Herausforderungen für die EU, Herausforderungen für Polen
Als Polen am 1. Januar 2025 zum zweiten Mal seit dem polnischen EU-Beitritt im Jahr 2004 die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, waren die Herausforderungen ungleich größer als während der ersten polnischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2011. Zwar galt es damals noch, die Folgen der EU-Finanzkrise der Jahre 2010 bis 2012 zu bewältigen, und auch das Thema Sicherheit stand im Jahr 2011 bereits auf der Tagesordnung der Ratspräsidentschaft, seinerzeit ebenfalls mit Blick gen Osten im Rahmen der Östlichen Partnerschaft, aber noch ohne Krieg im Nachbarland Ukraine. Ebenso wie das Thema Sicherheit zeigen zwei weitere, verblüffende Parallelen, dass sowohl außen- als auch innenpolitisch die EU wie auch Polen zum Teil auf der Stelle tritt. Damals wie heute hieß der polnische Regierungschef Donald Tusk von der Partei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und sein Außenminister war damals wie heute Radosław Sikorski (PO). Zwischen den Amtszeiten liegen allerdings acht Jahre Regierungszeit der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) von 2015 bis 2023, und Polen war in dieser Zeit ein schwieriger Partner sowohl für Deutschland (Stichwort polnische Reparationsforderungen) als auch für die EU (Stichwort Rechtsstaatlichkeit). Ebenfalls wie im zweiten Halbjahr 2011 standen auch im ersten Halbjahr 2025 in Polen Wahlen an. Allerdings konnte die damals regierende Koalition von PO und Polnischer Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) die Parlamentswahlen im Oktober 2011 gewinnen und die Koalition fortsetzen, während die aktuelle, gleichfalls von Donald Tusk angeführte Regierung die Präsidentschaftswahlen im zweiten Wahlgang am 1. Juni 2025 mit ihrem Kandidaten, dem Stadtpräsidenten von Warschau Rafał Trzaskowski, gegen den von der PiS unterstützten Kandidaten, den Historiker Karol Nawrocki, verlor.
Alle Vergleiche hinken bekanntlich und hier hören die Parallelen nun auch auf. Sowohl die EU wie auch Polen sind heute in einer deutlich weniger komfortablen Situation als im zweiten Halbjahr 2011.
Die EU sucht seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 nach einem Weg aus den multiplen Krisen. Unterstützung für die Ukraine angesichts eines wankelmütigen US-Präsidenten Donald Trump seit Januar 2025, institutionelle Reformen, um die EU fit für weitere Erweiterungen (Ukraine, Moldau, die restlichen Balkanstaaten) zu machen, sperrige Mitgliedsstaaten hinsichtlich beider Herausforderungen wie Ungarn unter Viktor Orbán seit 2010 und die Slowakei unter dem alten und neuen Ministerpräsidenten und Linkspopulisten Robert Fico seit 2023 –die Liste der Herausforderungen für die EU ist lang. Zwar ist in Deutschland die Regierungsbildung mit der Wahl von Bundeskanzler Friedrich Merz am 6. Mai nach den vorgezogenen Bundestagswahlen vom 23. Februar 2025 geglückt und damit ein wichtiger europäischer Akteur wieder handlungsfähig, aber niemand kann sagen, ob nicht 2027 in Frankreich Marine Le Pen vom Rassemblement National (RN) trotz ihres Ende März 2025 von einem französischen Gericht verkündeten Urteils von vier Jahren Haft wegen Zweckentfremdung europäischer Mittel, davon zwei Jahre auf Bewährung, nicht doch bei den Präsidentschaftswahlen 2027 antreten kann. Zwar hat das Gericht ein Verbot von fünf Jahren für jegliche Kandidaturen für ein öffentliches Amt ausgesprochen, aber Le Pen hat Berufung eingelegt, über die bis Sommer 2026 entschieden werden soll. Ein Sieg Le Pens und des RN bei den französischen Präsidentschaftswahlen käme einem Erdbeben für die EU gleich. Wichtige Aufgaben sollten daher vorher angegangen werden.
Aber nicht nur innenpolitische Entwicklungen in einzelnen Mitgliedsstaaten wie der Slowakei oder Ungarn setzen die EU unter Druck und gefährden einen einheitlichen politischen Kurs in der Ukraine-Politik oder in Migrationsfragen. Ganz generell ist die EU-Politik gegenüber Osteuropa und insbesondere dem postsowjetischen Raum Stand heute gescheitert. Die Östliche Partnerschaft, im Jahr 2008 von Schweden und Polen vorgeschlagen und während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft im Mai 2009 offiziell gestartet, sollte eine Ergänzung zur europäischen Nachbarschaftspolitik sein und für die östlichen Nachbarn der EU eine engere politische und ökonomische Kooperation mit der EU in Form von Assoziierungsabkommen entwickeln, letztlich mit dem Ziel, diesen Raum über eine Annäherung an die EU zu stabilisieren und mehr Sicherheit zu generieren. Mit Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine wurden Partnerschaftsabkommen geschlossen, mit Georgien, Moldau und der Ukraine gibt es darüber hinaus Assoziierungsabkommen, was im Fall der Ukraine Auslöser der sogenannten Revolution der Würde (auch Euromaidan) in Kyjiw im November 2013 und der Flucht des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch im Februar 2014 war. Insgesamt ist die Situation an der östlichen Grenze der EU durch den Krieg in der Ukraine, das neoimperiale Verhalten Russlands und die klare Positionierung von Belarus einschließlich einer künstlich erzeugten Migrationssituation an der polnisch-belarusischen Grenze sehr viel prekärer als zum Zeitpunkt des Starts der Östlichen Partnerschaft. Die Ziele dieser Politik sind nicht erreicht worden, wenn auch die Ukraine vor allem aus politischen Gründen mittlerweile (seit Juni 2022) Beitrittskandidat der EU ist. Eine andere konzise Strategie hat die EU aber bisher kaum entwickelt, vor allem, da Brüssel noch seine Position gegenüber der neuen und sehr erratischen US-amerikanischen Administration suchen muss und in Sicherheitsfragen eine starke Rolle der EU lange fraglich war. In diesem Punkt ruhten die Hoffnungen vor allem auf der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, da Warschau seit 2022 zu den stärksten Unterstützern der Ukraine gehört. Gemessen in Prozent des Bruttoinlandsproduktes steht Polen gemeinsam mit den baltischen Staaten, Schweden, Finnland, Dänemark und den Niederlanden bei der Ukraine-Hilfe vor Deutschland, bei den absoluten Zahlen ist Deutschland hingegen aufgrund seiner größeren Wirtschaftskraft nach den USA, der EU und Großbritannien an vierter Stelle (Daten nach dem »Ukraine Support Tracker« des Kiel Instituts für Weltwirtschaft – IfW).
Aber nicht nur in der EU ist die politische Lage höchst komplex, sondern auch im östlichen Nachbarland Deutschlands hat sich die politische Situation verkompliziert. Die wohl von vielen liberalen europäischen Politikern gehegte Hoffnung, dass sich ein liberaler Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen am 1. Juni durchsetzen würde, hat sich nicht erfüllt, und auch wenn Karol Nawrocki bisher ein politisch weitgehend unbeschriebenes Blatt ist, dürfte die innenpolitische Situation durch die Fortsetzung der Kohabitation doch weiterhin schwierig bleiben. Eine Rücknahme der Justizreformen der PiS, um den Forderungen der EU nachzukommen, oder neue Initiativen im Rahmen des deutsch-französisch-polnischen Weimarer Dreiecks dürften schwieriger werden. Die PiS postuliert zwar im Gegensatz zur Rechtsaußenpartei Konföderation (Konfederacja) keineswegs einen Polexit, aber sie wird von der Konföderation innenpolitisch unter Druck gesetzt, so dass wir auch in Polen seit einigen Jahren eine Diskursverschiebung nach rechts beobachten können. Insbesondere Migrationsfragen sind geeignet, rechtes Protestpotential zu mobilisieren und eine Umsetzung des Migrations- und Asylpaketes der EU zu konterkarieren, das am 14. Mai 2024 beschlossen wurde und im Juni 2026 in Kraft treten soll. Die EU vereinbarte hier unter anderem einheitliche Verfahren und eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten. Ende Juni, Anfang Juli 2025 machten aber an der polnischen Grenze bereits Bürgerwehren von sich reden. Die »Bewegung zur Verteidigung der Grenzen« (Ruch Obrony Granic), organisiert vom bekannten Rechtsaußen Robert Bąkiewicz, zwischen 2017 und 2023 Vorsitzender des Vereins für den Unabhängigkeitsmarsch, kontrolliert in Eigenregie an der Grenze und erhielt zumindest vom zukünftigen Präsidenten Nawrocki Rückhalt, während Innenminister Tomasz Siemionak (PO) auf das Gewaltmonopol des Staates pocht. Ab dem 7. Juli führt die polnische Regierung ihrerseits Grenzkontrollen ein, auch eine Reaktion auf deutsche Grenzkontrollen, die sporadisch seit 2023 durchgeführt werden und deren Dauer im März 2025 zunächst bis zum 15. September 2025 verlängert wurde.
Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen setzt aber auch die gegenwärtige Regierungskoalition, bestehend aus PO sowie den Parteien Die Moderne (Nowoczesna), Initiative Polen (Inicjatywa Polska), Polen 2050 (Polska 2050), der PSL und der Neuen Linken (Nowa Lewica), unter Druck. Insbesondere das schlechte Abschneiden des Parteichefs von Polen 2050, Szymon Hołownia, bei den Präsidentschaftswahlen mit fünf Prozent (5. Platz) macht mehr als deutlich, dass die aktuelle Regierung gegenwärtig nicht populär in Polen ist, und ihr Fortbestand bis zu den nächsten regulären Parlamentswahlen im Herbst 2027 ist ungewiss.
Ein Erfolg der polnischen EU-Ratspräsidentschaft sollte für die Regierung mit Blick auf die Wahlen also einen Schub bringen, was offensichtlich nicht gelungen ist. Was waren aber die Kernaussagen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft?
Polnische EU-Ratspräsidentschaft: Ziele und Ambitionen
Das Programm der polnischen Präsidentschaft stand unter dem Motto »Sicherheit, Europa« und wir können am Anfang des entsprechenden Dokumentes eine nahezu dramatische Lageeinschätzung lesen:
»Polen übernimmt die Führung im Rat der Europäischen Union in einer Zeit der Unsicherheit und Unruhe. Europa ist mit den Folgen der bereits drei Jahre andauernden Aggression Russlands gegen die Ukraine konfrontiert und mit der Notwendigkeit, das eigene Verteidigungspotential zu stärken. Wir beobachten steigende geopolitische Spannungen, eine Erosion der internationalen, regelbasierten Ordnung und hybride Attacken auf die europäische Demokratie und Sicherheit. Die Europäer sind von den Folgen des Migrationsdrucks, der Energietransformation, einer schwindenden Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft und vom Klimawandel betroffen.«
Ziel der polnischen EU-Ratspräsidentschaft war daher die Stärkung der europäischen Sicherheit in ihren verschiedenen Dimensionen, das heißt innere wie äußere Sicherheit, Informationssicherheit, Stärkung von Wirtschaft und Energieversorgung, Gesundheit und Nahrungsversorgung.
Wichtig war für Warschau auch die weitere Vorbereitung der EU-Erweiterung, letztlich um den neoimperialen Ambitionen Russlands zu begegnen und Stabilität und Sicherheit weiter nach Osten auszudehnen. Dafür ist nach Ansicht der polnischen Regierung eine nachhaltige Unterstützung der Ukraine, mehr Druck auf Russland, um den Krieg baldmöglichst zu beenden, und ein Verzicht auf russische Energieimporte notwendig. Schließlich sollten auch die transatlantischen Beziehungen der EU zu den Vereinigten Staaten weiter gestärkt werden.
Für die Umsetzung wurden insgesamt zehn Kommissionen gebildet, die die verschiedenen Aspekte wie allgemeine Angelegenheiten, Auswärtiges, Rechtsstaatlichkeit und Inneres etc. behandeln sollten. Das für die Ratspräsidentschaft zentrale Motiv Sicherheit wurde in sieben Pfeiler aufgeteilt: Verteidigungsfähigkeit, Schutz von Bevölkerung und Grenzen, Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einmischung und Desinformation, Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit für die Wirtschaft, energetische Transformation, konkurrenzfähige und widerstandsfähige Landwirtschaft, gesundheitliche Sicherheit.
Natürlich sind die Möglichkeiten einer Ratspräsidentschaft beschränkt, da der Ratsvorsitz eher eine moderierende Funktion hat. Allerdings kann der Ratsvorsitz eigene Akzente setzen, muss vor allen Dingen aber auch laufende Prozesse steuern und fortsetzen. Für die Zeit der polnischen Ratspräsidentschaft war es wichtig, die Arbeiten am »Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030« zu begleiten und abzuschließen und gegebenenfalls die Planungen für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2028–2034 anzustoßen.
Implementierung und Bewertungen
In den sechs Monaten der polnischen EU-Ratspräsidentschaft fanden hunderte offizielle Treffen in 24 Städten statt, wie der polnischen Website der Ratspräsidentschaft (polish-presidency.consilium.europa.eu/pl) zu entnehmen ist. Hinzukommen, neben zahlreichen Treffen der EU-Fachminister und bilateralen Treffen der EU mit einzelnen Ländern oder Regionen (z. B. Südafrika, Zentralasien etc.), vor allem die außerordentliche Tagung des Europäischen Rates am 6. März, auf der über die Ukraine und die europäische Verteidigung beraten wurde, und die regulären Sitzungen des Europäischen Rates am 20. März und am 26. Juni 2025. Insgesamt haben neben den drei Treffen des Europäischen Rates noch 22 informelle Treffen auf Ministerebene in Polen stattgefunden, des Weiteren 43 Treffen des Rates der Europäischen Union (Zusammenkünfte der Fachminister), 320 Begegnungen von Beamten in Polen, knapp 1.800 Arbeitsgruppentreffen, 520 Kulturveranstaltungen in 30 Ländern mit 1.100 Kulturschaffenden und es sind 468 Patronate der Präsidentschaft zuerkannt worden.
Bei dem außerordentlichen Treffen des Europäischen Rates am 6. März wurde das Thema Sicherheit und Unterstützung der Ukraine aufgegriffen. Der Austausch mit dem ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskyj, stand dabei am Beginn des Treffens. Im Einzelnen wurde vereinbart, der Ukraine im Jahr 2025 30,6 Mrd. Euro zukommen zu lassen, wobei 12,5 Mrd. aus der sogenannten Ukraine-Fazilität und 18,1 Mrd. aus einem G7-Darlehen kommen sollen. In der Ukraine-Fazilität bündelt die EU ihre unterschiedlichen Instrumente und möchte im Zeitraum 2024–2027 die Ukraine in den Bereichen makrofinanzielle Stabilität (Wiederaufbau und Modernisierung), Reformen, öffentliche Dienstleistungen, Zivilgesellschaft und Mobilisierung von Investitionen im Privatsektor unterstützen. Ferner stellte die EU Grundsätze für einen umfassenden und gerechten Frieden vor, und zwar: keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine, Beteiligung der Europäer in Fragen der europäischen Sicherheit, ein Waffenstillstand nur als Beginn eines Prozesses zu einem Friedensabkommen, robuste und glaubwürdige Sicherheitsgarantien für die Ukraine und ein Frieden, der die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine bewahrt. Des Weiteren begrüßte der Rat die Anstrengungen von Mitgliedsländern, die Ukraine in den Bereichen Luftabwehr, Ausbildung und Verteidigungsindustrie zu stärken. Schließlich unterstützte der Rat die Empfehlungen der Europäischen Kommission, die Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes für höhere Verteidigungsausgaben abzuschwächen.
Das reguläre Treffen des Europäischen Rates vom 20. März griff neben zahlreichen weiteren Themen wie dem Mehrjährigen Finanzrahmen, Naher Osten oder Migration erneut die Unterstützung der Ukraine und die europäische Verteidigung auf. Dabei wurden die Beschlüsse vom 6. März bestätigt und auch auf das am 19. März von der Europäischen Kommission vorgestellte »Weißbuch zur europäischen Verteidigung« und den Plan »ReArm Europe – Readiness 2030« verwiesen.
Dieses Weißbuch stellt einen wichtigen Schritt für die EU auf dem Weg dar, ihre Verteidigungsfähigkeiten auszubauen und die europäische Verteidigungsindustrie bis 2030 zu stärken. Das Ziel ist dabei keineswegs die Schaffung einer europäischen Armee, sondern die Koordination der Anstrengungen der Mitgliedsstaaten beispielsweise durch gemeinsame Beschaffungsplattformen oder Stärkung der Munitionsproduktion, gestützt durch Mittel aus dem 2017 geschaffenen Europäischen Verteidigungsfonds der EU. Insgesamt ist der Verteidigungsfonds für den Zeitraum 2021–2027 mit 7,953 Milliarden Euro ausgestattet. Der Plan »ReArm Europe – Readiness 2030« schlägt hingegen 800 Mrd. Euro für die Verteidigung durch nationale fiskalische Flexibilität vor.
Auch der nächste Gipfel des Europäischen Rates am 26. Juni 2025, also zum Ende der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, knüpfte an die Beschlüsse vom 6. März 2025 an und stützte unter anderem die am 27. Mai angenommene Verordnung über »Sicherheitsmaßnahmen für Europa« (SAFE), das Mitgliedsstaaten in ihrer industriellen Produktion im Verteidigungsbereich durch gemeinsame Beschaffungen mit dem Schwerpunkt auf vorrangigen Fähigkeiten unterstützen soll. Die EU wird dafür 150 Mrd. Euro bereitstellen, die Mitgliedsstaaten auf Anfrage und bei Vorliegen nationaler Pläne ausgezahlt werden, und zwar als Darlehen mit langer Laufzeit. Eine weitere Voraussetzung ist die Beteiligung von mindestens zwei Mitgliedsstaaten, das heißt eine gemeinsame Beschaffung, um Skaleneffekte zu ermöglichen.
Es ist offensichtlich, dass sich das von Polen verkündete Leitthema für seine EU-Ratspräsidentschaft, »Sicherheit, Europa«, in wichtigen Beschlüssen des Europäischen Rates widerspiegelt. Wie ist aber die polnische EU-Ratspräsidentschaft insgesamt zu bewerten und welches ist der polnische Beitrag zu diesen Beschlüssen im Bereich einer europäischen Verteidigungspolitik?
Zum Abschluss der polnischen EU-Ratspräsidentschaft kam die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen am 27. Juni 2025 zu einem sehr positiven Fazit. Sie verwies darauf, dass Polen 37 legislative Verfahren in der EU abgeschlossen hat und ein Mandat für 18 weitere erringen konnte. Zudem seien das 16. und 17. Sanktionspaket und neue Zölle gegen Russland und Belarus verhängt worden. Unterstützung habe Polen auch bei der SAFE-Verordnung bereits gestellt sowie Fortschritte im Bereich der europäischen Rüstungsindustrie mit ermöglicht.
Erwartungsgemäß kommt auch der polnische Regierungschef Donald Tusk auf derselben Pressekonferenz zu einem positiven Fazit. Er hält sich selbst zugute, dass er mit dazu beigetragen habe, das europäische Paradigma, den naiven Glauben, von einem Europa ohne Krieg, zu beenden und Europa von der Notwendigkeit von Verteidigungsanstrengungen zu überzeugen. Er erwähnt die SAFE-Verordnung und die damit verknüpften 150 Mrd. Euro sowie den Schutzschild Ost, eine Initiative der polnischen Regierung vom Frühjahr 2024, um von 2024 bis 2028 die polnische Ostgrenze, insbesondere zum Kaliningrader Gebiet und zu Belarus mit Panzersperren, Bunkern und Schutzräumen für Zivilisten auf eine Länge von etwa 800 km zu bewehren. Für diesen Schutzschild wird nun eine Milliarde Euro von der Europäischen Investitionsbank zur Verfügung gestellt bei geschätzten Gesamtkosten von elf Milliarden Zloty (etwa 2,5 Mrd. Euro). Es ist ein großer Erfolg der polnischen Regierung, dass der Schutzschild Ost nun auch als europäisches Projekt behandelt wird. Weitere Mittel sollen aus dem Europäischen Aufbauplan finanziert werden. Das Europäische Parlament hatte in einer Resolution zum »Weißbuch zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030« das polnische Projekt Schutzschild Ost und die Baltische Verteidigungslinie, eine Initiative der drei baltischen Staaten vom Januar 2024, als Flaggschiffprojekte der EU zur Stärkung der Abschreckung und als Antwort auf eine potentielle Bedrohung aus dem Osten bezeichnet.
Zudem hat Polen nach eigenen Angaben fünf sogenannte »Simplification Omnibus packages« eingeführt. Mit diesem, im Februar 2025 beschlossenen Verfahren möchte die EU-Kommission in der Umsetzung des »Green Deal« die Nachhaltigkeitsberichterstattung und den Verwaltungsaufwand für Unternehmen reduzieren. Die von Polen eingeführten Vereinfachungsverfahren betreffen Verteidigung, Landwirtschaft und kleine und mittlere Unternehmen.
Schließlich hat Polen auch die RePowerEU Roadmap unterstützt, die beinhaltet, dass die EU bis 2027 russische Gas- und Öllieferungen aufkündigt und keine weiteren Verträge schließt. Der Vorschlag wurde Ende Juni von der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und an den Europäischen Rat gesandt, wobei hier eine Einigung noch aussteht. Sowohl die Slowakei als auch Ungarn sperren sich gegenwärtig noch gegen diesen Vorschlag.
Eines der Ziele Polens für seine Präsidentschaft war auch die digitale Sicherheit, so dass es wohl gleichfalls zu den polnischen Erfolgen gezählt werden kann, dass die Telekomminister der EU-Länder am 6. Juni 2025 die EU blueprint angenommen haben, womit ein nicht verpflichtendes Krisenmanagement für die Cybersicherheit verbessert werden soll. Es werden Phasen einer Cyberkrise vorgeschlagen, und zwar Erkennung, Analyse, Eskalation, Reaktion und Wiederherstellung. Die letzte Empfehlung der EU stammte noch aus dem Jahr 2017. Während der Ratspräsidentschaft stand Polen diesbezüglich im regen Austausch mit Moldau, das bereits mehrfach Ziel von Cyberangriffe gewesen ist. Polen trug auch wesentlich dazu bei, dass Moldau weitere 1,9 Mrd. Euro für notwendige Reformen und Wachstumsimpulse erhält.
Aber auch jenseits des wichtigen Verteidigungsthemas war die polnische EU-Ratspräsidentschaft aktiv. So ist es gelungen, nach 20-jähriger Blockade endlich das Pharmapaket der EU zu verabschieden. Es soll allen Bürgern und Bürgerinnen der EU sichere, erschwingliche und wirksame Arzneimittel zugänglich machen. Ferner soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie durch eine Reduzierung des Regulierungsaufwandes gesteigert, die Versorgungssicherheit überwacht und die Umweltauswirkungen von Arzneimitteln verringert werden. Die COVID-19-Pandemie hat aufgezeigt, wie wichtig Versorgungssicherheit, aber auch der Zugang zu günstigen Medikamenten sind, so dass dieses Pharmapaket sowohl den Patienten wie auch der europäischen Pharmaindustrie zugutekommen dürfte.
In der Debatte über die Zukunft der Kohäsionspolitik der EU, ebenfalls Thema während der letzten Ratspräsidentschaft, setzte Polen auf eine Verbindung von Kohäsion und Sicherheit. Eine erfolgreiche Kohäsionspolitik, welche die regionalen Disparitäten in der EU weiter reduziere, sei ein Beitrag zur inneren Sicherheit und verringere EU-Skepsis, so Staatssekretär Jan Szyszko vom Ministerium für Entwicklungsfonds und Regionalpolitik Polens. Bei der Kohäsionspolitik geht es in den EU-Strukturfonds um enorme Summen, etwa 392 Mrd. Euro im Zeitraum 2021–2027, die nach einer möglichen nächsten Erweiterungsrunde anders verteilt würden, was Polen als bisher größten Nutznießer wohl am stärksten betreffen würde. Die EU-Kommission hatte die Mitgliedsstaaten am 1. April 2025 aufgefordert, die strategischen Prioritäten der EU in ihre Kohäsionsprogramme zu integrieren, also u. a. auch Verteidigung, Sicherheit und Unterstützung der östlichen Grenzregionen, aber auch erschwinglichen Wohnraum, krisenfeste Wasserversorgung und die Energietransformation. Ganz offensichtlich ist es das Bestreben der EU-Kommission, die vorhandenen Mittel besser mit den strategischen Planungen der EU zu koordinieren, während Polen besonderen Wert darauf legt, auch Fragen der Verteidigungsfähigkeit und der Sicherheit in die Kohäsionsprogramme einzubeziehen. Bis Ende 2025 sollen nach Wunsch der EU-Kommission diese Ansätze realisiert sein, also etwa zur Halbzeit der Kohäsionspolitik 2021–2027. Der Start des Implementierungszeitraumes war traditionell später, so dass immer noch erhebliche Mittel abfließen werden. Die Festlegungen für die neue Förderphase 2028–2034 dürften aber wohl erst Ende 2027 getroffen werden.
Allerdings ist während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft nicht alles gelungen. So scheiterte der Start von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine bekanntlich bisher am ungarischen Veto und auch für den Ausstieg aus russischen Energielieferungen zeichnet sich noch keine Einigung ab. Zweifellos hat die polnische Regierung auf dem Feld der Verteidigungs- und Energiepolitik wichtige Impulse geliefert, zumal Polen als ein wichtiger Unterstützer der Ukraine und direkter Anrainerstaat hier mit großer Glaubwürdigkeit auftreten kann.
Naturgemäß geht die Opposition mit der polnischen EU-Ratspräsidentschaft schärfer ins Gericht. Der langjährige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) hält auf Instagram fest, dass es überhaupt keine Erfolge gegeben und die polnische Regierung keineswegs polnische Interessen verfolgt habe.
Filip Godlewski kommt auf der Internetseite der Polnischen Gesellschaft für Politische Wissenschaften (Polskie Towarzystwo Nauk Politycznych – PTNP) zu einem gemischten Fazit. Zunächst hält er fest, dass es doch angesichts der Erfolge merkwürdig sei, dass die polnische Bevölkerung kaum über die Ratspräsidentschaft informiert sei. Es habe kaum konkrete Vereinbarungen gegeben, die das Leben der Polen oder der Europäer verbessert hätten. Slogans hätten dominiert. Zudem fragt er, ob beispielsweise die SAFE-Verordnung tatsächlich ein polnischer Erfolg sei. Auch sei die Migrationsfrage nach wie vor virulent, wie zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze, und schließlich habe es keinen EU-Gipfel in Polen gegeben. Insgesamt, so Godlewski zum Schluss, blieben wichtige Probleme ungelöst. Der EU-Migrationspakt trete erst 2026 in Kraft, die negativen Auswirkungen des Green Deal beständen fort und die Sorgen vor der Einführung des Abkommens EU-Mercosur existierten weiter. Gemeint ist damit das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay), welches zwar am 6. Dezember 2024 unterzeichnet wurde, aber noch auf die Ratifizierung in den EU-Mitgliedsstaaten und im Europäischen Parlament wartet. Godlewskis Bilanz ist damit überwiegend negativ, zumal sich Polen auch nicht der weiterhin verfolgten Föderalisierung der EU, das heißt dem Umbau zu einem Bundesstaat widersetzt habe.
Ganz fair scheint diese Kritik nicht zu sein. Zu den wichtigsten Aufgaben der EU gehören gegenwärtig Verteidigungsfragen und da ist die EU in den letzten sechs Monaten, sicherlich auch durch polnische Initiativen ein gutes Stück vorangekommen. Es ist müßig und wohl auch schwer zu eruieren, was hier der polnische Beitrag ist. Allein der Umstand, dass Polen bereits 2024 die Initiative des Schutzschildes Ost begonnen hat und im Jahr 2025 4,7 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben wird – also noch vor der Umsetzung der Beschlüsse des NATO-Gipfels Ende Juni 2025 in Den Haag – zeigt zumindest, dass die Präsidentschaft kaum auf ein besseres Land hätte rotieren können. Zudem bleibt unklar, was der Autor mit der Föderalisierung der EU meint. Ein aktueller Plan, die EU zu den Vereinigten Staaten von Europa umzubauen, existiert jedenfalls nicht.
Allerdings gehört zu den Sicherheitsfragen auch das Thema Migration und hier ist die Situation an den polnischen Grenzen, wie auch in anderen Mitgliedsländern, mehr als beunruhigend. Zwar haben Europäischer Rat und Europäisches Parlament am 19. März 2025 einen Kompromiss erzielt und sich auf das Entry/Exit System (EES) geeinigt, ein elektronisches System, das die Ein- und Ausreisen von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen des Schengen-Raums automatisiert erfassen und damit die bisherige manuelle Stempelung von Pässen abschaffen wird. Das allein wird die Situation an den Grenzen und vor allem die Friktionen zwischen den Mitgliedsstaaten wie jüngst zwischen Deutschland und Polen jedoch nicht beenden. Wie das polnische Innenministerium Anfang Juli 2025 mitteilte, sind in diesem Jahr bereits 4.600 Menschen aus Deutschland illegal nach Polen gereist, darunter 800 Menschen mit einer Migrationsgeschichte über Belarus. Etwa 40 Prozent dieser Menschen seien Ukrainer. Daher werde die polnische Regierung, auch als Reaktion auf die deutschen Grenzkontrollen, ab dem 7. Juli 2025 ihrerseits Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen und polnisch-litauischen Grenze einführen, vorerst begrenzt bis zum 5. August. Es bleibt zu hoffen, dass sich beide Regierungen spätestens bis zu diesem Zeitpunkt auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt haben.
Polnischer EU-Diskurs unter dem Einfluss der Migrationskrise
Auch wenn die Kritik der PiS oder auch die von Godlewski über das Ziel hinausschießt, ist die Frage doch berechtigt, was von der polnischen EU-Präsidentschaft in Polen wahrgenommen worden ist. Anfang Dezember 2024 hatten nach einer Umfrage von CBOS 51 Prozent noch nichts von einer polnischen EU-Ratspräsidentschaft gehört, 49 Prozent hatten davon immerhin aus dem Fernsehen erfahren. Der Umstand, dass es bisher keine weiteren Umfragen dazu gibt, ist für ein Land, in dem Umfragen für die Politstrategen so wichtig sind, auch eine klare Aussage. Zwar haben auch der polnische Sejm und der Senat etliche Treffen mit Parlamentariern des Europäischen Parlaments und mit Mitgliedern anderer Parlamente der Mitgliedsstaaten durchgeführt, so im März eine Interparlamentarische Konferenz über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Warschau, aber diese Treffen werden von der Bevölkerung kaum wahrgenommen. Damit ist die Kritik, dass kein Treffen während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in Polen stattgefunden hat, meines Erachtens stichhaltig. So bedenklich bisweilen der Aufwand und die Kosten für derartige Mammutveranstaltungen auch sein mögen, so hätte ein solcher Gipfel doch die Sichtbarkeit der EU und der polnischen EU-Ratspräsidentschaft deutlich erhöht und auch die Presse- und Medienberichterstattung wäre wohl sehr viel umfangreicher gewesen.
Trotz der Aktualität der Migrationsfrage sprach sich aber die Mehrheit der Polen im April 2025 nicht nur für den Verbleib in der EU, sondern mit 34 Prozent sogar für eine stärkere Integration aus, wie aus einer vom Meinungsforschungsinstitut Opinia24 für den populären Sender Radio ZET durchgeführten Umfrage hervorgeht. Nur neun Prozent vertraten die Ansicht, dass Polen aus der EU austreten sollte. Natürlich sind deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen, den Wählerschaften der diversen Parteien und mit Blick auf den Bildungshintergrund festzustellen. Bemerkenswert ist, dass sich die Gruppe der 25–29-Jährigen mit 40 Prozent am stärksten für eine Lockerung der Integration ausspricht – vielleicht ein Ergebnis der wachsenden Popularität rechter Gruppierungen wie der Partei Konföderation in den letzten Jahren, die gerade unter Jungwählern populär sind. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 18. Mai 2025 hatten bei den Wählern zwischen 18–29 Jahren 34,9 Prozent für den Kandidaten der Konföderation Sławomir Mentzen gestimmt (Platz 1) und) 19,8 Prozent für Adrian Zandberg (Platz 2), den Kandidaten der linken Partei Gemeinsam (Razem). Im Gesamtergebnis erhielt Mentzen bei allen Wählern 14,8 Prozent (Platz 3) der Stimmen und Zandberg 4,9 Prozent (Platz 6) der Stimmen. Die Wählerschaft ist in Polen sehr volatil – wie mittlerweile auch in anderen europäischen Demokratien – und die EU sollte sich nicht nur um die Verteidigungsfähigkeit, sondern auch stärker um die Resilienz der europäischen Demokratie und die Popularisierung der europäischen Integration kümmern.
Das Motto der nun gerade begonnenen dänischen EU-Ratspräsidentschaft »Ein starkes Europa in einer Welt im Wandel« möchte sich für ein sicheres, wettbewerbsfähiges und grünes Europa einsetzen. Es bleibt zu hoffen, dass die Sichtbarkeit dessen, was die EU für ihre Bürger tut, ebenso zunimmt wie die europäische Verteidigungsfähigkeit. Die polnische EU-Ratspräsidentschaft konnte sicherlich nicht alle Wünsche erfüllen, aber es hat sich doch gezeigt, dass Polen die EU-Ratspräsidentschaft sehr effizient durchgeführt hat. Was noch aussteht ist ein deutsch-polnischer Kompromiss in der Migrationsfrage, um den Druck bei diesem Thema zu verringern.