Von Reinhold Vetter
Zusammenfassung
Der Unfalltod von Staatspräsident Lech Kaczyński im vergangenen Monat lässt sein Lebenswerk in einem neuen Licht erscheinen. Vor allem über seine Rolle als Präsident wird diskutiert. Angesichts der tragischen Umstände des Todes und vor dem Hintergrund der Leidensgeschichte Polens scheint Heroisierung und Mythenbildung in Teilen der polnischen Gesellschaft unvermeidbar. Aber auch eine nüchterne Abwägung seiner Erfolge und Niederlagen ist zu beobachten. Viele Polen, die Kaczyński bisher eher kritisch gegenüberstanden, entdecken nun auch seine positiven Seiten. Der Streit um seine Beisetzung auf dem Krakauer Wawel, der Begräbnisstätte der polnischen Könige und Nationalhelden, gab einen Vorgeschmack auf die Härte der öffentlichen Auseinandersetzung im Vorfeld der Präsidentenwahl am 20. Juni. Auch die Kandidatur seines Bruders Jarosław deutet auf eine schroffe Polarisierung hin. Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt, dass Kaczyński als Staatspräsident polnische Interessen, so wie er sie definierte, im Ausland durchaus mit Erfolg vertreten hat, andererseits dem Land aber keine Impulse zur staatsbürgerlichen Emanzipation der Gesellschaft, zur Festigung des Rechtsstaates und der Parteiendemokratie sowie zur Modernisierung von Wirtschaft und Sozialstaat geben konnte.