Die innenpolitische Situation in Polen nach den Präsidentschaftswahlen 2025

Von Janusz A. Majcherek (Akademia WSB, Dąbrowa Górnicza)

Zusammenfassung
Die Regierung von Donald Tusk hat Ende 2023 versprochen, die zahlreichen Reformen des nationalkonservativen Lagers zurückzunehmen und die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit zu betreiben. Dies war angesichts des Vetorechts des konservativen Staatspräsidenten Andrzej Duda nur teilweise möglich. Alle Hoffnungen der Mitte-links-Koalition konzentrierten sich somit auf die im Mai/Juni 2025 stattfindenden Präsidentschaftswahlen, von denen ein wichtiges Signal nach innen und nach außen gesendet werden sollte. Das Wahlergebnis war ein solches Signal, allerdings ein überraschendes, das den Hoffnungen der seit 2023 regierenden Mitte-links-Koalition zuwiderläuft.

Die Rolle des Präsidenten im politischen System Polens

Das Amt des Staatspräsidenten ist in der Republik Polen mit größeren Befugnissen ausgestattet als in der Bundesrepublik, allerdings mit weniger als in Frankreich. Die Position des Präsidenten wird durch die Direktwahl der Wählerinnen und Wähler legitimiert sowie durch das Vetorecht gestärkt, das er gegen vom Parlament verabschiedete Gesetze geltend machen kann. Sein Veto kann nur mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit des Sejm aufgehoben werden, bisher jedoch verfügte keine Sitzverteilung im Sejm, auch nicht die aktuelle, über eine solche Mehrheit. In der Praxis ist also jedes Präsidentenveto wirksam. Der Präsident hat außerdem das Recht, eigene Gesetzesentwürfe vorzulegen, er ernennt Staatsbedienstete, ist Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte und hat bestimmte Vorrechte in der Außenpolitik, z. B. bei der Ernennung von Botschaftern. Die Amtszeit – maximal zwei sind möglich – umfasst fünf Jahre.

In den vergangenen zehn Jahren hatte Andrzej Duda das Präsidentenamt inne. Er kommt aus dem rechtskonservativen politischen Lager und hat während dessen achtjähriger Regierungszeit eng mit ihm zusammengearbeitet, insbesondere bei der Schwächung der demokratischen Institutionen des Rechtsstaates und hier v. a. der Gerichte. Seine Befugnis, Richter zu ernennen und Posten in den Gerichten zu besetzen, hat er dahin gehend genutzt, diejenigen Kandidaten zu nominieren und zu befördern, die ihm die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) unter der Führung von Jarosław Kaczyński angewiesen hat. Gehorsam bestätigte er Gesetze, die häufig nicht gemäß dem Gesetzgebungsprozedere und der Verfassung von den regierenden Rechtskonservativen verabschiedet worden waren, gern schloss er sich deren antiliberalen und antiprogressiven ideologischen Kreuzzügen an, bekämpfte die »Gender-Ideologie«, lehnte die Forderungen der LGBTQ-Bewegung ab, negierte die Rechte von Frauen und jeglicher Minderheiten und unterstützte nationalistische Bewegungen und Milieus. Letzteres war auch insofern geschmacklos, als sein Schwiegervater Julian Kornhauser ein polnischer Jude ist und zudem ein anerkannter Dichter und Hochschullehrer.

Im Oktober 2023 fanden in Polen Parlamentswahlen statt. Nach einer spektakulären Mobilisierung prodemokratischer Wählerinnen und Wähler und Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit haben die Rechtskonservativen die Regierungsmacht verloren. Da aber die PiS die meisten Stimmen erhalten hat (mehr als 35 Prozent), beauftragte Präsident Duda ihren Kandidaten und bisherigen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki mit der Regierungsbildung, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, da eine Koalition aus Mitte-links-Gruppierungen die Mehrheit im Parlament auf sich vereinen konnte. Auf diese Weise gelang es den Rechtskonservativen, trotz bevorstehenden Verlustes der Regierungsmacht ihre Amtsniederlegung um zwei Monate hinauszuschieben. Mit Hilfe des dienstfertigen Duda wurde eine Vielzahl staatlicher Positionen und Verwaltungsstellen mit konservativen Kandidaten besetzt, deren Amtszeit verlängert oder deren Entlassung praktisch ausgeschlossen wurde.

Das hatte zur Folge, dass die Mitte-links-Koalition, die im Dezember 2023 unter der Führung von Donald Tusk die Regierungsverantwortung übernahm, auf Schwierigkeiten und Hindernisse stieß, als sie ihre Wahlversprechen einlösen und ihre Vorhaben verwirklichen wollte, insbesondere was die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit betraf. Alle Initiativen in dieser Richtung belegte Duda mit seinem Veto. Ebenso war es bei den Gesetzen, die das Abtreibungsrecht liberalisieren sollten, sowie vielen anderen, die Duda gelegentlich auch an das Verfassungstribunal weiterleitete, das zuvor fast vollständig mit PiS-Kandidaten besetzt worden war und Urteile fällte, die den Interessen und ideologischen Präferenzen dieser Partei entsprachen. Dies führte zur Lähmung der Arbeiten der Regierung von Ministerpräsident Tusk und rief in der öffentlichen Meinung den zunehmenden Eindruck ihrer Machtlosigkeit hervor.

Das Wahlergebnis der Präsidentschaftswahlen und seine Folgen

In dieser Situation blickte das Regierungslager hoffnungsvoll auf die zu Ende gehende Amtszeit von Andrzej Duda im August 2025 und das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen, die im Mai/Juni stattfinden sollten. Favorit war der Kandidat der regierenden Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), der Warschauer Stadtpräsident Rafał Trzaskowski, dem die Umfragen den sicheren Sieg vorhersagten.

Als dessen Rivalen bestimmte Jarosław Kaczyński den nicht weiter bekannten Karol Nawrocki, einen Historiker, der das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej – IPN) leitete, also eine Einrichtung, welche eine polnische Geschichtspolitik im nationalistisch-martyrologischen Geist erschuf. Zu den Präsidentschaftswahlen ließen sich rekordverdächtig viele Kandidaten aufstellen, u. a. der Mitbegründer der Regierungsmehrheit Sejmmarschall Szymon Hołownia, die stellvertretende Senatsmarschallin aus dem gemäßigten linken Lager Magdalena Biejat, außerdem Sławomir Mentzen, der Repräsentant der ultrarechten Konföderation (Konfederacja), die in vielerlei Hinsicht an die AfD erinnert, der Anführer der radikal linken Partei Gemeinsam (Razem) Adrian Zandberg sowie auch der wegen Herbeiführung einer Spaltung zuvor aus der Konföderation ausgeschlossene Grzegorz Braun, ein rechtsextremer Hetzer und antisemitischer Provokateur.

Der Wahlkampf war hitzig. In seinem Verlauf wurden immer weitere Sitten- und Finanzskandale und sogar kriminelle Vergehen aufgedeckt, in die Nawrocki verstrickt war, und trotzdem nahm die Unterstützung für ihn zu, so dass der Favorit Trzaskowski den ersten Wahlgang mit nur knapp zwei Prozent der Stimmen (31,36 : 29,54) gewann. Als Sensation lassen sich aber die Ergebnisse der anderen Kandidaten aus dem rechten politischen Lager bezeichnen: Mentzen erhielt knapp 15 Prozent und der Radikale Braun über sechs Prozent. Eine Niederlage erlitt dagegen Hołownia, der fünf Jahre zuvor knapp 14 Prozent bekommen hatte und auf eine Verbesserung dieses Ergebnisses zählte und vielleicht auch auf den Einzug in den zweiten Wahlgang mit Chancen auf einen Sieg – er bekam weniger als fünf Prozent. Eine Niederlage erfuhr auch Biejat mit einem noch schlechteren Ergebnis. Klar war, dass über das Ergebnis des zweiten, entscheidenden Wahlgangs die Wählerstimmen der extremen Rechten entscheiden würden.

Trzaskowski versuchte, den libertären Teil dieser Wähler für sich einzunehmen, er trat in einem Internet-Podcast mit Mentzen auf und trank sogar mit ihm Bier – Mentzen besitzt eine eigene Brauerei und Einladungen »auf ein Bier« machte er zu seinem Markenzeichen. Die Mehrheit der Mentzen- bzw. Braun-Wähler stimmte im zweiten Wahlgang dennoch für Nawrocki und gab den Ausschlag für dessen Wahlsieg mit minimalem Vorsprung – 50,89 Prozent.

Aus Sicht des Regierungslagers war das eine Katastrophe, denn alle Pläne, die vom bisherigen Präsidenten sabotierten Initiativen der Regierung freizusetzen, fielen in sich zusammen. Das Amt des Präsidenten wird nun von einem noch unnachgiebigeren Feind des Liberalismus, der Fortschrittlichkeit und linker Orientierungen besetzt. Der Erfolg dieses Nationalisten und seiner radikal rechten Verbündeten und Sympathisanten ermutigte und aktivierte extremistische politische Milieus und verschob die öffentliche Meinung in Richtung des siegreichen rechtsnationalistischen Lagers. Insbesondere die von ihm angeheizte Stimmung gegen Immigration, die Ukraine, Europa und Deutschland kommt groß heraus. Letztere im Zusammenhang mit den Ankündigungen, dass die deutschen Behörden Immigranten nach Polen zurückschicken, wenn sie nicht die entsprechenden Dokumente vorweisen können oder die Bedingungen für Asyl in der Bundesrepublik nicht erfüllen. Die polnischen Rechtspopulisten schürten Panik, dass Deutschland massenhaft illegale Immigranten nach Polen abschieben würde. Nationalistische Milieus organisierten sogar die selbsternannte »Bewegung zur Verteidigung der Grenzen« (Ruch Obrony Granic), die ohne rechtliche Grundlage auf der Suche nach illegalen Immigranten Fahrzeuge, welche die deutsch-polnische Grenze überquerten, kontrollierte. Die Einschüchterung mithilfe der Instrumentalisierung von Immigranten nahm panikartige Ausmaße an und bewirkte eine fremdenfeindliche, sogar rassistische Stimmung. Dies erinnert an die Antiimmigrationskampagne von Donald Trump und seinen Anhängern in den USA, zu denen sich im Übrigen viele aus dem polnischen rechtsorientierten Lager zählen.

Reaktionen im Regierungslager

Nawrockis Sieg bei den Präsidentschaftswahlen ließ das nationalistische, rechtskonservative Lager triumphieren, im Regierungslager kam es dagegen zu einer Krise. Die rechtsgerichtete Opposition behauptete, das Wahlergebnis bedeute ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, denn der besiegte Kandidat kam aus dem Regierungslager, repräsentierte dieses im zweiten Wahlgang und wurde zudem von Ministerpräsident Tusk aktiv unterstützt. Zu ähnlichen Einschätzungen kamen auch neutrale und objektive Kommentatoren, die gern das Bild der »roten Karte für Tusk« in ihren Interpretationen des Wahlergebnisses verwendeten; viele riefen ihn zum Rücktritt auf. Um diese Forderungen abzuweisen, stellte Tusk noch im Juni im Sejm die Vertrauensfrage für seine Regierung. Er gewann sie leicht, denn die Regierungskoalition zeigte ihre Loyalität und hat weiterhin die Mehrheit im Parlament.

Die Krise des Regierungslagers war damit allerdings nicht zu Ende, was auch mit der Zusammensetzung der Koalition zusammenhängt, die aus vier Parteien besteht: der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO), der Neuen Linken (Nowa Lewica), der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) und Polen 2050 (Polska 2050). Die drei kleineren Koalitionspartner, deren Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen eine Niederlage erfuhren, verzeichnen eine geringe Unterstützung in den Umfragen. Alle Gruppierungen, abgesehen von der KO, liegen an der Grenze oder unter der Fünf-Prozent-Hürde. Um ihre Umfragewerte zu verbessern, verschärfen sie ihre Forderungen nach Umsetzung ihrer Ideen und Programme, um sich vor ihren Wählern zu profilieren. Da sie ein recht breites ideologisches Spektrum repräsentieren, laufen ihre Programme und Forderungen häufig auseinander, was zu Spannungen innerhalb der Koalition führt. Das wiederum erweckt den Eindruck eines Durcheinanders, was an die Situation der Ampel-Koalition in Deutschland erinnert.

Tusk entschloss sich in dieser Situation, sein Kabinett umzubauen und zu konsolidieren. Er reduzierte die Anzahl der Ministerien, setzte ein starkes Wirtschaftsressort ein, das auch für Finanzen zuständig ist, und ernannte Radosław Sikorski, den beliebten Außenminister, zu seinem Vize. Vor allem aber berief er in das Amt des Justizministers Waldemar Żurek, einen der vielen Richter, die in der Regierungszeit der PiS schikaniert worden und Repressionen ausgesetzt gewesen waren, weil sie die Rechtsstaatlichkeit verteidigt hatten. Żurek machte sich sofort daran, die für die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, was die Wähler der aktuellen Regierungskoalition erwarten, wobei jedoch das träge Tempo der bisher eingeleiteten Abrechnung mit den Unregelmäßigkeiten und Pathologien der Zeit der PiS-Regierung zu Enttäuschungen geführt hatte.

Die Umbildung der Regierung wird als neue Öffnung dargestellt. Es soll der Beginn einer dynamischeren Politik sein, die einen Sieg bei den Parlamentswahlen 2027 in Aussicht stellen soll sowie den Schutz des Landes vor einer Machtübernahme durch das rechtsnationalistische und -radikale Lager, das zusammen die Mehrheit in den aktuellen Umfragen hat. In vielen Kommentaren tauchte sogar der Begriff »Kriegskabinett« auf, was suggeriert, dass sich das Regierungslager entschlossen der rechtsgerichteten Opposition und dem mit ihr zusammenarbeitenden Präsidentenlager entgegenstellt, das eindeutig den Kampf gegen die Regierung angekündigt hat.

Die wirtschaftliche und geopolitische Situation

Nawrockis Sieg, die sehr guten Wahlergebnisse seiner noch radikaleren rechten Verbündeten sowie der Rechtsruck der öffentlichen Meinung in Polen spiegeln globale Trends wider. Ein wesentlicher Bestandteil ist die Ablehnung der Einwanderung, die von Rechtspopulisten intensiv befeuert wird. Die polnische Regierung versucht, diese Stimmung zu bändigen, indem sie einigen gesellschaftlichen Erwartungen entgegenkommt – daher die undurchlässige und streng bewachte Mauer an der Grenze zu Belarus sowie die Patrouillen des polnischen Grenzschutzes an der deutsch-polnischen Grenze und darüber hinaus die Aussetzung des Asylrechtes in Polen. Diese Politik stößt auf die Kritik linksorientierter Kreise, findet aber mehrheitlich die Zustimmung der öffentlichen Meinung. Allerdings nimmt diese nicht zur Kenntnis, dass die Bevölkerung Polens infolge der niedrigen Geburtenrate und eines negativen natürlichen Wachstums zurückgeht und folglich ohne Immigranten nicht imstande sein wird, die wirtschaftliche Entwicklung aufrechtzuerhalten.

Diese ist nach wie vor ansehnlich, die makroökonomischen Basisindizes sind günstig, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt bei 3,5 Prozent jährlich und gehört zu den höchsten in der Europäischen Union und die internationale Fachpresse, z. B. auch die deutsche Wirtschaftswoche (Mai 2025), lobt die polnischen Erfolge. Die größte Gefahr geht allerdings von der wachsenden Staatsverschuldung aus. Die rechtskonservative Regierung hat eine verschwenderische Sozialpolitik betrieben und die damalige Opposition, die ein bestmögliches Wahlergebnis erzielen wollte, versprach, diese fortzusetzen, was sie nach der Übernahme der Regierungsverantwortung auch einlöste. Die aggressive Politik Russlands erfordert jedoch eine radikale Erhöhung der Verteidigungsausgaben, wobei Polen hier mit knapp fünf Prozent des BIP eine Spitzenposition in der NATO einnimmt. Da die Kürzung der Sozialausgaben aus politischen Gründen nicht möglich ist, werden andere Ausgaben des öffentlichen Haushaltes mit Schulden finanziert. Die Schulden sind immer noch relativ gering, sie liegen unter der 60-Prozent-Marke des BIP, aber sie wachsen schnell. Das Problem Polens ist seit Jahren das niedrige Investitionsniveau, das knapp 17 Prozent des BIP beträgt, was einer der schlechtesten Werte in der EU ist. Nicht gerade begünstigt wird dies durch die relativ hohen Kreditzinsen, die doppelt so hoch wie die in der Eurozone sind. Die Polen legen jedoch eine irrationale Abneigung gegenüber einem Beitritt zur gemeinsamen europäischen Währung an den Tag. Nach der Einführung des Euro im kommenden Jahr in Bulgarien wird Polen eines der letzten EU-Mitgliedsländer und das größte von ihnen sein, das außerhalb des Euroraums bleibt.

Das hat negative Auswirkungen auf die Position Polens in der Europäischen Union. Nach dem Brexit bestand die Chance, dass Polen in der EU den von Großbritannien frei gemachten Platz einnimmt, die PiS-Regierung war jedoch antieuropäisch eingestellt und verursachte zudem die Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Zur Strafe wurden nicht nur finanzielle Mittel aus den europäischen Fonds eingefroren, sondern wurde Polen auch in Entscheidungsprozessen der EU übergangen. Nach dem Wahlsieg und der Regierungsübernahme durch das Mitte-links-Bündnis wurden die EU-Mittel freigegeben, und Donald Tusk, in Brüssel als ehemaliger Präsident des Europäischen Rates bekannt und geschätzt, sicherte Polen einen Aufstieg in der politischen Hierarchie. Das hohe persönliche Ansehen und die weitreichende Vernetzung von Außenminister Sikorski erhöhten den Rang Polens in der europäischen Politik. Nawrockis Sieg und mögliche Wahlerfolge der extremen Rechten könnten diese Errungenschaften zunichtemachen – nicht nur aufgrund ihrer antieuropäischen Haltung, sondern auch aufgrund der in polnischen rechtsgerichteten Kreisen verbreiteten Bewunderung für Donald Trump und der Faszination für seine Make America Great Again-Bewegung (MAGA) als nachahmenswertes Beispiel. Der Konfrontationskurs des US-amerikanischen Präsidenten gegenüber der Europäischen Union zieht die Gefahr nach sich, dass das ihm wohlgesinnte Präsidentenlager in Polen eine antieuropäische Stimmung bestärken wird.

Die Innen- und Außenpolitik und die öffentliche Meinung

Die rechtsgerichteten Kreise sind auch antideutsch eingestellt. Das ergibt sich aus der Tradition des polnischen Nationalismus und hat außerdem damit zu tun, dass diese Kreise Deutschland eine Schlüsselrolle in der verhassten Europäischen Union zuschreiben.

Das von den Rechtskonservativen und Nationalisten erklärtermaßen wichtigste politische Ziel ist die Unabhängigkeit und nationale Souveränität, was in der Praxis als Abneigung gegenüber der europäischen Integration zum Ausdruck kommt. Die Europäische Union wird in der rechten Propaganda als von Deutschland dominiert und dessen Interessen untergeordnet dargestellt; diese stünden angeblich im Widerspruch zu den polnischen Interessen. Unlängst berief sich sogar ein Bischof während einer religiösen Feierlichkeit auf die angeblich ewige und unüberwindbare Feindschaft zwischen Deutschen und Polen, klagte Tusk wegen deutscher Sympathien und seiner Abstammung an (seine Familie lebt seit Generationen in Danzig (Gdańsk)) und die Regierung wegen einer angeblich deutschlandfreundlichen Politik. Außenminister Sikorski übermittelte dem Vatikan seinen entschiedenen Protest, die Vertreter der deutschen Minderheit äußerten ihre Empörung, aber die Sympathie der polnischen Geistlichkeit für die nationalistische Rechte ist allgemein sichtbar und wird häufig kundgetan.

In der polnischen Außenpolitik herrscht ein gern öffentlich dargestellter antirussischer Konsens, der durch die aggressive Politik des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin bestärkt wird. Allerdings droht durch die antieuropäische Einstellung des an Stärke zunehmenden rechtsgerichteten Lagers eine Verschlechterung der Beziehungen zu den tatsächlichen und potentiellen westlichen Verbündeten, u. a. Deutschland, also die Isolierung Polens gegenüber der wachsenden russischen Bedrohung. Die regionalen Bündnispartner wiederum, hier Ungarn und die Slowakei, nehmen mehr oder weniger offen eine prorussische Haltung ein. Die Parlamentswahlen in Ungarn im kommenden Jahr, durch die der seit vielen Jahren regierende Viktor Orbán die Macht verlieren könnte, verbindet die polnische Regierung mit der Hoffnung, dass sich Ungarn von der prorussischen Politik abwenden wird. Die Parlamentswahlen in Tschechien im Oktober dieses Jahres könnten allerdings den prorussisch eingestellten Rechtspopulisten Andrej Babiš wieder in die Regierungsverantwortung bringen.

Objektiv betrachtet, dient die antieuropäische und antideutsche Einstellung des polnischen rechtsorientierten politischen Spektrums der Umsetzung strategischer Ziele, die der Politik des Putinschen Russlands in die Hände spielen, denn sie führt zur Schwächung der europäischen Einheit gegenüber der russischen Bedrohung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Warnungen auftauchen, der Kreml unterstütze im Geheimen die sich antirussisch gebenden Kräfte des rechtsorientierten Lagers, insbesondere indem antieuropäische, antiwestliche und antideutsche Stimmungen im Internet angeheizt werden. Die polnische extreme Rechte hält Kontakte und Verbindungen zu internationalen Organisationen desselben Profils, die nicht nur logistische, sondern auch finanzielle Unterstützung geben.

Die polnische Gesellschaft zeigt in Untersuchungen eine abnehmende Religiosität, die Statistiken der katholischen Kirche selbst verzeichnen einen systematischen Rückgang bei der Anzahl der Teilnehmer religiöser Praktiken. Der Anteil der Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen, sinkt beständig, gleichzeitig hält sich einer der höchsten Werte für die Unterstützung der Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union (ungeachtet des oben genannten Widerstands gegen den Beitritt zur Eurozone). Unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen sind die hohen Umfragewerte für die Kirche und das antieuropäische rechtskonservative und -nationalistische Lager sowie der Sieg ihres Repräsentanten bei den Präsidentschaftswahlen ein Paradox.

Dieses ergibt sich aus der starken Polarisierung, der Aufteilung der polnischen Gesellschaft in fast zwei gleiche Teile – den liberal-progressiven, proeuropäischen und säkularen auf der einen und den konservativ-nationalistischen, kirchlichen und fremdenfeindlichen auf der anderen Seite. Nach acht Jahren Dominanz des Letzteren siegte im Jahr 2023 Ersterer, um im Jahr 2025 knapp zu verlieren. Die politische Spaltung der polnischen Gesellschaft verläuft entlang der Wohnorte: Die Großstädte sind Mitte-links orientiert, die Provinz rechts-konservativ, die östlichen Regionen rechts-konservativ und die westlichen, darunter die an Deutschland angrenzenden, links-liberal.

Perspektiven und Prognosen

Die nächste Konfrontation dieser beiden gesellschaftlichen Blöcke wird im Jahr 2027 auftreten, wenn die Parlamentswahlen stattfinden. Zurzeit scheint das nationalistisch-klerikale rechtsorientierte Lager, beflügelt durch den Sieg Nawrockis, die größeren Chancen zu haben. Dessen unverhohlene Mission ist es, jenem den Weg zur Regierungsmacht zu bahnen, aber bis zu den Wahlen sind es noch zwei Jahre, in denen die Mitte-links-Regierung Verluste aufholen kann.

Ein grundsätzliches Problem des aktuellen Regierungslagers ist seine innere Differenzierung sowie die Schwäche der kleineren Koalitionspartner. Möglich ist daher die Situation, dass die stärkste Gruppierung, die Bürgerkoalition, in den Parlamentswahlen zwar die meisten Stimmen oder nur knapp weniger als die PiS erhält, aber ihre gegenwärtigen Koalitionspartner nicht die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten und keine Sitze im Sejm erhalten. Das hieße, dass die extreme und radikale Rechte die Regierung übernehmen würde, gestärkt vom Präsidentenamt.

Wenn sich das linke politische Lager vereinigen würde, wären ihm eine Unterstützung im zweistelligen Prozentbereich und dementsprechend viele Sitze im Sejm so gut wie sicher. Allerdings wollen die Radikalen in der Partei Gemeinsam (Razem) als harsche Kritiker der Regierung auftreten, in der die Neue Linke mit sitzt. Das verurteilt beide Parteien dazu, sich voneinander abzugrenzen. Es gibt jedoch zurzeit Initiativen zur Vereinigung der Linken, die allerdings auch gegenteilige Folgen nach sich ziehen könnten, also ein weiteres Auseinanderdriften.

Die beiden übrigen Parteien der Regierungskoalition, die vor einigen Jahren von Szymon Hołownia gegründete Polen 2050 sowie die seit Jahrzehnten in der polnischen Politik präsente PSL, verzeichnen sehr schwache Umfragewerte, die eher unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen. In den Parlamentswahlen 2023 starteten sie gemeinsam als Dritter Weg (Trzecia Droga) und erhielten fast 15 Prozent der Stimmen, danach trennten sie sich wieder und jetzt erlebt jede für sich eine Krise gesellschaftlicher Unterstützung. Zusätzlich machte Hołownia katastrophale politische Fehler, indem er sich heimlich mit PiS-Chef Kaczyński und seinen Gehilfen in einer Privatwohnung traf. Das gelangte an die Öffentlichkeit, woraufhin er öffentlich bekannt gab, einen angeblichen Staatsstreich verhindert zu haben (damit bezog er sich auf die in der Öffentlichkeit im Raum stehenden Vorschläge, dass er als Sejmmarschall Nawrockis Vereidigung zum Staatspräsidenten bis zur Aufklärung der Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung in den Wahlausschüssen verschieben solle). Die gesellschaftliche Unterstützung für ihn ging zurück und seine junge Partei geriet in eine tiefe Krise, von der sie sich möglicherweise nicht erholen wird.

Erörtert werden zwei Strategien mit dem Ziel, dem rechtsnationalistischen und -extremen Lager nicht die Regierungsverantwortung zu überlassen, trotz schwacher Unterstützungswerte für die aktuell regierenden Parteien. Die erste ist die Bildung einer gemeinsamen Liste aller dieser Gruppierungen. Diese Variante hat sich bereits bei den Senatswahlen bewährt, als ein sog. Senatsblock gebildet wurde, der sehr gute Ergebnisse und die Mehrheit in der oberen Parlamentskammer erlangte. Allerdings finden die Senatswahlen in Ein-Mandatskreisen nach dem Mehrheitswahlrecht statt – für den gemeinsamen Kandidaten ist es daher einfacher, den Gegner zu überwinden. Die Abgeordneten des Sejm wiederum werden per Verhältniswahl bestimmt, und die Auszählung der Mandate nach dem d’hondtschen System prämiert die größten Gruppierungen zusätzlich. Folglich könnte ein gemeinsamer Mitte-links-Block nicht nur die Wahlen gegen ein aufgespaltenes rechtsgerichtetes Lager gewinnen, sondern auch eine ausreichende Mehrheit erlangen, um die Regierung zu bilden.

Diese Option würde begünstigt, wenn auch eine Korrektur vorgenommen würde, wie viele Mandate auf die einzelnen Wahlkreise entfallen. Die Staatliche Wahlkommission (Państwowa Komisja Wyborcza – PKW) signalisiert schon seit Jahren, dass demographischer Wandel und Binnenmigration zu einem zunehmenden Missverhältnis bei der Anzahl der erforderlichen Stimmen für die Erlangung von Mandaten in den einzelnen Wahlkreisen führen, wobei die großstädtischen Wahlkreise, wo liberale und linksorientierte Wähler dominieren, diskriminiert werden. Eine Korrektur würde die Repräsentanz dieser Wähler um eine zweistellige Anzahl von Mandaten im Sejm stärken.

Sollte der Widerstand der kleineren Parteien gegen eine gemeinsame Liste nicht überwunden werden können und sich das summarische Ergebnis der einzeln startenden Parteien der aktuellen Regierungskoalition als nicht ausreichend erweisen, um ihre Regierungszeit zu verlängern, wäre ein zweite Strategie, die Binnendifferenzierung der rechtsgerichteten Partei Konföderation in Nationalisten und Libertäre sowie ihre Reibereien mit der PiS auszunutzen und eine Vereinbarung zwischen der Bürgerkoalition und dem libertären Teil der Konföderation zu treffen. In der Bürgerkoalition gibt es wirtschaftsliberale Traditionen und Kreise, eine solche Übereinkunft wäre also nicht unmöglich.

Ein Teil der Wähler würde dies begrüßen, insbesondere die jüngsten, welche die ausschweifende Sozialpolitik der PiS ablehnen, weil sie in diesen Kreisen als verschwenderisch und ungerecht gilt. Gegen eine Übereinkunft mit einem Teil der Konföderation könnte jedoch der eher linksorientierte Teil der Bürgerkoalition protestieren; außerdem gibt es keine Garantie, dass die Libertären aus der Konföderation bereit wären, einen Bruch herbeizuführen und eine Vereinbarung mit der Bürgerkoalition zu schließen.

In letzter Zeit waren Vorschläge zu hören, eine neue Partei zu gründen, die erklärtermaßen liberal ist und weite Freiheiten sowohl im wirtschaftlichen als auch weltanschaulichen Fragen vertritt. Dies sind allerdings noch unklare Ideen einiger öffentlicher Personen. Eine Warnung könnte das Schicksal der ersten Partei von Donald Tusk sein, des Liberal-Demokratischen Kongresses (Kongres Liberalno-Demokratyczny), der ein solches liberales Programm vertrat und aus der polnischen Politik ausschied, weil er bei den Parlamentswahlen 1993 nicht die Fünf-Prozent-Hürde überwand. Es ist zweifelhaft, ob eine solche Partei heute größere Chancen hätte, auch wenn sie dem Vernehmen nach mit der Unterstützung von Unternehmern rechnen könnte.

Beunruhigend ist, dass in der jüngsten Generation radikale Einstellungen und Ansichten zunehmen, insbesondere unter jungen Männern. Wähler dieser Gruppe gaben die meisten Stimmen Mentzen oder Zandberg, also Vertretern der rechts- bzw. linksaußen Parteien. Die für die junge Generation in vielen Gesellschaften typische Anti-Establishment-Haltung nimmt in Polen besorgniserregende Ausmaße an. Dass eine der Parteien des aktuellen Regierungslagers zumindest einen Teil dieser aufgerührten und sich radikalisierenden jungen Wähler gewinnt, könnte ein Schlüssel zum Wahlerfolg in zwei Jahren sein, was aber außerordentlich schwierig werden wird.

Immer häufiger sind Stimmen zu hören, dass es Zeit für einen Generationenwechsel in der polnischen Politik sei, was auch meint, dass Donald Tusk mit seinen 68 Jahren (zwei Jahre jünger als Bundeskanzler Friedrich Merz) abtreten soll. Als sein Nachfolger wird der 62-jährige Radosław Sikorski gehandelt, der am Ende dieser Wahlperiode etwas jünger als Tusk heute sein wird. Andere Kandidaten, um Tusk in der Führungsrolle zu ersetzen, sind momentan nicht zu sehen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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