Das Rentensystem in Polen – Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft

Von Janina Petelczyc (SGH Warsaw School of Economics, Warschau)

Zusammenfassung
Der Text analysiert die grundlegenden Herausforderungen, vor denen das polnische Rentensystem angesichts der alternden Gesellschaft und der Renten-Beitragszusage (defined conribution; die vollständige Abhängigkeit der Rentenhöhe von den individuellen Beitragszahlungen) steht. Dargestellt wird, wie seit 2007 die Regierungen auf die größten Probleme reagieren. Dazu gehören das niedrige Renteneintrittsalter (Frauen 60, Männer 65 Jahre) und die große Anzahl sozialversicherungsfreier Beschäftigungsverträge auf dem Arbeitsmarkt.

Das Rentensystem in Polen

Wie andere Länder der Region und der gesamte globale Norden beginnt Polen, sich mit dem fortschreitenden Prozess der alternden Gesellschaft auseinanderzusetzen. Der Anteil der Menschen im Rentenalter steigt, während der Anteil derer, die arbeiten können, infolge der niedrigen Geburtenrate zurückgeht. Diese Situation erfordert eine verantwortungsvolle, langfristige Arbeitsmarkt-, Sozialversicherungs- und Migrationspolitik. Es scheint allerdings, dass die Regierungen eher die kurzfristige Perspektive der Wahlperiode fokussieren als längere Zeiträume über Generationen hinweg. Im Folgenden werden die Herausforderungen in den Blick genommen, die sich dem allgemeinen Rentensystem in Polen stellen, das von der Sozialversicherungsanstalt (Zakład Ubezpieczenia Społecznego – ZUS) getragen wird und knapp 17 Millionen Versicherte zählt. Daneben gibt es das Sozialversicherungssystem der Bauern und das Versorgungssystem für die Beschäftigten der »uniformierten Dienste« (Armee, Polizei, Feuerwehr), welche zwar deutlich kleiner, aber ebenfalls reformbedürftig sind.

Um das polnische Rentensystem zu verstehen, muss man in das Jahr 1999 zurückgehen. Damals wurde die bisher größte Reform durchgeführt, deren Folgen heute sichtbar zu werden beginnen. Das Ziel der Reform war es, eine Antwort auf die sich abzeichnenden demographischen Probleme zu geben, die die Gesetzgeber damals erkannt hatten. Der wichtigste Ansatz war, vom System der »Leistungszusage« (defined benefit) zum System der »Beitragszusage« (defined contribution) überzugehen. Ersteres bedeutet, dass dem Arbeitnehmer eine der Höhe nach festgelegte Rentenleistung garantiert wird. Im System der »Beitragszusage« bestimmen die eingezahlten Beiträge die Höhe der späteren Rentenzahlungen. Hier wird das Risiko vom Versicherungsträger auf den Versicherten übertragen. Das frühere System der »Leistungszusage« war dagegen eine Minimalgarantie. Es war deutlich vorteilhafter für den Versicherten. Wenn er das Renteneintrittsalter erreicht hatte, erhielt er eine Rentenleistung, die sich aus den Beiträgen der ausgewählten vorteilhaftesten Arbeitsjahre zuzüglich einem Basisanteil (24 Prozent des Durchschnittseinkommens im Vorjahr des Renteneintritts) zusammensetzte. Bei denjenigen allerdings, die nach dem 31.12.1998 in den Arbeitsmarkt eintraten, greift eine vollkommen andere Berechnungsmethode. Das angehäufte und valorisierte Kapital der gezahlten Beiträge wird addiert und durch die Anzahl der Monate der zukünftigen Lebenserwartung dividiert. Die Tabellen für jeden Geburtsjahrgang und Monat (gemittelt für beide Geschlechter) erstellt das Statistische Hauptamt (Główny Urząd Statystyczny – GUS). Im Jahr 2024 beispielsweise wurde das Kapital einer Person, die mit 60 Jahren in Rente geht, durch 264,2 Monate geteilt; trat man mit 65 Jahren in die Rente ein und hatte also fünf Beitragsjahre mehr und ein höheres Kapital, wurde es durch weniger, und zwar 218,9 Monate dividiert. Prognosen zeigen, dass die Versicherungsanstalt ZUS zahlungsfähig bleibt, sich also angehend selbst finanzieren wird, trotz einer größeren Anzahl von Menschen im Rentenalter, die jedoch geringere Rentenzahlungen in Kauf nehmen müssen. Im Ergebnis wird Polen Daten der Europäischen Kommission zufolge die Ausgaben für die Rente in den kommenden Jahren nicht wesentlich erhöhen (siehe Tabelle 1, Rubrik »Statistik«). Der einzige Anstieg bei den Ausgaben betrifft die Grundrente. Diese Leistung steht allen Menschen zu, die 20 Jahre (Frauen) bzw. 25 Jahre (Männer) Rentenbeiträge gezahlt haben, aber dabei nicht so viel Kapital angehäuft haben, dass es für die Auszahlung der Grundrente reichen würde. Hier zahlt der Staat die Differenz. Im Laufe der Zeit wird die Rentenzahlung im Verhältnis zum letzten Gehalt drastisch sinken, d. h. der Wert der Rente in Relation zum letzten Gehalt (siehe Tabelle 1, Rubrik »Statistik«). Dies ergibt sich aus dem Modell der »Beitragszusage«, das in einem Land angewendet wird, in dem die Arbeitsmarktpolitik immer noch relativ unreguliert ist: Viele Menschen arbeiten auf der Grundlage von Verträgen, die geringe oder gar keine Rentenbeiträge vorsehen; insbesondere Anfang des 21. Jahrhunderts kam es häufig zu Unterbrechungen des Arbeitslebens aufgrund von Arbeitslosigkeit; viele Personen, v. a. Frauen, scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus, weil sie sich um Kinder oder ältere Menschen kümmern; hinzu kommt, dass das Renteneintrittsalter relativ niedrig ist, insbesondere für Frauen. Mit diesen Problemen kämpfen die aufeinander folgenden Regierungen, eine deutliche Verbesserung und ein Kurswechsel sind jedoch nicht zu erkennen.

Die erste PO-PSL-Regierung (2007–2015)

Um die Herausforderungen des Rentensystems im Jahr 2025 zu verstehen, müssen die wegweisenden Entscheidungen einbezogen werden. Die erste Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk, eine Koalition aus Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Polnischer Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL), hat viele mutige Reformen durchgeführt, die langfristig gesehen die Höhe der Rentenzahlungen steigen lassen konnten. Zu den wichtigsten gehörte die Anhebung des Renteneintrittsalters. Bis zum Jahr 2040 sollte es in einem langfristigen Prozess auf 67 Jahre für sowohl Frauen als auch Männer angehoben werden, indem die Altersgrenze um jeweils einen Monat pro Quartal stieg. Demnach waren die ersten Frauen, die mit 67 Jahren in Rente gehen sollten, zum Zeitpunkt der Rentenreform 39 Jahre alt. Die Reform stieß jedoch auf großen gesellschaftlichen Widerstand und Proteste der Gewerkschaften – und die Regierung von Donald Tusk ist praktisch nicht in einen Dialog mit der Gesellschaft eingetreten. Die Reform wurde auch nicht von weiteren wichtigen Aspekten begleitet – es wurden keine Maßnahmen eingeführt, welche die Anstellung älterer Arbeitnehmer erleichtert hätten, es wurden keine Programme zur Gesundheitsprophylaxe entwickelt ebenso wenig wie Fortbildungsprogramme für Arbeitnehmer. Die fehlende Bereitschaft, einen Dialog zu führen und die Rentenreform mit Reformen in anderen Bereichen zu unterstützen, haben die Oppositionsparteien ausgenutzt. Der damalige Präsidentschaftskandidat aus dem Umfeld von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), Andrzej Duda, gab als Wahlversprechen, das Renteneintrittsalter zu senken, was offenkundig ein attraktives Versprechen war.

Die PiS-Regierung (2015–2024)

Aus wirtschaftlich-gesellschaftlicher Perspektive, d. h. mit Blick auf die Rentenhöhe künftiger Rentner, war der größte Fehler der PiS, die Reformen der Regierung Tusk zurückzunehmen und das Renteneintrittsalter wieder zu senken. Aktuell beträgt es 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer. Polen ist damit das Land mit dem niedrigsten Renteneintrittsalter für Frauen in der Europäischen Union. Wie bereits erläutert, verringert ein niedriges Renteneintrittsalter im System der Beitragszusage die Rentenzahlung. Zurzeit gibt es immer noch viele Rentner aus dem sogenannten alten System (die vor 1999 erwerbstätig waren), d. h. die Folgen der Rückkehr zum niedrigeren Renteneintrittsalter waren nicht sogleich in großem Ausmaß spürbar. Allerdings werden die Probleme im Laufe der Zeit zunehmen. Zum einen haben Frauen, die ohnehin niedrigere Einkommen und mehr Unterbrechungen im Berufsleben aufweisen, zusätzlich fünf Jahre weniger Zeit, Kapital anzuhäufen, das wiederum auf einige Dutzend Monate mehr verteilt wird. Diese Differenz wird dazu führen, dass sich die Altersarmut von Rentnerinnen vergrößert. Zum anderen können sich auch die Männer diskriminiert fühlen. Sie leben kürzer, müssen aber fünf Jahre länger arbeiten als Frauen. Es ist ganz offensichtlich, dass Frauen deutlich mehr Sorgearbeit und unentgeltliche Hausarbeit ausüben, aber anstatt ein partnerschaftliches Modell anzustreben, senkte die damalige Regierung das Renteneintrittsalter (und somit die Rentenzahlungen) und sprach dabei von der »Aktivierung der Fürsorge der Großmütter«, wie es die damalige Ministerin für Sozialpolitik, Elżbieta Rafalska, formulierte. Die Idee der Regierung war also, dass die Frauen im Alter von 60 Jahren in Rente gehen können sollten, um sich um die Enkelkinder zu kümmern (von denen es im Übrigen immer weniger gibt).

Im Laufe der Regierungszeit der PiS waren die Probleme der Reform von 1999 allerdings schon deutlich zu erkennen, denn im Rentensystem begannen zunehmend Personen eine Rolle zu spielen, die den größten Teil ihrer Berufstätigkeit nach 1998 ausgeübt hatten. Ihre Rentenzahlungen sind deutlich niedriger – wohingegen es in der Personengruppe, die ihre Rente nach dem alten System bezieht, schlechterdings keine sehr niedrigen Rentenbeträge gibt (siehe Grafik 1, Rubrik »Statistik«). Ein zweites Problem, das von Jahr zu Jahr immer größer wird, ist die steigende Anzahl von Personen, die nicht einmal das Recht auf die Grundrente haben. Wie bereits dargestellt, sind dies Menschen, die ein zu geringes Kapital angehäuft haben, so dass sie sich keine Rentenleistung erarbeitet haben. Sie haben auch nicht die erforderlichen Beitragsjahre erreicht (20 Jahre bei Frauen, 25 Jahre bei Männern), die zur Folge hätten, dass der Staat ihnen eine Zufinanzierung zur Rente gibt. Es geht hier um Menschen, die jahrelang beitragsfreie Verträge hatten, deren Erwerbsleben unterbrochen war oder die von Arbeitslosigkeit betroffen waren (besonders verbreitet vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union). Weiter sind diejenigen betroffen, die nicht gearbeitet haben, weil sie beispielsweise ihr Leben lang Hausfrau waren. Nicht alle von ihnen sind arm; ein Teil lebt in Familien, zum Beispiel mit einem Partner, der immer für die finanziellen Angelegenheiten zuständig war, oder sie leben von Ersparnissen. Jedoch ist das Armutsrisiko in dieser Gruppe sehr hoch und die Anzahl der betroffenen Personen und der Faktor Zeit wachsen fast exponentiell (siehe Grafik 2, Rubrik »Statistik«).

Die Antwort der PiS auf die Probleme im Zusammenhang mit den niedrigen Renten war, zunächst eine dreizehnte und später auch eine vierzehnte Rentenzahlung einzuführen. Das sind Zahlungen ungefähr in Höhe der Grundrente, die jedem Rentner zuerkannt werden. Bei der vierzehnten Monatsrente wurde ein Einkommenskriterium eingeführt, das die volle Auszahlung auf die weniger vermögenden Rentenbezieher beschränkt. Die komplette Summe erhielten Personen mit einer Rente bis zu 2.900 Zloty brutto (ca. 690 Euro); bei Renten ab 2.900 Zloty wurde die Auszahlung auf 4.630 Zloty (ca. 1.105 Euro) gedeckelt und bei Monatsrenten, die mehr als 4.630 Zloty betragen, gab es keine vierzehnte Rentenzahlung. Es ist allerdings festzuhalten, dass diese vom Sozialversicherungssystem losgelöste Maßnahme nach eigenem Ermessen der Regierungspartei – häufig vor Wahlen – eingesetzt wurde. Es scheint sich also nicht um eine systemische Antwort auf Probleme des Rentensystems und der wachsenden Altersarmut zu handeln.

Positiv zu bewerten sind allerdings die unter der PiS-Regierung eingeführten Arbeitnehmer-Rentenprogramme (Pracownicze Programy Emerytalne – PPE). Dies ist eine zusätzliche Säule im Rentenversicherungssystem, die von den Arbeitgebern organisiert wird. In Polen gab es sie bereits seit 2004, sie waren jedoch nicht sehr beliebt und nur knapp drei Prozent der Arbeitnehmer nahmen sie in Anspruch. Die PiS-Regierung nutzte dann ein Instrument der behavioristischen Ökonomie und führte u. a. das sogenannte automatic enrolement ein: Jeder Arbeitnehmer gehört automatisch zu einem Programm. Wenn er es nicht in Anspruch nehmen will, muss er eine entsprechende Erklärung unterschreiben und abgeben. Die Mittel werden am Kapitalmarkt investiert und zwar in der Art, dass das Investitionsrisiko für Personen, die auf den Renteneintritt zugehen, minimiert wird. Die PPE erfreuten sich nicht so großer Beliebtheit, wie die Regierung angenommen hatte – u. a. weil es an Vertrauen in die Regierung und Institutionen fehlte –, inzwischen gehören ihnen jedoch 30 Prozent der Arbeitnehmer an, Tendenz steigend. Das ermöglicht Millionen Menschen, zusammen mit dem Arbeitgeber zusätzliche Mittel für die Altersversorgung zurückzulegen, welche die wahrscheinlich niedrigen Auszahlungen der Sozialversicherungsanstalt ergänzen. Der Nachteil der PPE ist allerdings, dass die Beiträge nicht bis zum Lebensende gezahlt werden, sondern nur solange, bis das Kapital ausgeschöpft ist (ca. zehn Jahre). Wenn also die persönlichen Ausgaben später im höheren Alter steigen, können die monatlich zur Verfügung stehenden Mittel deutlich weniger sein.

Die Zeit der PiS-Regierung war auch eine Zeit, in der insbesondere ab 2017 immer mehr Migranten nach Polen kamen, v. a. aus der Ukraine. Polen wandelte sich allmählich vom Auswanderungsland zu einem Land, das immer mehr Menschen aus dem Ausland aufnimmt. Dies verbesserte deutlich sowohl die Lage der Sozialversicherungsanstalt, da mehr Personen Beiträge einzahlen, als auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt (siehe Grafik 3, Rubrik »Statistik«). Zurzeit stellen Migranten mehr als sieben Prozent aller bei der Sozialversicherungsanstalt Versicherten. Am Anfang der Regierungszeit der PiS waren es knapp ein Prozent.

Die zweite Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk ab 2024

Nach dem Wahlerfolg der demokratischen Opposition im Oktober 2024, die eine Regierung aus Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO), Dritter Weg (Trzecia Droga) und die Linke (Lewica) gebildet hat, wurden viele Veränderungen im Sozialversicherungssystem angekündigt. Allerdings sprach kein Politiker laut über das Thema einer neuen Anhebung des Renteneintrittsalters. Vielmehr melden sich in der Diskussion über die Angleichung des Rentenalters von Frauen und Männern Regierungsmitglieder zu Wort, die von einer Anpassung »nach unten« sprechen, d. h. von einer Senkung des Renteneintrittsalter der Männer – allerdings sind das wohl eher medienwirksame Aussagen als realistische Vorschläge für Gesetzesänderungen. Dies lässt sich mit Sicherheit auf Umfragen zurückführen, die zeigen, dass die Menschen gegen eine Anhebung des Renteneintrittsalters sind. Ein weiterer Grund wird die in der Vergangenheit gemachte Erfahrung sein, als die Anhebung als eine der Ursachen für die Wahlniederlage der liberalen Koalition im Jahr 2015 identifiziert wurde. Es geht hier also darum, dass mutige Politiker fehlen, die bereit wären, eine für die Höhe zukünftiger Rentenzahlungen wesentliche – wenn auch unpopuläre – Entscheidung zu treffen.

Es ist sehr schwierig, die aktuelle Regierungskoalition zusammenzuhalten, denn sie besteht aus Liberalen, Konservativen (mit extrem wirtschaftsliberalen Einstellungen) und Linken. Die von ihnen eingeführten Änderungen versuchen eher, die auftretenden Löcher im System zu stopfen, als dass über eine systemische Reform sowohl der Rente als auch des Arbeitsmarktes nachgedacht würde. Vermutlich handelt es sich hier um ein Problem, mit dem auch andere Länder zunehmend konfrontiert sind – die »Umfragedemokratie«. Die Polen sprechen sich in Umfragen gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters aus, gleichzeitig wächst die Ablehnung gegenüber Migranten und nimmt das Vertrauen in die Institutionen ab – und in diesem Geiste werden Änderungen eingeführt oder auch nicht.

Das Flaggschiff und eines der wichtigsten Vorhaben in der Senioren- und Rentenpolitik der aktuellen Regierungskoalition ist die Einführung einer neuen Rentenart, der sogenannten Witwenrente, die ab Juli 2025 ausgezahlt werden soll. Seit den 1950er Jahren gibt es bereits die Familienrente (und auch vor dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Rente ausgezahlt, wenn der Ernährer der Familie verstorben war). Die Familienrente lässt eine Wahlmöglichkeit zu: Entweder wird die eigene Rente oder es werden 85 Prozent der Rentenzahlungen des/der Verstorbenen in Anspruch genommen (bzw. 90–95 Prozent, wenn noch Kinder in der Ausbildung unterhalten werden). Die Witwenrente erweitert dagegen die Rentenzahlung und garantiert eine Kombinationsmöglichkeit: 100 Prozent der eigenen Rente und 15 Prozent der Rente des/der Verstorbenen oder 15 Prozent der eigenen Rente und 100 Prozent des/der Verstorbenen. In den kommenden Jahren soll die Summe auf 150 Prozent erhöht werden. Die Statistiken zeigen, dass in der Regel die Frauen die Witwenrente nutzen werden, da Männer statistisch gesehen kürzer leben, und dass sie häufiger 100 Prozent der Rente des verstorbenen Ehemanns in Anspruch nehmen werden, da ihre eigene Rente niedriger ausfällt. Im Jahr 2024 war die Durchschnittsrente einer Rentnerin um ca. ein Drittel niedriger als die der Männer (die Rentenlücke beträgt laut Durchschnittswerten 32 Prozent). Die Witwenrente, die plakativ als »Hilfe für die arme Witwe« dargestellt wird, ist sicherlich eine Antwort auf die gesellschaftliche Stimmung – aus der Perspektive der Sozialversicherung ist sie allerdings nicht notwendig, weil es ja schon die Familienrente gibt. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass die Mehrheit der Witwen und Witwer im Falle des Todes des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin ausreichend abgesichert ist und über das häufig gemeinsam erwirtschaftete Eigentum in Form einer Wohnung verfügt – sie sind also nicht in besonderem Maße armutsgefährdet. Darüber hinaus wird die Witwenrente nur verheirateten Personen zuerkannt, aber nicht mehr im Falle einer Scheidung. Wenn die betreffende Person wieder heiratet, erhält der/die neue Ehepartner/in das Recht auf Witwenrente. Des Weiteren wurde keine Proportionalität eingeführt, d. h. die Dauer der bestehenden Ehe wird nicht mitberücksichtigt.

Eine Herausforderung, auf die die aktuelle Regierung nicht nur keine Antwort gibt, sie vielmehr noch vergrößert, ist der wachsende Anteil von Selbständigen am Arbeitsmarkt. Untersuchungen auf der Basis der European Working Condition Surveys bestätigen, dass Polen zu den EU-Staaten mit einem der höchsten Anteile der sogenannten Scheinselbständigkeit gehört. Sehr häufig bevorzugen Arbeitgeber einen beitragsfreien Beschäftigungsvertrag, um die Arbeitskosten zu optimieren. Die Untersuchungen zeigen, dass Selbständige, die durchschnittlich doppelt so hohe Einnahmen wie Personen mit einem Arbeitsvertrag haben, durchschnittlich nur halb so viele Abgaben zahlen. Nach fünfeinhalb Jahren Vergünstigungen wird eine Pauschalabgabe erhoben: Unabhängig von den erzielten Einnahmen wird sie von 60 Prozent des landesweiten Durchschnittseinkommens bezahlt, d. h. von einer Summe, die nur zehn Prozent höher ist als der Mindestlohn. Im Ergebnis zahlen Personen mit höherem Einkommen weniger in das System ein und der Staat wird in Zukunft Zuzahlungen zu ihrer Grundrente tätigen, denn das angehäufte Rentenkapital wird nicht ausreichen, um eine Rente über dem Grundrentenniveau zu erlangen. Die aktuelle Regierung strebt nicht an, diese Situation in Ordnung zu bringen, vielmehr führte sie auf Druck des wirtschaftsliberalen Flügels sogenannte »Ferien von der Sozialversicherungsanstalt« für Selbständige ein. Das bedeutet, dass nahezu jeder selbständig Tätige einen Monat im Jahr keine Abgaben zu zahlen braucht. Das übernimmt der Staat für ihn, indem er Steuern dafür einsetzt.

Ein weiteres ungelöstes Problem ist, dass bei einem großen Teil der sogenannten zivilrechtlichen Verträge (Werkverträge, ein Teil der Dienstleistungsverträge) überhaupt keine Beiträge abgeführt werden. Die Beitragserhebung ist jedoch einer der Meilensteine des Landesaufbauplans (Krajowy Plan Odbudowy). Die Regierung formuliert angesichts der Forderung der EU nach einer Beitragserhebung: »Polen schlägt eine alternative Reform im Zusammenhang damit vor, dass die gegenwärtige Struktur unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse in Polen mit Blick auf die Rentenversicherung keine starke Differenzierung der Arbeitnehmer bewirkt.« Im Tausch gegen den Verzicht auf die volle Beitragserhebung bei den oben genannten zivilrechtlichen Verträgen, welche die EU fordert, schlägt die polnische Regierung u. a. vor, die Jahre der Berufstätigkeit im Rahmen von Dienstleistungsverträgen in Zukunft zur Beitragsbasis hinzuzuzählen sowie die Staatliche Arbeitsaufsicht zu stärken. Die Arbeitsaufsicht ist zurzeit unterfinanziert und leidet an Personalmangel, so dass eine Vereinheitlichung der Beitragszahlungen eher zu ihrer Entlastung beitragen würde, was am besten geeignet scheint, sie zu stärken.

Im Jahr 1999 hat Polen die Art und Weise der Rentenberechnung dahin gehend geändert, dass jeder nicht bezahlte Beitrag negative Folgen hat. Man sollte also Situationen vermeiden, dass Beiträge nicht abgeführt werden. Das alte System hatte solche »Fehler« verziehen, das heutige nicht. Die Beitragserhebung für zivilrechtliche Verträge, die Vereinheitlichung der Beitragserhebung für Selbständige, die Ermunterung, eine Arbeit aufzunehmen, anstatt die zukünftige Rente des Ehemanns zu versprechen, oder die Diskussion über die Anhebung des Renteneintrittsalters, zumindest bei den Frauen, zu beginnen, scheint dringend geboten. In Zeiten des Populismus ist es leider schwieriger, langfristige und breit angelegte Reformen durchzuführen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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