Schnelle Entwicklung, brüchige Fundamente? Kondition, Chancen und Herausforderungen der polnischen Wirtschaft

Von Dominika Wojtowicz (Leon Koźmiński-Akademie, Warschau)

Zusammenfassung
In den letzten 30 Jahren hat Polen eine imponierende wirtschaftliche Transformation vollzogen, die das Land aus dem Kreis der Länder des Niedriglohnsektors herausführte. Das schnelle Wachstum, die geringe soziale Ungleichheit und der Beitritt zur Europäischen Union festigten die Position Polens als wirtschaftlicher Leader der Region. Auch bezogen auf Europa galt Polen als ein Anführer beim Wirtschaftswachstum. Nach den Jahren der dynamischen Entwicklung steht das Land nun allerdings vor großen strukturellen Herausforderungen. Sein Wachstumsmodell, das sich vor allem auf den Binnenkonsum, billige Arbeit und die Verwendung von EU-Mitteln stützt, beginnt an seine Grenzen zu stoßen.

Die polnische Wirtschaft hat gegenüber zahlreichen äußeren und inneren Erschütterungen ihre Resilienz bewiesen. Ohne tiefgreifende strukturelle Reformen steht die Aufrechterhaltung der stabilen Entwicklung, die sich aus der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ergibt, allerdings unter einem Fragezeichen. Vor Polen stehen große Herausforderungen, etwa die geringe Innovativität, die demografische Krise, der Rückgang privater Investitionen sowie zunehmende institutionelle und politische Spannungen.

Dreißig Jahre Erfolgsgeschichte

Die wirtschaftliche Transformation, die Polen nach 1989 durchlaufen hat, gehört zu den spektakulärsten in Ostmitteleuropa. Von einer zentral gesteuerten Planwirtschaft, die in einer Wirtschaftskrise, Hyperinflation und chronischem Mangel versunken war, wandelte sich das Land in einen sich dynamisch entwickelnden Staat mit steigendem Lebensniveau und starken marktwirtschaftlichen Fundamenten. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die rasche Integration mit den westlichen Märkten sowie die konsequente Liberalisierung des Handels spielten eine Schlüsselrolle in diesem Prozess. Polen hat nicht nur die Entwicklungsdefizite aufgeholt, sondern auch in vielen Bereichen begonnen, andere Staaten in der Region zu überholen. So wurde es zu einem Beispiel für eine effektive institutionelle und wirtschaftliche Modernisierung.

In seinem Buch »Europe’s Growth Champion: Insights from the Economic Rise of Poland« stellt Marcin Piątkowski die These auf, dass Polen im 21. Jahrhundert in sein »goldenes Zeitalter« eingetreten ist – eine Phase beispiellosen Wohlstandswachstums und wirtschaftlicher Erfolge. Der Autor zeigt auf, dass die Ursachen dieses Erfolgs die einzigartige Kombination aus egalitärer sozialer Struktur, schneller Adaptation westlicher Institutionen und strategischer Verankerung in der Europäischen Union war. »Polen hat in zehn Jahren Institutionen aufgebaut, deren Schaffung Westeuropa fünfhundert Jahre lang beschäftigt hat«, schreibt Piątkowski und unterstreicht das schnelle Tempo und die Reichweite der Veränderungen. Wichtig ist, dass es sich hier um eine inklusive Entwicklung handelte – sie umfasste die ganze Gesellschaft und führte zu einem Anstieg der Reallöhne in verschiedenen sozialen Gruppen. »Den Polen ging es niemals zuvor so gut«, schlussfolgert der Autor.

Die starke Position der polnischen Wirtschaft wird auch auf der internationalen Bühne wahrgenommen. Die Weltbank veröffentlichte den Bericht »Poland’s Remarkable Rise« und das Wochenmagazin The Economist widmete Polen im Mai nicht nur einen umfangreichen Artikel, sondern auch das Titelbild und stellte das Land als zukünftige Säule der Europäischen Union und Akteur mit Schlüsselfunktion in der Region dar: Polen präsentiere sich als wichtiger Player in Mitteleuropa und beispielhaft als Land, das die EU-Mitgliedschaft effektiv für die Modernisierung der Wirtschaft und wachsenden Wohlstand genutzt habe.

In der Tat gehört Polen zu den sich am schnellsten entwickelnden Wirtschaften in der Europäischen Union (siehe Rubrik »Statistik«). Seit 1995 stieg das pro-Kopf-Einkommen um mehr als das Dreifache und seit dem EU-Beitritt 2004 hat das Land keine Rezession erlebt (mit Ausnahme einer kurzen Phase 2020, im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie). Das durchschnittliche Tempo des Wirtschaftswachstums in den letzten 20 Jahren betrug knapp vier Prozent, was Polen zum Wachstumsführer in der Region machte. Im Jahr 2021 hat Polen zum ersten Mal Portugal beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) per capita (kaufkraftbereinigt) überholt und 77 Prozent des EU-Durchschnitts erreicht (Portugal 74 Prozent). Aus den Prognosen der Analysen des Internationalen Währungsfonds geht hervor, dass das BIP per capita (kaufkraftbereinigt) im Jahr 2025 85 Prozent des EU-Durchschnitts erreichen wird – gegenüber knapp 50 Prozent im Jahr 2005.

Einer der starken Elemente der polnischen Wirtschaft bleibt der Arbeitsmarkt. Die Beschäftigtenindizes halten sich auf Rekordniveau und die Arbeitslosenquote gehört zu den niedrigsten in der Europäischen Union. Daten von Eurostat zufolge betrug die Arbeitslosenquote im Dezember 2023 in Polen knapp 2,7 Prozent, was das Land nach Malta auf den zweiten Platz in der gesamten EU platzierte. Eine so geringe Arbeitslosigkeit wirkt sich in Form stabiler Einkommen der Privathaushalte und eines starken Binnenkonsums aus, der seit Jahren eine wichtige (meiner Einschätzung nach zu wichtige) Ursache für das Wirtschaftswachstum ist. Mehr noch – die relativ hohe berufliche Aktivität und die Fähigkeit des Marktes Migranten aufzunehmen, vor allem aus der Ukraine, helfen (bisher effektiv), die negativen Folgen des heimischen Arbeitskräftemangels abzumildern, und unterstützen die Fortsetzung des Wirtschaftswachstums trotz demografischer Herausforderungen.

Die Stärke der polnischen Wirtschaft wird auch von ihrer zunehmenden Präsenz auf den internationalen Märkten bestätigt. Im Jahr 2023 betrug der Wert der exportierten Waren 351 Mrd. Euro, das ist ein Anstieg um 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Polen verzeichnete dabei eine positive Handelsbilanz in Höhe von 10,6 Mrd. Euro – eine der höchsten in der Geschichte. Die geografische Struktur des Exports zeigt die starke Integration mit der Wirtschaft der Europäischen Union: Knapp 73 Prozent des polnischen Exports gehen auf die Märkte der EU-Mitgliedsländer, vor allem Deutschland, Tschechien, Frankreich und die Niederlande (siehe Rubrik »Statistik«). In der Warenstruktur dominieren Industrieerzeugnisse, Maschinen, Fahrzeuge sowie Elektrogeräte, was die zunehmende Spezialisierung und den Anteil an den Sektoren mittlerer und hoch verarbeiteter Produkte belegt. Unter den Bedingungen der globalen Unsicherheit und der Abschwächung des Wachstums in der Eurozone bleibt diese relativ gute Verfassung des Exports eine der Säulen der Resilienz der polnischen Wirtschaft.

Auf der Suche nach Entwicklungsmotoren

Veränderungen sowohl in Europa als auch global eröffnen Polen neue Entwicklungsmöglichkeiten und können Impulse für den Aufbau dauerhafter Wettbewerbsüberlegenheit werden.

Der erste Impuls betrifft die Möglichkeiten der dynamischen Entwicklung des Rüstungssektors. Die russische Vollinvasion in die Ukraine hat den Umgang mit der Frage der Sicherheit in Polen grundlegend verändert und eine Neuformulierung der Verteidigungspolitik und die Intensivierung der Investitionen in das heimische Verteidigungspotential notwendig gemacht. Im Jahr 2025 plant die Regierung, zu diesem Zweck 4,7 Prozent des BIP einzusetzen; das ist das höchste Niveau in der NATO (und ein Anlass für von Donald Trump häufig geäußertes Lob). Ein bedeutender Teil dieser Mittel wird in die heimische Rüstungsindustrie im Rahmen von Technologietransfers sowie in die lokale Produktion investiert. Geplant ist auch die Investition von drei Mrd. Zloty (ca. 750 Mio. US-Dollar) zur Erhöhung der heimischen Munitionsproduktion, was entsprechende Vorräte für den Fall eines bewaffneten Konflikts sicherstellen soll. Auch wenn das vorrangige Bestreben dieser Maßnahmen die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes ist, haben sie gleichzeitig das Potential, auf der einen Seite die technologische und industrielle Entwicklung zu stimulieren und auf der anderen Seite neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Der zweite wachstumsfördernde – in diesem Fall externe – Impuls kann sich (verstärkt durch die COVID-19-Pandemie) auch als globaler Trend erweisen: Nearshoring und Reshoring. Dabei gilt, dass die Präsenz ausländischer Investitionen das Exportpotential Polens erhöht und einen Technologietransfer nach sich zieht. Polen gehört zu dem Kreis derjenigen Länder, die von ausländischen Investoren wegen ihrer geografischen Lage, ihrer entwickelten Infrastruktur, der Qualität des Humankapitals und der immer noch relativ wettbewerbsfähigen Arbeitskosten berücksichtigt werden. 2023 hat Polen einen deutlich angestiegenen Zufluss ausländischer Direktinvestitionen verzeichnet, deren Wert die Polnische Nationalbank (Narodowy Bank Polski) auf knapp 120 Mrd. Zloty (ca. 28 Mrd. Euro), das sind ca. 3,5 Prozent des BIP, schätzte. Zwar flossen die größten ausländischen Direktinvestitionen aus den Niederlanden, Großbritannien sowie Irland nach Polen, jedoch ist es Deutschland, das die Kapitalgruppe dominiert und somit der größte Investor (hier aber nicht im Sinne von Direktinvestor) in Polen bleibt.

Im Zusammenhang mit den sich beschleunigenden Prozessen der Digitalisierung, Entwicklung Künstlicher Intelligenz und der Industrie 4.0 werden große Hoffnungen in die Entwicklung der polnischen IT-Branche gesetzt. Polen verfügt über eine große Zahl hochqualifizierter Spezialisten in diesem Bereich. Schätzungen zufolge arbeiten mehr als 500.000 Personen in dieser Branche, was Polen in die europäische Spitzengruppe bringt. In Rankings zu Programmierkompetenzen (zum Beispiel HackerRank, TopCoder) belegen die Polen häufig Plätze unter den zehn Besten weltweit. Am polnischen Markt sind einige dynamische Techfirmen wie CD Projekt, Comarch, LiveChat, Software oder DocPlanner aktiv, doch trotz dieses Potentials ist die polnische IT-Branche vor allem auf Dienstleistungen für ausländische Unternehmen ausgerichtet und nicht darauf, innovative Produkte oder globale technologische Marken zu erschaffen. Polen hat immer noch kein »Ökosystem« aufgebaut, das es ermöglichen würde, sich Unternehmen auf dem Niveau solcher Giganten wie SAP (Deutschland), Spotify (Schweden) oder UiPath (Rumänien) anzunähern. Die Haupthindernisse sind u. a. der beschränkte Zugang zum Kapital, der noch nicht ausgereifte Markt des Risikokapitals sowie das umfangreiche Steuersystem und Bürokratie.

Eine weitere Chance ist, die Position Polens als logistischer Knotenpunkt mit Schlüsselbedeutung in Ostmitteleuropa zu stärken und dafür Investitionen in die Lager- und Verteilungsinfrastruktur anzuziehen. Ende 2023 verzeichnete Polen mehr als 32,9 Mio. m2 moderner Lagerfläche und belegt damit den dritten Platz in Europa, gleich nach Deutschland und Großbritannien. Zu den größten Investitionen gehören die vom dänischen Unternehmen DSV geplanten Logistikzentren in Lodz (Łódź), Breslau (Wrocław), Posen (Poznań) und Sosnowiec mit einem Gesamtwert von einer Milliarde Zloty (ca. 0,23 Mrd. Euro). Die größte Anlage entsteht in Wypędy bei Warschau (Warszawa). Sie wird mit modernen umweltverträglichen Technologien wie Photovoltaik und Ladestationen für E-Lastwagen ausgerüstet. Außerdem hat DHL 2023 seine Tätigkeit in dem neuen Internationalen Logistikzentrum in Kostrzyn bei Posen aufgenommen. Dieses ist eines der modernsten seiner Art in Europa, ausgestattet mit hochmodernen Sortiersystemen und ebenfalls umweltverträglichen Technologien.

Zwischen Potential und Wachstumsbarrieren

Mit zunehmenden Ambitionen wächst auch die Bandbreite der Herausforderungen, die das weitere Entwicklungstempo verringern und im schlimmsten Fall die bisherigen Erfolge der polnischen Wirtschaft schleifen könnten.

Bei der oben dargestellten Modernisierung der polnischen Wirtschaft und Infrastruktur seit dem EU-Beitritt 2004 haben die EU-Fonds eine Schlüsselrolle gespielt. Die für Investitionen in den Bereichen Transport, Digitalisierung, Bildung und Umwelt bestimmten finanziellen Mittel haben die Lebensqualität deutlich verbessert, die Mobilität von Kapital und Arbeit erhöht und starke Impulse bei der Nachfrage ausgelöst, was sich als Anstieg des Konsums auswirkte und damit das kurzfristige Wirtschaftswachstum ankurbelte. Viele Jahre lang waren sie ein wichtiger Faktor zur Förderung der lokalen und regionalen Entwicklung. Allerdings blieb ihr Einfluss auf eine dauerhafte Steigerung der Innovativität und Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Unternehmen begrenzt.

Polen hat es nicht geschafft, die europäischen Finanzmittel für den Aufbau eines effektiven Systems von Innovationen zu nutzen, das darin besteht, dass öffentliche Investitionen private Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Schaffung von Mehrwert anregen. Im Ergebnis gründet die Struktur der Wirtschaft weiterhin in hohem Maße auf Montage und Produktion von Technologie auf mittlerem Niveau – und nicht auf der Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Hier ist zu berücksichtigen, dass Polen in der künftigen Haushaltsperspektive (2028+) – als Land mit einem immer höheren BIP per capita – deutlich weniger EU-Strukturmittel erhalten wird. Das bedeutet, dass die historische Chance auf eine dauerhafte Stärkung der Grundlagen für eine innovative Wirtschaft verpasst wurde.

Trotz zahlreicher politischer Strategien und Erklärungen bleibt Polen in der Schlussgruppe der Europäischen Union, was die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung betrifft. Im Jahr 2022 betrugen die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung gerade einmal 1,46 Prozent des BIP, was deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 2,22 Prozent (Eurostat) liegt. Noch stärker beunruhigt der geringe Anteil des privaten Sektors an diesen Aufwendungen: Er macht knapp 60 Prozent der Gesamtheit aus, während er in innovativen Ländern wie Deutschland oder Schweden bei 70 bis 75 Prozent liegt. Es fehlen auch effektive Abläufe beim Wissenstransfer vom Forschungs- in den Unternehmenssektor, was die Möglichkeiten, Forschungsergebnisse zu kommerzialisieren, einschränkt. Die schwachen Ergebnisse infolge der Unterfinanzierung zeigen sich in den Statistiken zur Produktivität der Arbeit. Daten der OECD zufolge verlangsamte sich der Anstieg der Produktivität in Polen seit 2015 deutlich und wächst zurzeit langsamer als in anderen Ländern der Region. Die geringe Innovativität und die strukturelle Abhängigkeit von importierter Technologie verursachen, dass es immer schwieriger werden wird, weiteres Wirtschaftswachstum zu erreichen, ohne tiefgreifende Veränderungen hin zu einer Innovationen fördernden Politik.

Einer der vielen Gründe, warum Polen es nicht geschafft hat, starke Fundamente für eine wissensbasierte Wirtschaft zu legen, ist, dass das Bildungssystem nicht an die Anforderungen der modernen, innovativen Wirtschaft angepasst wurde (trotz eines relativ hohen und weiter wachsenden Anteils von Personen mit höherer Bildung). Die Daten der OECD zeigen, dass der Anteil der Absolventen in den Bereichen Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie Informatik immer noch unter dem EU-Durchschnitt bleibt und viele junge Menschen ihr Studium mit beschränkten praktischen und digitalen Kompetenzen abschließen (OECD Economic Survey: Poland 2023). Die chronische Unterfinanzierung des Wissenschafts- und Bildungssektors verschlimmert diese Situation – die Ausgaben der öffentlichen Hand in diesen Bereichen gehören in Relation zum BIP zu den niedrigsten in der Europäischen Union. Das alles bewirkt, dass das Bildungssystem zu einem engen Flaschenhals für Innovativität wird, anstatt ihre treibende Kraft zu sein.

Die Energietransformation ist ein weiteres großes Entwicklungshindernis für die polnische Wirtschaft, sowohl mit Blick auf ihre Struktur als auch auf das Tempo der geplanten Veränderungen (siehe Polen-Analysen Nr. 346). Die Vernachlässigung von Investitionen bei der Diversifizierung des Energiemix’ und der Modernisierung des Stromnetzes, verstärkt von den Folgen der COVID-19-Pandemie und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, hat hohe Energiekosten zur Folge (insbesondere für die Industrie) und wird zu einem der Schlüsselfaktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Unternehmen einschränken. Nach Daten von Eurostat gehörten 2023 die Strompreise für Industrieabnehmer in Polen zu den höchsten in der Region Mitteleuropa. Polen gehört weiterhin zu den Ländern der Europäischen Union, die am stärksten von Kohle abhängig sind: Im Jahr 2022 produzierte es knapp 70 Prozent des Stroms aus Kohle, während der EU-Durchschnitt ca. 15 Prozent betrug (Eurostat). Auch wenn in den letzten Jahren der Anteil erneuerbarer Energien (insbesondere Photovoltaik) dynamisch anstieg, bleibt das Energiesystem veraltet und ist nicht ausreichend flexibel. Es fehlen außerdem eine klare Strategie für die Dekarbonisierung der Schwerindustrie sowie ein langfristiger Zeitplan für die Entwicklung der Kernenergie.

Ein anderes brennendes Problem und eine ernste Einschränkung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Polens sind die demografischen Veränderungen. Laut Prognosen von Eurostat wird sich die Anzahl der Menschen im Erwerbsleben (20–64 Jahre) in Polen bis zum Jahr 2040 um ca. 2,5 Mio. verringern (zurzeit sind es knapp 20 Mio.) Gleichzeitig sind schon heute mehr als 20 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre alt oder älter, und dieser Anteil wird rasch ansteigen. Die alternde Gesellschaft bedeutet nicht nur höhere Ausgaben für das Gesundheits- und Rentensystem, sondern auch Beschränkungen für das Arbeitsangebot und zunehmenden Druck auf die Produktivität. Zu ergänzen ist, dass das Renteneintrittsalter in Polen aktuell bei 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer liegt (siehe Polen-Analysen Nr. 343); damit gehört es zu den niedrigsten in der Europäischen Union. Die von 2007 bis 2015 regierende Bürgerplattform (Platforma Obywatelska –PO) hatte eine Rentenreform mit dem Ziel eingeführt, das Renteneintrittsalter für Männer und Frauen anzugleichen und das Rentensystem an die sich verändernde demografische Lage anzupassen. Die Reform stieß allerdings auf starken gesellschaftlichen Widerstand und wurde als eine der Hauptursachen für die verlorenen Parlamentswahlen identifiziert. Infolgedessen ist die Anhebung des Renteneintrittsalters politisch zurzeit nicht möglich. Im Zusammenhang mit dem Rückgang der Population im Erwerbsalter ist es auch ein Problem, dass eine kohärente und langfristige Migrationspolitik fehlt. Auch wenn sich die polnische Wirtschaft in den letzten Jahren in hohem Maße auf die Arbeitskraft von Migranten (insbesondere aus der Ukraine, in geringerem Grad aus Belarus und asiatischen Ländern) gestützt hat, wird das Potential ihres langfristigen Einsatzes auf dem Arbeitsmarkt dadurch eingeschränkt, dass verlässliche Regeln und Integrationsstrategien fehlen. Polen steht also vor der Notwendigkeit, gleichzeitig die Erwerbstätigkeit zu erhöhen und eine offene, gut administrierte Migrationspolitik einzuführen. Ohne diese beiden Maßnahmen wird es nicht möglich sein, das demografische Defizit auszugleichen.

Die letzte der größten Herausforderungen, die vor Polen stehen, betrifft meiner Meinung nach den (Wieder-)Aufbau stabiler und in ihrem Handeln vorhersehbarer Institutionen sowie die Anhebung der Qualität der öffentlichen Verwaltung. Die letzten zehn Jahre gestalteten sich in diesen Bereichen zunehmend schwierig. Die achtjährige Regierungszeit von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) führte zu tiefreichenden Problemen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Institutionen sowie zur Vergrößerung des Chaos im legislativen Bereich. Ein signifikantes Beispiel ist hier das sog. Reformprogramm Polnische Ordnung (Polski Ład), das inkohärente Änderungen im Steuersystem einführte, was für Durcheinander sorgte und vor allem bei Unternehmern zu Unsicherheit führte. Obgleich es nach den Parlamentswahlen 2023 zu einem Regierungswechsel kam und die Regierungskoalition unter Ministerpräsident Donald Tusk (PO) erklärte, die Institutionen des Rechtsstaates wiederaufzubauen und die Bürokratie mit Blick auf die Wirtschaft zu entschlacken, sind die tatsächlichen Maßnahmen bisher sehr überschaubar. Beispielsweise hat die Regierung Anfang 2025 eine Expertenkommission mit dem bekannten polnischen Unternehmer Rafał Brzoski berufen, deren Ziel es sein sollte, Vorschläge für Erleichterungen für Unternehmen zu erarbeiten. Bis heute hat sich das allerdings weder in konkreten Änderungen von Vorschriften noch in legislativen Aktivitäten niedergeschlagen. Vielsagend ist auch die Tatsache, dass die Regierung kein eigenes Wirtschaftsministerium eingerichtet hat, das sich mit Fragen der Wirtschaft befassen würde. All das fügt sich in das weiter gefasste Bild ein, dass der polnischen Regierung mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen die heimische Wirtschaft steht, die Effektivität fehlt.

Ein zusätzliches Problem ergibt sich aus der Lage der öffentlichen Finanzen. Im Jahr 2024 wurde gegen Polen ein EU-Verfahren wegen Nichtbeachtung der Schuldenbremse eingeleitet, nachdem das Defizit bei den Regierungsbehörden und der kommunalen Verwaltung über fünf Prozent des BIP gestiegen war (bei einem Limit von drei Prozent). Die hohen öffentlichen Ausgaben, fehlende ganzheitliche Reformen der Einnahmen und Ausgaben des Staates sowie die eingeschränkte Transparenz des Haushaltes erschweren die Einführung einer vorhersehbaren und verantwortlichen Fiskalpolitik. Obgleich die Inflation deutlich an Tempo verloren hat, bleibt die makroökonomische Stabilisierung recht brüchig – insbesondere im Kontext der verlangsamten Konjunktur in Deutschland, weiterhin hoher Zinssätze und geopolitischer Spannungen.

Fazit

Auch wenn Polen in den letzten Jahrzehnten starke wirtschaftliche Fundamente gelegt und sich an das Entwicklungsniveau vieler Staaten der »alten EU« angenähert hat, ist es längst nicht festgeschrieben, dass diese Dynamik aufrecht erhalten bleibt. Hier gilt es darauf hinzuweisen, dass sich die bisherige wirtschaftliche Entwicklung Polens in hohem Maße auf den Anstieg des Binnenkonsums stützte. Die Kombination aus relativ niedriger Arbeitslosigkeit, hoher Dynamik bei Gehältern und Löhnen (dazu gehört auch der Mindestlohn, der zwischen 2015 und 2024 um über 140 Prozent stieg), dem Zufluss finanzieller Mittel aus der Europäischen Union sowie dem Ausbau von Sozialprogrammen (etwa das monatliche Kindergeld in Höhe von 800 Zloty (ca. 187 Euro) pro Kind oder die 13. und 14. Rentenzahlung) haben die heimische Nachfrage deutlich angekurbelt. Der Konsum wurde zum Hauptmotor für das Wachstum des BIP, was kurzfristig Stabilität garantierte, aber gleichzeitig private Investitionen einschränkte und die strukturelle Transformation der Wirtschaft in Richtung zu mehr Produktivität und Innovativität bremste.

Das bisherige Modell weiter fortzusetzen wird wohl nicht ausreichen – Polen muss in eine neue Entwicklungsphase eintreten. Viele der bisherigen Ursachen für die Überlegenheit wie die niedrigen Arbeitskosten, die finanziellen Mittel aus der EU oder der Überschuss an Arbeitsressourcen erschöpfen sich inzwischen. Gleichzeitig muss sich das Land mit neuen Herausforderungen wie der alternden Gesellschaft, der geringen Innovativität, dem Risiko einer stagnierenden Produktivität sowie der Notwendigkeit der Energie- und Klimatransformation auseinandersetzen. Die kommenden Jahre werden eine tiefgehende institutionelle und strukturelle Modernisierung erfordern. Ein Erfolg ist nicht garantiert – ihn zu erlangen wird vor allem von einer klugen und aktiven Politik der Regierung abhängen. Dazu gehört, Entwicklungshemmnisse auszuschalten und Chancen zu nutzen. Dies wird mit Blick auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im Juni in Polen leider nicht einfach werden.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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