Warum die Diskussion über die Visafreiheit zwischen der EU und Russland zurzeit hoffnungslos ist

Von Arkady Mosches (Helsinki)

Die Diskussion darüber, ob, wann und wie die Europäische Union und Russland die geltenden Visaregelungen im wechselseitigen Reiseverkehr aufheben könnten, ist fast ein Jahrzehnt alt. Schon 2005 beschlossen die Parteien ein Abkommen über die Liberalisierung der Visaordnung, das 2007 in Kraft trat und das als ein Schritt in Richtung des offiziell erklärten langfristigen Ziels betrachtet wurde – die Visafreiheit.

Dennoch, realistisch gesehen, verdienen die bislang erreichten Ergebnisse eher eine sarkastische als eine lobende Stellungnahme. Zwei Dinge laufen jetzt anders als vorher. Erstens sind die Inhaber diplomatischer Pässe von Visaauflagen befreit worden. Und zweitens wurden tausende von Jobs in den zahlreichen neu eröffneten Visazentren in ganz Russland geschaffen. Zugegeben, sie bringen die Leute zwar tatsächlich weg von den konsularischen Einrichtungen der EU-Länder, verkürzen aber kaum die Zeit der Antragsbearbeitung und erhöhen zwangsläufig die Kosten für die Bewerber; sonst könnten diese Dienste nicht finanziert werden.

Die Ergebnisse sind also – ganz ohne Ironie – nicht überzeugend. Es stimmt, einige Gruppen russischer Bürger, wie Forscher, Sportler, Geschäftsleute und nahe Verwandte von EU-Bürgern, die in der Praxis schon früher privilegiert waren, konnten ihre Reisemöglichkeiten im Zuge der Visaliberalisierung noch vergrößern – dank längerfristiger Visa für mehrfache Einreisen, die nun für sie verfügbar sind. Aber die anderen Reisenden haben gar nichts gewonnen.

Vor allem aber: Das Ziel der allgemeinen Visafreiheit bleibt genau da, wo es anfänglich war – jenseits des Horizonts. Traditionelle Skeptiker, wie Paris oder Berlin, wiederholen das Mantra, dass die neue Ordnung nicht früher als in 10–15 Jahren eingeführt werden kann, was allein ausreicht um das Thema irrelevant für die derzeitige Tagesordnung zu machen, da dieser Zeitrahmen praktische Vorbereitungen und Planung aufseiten der EU ausschließt.

Inzwischen haben einige bekannte Fürsprecher der Visafreiheit mit Russland ihre Unterstützung zurückgezogen. Zum Beispiel lehnte Finnlands Innenministerin Päivi Räsänen Mitte August 2011 die Idee öffentlich ab. Die angeführten Gründe – die steigende Arbeitsbelastung für die Grenzpolizei, wenn alle Kontrollen direkt an der Grenze durchgeführt werden müssen, und die Existenz einer Risikogruppe, deren Visaanträge zurzeit von den Botschaften abgelehnt werden – sind erstens technisch und zweitens schon von Anfang an bekannt. Trotzdem konnten diese Faktoren in früheren Jahren die politische Position der finnischen Regierung nicht beeinflussen. Jetzt tun sie es aber.

Die Ursache dafür, dass es so wenig Fortschritt in der Position der EU gibt, ist so einfach wie bedauernswert. Um die Sache beim Namen zu nennen: Es ist der Mangel an Vertrauen und Zuversicht. Die nationalen Regierungen in der EU und auch Brüssel glauben nicht, dass die gegenwärtigen russischen Behörden fähig sind, die notwendigen Sicherheitsstandards der nationalen Reisedokumente zu gewährleisten. Und angesichts des unaufhörlichen Flusses von Nachrichten über russische Korruption und den allgemein beklagenswerten Zustand des Gesetzesvollzugs in diesem Land wäre es höchst verwunderlich, wenn sie anders empfinden würden.

Für europäische Entscheidungsträger ist es schwer zu glauben, dass die russischen Behörden sich ernsthaft um die Reisefreiheit bemühen. Nachdem Moskau vor einigen Jahren Beschränkungen für Reisen der eigenen Bürger – ganz zu schweigen von Ausländern – in Russlands Grenzgebieten eingeführt hat, sieht sein Ersuchen um grenzüberschreitende Reisefreiheit viel weniger glaubwürdig sowie definitiv nicht wechselseitig aus, da es in Europa einfach undenkbar ist riesige Gebiete für Reisen zu sperren. Folglich vermuten die Europäer, dass all das russische Drängen auf Visafreiheit am besten durch das Verlangen der Reichen des Landes zu erklären ist, diese letzte kleine Barriere zwischen ihnen und ihren ausländischen Immobilien, ihren Ferienzielen oder – in einigen Fällen – ihrem Asyl zu beseitigen.

Schließlich betrachten die Europäer Russland immer weniger als einen attraktiven Partner. In seiner gegenwärtigen Form ist es nicht interessant genug für massenhaften Tourismus oder Geschäftsaktivitäten mittelständischer Unternehmen. Deshalb gibt es in Europa keine interne Lobby. Durchschnittsbürger haben – sofern sie über Geld verfügen – viele andere visafreie Zielländer zur Auswahl, während große Gashändler offensichtlich nicht Schlange stehen müssen, um ihre Visa für Moskau zu bekommen, so dass sie nicht einmal verstehen, was das Problem ist.

Alles in allem bleibt der Visadialog zwischen der EU und Russland das bedauerliche Symbol der stagnierenden bilateralen Beziehungen, die auf der obersten politischen und diplomatischen Ebene als »strategisch« bezeichnet werden, aber erfolglos sind beim Erzielen von Ergebnissen, die für die Bevölkerung sinnvoll und wichtig wären.

Übersetzung aus dem Englischen: Frauke Rubart

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