Karol Nawrocki, der Präsidentschaftskandidat aus dem Lager von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), hat die Stichwahl mit 50,89 Prozent (10.606.628 Stimmen) für sich entschieden und den Kandidaten der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), Rafał Trzaskowski, mit 59,11 Prozent (10.237.177 Stimmen) auf den zweiten Rang verwiesen. Karol Nawrocki wird damit der nächste polnische Präsident werden und das bei einer Rekordwahlbeteiligung von 71,6 Prozent.
Warum hat Nawrocki gewonnen und Trzaskowski verloren?
Das Wahlergebnis war denkbar knapp. Letztlich machten 369.591 Stimmen den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage aus. Für Trzaskowski war dies eine Verbesserung im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen 2020, als der Abstand zu Wahlsieger Andrzej Duda 422.385 Stimmen betrug. Es reichte allerdings nicht aus, um Karol Nawrocki in der Stichwahl zu schlagen. Nawrocki gelang es, den Großteil der Wähler, die im ersten Wahlgang für einen rechten Kandidaten wie Sławomir Mentzen oder Grzegorz Braun gestimmt hatten, für sich zu gewinnen.
Trzaskowski hingegen ist es nicht gelungen, das Wählerpotenzial des liberal-demokratischen Lagers vollends auszuschöpfen. Zwar erreichte er im zweiten Wahlgang mehr Wähler als noch 2020, er blieb aber weit hinter den 11.599.090 Stimmen zurück, die die Parteien des aktuellen Regierungsbündnisses und die außerhalb der Regierung verbliebene Partei Gemeinsam (Razem) bei den Parlamentswahlen 2023 erhalten hatten. Letztlich geriet die Präsidentschaftswahl auch zu einer Art Referendum über die bisherige Arbeit der von Ministerpräsident Donald Tusk (PO) geführten Regierungskoalition, die nach gut anderthalb Jahren Amtszeit in einem Umfragetief steckt.
Was sind die Konsequenzen für …
… Polen?
Der knappe Wahlausgang ist Ausdruck der politischen Polarisierung in Polen, die sich jedoch weniger an Sachfragen als an dem Duopol PO – PiS orientiert. Dementsprechend war der Wahlkampf auch stark von persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Trzaskowski und Nawrocki bestimmt. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs deuten auf eine Schwächung dieses Duopols hin, das eigentlich das Duopol PO – PiS ist. Hier wird ein generation gap sichtbar. Während die älteren Wähler in ihrer überwältigenden Mehrheit für Nawrocki oder Trzaskowski und damit einen Vertreter des Duopols votierten, gingen die Stimmen der Jungwähler in der ersten Wahlrunde mehrheitlich an die Kandidaten des rechten (Sławomir Mentzen) bzw. linken politischen Lagers (Adrian Zandberg). Gleichzeitig jedoch lässt die Rekordwahlbeteiligung in der Stichwahl kein rasches Ende des Duopols erwarten. Schließlich pilgerte das Gros der Wähler von Kandidaten außerhalb des Duopols auch im zweiten Wahlgang an die Urnen, um diesmal einem der Vertreter des Duopols seine Stimme zu geben.
Fest steht, dass der nach dem Regierungswechsel 2023 eingeleitete politische Wandel hin zu einem liberalen Polen und der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit im Land einen herben Rückschlag erlitten hat. Ähnlich wie beim noch amtierenden Präsidenten Duda wird die Tusk-Regierung auch gegen einen Präsidenten Nawrocki kaum eines ihrer Reformprojekte durch Gesetzesänderungen umsetzen können. Nawrocki wird wie Duda entsprechende Vorhaben mit seinem Veto blockieren und versuchen, die Regierungspolitik zu lähmen. Schließlich ist es sein erklärtes Ziel, den Sturz der Regierung von Donald Tusk herbeizuführen. Nawrocki wird ein weitaus schwierigerer Partner für Tusk sein als der scheidende Präsident. Ministerpräsident Donald Tusk kündigte am Tag nach der Wahl an, die Vertrauensfrage im Parlament stellen zu wollen. Dies dürfte vor allem zur Disziplinierung der Koalitionspartner dienen – dem agrarisch-konservativen Dritten Weg (Trzecia Droga), der aus der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) sowie Polen 2050 (Polska 2050) besteht, und der progressiven Neuen Linken (Nowa Lewica). Diese Fraktionen dürften angesichts der aktuellen Umfragewerte wenig Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben, müssten sie doch um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen. Gleichzeitig dürfte es Tusk auch darum gehen, mögliche Renegaten der PSL, die mit einer Koalition zwischen PSL, PiS und der rechtsnationalistischen Konföderation (Konfederacja) liebäugeln, zur Räson zu bringen.
Für Nawrocki bestünde damit eine einzige Möglichkeit, ein vorzeitiges Ende der Tusk-Regierung herbeizuführen: Wenn es der Regierungskoalition aufgrund interner Spannungen nicht gelingen sollte, den Haushaltsentwurf für das Jahr 2026 fristgerecht im Parlament zu verabschieden, kann der Präsident das Parlament auflösen und vorgezogene Neuwahlen veranlassen.
Gleichwohl haben die Präsidentschaftswahlen das rechte politische Lager in Polen gestärkt, auch PiS-Chef Jarosław Kaczyński, über dessen Abschied aus der aktiven Politik immer wieder spekuliert wird, sitzt einstweilen wieder fest im Sattel. Allerdings werden erst die kommenden Wochen und Monate zeigen, ob der Wahlsieg Nawrockis tatsächlich der Vorbote für eine Einigung des fragmentierten rechten politischen Lagers im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2027 ist.
… die Europäische Union?
Nach dem Regierungswechsel 2023 setzten zahlreiche Beobachter große Hoffnungen auf Polen als neuen pro-europäischen Player innerhalb der Europäischen Union. Diese Hoffnungen haben nun einen erneuten Dämpfer erhalten. Wegen der schwierigen Kohabitation mit Präsident Andrzej Duda gestanden die europäischen Partner Polen eine gewisse Schonfrist zu, insbesondere was die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit anbelangt. Dieser Vertrauensvorschuss sollte nach den Präsidentschaftswahlen und dem Sieg Trzaskowskis in Form von Gesetzesreformen zurückgezahlt werden. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Stattdessen wird sich Polen bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2027 prinzipiell im Dauerwahlkampf befinden, gesetzt den Fall, die Regierung Tusk kann sich bis dahin an der Macht halten. Denn der Unmut über nicht oder zu zögerlich umgesetzte Wahlversprechen wird tendenziell zunehmen. Die Regierungskoalition wird sich auf die Innenpolitik und den de facto gerade begonnenen Parlamentswahlkampf 2027 konzentrieren und daher kaum Kapazitäten haben, um auf europäischer Ebene aktiv zu sein.
Auch stellt sich die Frage, wie Nawrocki als Präsident agieren wird. Folgt er der PiS-Linie und versucht, sich als polnische Version von Donald Trump zu inszenieren, wäre eine weitere Obstruktion des pro-europäischen Kurses der Tusk-Regierung vorprogrammiert. Vor allem der weitere Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine und das damit verbundene US-amerikanische Engagement in Europa dürften darüber entscheiden, ob Nawrocki den Schulterschluss mit Trump sucht und ihm hilft, die Einheit der Europäer zu untergraben, und versucht, für Polen sicherheitspolitische Sonderbeziehungen mit den Vereinigten Staaten zu erreichen.
… Deutschland und die deutsch-polnischen Beziehungen?
Im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen 2020 spielte die sogenannte »deutsche Karte«, also das Thema Deutschland, in diesem Wahlkampf lediglich eine nachgeordnete Rolle. Gleichwohl war sie aber präsent. So ließ sich Karol Nawrocki etwa in der Grenzstadt Słubice filmen und erklärte, er werde es nicht zulassen, dass illegale Migranten von Deutschland aus die Grenze zu Polen überschreiten würden. Zudem kündigte Nawrocki an, dass er sich im Falle eines Wahlsiegs in der Reparationsfrage engagieren werde. Generell bediente er das altbekannte Narrativ, wonach Deutschland ein Polen übel gesinnter Nachbar sei, der mit Hilfe von Politikern wie Donald Tusk (die aus PiS-Sicht als »deutsche Agenten« agieren) dem Land seine eigenen Interessen aufzwingen und es steuern wolle.
Vor allem aber im Bereich Migrationspolitik unterscheidet sich Nawrocki eher in Nuancen von seinem Kontrahenten Trzaskowski und der Regierung um Donald Tusk, die sich ebenfalls gegen innereuropäische Grenzschließungen und die Zurückweisung von Migranten ausgesprochen haben. Die Tusk-Regierung erwartet auch eine »kreative Lösung seitens Deutschland«, wie es Außenminister Sikorski 2024 formuliert hat, um die von Polen erlittenen Schäden und Verluste während der deutschen Besatzungsherrschaft 1939–1945 wiedergutzumachen. Wohl aber gibt es erhebliche Unterschiede in der Tonalität, mit der diese Forderungen an den deutschen Nachbarn herangetragen werden. Während Tusk und auch Trzaskowski in diesen Fragen stets eine gewisse Konzilianz an den Tag legten, ist von Nawrocki ein eher konfrontativer Ansatz zu erwarten.
Darüber hinaus dürfte, ähnlich wie im Falle der Europapolitik, der Fokus der polnischen Regierung auf die Innenpolitik die Kapazitäten für die Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen begrenzen, zumal diese Beziehungen stets zum Spielball der innenpolitischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Präsident werden können.
Fazit: Was lässt sich von einem Präsidenten Karol Nawrocki erwarten?
Karol Nawrocki ist politisch ein unbeschriebenes Blatt, seine Präsidentschaft gleicht deshalb einem Sprung ins Ungewisse. Er ist parteipolitisch nicht verankert und besitzt kaum Kenntnisse über die Prozesse der polnischen wie auch der internationalen Politik. Jarosław Kaczyński dürfte all dies im Blick gehabt haben, als er den politischen Nobody Nawrocki zum Präsidentschaftskandidaten kürte: Er wird ein Präsident sein, der politisch unerfahren und damit von externer Expertise abhängig ist und als Parteiloser keine Konkurrenz für Kaczyński innerhalb der PiS darstellt. Doch wird dieses Kalkül aufgehen? Nawrocki gilt als durchsetzungsstark und überaus ambitioniert. Sein Wahlsieg und die parteiübergreifende Unterstützung des rechten Lagers könnten dem politischen Quereinsteiger Lust auf mehr gemacht haben. Es bleibt abzuwarten, ob Nawrocki die ihm zugedachte Rolle als Erfüllungsgehilfe der PiS bei ihrem Weg zurück in die Regierungsverantwortung einnimmt oder er darüber hinaus eigene politische Ambitionen entwickelt, die über seine fünfjährige Amtszeit als Präsident hinausweisen.