Russlands Bedeutung
Es gibt nur wenige Länder, die für erfolgreichen internationalen Klimaschutz so entscheidend sind, wie Russland. Russland ist das Land mit den viertgrößten CO2-Emissionen. In seinen Wäldern und Mooren sind mehr Treibhausgase gespeichert, als in Brasilien oder irgendeinem anderen Land. Russland ist global der wichtigste Lieferant klimaschädlicher fossiler Energie. Das Land verfügt mit 5 bis 7 Gigatonnen nicht nur über riesige Mengen von ungenutzten Emissionszertifikaten (der sogenannten heißen Luft), sondern auch über eines der größten und theoretisch günstigsten Potentiale für Treibhausgaseinsparung weltweit. An Russland führt kein Weg vorbei, wenn der globale Temperaturanstieg so rechtzeitig aufgehalten werden soll, dass seine Folgen beherrschbar bleiben.
Doch im internationalen Klimaschutz ist Russland kein einfacher Partner. In den UN-Klimaverhandlungen verhält sich die russische Delegation passiv. Das Land gilt traditionell als obstruktiv agierende Vetomacht der Verhandlungen. Auch in Russland selbst passiert noch sehr wenig, um die Treibhausgasemissionen zurückzufahren. Eine konsistente russische Klimainnen- wie Klimaaußenpolitik ist bis jetzt nicht erkennbar. Auch ganz grundsätzlich hat Russland im neuen Politikfeld Klimawandel seine Rolle noch nicht gefunden.
Das hat vor allem drei Gründe. Erstens entwickelt sich erst seit dem Kopenhagener Klimagipfel 2009 nach und nach eine öffentliche Vorstellung davon, dass der Klimawandel ein reales und vom Menschen verursachtes Problem ist. Zweitens herrscht in Bevölkerung, Wissenschaft und Politik große Unsicherheit darüber, ob Russland die globale Erwärmung tatsächlich fürchten muss. Drittens bildet die fossile Energiewirtschaft das Rückgrat der russischen Volkswirtschaft. Alleine die Einnahmen aus dem Ölsektor tragen zu ca. 38 Prozent zum russischen Staatshaushalt bei.
Russische Sicht auf die Klimaverhandlungen
Die Sicht russischer Regierungsakteure auf die internationalen Klimaverhandlungen mäandert zwischen verschiedenen Polen. Grob lässt sich folgendes Raster festmachen. Die Verhandlungen werden, je nach beteiligter Person, gesehen als…
Obsession vor allem reicher westlicher Staaten, die von wiederum anderen Staaten genutzt wird, um sich ökonomische oder finanzielle Vorteile zu verschaffen, die für Russland aber auch enorme wirtschaftliche Risiken birgt. Zu dieser Sicht scheint zumindest in der Vergangenheit auch Ministerpräsident Putin geneigt zu haben. ein von anderen Staaten für bedeutend angesehener internationaler Verhandlungsprozess, den Russland durch seine Funktion als Großmacht konstruktiv aber unter klarer Beachtung eigener Interessen zusammen mit den Partnern zu einem erfolgreichen Ende führen muss. Diese Sicht wird insbesondere von Akteuren im Außenministerium vertreten. ein notwendiger internationaler Prozess zur Abwendung einer globalen Gefahrenlage, in dem auch Russland erhebliche Verantwortung zur Lösung des Problems trägt. Diese Sicht hat sich in den letzten paar Jahren verstärkt und wird von der Rhetorik Präsident Medwedews gestützt.
Hatte es in der Vergangenheit häufig so ausgesehen, als sei der russischen Regierung ihr Image in den Verhandlungen weniger wichtig, so hat sich dieser Eindruck mit dem Amtsantritt von Präsident Dmitrij Medwedew geändert. Auf dem Kopenhagener Klimagipfel hielt Präsident Medwedew eine engagierte Rede, die den Eindruck hinterließ, Russland würde sich ab sofort gemeinsam mit der Weltgemeinschaft aktiv gegen die globale Erwärmung stemmen.
Russland wird von seinen Verhandlern immer wieder als Sonderfall dargestellt. Um das Konsumniveau der anderen Industriestaaten zu erreichen, müssten Russlands Emissionen zunächst weiter steigen. Gründe für die schon jetzt hohen Emissionen pro Kopf seien dabei das Erbe der sowjetischen Planwirtschaft, das kalte Klima, die weiten Entfernungen zwischen den Städten sowie die auf Förderung, Verarbeitung und Transport von Rohstoffen ausgelegte Struktur der russischen Wirtschaft.
Hohe russische Beamte und Politiker betonen allerdings immer wieder den enormen Beitrag, den Russland bereits zum Klimaschutz geleistet hat. Tatsächlich kann seit 1990 kein anderes Land auf eine derart hohe absolute CO2-Reduktion verweisen. Ohne diese Leistung würde das aggregierte Emissionseinsparziel des Kyotoprotokolls für alte Industrieländer von minus 5,2 Prozent bis Ende 2012 wohl nicht erreicht. Auch wenn dafür keine gezielten Klimaschutzmaßnahmen verantwortlich waren, hat Russland diesen Beitrag zum Klimaschutz schmerzlich bezahlen müssen. Die hohen Mengen von überschüssigen Emissionszertifikaten (AAUs, heiße Luft), über die das Land derzeit verfügt, betrachtet die Regierung darum als legitime Anerkennung für Russlands im Klimajargon sogenannte »early action«. In Moskau hört man immer wieder, dass Russland durch die große Vorleistung eine komfortable Position einnehme. Andere Staaten müssten jetzt nachziehen.
Russlands Sicht auf den Klimawandel
Erst mit dem Gipfel von Kopenhagen und Präsident Medwedews Teilnahme erreichte der Klimawandel 2009 die Frontseiten der russischen Medien. Davor galt das Thema als hoch umstrittenes wissenschaftliches Nischenthema. Noch im September 2007 ergab eine Umfrage im Auftrag der britischen BBC, dass in lediglich drei anderen der in die Befragung aufgenommenen 21 Länder (Indonesien, Kenia, Nigeria) das Wissen über den Klimawandel ähnlich niedrig war, wie in Russland. 64 Prozent der befragten Russinnen und Russen gaben damals an, sie hätten über den Klimawandel noch nichts oder nur wenig gelesen bzw. gehört.
Insbesondere in den besonders betroffenen Gebieten Zentralrusslands lösten im Sommer 2010 Hitze und Torfbrände mit allein für Moskau angenommenen 11.000 zusätzlichen Sterbefällen die nach Kopenhagen nächste Aufmerksamkeitswelle aus. Im Juni 2011 ergab eine repräsentative Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum, dass der Klimawandel für die Moskauer an zweiter Stelle der lokal wahrgenommenen Umweltgefahren liegt.
Der Klimawandel wird damit inzwischen von maßgeblichen Teilen der Elite und Bevölkerung als dringendes globales Problem wahrgenommen. Große Unklarheit herrscht im Land dagegen bei der Frage, inwiefern die globale Erwärmung ein Problem für Russland darstellt. Das Katastrophenschutzministerium sowie die Wetterbehörde Rosgidromet haben in mehreren Berichten darauf hingewiesen, dass der Klimawandel für Russland trotz positiver Effekte eine negative Bilanz haben könnte. Die Zahl von Wetteranomalien mit hohen Folgeschäden für Wirtschaft und Bevölkerung hat sich seit 1991 bereits mehr als verdoppelt. Höhere landwirtschaftliche Erträge in den gemäßigten und nördlichen Breiten, so der Rosgidromet-Bericht von 2008, könnten durch Ertragsverluste in den trockenen Gebieten Südrusslands sowie durch Brände wie im Sommer 2010 überkompensiert werden. Einer erleichterten Erschließung von Rohstoffen im arktischen Schelf würde die erschwerte Erschließung von Ressourcen im tauenden Permafrost gegenüberstehen. Neuen Einnahmen durch die dauerhafte sommerliche Öffnung des nördlichen Seeweges würden neue Ausgaben durch die verstärkte Sicherung der nördlichen Landesgrenze gegenüberstehen. Noch wenig Resonanz finden Überlegungen, wonach eine durch die Folgen der globalen Erwärmung ausgelöste oder verstärkte Weltwirtschaftskrise Russland in besonderem Maße treffen könnte.
Dekarbonisierung in Russland
Dmitrij Medwedew hat insbesondere während der ersten Hälfte seiner Präsidentschaft (2008 bis 2012) versucht, in Russland Ansätze einer Klimapolitik zu etablieren. Kurz vor seiner Abreise zur Kopenhagener Klimakonferenz billigte er am 17.12.2009 eine Klimadoktrin, in der die Regierung den Klimawandel zum ersten Mal per Beschluss als reale und teilweise anthropogen verursachte Gefahr für Russland bewertet. Die Doktrin gibt nicht nur den Rahmen für staatliches Handeln vor, sondern soll Russland international auch als fortschrittliches Land präsentieren.
Zum 25.4.2011 trat nach langen regierungsinternen Diskussionen die Implementierungsverordnung zur Klimadoktrin in Kraft. Premier Wladimir Putin soll ein halbes Jahr gezögert haben, bis er seine Unterschrift unter die Ausführungsbestimmungen setzte. Damit schürte er bereits existierende Zweifel in der Administration ob der Priorität von Klimapolitik. Mit Putins Unterschrift ist jetzt das Signal gesetzt, dass die neue russische Klimapolitik ab sofort gemeinsame Linie des Regierungstandems ist.
Die Verordnung setzt unter anderem die Ausarbeitung und Implementierung einer »Sektorübergreifenden Strategie zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen« bis 2020 als Ziel. Treibhausgasreduktionen sollen durch steuerpolitische Maßnahmen sowie durch die »Minderung von Marktverzerrungen« erreicht werden. Das Wirtschaftsministerium soll bis 2020 »ökonomische Instrumente zur Treibhausgasemissionssenkung« einführen. Es ist fraglich, ob derartige Zeithorizonte in den kommenden Jahren zu tatsächlichem Regierungshandeln führen. Dennoch bieten Klimadoktrin und Verordnung interessante Ansatzpunkte für eine intensivierte klimapolitische Kooperation mit Russland.
Diese Anfänge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass explizite Klimapolitik nach wie vor nicht zu den prioritären Politikfeldern von Regierung und Kreml gehört. Von höchster Bedeutung für Medwedews Präsidentschaft und wahrscheinlich auch darüber hinaus ist dafür die Modernisierung der Wirtschaft. Deren Verlauf wird wesentlich darüber mitbestimmen, ob Russland als Energieanhängsel der Weltwirtschaft ökonomisch und weltpolitisch weiter ins Hintertreffen gerät, oder ob sich andere konkurrenzfähige Sektoren entwickeln und das gesamte Land voranbringen können. Medwedews Modernisierungsinitiative konzentriert sich auf fünf Entwicklungsprojekte: Energieeffizienz, Entwicklung alternativer Energien (inklusive Atomtechnik), Informatik, Telekommunikation und Medizintechnologie.
Insbesondere das Thema Energieeffizienz steht in Russland derzeit hoch auf der Agenda. Russlands Energieintensität (gemessen am BIP) war nach Weltbank-Angaben (World Development Indicators) 2007 dreimal höher als jene Deutschlands und lag 172 Prozent über dem Niveau der Ländergruppe »Upper Middle Income«, zu der auch Russland gezählt wird. Seit November 2009 ist ein Rahmengesetz in Kraft, das zum Ziel hat, die Energieintensität der Wirtschaft bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 2007 zu verringern. Vom Gesetz geht zwar eine wichtige Signalwirkung an Wirtschaft und Verwaltung aus. Um die ehrgeizige 40-Prozent-Zielmarke bis 2020 erreichen zu können, müsste die Regierung ihre Anstrengungen jedoch aller Voraussicht nach deutlich aufstocken.
Die ebenfalls 2009 veröffentlichte »Energiestrategie 2030« sieht zudem einen Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromproduktion von derzeit unter einem auf 4,5 Prozent 2020 und 7 Prozent 2030 vor (ohne Strom aus großer Wasserkraft, der aktuell einen Anteil von 18 Prozent am russischen Strommix hat). Erste auch große Unternehmen positionieren sich inzwischen mit strategischen Investitionsvorhaben im jungen Erneuerbare-Energien-Markt. Doch noch ist deren Lobby schwach, die politische Umsetzung des Ziels stößt auf Widerstand der fossilen Interessen. Eine Einhaltung des 4,5-Prozent-Ziels für 2020 könnte daher schwierig werden.
Auch wenn die Themen Energieeffizienz und Entwicklung erneuerbarer Energien in Russland in der Regel nicht direkt mit Klimapolitik in Verbindung gebracht werden, bieten sich hier unter dem Dach des Modernisierungsvorhabens Kooperationsmöglichkeiten zwischen der EU und Russland, für die auf russischer Seite das grundsätzliche Interesse hoch ist. Russland hat in den vergangenen Jahren mit der Europäischen Union sowie bilateral mit 15 EU-Staaten, darunter auch Deutschland, die Einrichtung von Modernisierungspartnerschaften vereinbart. Weitere Partnerschaften werden verhandelt. Sowohl die russisch-deutsche, als auch die EU-Russland-Modernisierungspartnerschaft sind dabei bisher weitestgehend leere Hüllen geblieben, die noch mit gemeinsamen Projekten und Austauschforen gefüllt werden wollen.
Russland als Bremser der globalen Dekarbonisierung?
Bis zur Mitte des Jahrhunderts, so der weitgehende Konsens der Klimaforschung, müssen die weltweiten anthropogenen Treibhausgasemissionen um über die Hälfte zurückgehen. Sonst drohen die Klimawandelfolgen unbeherrschbar zu werden. Viele Staaten haben inzwischen erste Schritte zur Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften eingeleitet. Russland hinkt auch gegenüber Brasilien, China und anderen Ländern mit vergleichsweise niedrigerem BIP pro Kopf deutlich hinterher und droht dabei den Anschluss in wichtigen globalen Leitmärkten von morgen zu verlieren. Für die selbstdeklarierte Energiesupermacht böten dabei gerade Technologiemärkte in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien erhebliche Chancen für die angestrebte Diversifizierung und Modernisierung der eigenen Wirtschaft – und damit für den Weg aus der krisenanfälligen und von Korruption durchsetzten Rohstoffökonomie.
Gelingt es Russland in den kommenden Jahren nicht, erste erfolgreiche und damit ermutigende Schritte in Richtung auf eine Niedrigkarbonmodernisierung zu gehen, steigt die Wahrscheinlichkeit einer russischen Nichtbeteiligung an internationalen Klimaabkommen. Russland könnte die globale Dekarbonisierung dann als Projekt definieren, dass sich gegen seine strategischen Interessen richtet. Für die allgemeinen Beziehungen Russlands zur EU sowie zu seinen vom Klimawandel besonders negativ betroffenen südlichen Nachbarstaaten wäre eine solche Entwicklung kein gutes Vorzeichen.
Doch die Vorzeichen für eine intensivierte Kooperation der EU mit Russland im Bereich Niedrig-CO2-Modernisierung haben sich in den letzten Jahren durchaus verbessert. In Russland hat seit 2008 die Aufmerksamkeit gegenüber den Gefahren des Klimawandels deutlich zugenommen. Gleichzeitig hat sich auf staatlicher Ebene ein Bewusstsein für die dringend notwendige Verringerung der eigenen Abhängigkeit von fossilen Ressourcen entwickelt. Die russische Sorge vor einer anhaltenden Rückständigkeit bei neuen Technologien ist groß. Auch als Resultat aus diesen Veränderungen geht die Energiesupermacht Russland inzwischen erste Schritte in Richtung auf mehr Energieeffizienz, einer vorsichtigen Entwicklung der erneuerbaren Energien sowie eines besseren wissenschaftlichen Verständnisses der globalen Erwärmung. Insbesondere in diesen Bereichen liegen die konkreten Kooperationsmöglichkeiten, die Deutschland und die EU aufgreifen können.