image eines gemäßigten, leicht konservativen Politikers mit einem guten Verständnis für die Sorgen der Wählerschaft aus kleineren Orten bemühen.
Genau das versucht Trzaskowski momentan. So begann er seinen Vorwahlkampf mit einer deutlichen Hinwendung zur gemäßigten konservativen Mitte. Seine erste Rede hielt er in Gleiwitz (Gliwice). Den größten Teil widmete er dem Bereich Sicherheit, sprach aber auch viel über Gemeinschaft, Tradition, die Interessen der polnischen Landwirte und Wirtschaftspatriotismus, den polnischen ländlichen Raum und Orte außerhalb Warschaus. Trzaskowski hob seine Kontakte zu Kommunalvertretern aus kleineren Orten hervor und betonte, dass er dank ständiger Gespräche mit ihnen weiß, wie die Probleme Polens außerhalb Warschaus aussehen. Allerdings kann das Werben um konservative Wählerkreise die progressive Wählerschaft abschrecken. Problematisch wird es dann, wenn diese Wählergruppe der Stichwahl fernbleibt. Schließlich waren es die progressiven Wähler, die am 15. Oktober 2023 der Regierungskoalition zum Sieg verholfen haben – junge Menschen, insbesondere junge Frauen. Heute ärgern sich diese Wählerinnen über ausgebliebene Reformen, etwa zum Schwangerschaftsabbruch.
Und hier kommen wir zu einer weiteren Herausforderung: die Beziehungen zur Regierung. Trzaskowski ist ein Politiker, der seit Jahren eine Schlüsselrolle in der Bürgerplattform spielt. Die Präsidentschaftswahlen könnten somit zu einem Plebiszit über die bisherige Amtszeit der Regierung werden, eine Situation, die Trzaskowski tunlichst vermeiden möchte. Ein Ausweg wäre, als Vermittler zwischen den Wählern und der Regierung aufzutreten.
Die Grundzüge seines Programms hat Trzaskowski in Gleiwitz im Dezember vorgestellt. Damals versprach er einen Kampf gegen »die größten Sünden der PiS«, nämlich die hohe Inflation, die hohen Strompreise und die Verkomplizierung des Steuersystems. Außerdem kündigte er den Bau von Energiespeichern und eine umfassende Modernisierung des Stromnetzes an. Er ist gegen das Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten und die unkontrollierte Öffnung der Grenzen für Waren aus der Ukraine oder China. Er betont, dass die Interessen der polnischen Landwirte gewahrt werden müssen. Einzelheiten will er in Kürze vorstellen. Bekannt ist, dass sich das Programm auf drei Säulen stützt: 1) Wirtschaftspatriotismus – Unterstützung polnischer Unternehmer und Abbau unnötiger Steuerbelastungen, 2) Gleichheit – Einsatz für die Rechte von Frauen und gesellschaftlichen Minderheiten, 3) Sicherheit – sowohl im wirtschaftlichen als auch im internationalen Kontext.
Karol Nawrocki
Am 24. November des vergangenen Jahres wurde IPN-Direktor Karol Nawrocki auf dem PiS-Parteikongress in Krakau (Kraków) zum Präsidentschaftskandidaten des rechtskonservativen politischen Lagers gekürt. Auch wenn er offiziell als »Bürgerkandidat« (kandydat obywatelski) firmiert, gibt es angesichts des Rahmens der Veranstaltung und der Unterstützung durch PiS-Chef Jarosław Kaczyński keinerlei Zweifel, dass es sich bei Nawrocki um den Kandidaten der bis 2023 regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit handelt. Wenngleich es anders als in der Bürgerkoalition bei der PiS keine parteiinterne Vorauswahl zur Kandidatenkür gegeben hat, konnte sich Nawrocki doch in einem wenig transparenten Auswahlprozess gegen andere namhafte Mitbewerber wie den PiS-Europaabgeordneten Tobiasz Bocheński und den früheren Bildungsminister Przemysław Czarnek durchsetzen.
Der am Wahltag 42 Jahre alte Nawrocki ist promovierter Historiker und stammt aus Danzig (Gdańsk). In der Politik ist Nawrocki bislang kaum in Erscheinung getreten und kann nur auf sehr begrenzte kommunalpolitische Erfahrung verweisen. Allerdings gilt er als glaubwürdiger Vertreter der PiS-Geschichtspolitik. Von 2017 bis 2021 stand er dem Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges als Direktor vor. Die engste berufliche Verbindung pflegt er jedoch zum Institut für Nationales Gedenken, für dessen Danziger Zweigstelle er ab 2009 tätig war und dessen Hauptsitz er seit 2021 als Direktor leitet. Nicht zuletzt aufgrund dieser Vita genießt Nawrocki Sympathien unter Vertretern des traditionalistisch-patriotischen Lagers in Polen.
Sein Programm wird Nawrocki erst Anfang März vorstellen. Aber bereits heute lassen sich die politischen Ziele des PiS-Kandidaten in ihren Grundzügen skizzieren. So strebt er eine Vergrößerung der polnischen Streitkräfte auf mindestens 300.000 Soldaten an, was die polnische Armee zur größten Landstreitmacht der Europäischen Union machen würde. Zur Bürgerkoalition um Kontrahent Trzaskowski gibt es in dieser Frage Differenzen lediglich in Bezug auf die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Des Weiteren lehnt er den EU-Migrations- und Asylpakt ab und fordert dessen Aufkündigung durch Polen. Auch hier unterscheidet er sich nur in Nuancen von der Position der Bürgerkoalition, in deren Namen Ministerpräsident und Parteichef Donald Tusk angekündigt hat, die Bestimmungen des Paktes nicht umzusetzen. Darüber hinaus verspricht Nawrocki, sich für den zügigen Bau des Großflughafens (Centralny Port Komunikacyjny – CPK) einzusetzen. Doch auch hier unterscheidet er sich nur unwesentlich vom Standpunkt der Bürgerplattform. Schließlich hatte Tusk nach langem Zögern im vergangenen Jahr letztlich grünes Licht für die Freigabe von Geldern zum Bau des Großprojekts gegeben. Zudem erklärt der Präsidentschaftskandidat der PiS, im Falle seines Wahlsieges ein Referendum über die Fortführung des europäischen Green Deal durch Polen durchführen zu wollen. Ferner hat er seine Unterstützung für die weitere Kohleverstromung bis zu einem Einstieg Polens in die Kernkraft und eine Gesetzesinitiative zur Einkommensteuerbefreiung für geleistete Überstunden in Aussicht gestellt. Außenpolitisch soll Polen in der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump erneut eine Führungsrolle in der EU für die transatlantischen Beziehungen einnehmen. Gegenüber Deutschland bekräftigt er die PiS-Forderung nach Reparationen in Höhe von 1,2 Billionen Euro.
Bei den zentralen Wahlkampfthemen unterscheidet sich Nawrocki von Trzaskowski und der Regierung Tusk eher in Detailfragen. Im weiteren Wahlkampf wird er daher sein Profil schärfen müssen, zumal er in zentralen Fragen des Wahlkampfes, wie etwa die Sicherheit in der internationalen Politik, keinerlei Erfahrung vorweisen kann.
Die Anderen: zwischen Achtungserfolg und aussichtslosem Unterfangen
Viele Wochen lang wurde der Kampf um den dritten Platz zwischen dem Sejmmarschall und Vorsitzenden der Partei Polen 2050 (Polska 2050), Szymon Hołownia, und Sławomir Mentzen, dem Kandidaten der Konföderation (Konfederacja), ausgetragen. Die jüngsten Umfragen zeigen einen deutlichen Vorsprung für Letzteren an. Sowohl die beiden als auch die übrigen Kandidatinnen und Kandidaten besitzen im Prinzip kaum eine Aussicht auf Erfolg. Ihre Kandidatur ist dennoch aus zwei Gründen relevant. Erstens, da die Wählerwanderungen zwischen den Kandidaten des ersten und des zweiten Wahlganges voraussichtlich wahlentscheidend sein werden. Zweitens, da die Kandidaten medienwirksame Achtungserfolge erzielen und damit den Grundstein für einen politischen Karrieresprung legen können und zudem, soweit sie einer Partei zuzurechnen sind, ein gutes Stimmungsbild für die aktuelle Mobilisierungskraft ihrer jeweiligen politischen Formation einfangen.
Stand heute wird Sławomir Mentzen von der rechtsextremen Konföderation den dritten Platz auf dem Podium erringen. In den Umfragen reitet er mit 16,8 Prozent Unterstützung derzeit auf einer Welle des Erfolgs. Das Abstimmungsverhalten seiner Unterstützer in der Stichwahl könnte unter diesen Umständen für den Wahlausgang entscheidend sein. Der 36-jährige Steuerberater und Doktor der Wirtschaftswissenschaften ist Vorsitzender der Partei Neue Hoffnung (Nowa Nadzieja) und Ko-Vorsitzender des Parteienbündnisses Konföderation. Seit 2023 ist er Abgeordneter des Sejm. Mentzen weiß die sozialen Medien geschickt zu nutzen und ist so etwas wie ein TikTok-Star im politischen Polen. Daneben führt er einen engagierten Wahlkampf vor Ort, in dem er bereits über hundert Städte und Gemeinden in Polen besucht hat. Wirtschaftspolitisch steht er für einen schlanken Staat und spricht sich für Deregulierung und Steuererleichterungen für Unternehmen aus. Geschichtspolitisch wirft er Deutschland eine Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges vor. Außenpolitisch ist Mentzen ein Gegner eines EU- bzw. NATO-Beitritts der Ukraine und spricht sich gegen Immigration aus afrikanischen und asiatischen Ländern nach Polen aus. Als Vorbild gilt ihm die Politik des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Im Wahlkampf kann Mentzen aktuell weitgehend ungestört agieren. Er kann Themen setzen, ohne mit allzu scharfer Kritik seiner politischen Kontrahenten rechnen zu müssen, denn sowohl Rafał Trzaskowski als auch Karol Nawrocki sehen die Konfederacja-Wähler als potenzielle Unterstützer in einer Stichwahl. Mentzens Ziele gehen jedoch über die anstehenden Wahlen hinaus. Sollte er sein starkes Umfrageergebnis am 18. Mai bestätigen können, hätte er die Konföderation als drittstärkste Kraft in der polnischen Parteienlandschaft etabliert und seinen eigenen Führungsanspruch innerhalb der Partei zementiert.
Der Aufstieg Mentzens geht einher mit dem relativen Niedergang des Shootingstars der Präsidentschaftswahlen 2020. Mit beachtlichen 13,9 Prozent der Stimmen, die ihm den dritten Platz bescherten, legte der frühere TV-Journalist Szymon Hołownia damals den Grundstein für seine weitere politische Karriere. Nach der Gründung seiner Partei Polen 2050 zog Hołownia 2023 gemeinsam mit der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) im Wahlbündnis Dritter Weg (Trzecia Droga) ins polnische Parlament ein und wurde von der neuen Regierungsmehrheit zum Sejmmarschall gewählt. Damals befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität, konnte das Unterstützungsniveau jedoch nicht halten. Hołownia steckt in einer verzwickten Lage: Selbst Teil der Regierung, kämpft er um die Stimmen derjenigen, die mit der Regierungsarbeit unzufrieden sind. Und obgleich er offizieller Präsidentschaftskandidat von Polen 2050 und der PSL ist, wird er von Letzterer kaum unterstützt. Er will ein Politiker des Aufbruchs sein, der in aller Ruhe den Wandel vollzieht, den die Weltlage ohnehin erzwingt (Klimakrise, Migrationskrise und Krieg in der Ukraine). Er will auch ein »Hüter des politischen Gleichgewichts« sein, der nicht zulassen wird, dass der Staat durch den Konflikt zwischen PO und PiS zerrissen wird. Deshalb lautet sei Wahlslogan: »Der Mensch steht an erster Stelle«. Er verspricht den Ausbau der Eisenbahn und des öffentlichen Nahverkehrs, erschwinglichen Wohnraum, die Beseitigung rechtlicher Absurditäten, Anreize für diejenigen, die in erneuerbare Energien investieren, eine Reform des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS 2) und Ordnung in den Vorstandsetagen der staatlichen Unternehmen. Seine Themen fokussieren die Wirtschaft, und seine Kampagne konzentriert sich, genauso wie bei den drei oben beschriebenen Kandidaten, auf kleinere Städte.
Die Neue Linke (Nowa Lewica) als kleinste Partei der aktuellen Regierungskoalition schickt mit der Vizemarschallin des Senats, Magdalena Biejat, die einzige Frau ins Rennen um das höchste Amt im Staat. Ihr Auftrag ist klar. Sie soll der seit Monaten in den Umfragen schwächelnden Partei zu neuem Schwung verhelfen und tunlichst eine ähnlich herbe Wahlschlappe wie vor fünf Jahren vermeiden, als der Linken-Kandidat Robert Biedroń gerade einmal 2,2 Prozent der Stimmen erringen konnte. Die 43-jährige Biejat war vier Jahre Abgeordnete des Sejm, bevor sie 2023 erfolgreich für den Senat kandidierte, dem sie seitdem als Vizemarschallin vorsteht. Zu ihren programmatischen Forderungen zählen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche, die Verabschiedung einer LGBT+-Charta und die Rücknahme der von der Regierung Tusk geplanten Verschärfungen in der Migrationspolitik, insbesondere die anvisierte zeitweise Aufhebung des Asylrechts.
Zu den bekannteren Gesichtern der übrigen Kandidaten zählen der Sejmabgeordnete Adrian Zandberg von der linken Partei Gemeinsam (Razem), der durch rechtsextreme und antisemitische Aktionen auffallende Europaabgeordnete Grzegorz Braun, der über die PiS-Liste ins Parlament eingezogene Marek Jakubiak sowie der Internet-TV-Macher Krzysztof Stanowski, der ebenfalls dem rechten Spektrum zuzuordnen ist. Sie alle werden versuchen, den Wahlkampf als politische und persönliche Bühne zu nutzen, können am Wahltag jedoch lediglich auf Ergebnisse im unteren einstelligen Prozentbereich hoffen.
Die Themen im Wahlkampf
Wie in anderen Ländern, so hat sich auch in Polen die politische Debatte zuletzt nach rechts verschoben. Laut einer Umfrage der Wochenzeitschrift Polityka werden traditionell linke Anliegen wie die Abtreibungsfrage nur noch von 17 Prozent der Befragten als vorrangiges Thema benannt. Noch dahinter liegen Themen wie Naturschutz und Klimawandel (elf Prozent) und die Bedürfnisse der Arbeiterklasse (zehn Prozent). Auch die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit im Land und die Beziehungen Polens zur EU werden gerade einmal von 20 Prozent der Befragten als Priorität gesehen. Stattdessen sind die zentralen Themen in den Augen der polnischen Wählerschaft Fragen der Sicherheit (59 Prozent), gefolgt von Wirtschaft (52 Prozent), Gesundheitssystem (49 Prozent) sowie Inflation und Lebenshaltungskosten (38 Prozent).
Insbesondere in den vergangenen Wochen hat sich die Ukraine zunehmend als zentrales Thema des Wahlkampfes herauskristallisiert. Nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 reagierte die polnische Gesellschaft mit einer Welle der Solidarität auf die Millionen ukrainischer Flüchtlinge, die vor dem Krieg nach Polen geflohen waren. Zudem war Polen von Beginn an einer der wichtigsten Lieferanten von Waffen und humanitären Gütern an den östlichen Nachbarn und ein früher Fürsprecher einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO und der Europäischen Union. Die Unterstützung der Ukraine galt als parteiübergreifender Konsens und selbst die rechtsextreme Konföderation fuhr ihre antiukrainische Rhetorik zurück, um nicht die Gunst der polnischen Wählerschaft zu verlieren. Die allgemeine Stimmungslage änderte sich 2023, als sich im Zuge des Getreidestreits (Proteste und Blockade der Grenzübergänge zwischen Polen und der Ukraine durch Landwirte aufgrund eines unkontrollierten Zustroms von Getreide aus der Ukraine, der die Konkurrenzfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion in Polen in Frage stellte) die polnisch-ukrainischen Beziehungen einzutrüben begannen. Der damalige PiS-Ministerpräsident Mateusz Morawiecki stellte die Fortführung der polnischen Waffenlieferungen in Frage und brach mit dem bisherigen Konsens einer bedingungslosen Unterstützung der Ukraine. Damit bediente er nicht zuletzt die Befindlichkeiten des eigenen Wählerklientels. Die PiS genießt große Unterstützung gerade in den ländlichen Gebieten Polens, deren Bevölkerung die ukrainische Landwirtschaft immer mehr als Konkurrentin und Bedrohung wahrnimmt. Zudem gibt es gerade im rechtskonservativen und nationalistischen politischen Spektrum Polens weitverbreitete historisch begründete Vorurteile gegenüber der Ukraine, insbesondere aufgrund des sogenannten Wolhynien-Massakers von 1943.
Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf griff PiS-Kandidat Nawrocki diese Ressentiments auf. Bereits zu Beginn dieses Jahres ließ er verlauten, er könne sich eine Mitgliedschaft der Ukraine in EU und NATO nicht vorstellen, solange »zivilisatorische Verpflichtungen« wie die Zustimmung der Ukraine zur Exhumierung der polnischen Opfer des Wolhynien-Massakers nicht erfüllt seien. Andererseits zeigt sich Nawrocki grundsätzlich als Unterstützer der Ukraine. So befürwortete er im Februar die Beteiligung der Ukraine (und auch Polens) an Friedensgesprächen, sprach sich jedoch gleichzeitig gegen eine Entsendung polnischer Truppen zur Überwachung eines möglichen Waffenstillstandes aus.
Auch sein Hauptkontrahent Trzaskowski konnte sich dem Thema Ukraine nicht entziehen. Zwar kritisierte der Warschauer Stadtpräsident die Aussagen Nawrockis und stellte fest, dass man die EU- und NATO-Perspektive der Ukraine nicht in Frage stellen dürfe. Allerdings konnte auch Trzaskowski der populistischen Versuchung nicht widerstehen, als er wenige Wochen später forderte, Ukrainern in Polen, die keiner Beschäftigung nachgehen, den Bezug des Familiengelds »800 plus« zu versagen.
Auch außenpolitisch markiert die Ukraine die Sicherheit als zentrales Thema des laufenden Wahlkampfes, das mit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch US-Präsident Donald Trump noch einmal enorm an Dynamik hinzugewonnen hat. Insbesondere das Telefonat zwischen Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin am 12. Februar sowie das folgende Treffen von Vertretern beider Länder in Saudi-Arabien, ohne Beteiligung der Ukraine wie der Europäer, hat auch in Polen die Alarmglocken schrillen lassen. Rafał Trzaskowski betonte zunächst die zentrale Rolle der USA für Polens Sicherheit und bekräftigte seine Absicht, auch zu Trump gute Beziehungen pflegen zu wollen. Nach dem Trump-Putin-Telefonat stellte Trzaskowski jedoch klar, dass die Ukraine an Friedensverhandlungen beteiligt werden müsse. Ein Friedensschluss zu Russlands Bedingungen würde ihm zufolge eine Schwächung der Sicherheit Polens, Europas, aber auch der Vereinigten Staaten zur Folge haben. Zudem erteilte Trzaskowski der Forderung nach einer Entsendung polnischer Truppen zur Absicherung eines zukünftigen Waffenstillstandes in der Ukraine eine Absage.
Auch PiS-Kandidat Karol Nawrocki vermag von den grundsätzlich guten Beziehungen seiner Partei zu Trumps Republikanern bislang kaum zu profitieren. Galt Polen während Trumps erster Amtszeit noch als wichtiger Verbündeter des US-Präsidenten in seiner Auseinandersetzung mit der EU und Mitgliedstaaten wie Deutschland, scheint Polen heute als Partner für die USA zunehmend entbehrlich zu werden. Davon zeugt das Treffen des noch amtierenden Präsidenten Andrzej Duda am 22. Februar, das dem Vernehmen nach kaum zehn Minuten dauerte. Angeblich soll Trump einem Besuch in Polen jedoch aufgeschlossen gegenüberstehen. Nawrocki stimmt mit Trump und US-Vizepräsident J.D. Vance in ihrer antiliberalen Kritik (des westlichen) Europas grundsätzlich überein, wie er auch die äußerst kritische Haltung des US-Präsidenten gegenüber dem ukrainischen Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj im Wesentlichen teilt. Gleichzeitig unterstreicht auch Nawrocki, dass es keinen russisch-amerikanischen Deal über die Köpfe der Ukraine (wie auch der Europäer) hinweg geben dürfe. Hier tut sich die gleiche Kluft auf, wie sie in der Vergangenheit bereits zwischen dem PiS-Lager und anderen rechtspopulistischen Kräften in Europa zutage getreten ist: So einig man sich in der Kritik des traditionsvergessenen Liberalismus der Europäischen Union ist, so uneinig ist man in Sachen Russland, das auch und vor allem für die PiS eine zentrale Bedrohung für die staatliche Souveränität Polens darstellt.
Derzeit deutet viel darauf hin, dass das Thema Sicherheit weiterhin das Topwahlkampfthema bleiben wird, gerade weil Polen hier stark von internationalen Entwicklungen abhängig ist, auf die es wenig bis gar keinen Einfluss nehmen kann. So wird nicht zuletzt der weitere Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine darüber entscheiden, ob andere wichtige Themen wie die Inflation, gepaart mit steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel, noch eine entscheidende Rolle in diesem Wahlkampf spielen werden.
Umfragewerte
Blickt man auf die Meinungsumfragen, dann gilt Rafał Trzaskowski als eindeutiger Favorit. So würde der Kandidat der Bürgerkoalition nicht nur den ersten Wahlgang klar für sich entscheiden (in verschiedenen Umfragen erhielt er zwischen 31 und 37 Prozent), sondern auch in einer wahrscheinlichen Stichwahl in drei verschiedenen Szenarien (gegen Nawrocki, Mentzen sowie Hołownia) den Sieg davontragen. Das zweitbeste Ergebnis erzielt Karol Nawrocki (22 bis 29 Prozent), der in den letzten Wochen zunehmend Boden gutgemacht hat. Die aggregierten Umfragen vom Januar im Vergleich zu den Umfragen vom Dezember und November zeigen, dass der Vorsprung Trzaskowskis gegenüber Nawrocki sowohl im ersten als auch im zweiten Wahlgang kleiner geworden ist. In den Umfragen der ersten Runde liegt er im November bei durchschnittlich 17,7 Prozentpunkten, im Dezember bei 10,9 und im Januar bei 9,3 Prozentpunkten, wobei Trzaskowski eher leicht verliert als dass Nawrocki zulegt.
Mit Beginn des Wahlkampfes hat Nawrocki natürlich größere Bekanntheit erlangt, gerade auch unter den PiS-Wählern. Fraglich bleibt hingegen, ob es Nawrocki gelingen wird, über das PiS-Lager hinaus Wähler anzusprechen, zumal seine Umfragewerte derzeit unterhalb derer der PiS (ca. 30 Prozent) rangieren.
Das drittbeste Ergebnis – zwischen 9 und 17 Prozent – erreicht aktuell Sławomir Mentzen. Sein Erfolg nährt erste Spekulationen, wonach er Nawrocki überholen und in die Stichwahl einziehen könnte. Dies wäre natürlich ein Alptraum für PiS-Chef Jarosław Kaczyński, der jegliche Konkurrenz im rechten politischen Spektrum Polens um jeden Preis verhindern will.
Die Unterstützung für die übrigen Kandidaten ist entsprechend gering: Zwischen fünf und neun Prozent der Befragten erklärten, für Hołownia zu stimmen, drei Prozent für Braun, weitere zwei Prozent für Biejat und zwei Prozent für Zandberg. Vor allem die sehr niedrigen Werte für Hołownia, Biejat und Zandberg werfen die Frage auf, ob sie sich vorzeitig zugunsten einer Unterstützung für Trzaskowski aus dem Rennen zurückziehen werden.
Die Wahlbeteiligung wird Umfragen zufolge zwischen 62 Prozent und 87 Prozent liegen. Gerade die Nichtwähler und diejenigen, die sich noch nicht für einen Kandidaten entschieden haben, könnten am Ende für das Wahlergebnis ausschlaggebend sein.
Fazit
Im Mai 2025 werden die Polen wieder zur Wahl gehen. Nach der Begeisterung am Wahltag im Oktober 2023, als eine Rekordzahl von 74 Prozent der Polen zur Wahlurne ging, fanden die Kommunalwahlen im April und die Europawahlen im Juni 2024 statt. Die Begeisterung für die Erfüllung der Bürgerpflicht und die Mitsprache bei der Gestaltung der Zukunft Polens hält sich deshalb in Grenzen. Stattdessen hat sich eine gewisse Wahlmüdigkeit breit gemacht. Zahlreiche Wähler der derzeitigen Regierungskoalition sind enttäuscht und finden, dass sich mehr als ein Jahr nach der Wahl zu wenig geändert hat. Die Erwartungen an einen schnellen und radikalen Kurswechsel haben sich nicht erfüllt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie unter den gegebenen Umständen nicht erfüllt werden konnten: Am Ende eines jeden Gesetzgebungsverfahrens steht Präsident Andrzej Duda, der mit der Verweigerung seiner Unterschrift politische Reformen blockieren kann und dies auch tut. Koalitionspolitiker und Experten sagen daher ganz klar, solange es keinen Wechsel im Präsidentenpalast gibt, sind Reformen nicht möglich. Das Bewusstsein für diese Tatsache ist aber bei einem Teil der Wählerschaft der Regierung nicht sehr ausgeprägt. Die Koalition hat ihren hohen Stimmenanteil 2023 vor allem dank der Wahlbeteiligung derjenigen erreicht, die normalerweise nicht wählen gehen – und sich daher, so kann man annehmen, auch nicht für die Funktionsweise von Politik interessieren. Für ihre »Mühe« des Wählens erwarten sie oft schnelle und konkrete Veränderungen, die ihnen die aktuelle Regierung nicht bieten kann. Neben den Vetos des Präsidenten ist das Kabinett Tusk auch mit der Herausforderung konfrontiert, innerhalb einer sehr breiten Koalition zu arbeiten. Dies macht es nicht leicht, Kompromisse zu finden und letztendlich Reformen durchzuführen, insbesondere hochumstrittene wie das Abtreibungsrecht oder die Einführung von Lebenspartnerschaften. Daher ist die Blockade des Präsidenten manchmal sogar eine gute Ausrede für die Regierung. Hinzu kommt die wirtschaftliche Lage, die zwar viel besser ist als zum Beispiel in Deutschland, aber in den Augen der Bürger doch nicht zufriedenstellend (hohe Preise und eine schlechtere Lage auf dem Arbeitsmarkt als bisher).Zwar lässt sich das nicht mit Zahlen belegen (ca. vier Prozent Inflation und fünf Prozent Arbeitslosigkeit), aber entscheidend sind hier nicht die Fakten, sondern die subjektive Wahrnehmung. Die Stimmung in der Bevölkerung wird daher im Mai, wenn die Wahlen stattfinden, von entscheidender Bedeutung sein. Die PiS wird versuchen, diese Wahl als Referendum über die Regierungskoalition zu inszenieren.
Beide politischen Lager motivieren daher ihre Stammwählerschaft und potenziellen Wähler erneut mit Slogans, die darauf hinweisen, dass diese Wahl fundamental über die Zukunft Polens entscheiden wird – Stärkung der derzeitigen Regierung versus Rückkehr der PiS. Bei der Regierungskoalition stellt sich also die Frage, ob diese Motivation wieder einen ähnlich großen Teil der Wählerschaft überzeugen wird wie im Jahr 2023. Auf der Seite von Recht und Gerechtigkeit wird es interessant sein zu beobachten, wie sich die Tatsache auswirkt, dass es kein Instrument in Form der öffentlich-rechtlichen Medien mehr gibt, um die Wähler zu erreichen. Es ist auch ungewiss, inwieweit die Informationen über die zahlreichen aufgedeckten Skandale der PiS-geführten Regierungen deren Wähler erreichen. Es gibt also viele Faktoren, die für das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen entscheidend sein werden: das Profil des Kandidaten selbst, die Einzelheiten des Wahlkampfes und die internationale Lage. Und vielleicht noch die eine oder andere Unbekannte, die wir noch gar nicht auf dem Zettel haben.
Der Text wurde am 25. Februar abgegeben. Um die aktuellen Kommentare und Fakten zum Thema polnischer Wahlkampf zu kennen, laden wir ein, der Blogreihe des Deutschen Polen-Instituts »Showdown in Warschau« zu folgen. (https://www.deutsches-polen-institut.de/blogpodcast/blog/)