Gazprom und die EU-Regeln des Binnenmarktes – auch eine politische Frage

Von Kirsten Westphal (Berlin)

Zusammenfassung
Unter dem Eindruck der Krise um die Ukraine, der damit verbundenen Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen der EU und Russland sowie der Sanktionen des Westens wird häufig übersehen, dass sich schon vor 2014 die Streitpunkte zwischen Russland und der EU beim Erdgashandel mehrten. Sie resultierten vor allem aus der Umsetzung des Dritten Binnenmarktpaketes für Energie. Denn die Regulierung des EU-Gasmarktes stellt ein Instrument der Kommission dar, mit dem die Marktmacht von Gazprom beschnitten werden kann. Dabei wurde auch aus politischen Motiven regulatorisch immer wieder nachjustiert. Momentan bildet die Krise um die Ukraine die (vielleicht entscheidende) Folie für die Neugestaltung: Während die EU-Kommission den Transit durch die Ukraine bewahren will, möchte Russland das Land umgehen. Dabei bedarf es vor allem des politischen Willens von beiden Seiten, um tragfähige Lösungen zu finden.

Die Binnenmarktpakete – eine echte Zäsur (für alle Marktakteure)

Für eine Einordnung der Konfliktpunkte im Rahmen des EU-Binnenmarktpaketes ist eine historisch angelegte Betrachtung des Erdgasbinnenmarktes notwendig, um den tiefgreifenden Umbruch und den Systemwechsel darzustellen, der alle Marktakteure erfasst hat. Seit der Verabschiedung der ersten Richtlinie von 1998 (Richtlinie 98/30/EC), des Zweiten (2003/55/EC) und des Dritten Binnenmarktpaketes 2009 (2009/73/EC), das 2011 in Kraft trat, befinden sich die Gasmärkte in der EU in einem tiefgreifenden Wandel. Das alte Modell eines staatlich-dominierten und regional monopolisierten nationalen Gasmarktes basierend auf festen Lieferbeziehungen, vertikal-integrierten Gasunternehmen und einer Preisbildung in Anlehnung an Konkurrenzenergien (z. B. Heizöl) wurde abgelöst durch das Leitbild eines effektiven und integrierten Wettbewerbsmarkts.

Den EU-Binnenmarkt kennzeichnet seine geographisch und geologisch bedingt hohe und zunehmende Importabhängigkeit von wenigen großen Gasexporteuren. Die grenzüberschreitende Gasinfrastruktur ist historisch in ihren Kapazitäten, Flussrichtungen und Streckenverläufen gewachsen. Dahinter standen große Importprojekte und die dazu gehörige Infrastruktur, die über Langfristverträge in ihrer Wirtschaftlichkeit abgesichert wurde. Das traditionelle Handelsmodell von langfristigen Verträgen über 15 bis 30 Jahre, mit einer Übernahme der Gasmengen an der Grenze, die in einigen Fällen an Destinationsklauseln für den jeweiligen Markt gebunden war, passte nicht länger zum liberalisierten Erdgasmarkt in der EU. An den Ölpreis gebundene Langzeitverträge mit einer festen Vorhalteverpflichtung für den Lieferanten und einer Mindestabnahmeverpflichtung für den Importeur von traditionell 75 bis 85 Prozent der vereinbarten Menge, die auch bei Nichtabnahme bezahlt werden musste, ließen nämlich weder viel Raum, noch boten sie viel Anreiz für Diversifizierung. Deswegen begann die EU-Kommission die Rahmenbedingungen für kurzfristige Transaktionen und Gas-gegen-Gas-Wettbewerb voranzutreiben und die Langfristverträge wettbewerbsrechtlich zu überprüfen.

Neben den Langfristverträgen gerieten auch die vertikale Integration von Firmen und der Zugang zu den Gasnetzen in den Fokus. Das Netz war einer der Hauptansatzpunkte. Um mehr Wettbewerb zu schaffen und die Markteintrittschancen zu erhöhen, sollte ein Zugang für Dritte ermöglicht werden. Die Gasnetze wurden (ähnlich wie bei Telekommunikation und Strom) aus den integrierten Unternehmen herausgelöst (entflochten), also von Förderung/Import und Zwischenhandel/Vertrieb getrennt und unabhängigen Netzbetreibern (TSOs) zugeordnet. Nationale Regulierungsbehörden sind für die Durchsetzung des diskriminierungsfreien Netzzugangs und die Überwachung der Entgelte verantwortlich. In jüngster Zeit wurden die Regeln durch mehrere bindende europäische Regulierungen (Netzwerkcodes) stärker harmonisiert.

Mit den Reformen hat die EU-Kommission mehr Zuständigkeiten gewonnen und nationale Handlungsspielräume sind gesunken. Ihre Hebel im liberalisierten Markt sind Regelsetzung und Regulierung. Im Zuge dessen sind eine ganze Reihe von Untersuchungen, Verstoß- und Kartellverfahren erfolgt. Das Kartellverfahren gegen Gazprom, das im September 2012 – nach Durchsuchungen von Büros von Gazprom und anderen Gasversorgern ein Jahr zuvor – eröffnet wurde, ist nur ein Beispiel.

Der (Sonder)Fall Gazprom

Das regulatorische Umfeld und die Geschäftsgrundlagen haben sich für alle Marktakteure geändert. Im Unterschied zu Norwegen und Algerien, deren Exportpipelines zumeist direkt in ihrem Hauptabsatzmarkt anlanden, musste sich Gazprom nach Auflösung der Sowjetunion und des »Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe« (COMECON) auf den Transit durch mehrere Länder stützen, um seine Verpflichtungen z. B. gegenüber den deutschen Vertragspartnern erfüllen zu können. Darüber hinaus hat nur Gazprom noch viele Langzeitverträge laufen, die bis über 2025 hinausreichen. Da mit dem Dritten Binnenmarktpaket die Transportkapazitäten in den Netzen auf Basis veröffentlichter Tarife diskriminierungsfrei vergeben werden sollte und ein Teil der Kapazitäten nur noch zeitlich und mengenmäßig begrenzt gebucht werden konnte, fürchtete Gazprom, dass eine Erfüllung seiner Langzeitlieferverträge nicht mehr gewährleistet sein könnte.

Umgesetzt werden die Vorgaben in den sogenannten Netzcodes, die unter anderem die Abstimmung zwischen den Netzbetreibern an den Grenzübergangspunkten, die Vergabe von Transportkapazitäten an diesen Punkten und den Umgang mit Engpässen regeln sollen. Dabei wurden lange Übergangsfristen geschaffen, und der Netzcode für Kapazitätsallokation, der am 1. November 2015 in Kraft tritt, schützt bestehende Liefer- und Transportverträge. Bis zu 80 Prozent der verfügbaren Kapazität dürfen nach wie vor langfristig (bis auf 15 Jahre) gebucht werden. Außerdem führte die Kommission die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen ein, für den Fall, dass dadurch Versorgungssicherheit und der Wettbewerb gestärkt werden.

Neben diesen rechtlichen Bedingungen hat sich aber auch die politische Situation verändert. In Westeuropa basierten die Erdgas-Röhren-Geschäfte auf den beschriebenen Langfristverträgen, die wiederum die Grundlage für wirtschaftliche Interdependenz waren. Diese war eine Säule für die Entspannungspolitik der frühen 1970er Jahre im Ost-West-Konflikt.

Historisch und geographisch bedingt hat Gazprom eine marktbeherrschende Stellung in Mittel- und Osteuropa inne. Politisch änderte sich die Wahrnehmung der Lieferbeziehungen, und die russisch-ukrainischen Transitkrisen 2006 und 2009 rückten die Abhängigkeit von russischem Erdgas auf dem erweiterten EU-Gasmarkt in den Mittelpunkt. Schon während der Diskussion um die konkrete Ausgestaltung des Dritten Binnenmarktpaketes und die Umsetzung der Entflechtung (unbundling) geriet Gazprom in den Fokus.

Das Binnenmarktmodell führt zu mehr Unsicherheit, die aber im Sinne von Flexibilisierung und Diversifizierung in der EU auch gewollt ist. Außerdem bestehen zwischen Russland und der EU Differenzen in Bezug auf die Definition von »Energiesicherheit«: Die EU möchte eine sichere, stabile und bezahlbare Versorgung zu vertretbaren politischen Kosten, Russland sucht politische Kontrolle und Maximierung von Ressourcenrenten sowie Vorhersehbarkeit der Nachfrage.

Das Kartellverfahren der EU gegen die Gazprom

Nicht nur Gazprom, auch westliche Energieunternehmen standen bereits im Fokus der Kommission.

Am 22. April 2015 veröffentlichte die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission ihre vorläufigen Untersuchungsergebnisse aus den drei Jahren. Demzufolge verhindere Gazprom den Wettbewerb in den acht mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU und nutze seine Marktmacht von weit über 50 Prozent und bis zu 100 Prozent Marktanteil aus. Gazprom breche die Wettbewerbsregeln, indem versucht werde, 1) diese Märkte abzuschotten, und 2) die »unfaire Preispolitik« fortzuführen. Zudem seien 3) Gaslieferungen mit davon im Grunde unabhängigen Infrastrukturentscheidungen verknüpft.

Zu Punkt 1) führt die Kommission an, dass Gazprom in den acht Mitgliedsstaaten Bulgarien, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland Litauen, Polen und der Slowakei seine Lieferverträge um territoriale Restriktionen wie Destinations- oder Exportverbot-Klauseln ergänzt habe. Damit habe der russische Konzern verhindert, dass russisches Gas über Grenzen weitergehandelt wurde und die Großhändler auf Preisdifferenzen reagieren konnten.

Bei Punkt 2), zu den »unfairen Preisen«, steht weniger die Ölindizierung als solche im Fokus, als vielmehr ein unfaires Preisniveau, das in manchen Fällen mit über 40 Prozent unverhältnismäßig über Orientierungswerten wie Produktions- und Transportkosten, Marktpreisen, Preisen in anderen Märkten liege. Hinweise hierfür sieht die Kommission in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen und Polen.

Zu Punkt 3) führt die Kommission aus, dass Gazprom Gaslieferungen in Bulgarien von der Teilnahme des Gasimporteurs und -händlers bei der »South Stream«-Pipeline und in Polen von der Kontrolle über Investitionsentscheidungen bei der »Jamal-Europa«-Pipeline abhängig gemacht habe.

Die Zusammenstellung der Ergebnisse ist ein formaler Schritt in der kartellrechtlichen Untersuchung, mit dem die Kommission die betroffenen Unternehmen über ihren Stand der Untersuchungen informiert. Es gibt keine rechtlich verbindliche Frist, wann der Prozess abgeschlossen werden muss. Das ist abhängig von der Argumentation und den Kompromissangeboten des betroffenen Unternehmens. Die Antwort von Gazprom Ende September ist nicht veröffentlicht, aber laut Presseberichten konziliant.

Belege für Marktmachtmissbrauch gibt es also in Mitgliedsländern mit hoher Abhängigkeit von Russland. Bei diesen handelt es sich aber auch um jene Mitgliedsstaaten, die bisher die Binnenmarktpakete nicht konsequent umgesetzt haben, obwohl sie gleichzeitig ein hohes Interesse daran bekunden, sich zu diversifizieren. Hier spielt die Ausgangslage eine Rolle. Dennoch hat Gazprom dort, wo mehr Wettbewerb auf dem Markt herrscht, wie mittlerweile in Litauen, seine Preise angepasst.

Nord Stream und die OPAL

Ein weiterer nicht gelöster und an neuer Brisanz gewinnender Streitpunkt entzündet sich an der Anschlussleitung der »Nord Stream«-Gaspipeline, der »Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung« (OPAL), die von Lubmin, der Anlandestelle der Nord Stream-Pipeline Erdgas bis nach Olbernhau an die tschechische Grenze transportiert. Über die »Gazelle«-Pipeline werden dann Mengen durch Tschechien weiter nach Waidhaus (wieder Deutschland) transportiert. Dort kommen auch Anschlussleitungen an, die das durch die Ukraine transitierte Gas befördern.

Die OPAL muss gemäß EU-Vorgaben einen Teil ihrer Kapazitäten anderen Lieferanten zur Verfügung stellen. Da aber auf Grund des russischen Exportmonopols von Gazprom kein anderes Gasunternehmen Gasmengen über die Nord Stream-Pipeline transportieren kann, liegen 50 Prozent der 36 Milliarden Kubikmeter Kapazität von OPAL weitgehend brach. Eine 2009 von der Bundesnetzagentur gewährte vollständige Ausnahmegenehmigung vom regulierten Netzzugang wurde noch im selben Jahr von der Kommission abgelehnt, da zwar die Gasversorgungssicherheit, nicht aber der Wettbewerb verbessert würde. Die Kommission verfügte in ihrem Schriftsatz, dass Gazprom und mit ihm verbundene Unternehmen die OPAL-Pipeline nur dann voll nutzen dürfen, wenn das Unternehmen ein »Gas Release«-Programm durchführt, bei dem drei Milliarden Kubikmeter Erdgas aus der OPAL frei zugänglich versteigert würden. Die Kombination von Auktionen von Gas- und/ oder Transportkapazitäten und entflochtenen Netzbetreibern wurde als Mittel gesehen, mehr Wettbewerb zu schaffen und Markteintrittsbarrieren zu senken. Das Gas Release Programm wurde von Gazprom aber nicht umgesetzt.

Am 31. Oktober 2013 schlossen dann Gazprom, die »OPAL Gastransport« und die Bundesnetzagentur einen Vergleichsvertrag. Dieser ausgehandelte Kompromiss zwischen Bundesnetzagentur und Gazprom, hätte es erlaubt, dass Gazprom die Pipeline zu 100 Prozent nutzt, wobei 50 Prozent fest zugewiesen wären und 50 Prozent der Kapazität in einer Auktion (durch Gazprom) hätten ersteigert werden können. Obwohl der Kompromiss im Beisein der Kommission erzielt wurde, verschob Brüssel die formelle Bestätigung, die für März 2014 erwartet war, immer wieder. Offenkundig spielte hier der Konflikt um die Ukraine eine Rolle. Im Dezember 2014 zog sich dann Gazprom selbst zurück. Eine neue Lösung ist bisher nicht gefunden.

South Stream, oder: die offene Frage des Umgangs der EU mit neuer Infrastruktur

Vor dem Hintergrund des Schicksals von OPAL beantragte Gazprom für South Stream keine Ausnahmegenehmigung, sondern setzte für den Onshore-Abschnitt dieser durch mehrere Länder führenden Pipeline auf eine Reihe von Regierungsabkommen (Inter-Governmental Agreements – IGA). Die EU-Kommission aber sah darin einen Widerspruch zum Dritten Binnenmarktpaket und forderte von jenen Mitgliedsländern, die ein solches Abkommen geschlossen hatten, dieses zu kündigen oder neu zu verhandeln. Andernfalls drohe ein Verfahren wegen Verstoßes gegen EU-Recht. Bulgarien stoppte daraufhin die Bauarbeiten im Juni 2014.

Russland baute seine Argumentation allerdings auf einer anderen Position auf: Moskau sah internationale Verträge als vorrangig an. Zugleich beschwerte es sich über die inkonsistente Umsetzung des Binnenmarktpaketes (vor allem bei der Entflechtung von Netzbetreibern) in nationales Recht. Es beklagte auch die diskriminierende Behandlung von Unternehmen aus Drittstaaten. Am 30. April 2014 strengte es ein Verfahren bei der Welthandelsorganisation (WTO) an.

In der Tat ist die Ausdehnung des Dritten Binnenmarktpaketes auf die South Stream nicht unstrittig, da das Paket eigentlich keine Regeln für im Bau befindliche und neue Infrastruktur enthält. Die Regeln für neue Kapazitäten werden nun erst zwischen der »Agentur für die Kooperation zwischen Regulierungsbehörden« (ACER) der EU und den Europäischen Netzbetreibern für Gas (ENTSO-G) verhandelt, die Zustimmung der Kommission aber steht noch aus.

Im Endeffekt ist der Bau neuer Infrastruktur außerhalb des hochregulierten Verfahrens der Zehn-Jahres-Netzplanung, die auf Ebene der Mitgliedsstaaten jährlich und auf EU-Ebene alle zwei Jahre stattfindet, schwierig.

Die EU Kommission hat bei der South Stream im Geiste ihres Binnenmarktpaketes argumentiert, kaum aber auf solidem rechtlichem Boden. Dass das Projekt als Konkurrenz zum von der EU-Kommission präferierten südlichen Korridor, einer alternativen Exportroute aus dem Kaspischen Raum, besondere Sensibilitäten in Brüssel berührte, liegt auf der Hand. Dennoch ist es paradox, dass kommerzielle Investoren, die grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte realisieren möchten, sich einem rechtlichen Vakuum oder aber schwierigen und unter Umständen langwierigen Ausnahmeverfahren mit ungewissem Ausgang gegenübersehen, wenn sie große Transitkorridore und Infrastrukturinvestitionen realisieren möchten. Der Bau großer Infrastruktur wird in der EU kaum realisiert und bleibt doch eine der Schlüsselfragen für Energiesicherheit und Diversifizierung, auch mit Blick auf alternative Projekte wie »Turk Stream« und South Stream. Im EU-Rahmen werden bisher eher (auch wichtige) Projekte zur Vermaschung des Gasnetzes und Rückflussoptionen geplant.

Ausblick

Am 4. September 2015 haben Gazprom, BASF, E.ON, ENGIE, OMV und Shell einen Gesellschaftervertrag für das Nord Stream 2-Projekt unterzeichnet, danach sollen zwei neue Stränge (zusätzliche 55 Milliarden Kubikmeter) die Kapazität auf der Ostseeroute verdoppeln.

Angesichts der schwierigen geopolitischen Situation und der von der EU gezeigten Solidarität mit dem Transitland Ukraine steht nun die Politik vor der Aufgabe, Kosten und Nutzen sowie Risiken und Chancen umfassend zu bewerten.

Nimmt man die Signale, die 2015 aus Russland kommen, zusammen, dann zeigt sich, dass kommerzielle Interessen dort momentan eine vorrangige Rolle spielen und Moskau einen Ausgleich der Wirtschaftsinteressen sucht. Gazprom ist (sicher in Abstimmung mit dem Kreml) gewillt, sich an die Regeln des Dritten Binnenmarktpaketes stärker anzupassen. Gazprom probt dafür neue Marktstrategien, und zwar unter anderem in der Preisgestaltung, beim Lieferpunkt der Gasmengen und bei Gasauktionen.

Eine Gasauktion Anfang September 2015 im Büro von »Gazprom-Export« könnte als ein unter russischer Definition erfolgter »Gas Release« zu sehen sein. Auch wenn nur rund eine Milliarde Kubikmeter verkauft wurde, ist es kaum ein Zufall, dass die angebotenen 3,24 Milliarden Kubikmetern ziemlich genau dem von der Kommission 2009 geforderten Gas Release Programm entsprachen.

Die geopolitische Dimension der Energiepolitik gegenüber Westeuropa tritt dabei zurück, anscheinend auch bezüglich der Ukraine. Im Moment überwiegt ein pragmatischer Ansatz, denn Gazprom braucht den europäischen Absatzmarkt. Es wird sich angesichts der Unsicherheit und Unwägbarkeiten aber viele Optionen offen lassen und der größtmögliche Handlungsspielraum wird nicht nur ökonomisch, sondern auch geopolitisch bemessen.

In der EU sind die politischen Vorbehalte gegenüber NordStream-2 groß, das artikulierte kommerzielle Interesse am Projekt aber ebenfalls. Damit stellt sich erneut die Frage der Kompatibilität mit dem Dritten Binnenmarktpaket.

Ein Rückzug der EU auf rein regulatorische Positionen ist der Tragweite des Problems nicht angemessen. Angesichts der kommerziellen Dynamik, die auf eine zügige Realisierung des Projektes setzt, ist es auch eine politische Frage, eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu suchen, solange in der EU regulatorisch der Rahmen für neue Infrastruktur nicht gesetzt ist. Denn um die Nord Stream-2 mit dem Binnenmarkt zu akkommodieren, lassen sich Lösungen finden, wenn der politische Wille besteht.

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