Ist Kadyrow ein »Patriot« oder eine »Schande« für Russland?

»Kadyrow ist eine Schande für Russland« und »Kadyrow ist ein Patriot Russlands«. Das ist keine kognitive Dissonanz der russischen Öffentlichkeit, sondern das sind die Slogans von zwei verschiedenen »Online-Demos«, die im Januar im russischen Netz stattfanden und einen Teil des umfangreichen Schlagabtauschs zwischen den Anhängern und Kritikern des tschetschenischen Präsidenten darstellten. Auslöser der ersten Aktion im Netz waren heftige Äußerungen von Ramsan Kadyrow gegenüber Kritikern in unabhängigen Medien und der demokratischen Opposition. Diese Leute solle man als Volksfeinde, als Heimatverräter bezeichnen, nichts sei ihnen heilig, sagte der Chef der nordkaukasischen Republik auf einer Pressekonferenz am 12. Januar in Grosnyj. Die russische Menschenrechtsbeauftragte Ella Panfilowa kritisierte die diffamierenden Aussagen des tschetschenischen Machthabers und der Menschenrechtsrat beim Präsidenten schloss juristische Folgen der Äußerungen Kadyrows nicht aus. Auch tauchte auf Facebook eine Videobotschaft eines unbekannten Kommunalpolitikers aus dem sibirischen Krasnojarsk auf, der dem tschetschenischen Machthaber Erschleichung eines wissenschaftlichen Titels und Unterschlagung vorwarf und ihn als »Schande für Russland« bezeichnete. Einen Tag später Tag erschien auf Kadyrows offizieller Instagram-Seite ein neues Video mit einer Entschuldigung des sibirischen Abgeordneten, die er offenbar unter Druck abgegeben hatte. Viele Internet-Nutzer ließen sich trotz Einschüchterungsversuchen und Drohungen jedoch nicht von einer Kritik am tschetschenischen Machthaber abhalten und befeuerten mit neuen Posts und Videos die Aktion »Kadyrow ist eine Schande für Russland«. Es meldeten sich u. a. der Jurist der »Stiftung für Korruptionsbekämpfung«, Iwan Schdanow, und der Oppositionelle Ilja Jaschin zu Wort. Als Gegenreaktion fand im Netz ein weiterer »Online-Protest« unter dem Motto »Kadyrow ist ein Patriot Russlands« statt, an dem sich nicht nur Bürger aus Tschetschenien, sondern auch einige russische Künstler beteiligten, die mit Kadyrow befreundet sind oder oft in der nordkaukasischen Republik mit Konzerten auftreten. Parallel wurden zahlreiche Beiträge tschetschenischer Politiker veröffentlicht, die einen härteren Ton gegenüber den Kadyrow-Kritikern anschlugen und in denen bereits einige Namen von »Volksfeinden« auftauchten. Am 18. Januar wiederholte Kadyrow mit äußerst scharfen Worten seine Thesen und drohte den »Schakalen« in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung »Iswestija« mit Strafen und psychiatrisch-klinischer Behandlung. Am 22. Januar fand in Grosnyj eine große Kundgebung zur Unterstützung des tschetschenischen Republikchefs statt, die offenbar von der Regionalregierung organisiert wurde. Im Vorfeld tauchten Kopien von Anweisungen an Mitarbeiter von Behörden und staatlichen Unternehmen zur obligatorischen Teilnahme an der Veranstaltung auf. Während der Demonstration verkündete der Dumaabgeordnete Adam Delimchanow von der Tribüne, alle Kritiker Kadyrows und Putins würden »nach dem Gesetz« und auch »nicht nach dem Gesetz« zur Verantwortung gezogen.

Der Kreml reagierte auf die Kampfansage des tschetschenischen Republikchefs an die Opposition zurückhaltend. Der Pressesprecher des Präsidenten, Dmitrij Peskow, wollte in den Worten Kadyrows keine Volksverhetzung sehen und rief die Öffentlichkeit dazu auf, kein Öl ins Feuer zu gießen. Der Duma-Präsident Sergej Naryschkin bezeichnete in einem Kommentar für Interfax den Konflikt als »unangenehm«, rief alle Beteiligten zum Dialog auf und nannte dabei das russische Parlament als Vorbild für einen Dialog zwischen den unterschiedlichsten politischen Kräften. Wladimir Putin kommentierte die Debatte nicht, äußerte aber auf einer Pressekonferenz Lob für den tschetschenischen Republikführer: dieser arbeite effektiv. Der Chef der Präsidialadministration Sergej Iwanow ermunterte Kadyrow im Kampf gegen die Kritiker und erklärte, die Aktivitäten von Kadyrow würden im Kreml keine Fragen aufwerfen.

Die Debatte um das streng autoritäre Regime in Tschetschenien und das besondere Verhältnis zwischen Ramsan Kadyrow und Wladimir Putin ist nicht neu. Seit Jahren kritisieren Menschenrechtler den tschetschenischen Republikchef für gravierende Menschenrechtsverletzungen, Folter und Entführungen in der nordkaukasischen Republik. Der liberale Politiker Leonid Gosman relativierte die Debatte und wies darauf hin, dass in Tschetschenien zwar eine Diktatur herrsche, es aber nach zwei Kriegen zumindest nur einen Klan gebe, der die Region mit Maschinenpistolen regiere.

Die prominente Fernsehmoderatorin Ksenija Sobtschak und die investigative Journalistin Jelena Milaschina von der »Nowaja Gaseta« bewerteten die Debatte sowie den neuen aggressiven Ton tschetschenischer Staatsmänner anders. Sobtschak schreibt, Kadyrow lege großen Wert auf PR, u. a. sende er via Instagram Botschaften an Putin, der wegen des Mordes an Boris Nemzow vor einem Jahr sehr wütend auf Kadyrow sei. Milaschina weist im Kontext der Geschichte mit dem sibirischen Abgeordneten darauf hin, dass die Machthaber in Tschetschenien einen neuen, nicht legalen Weg zur Einschüchterung der Regimekritiker entdeckt haben, nämlich die sozialen Netzwerke.

Kadyrow: »Die Schakale werden gemäß dem Gesetz der Russischen Föderation bestraft«

»Meine Rhetorik gegenüber denjenigen, die zum Sturz der staatlichen Ordnung und einer Änderung der russischen territorialen Grenzen aufrufen, ist unverändert. Sowohl im Jahr 2010, wie auch 2011, wie auch 2012 habe ich Russland-Hasser Verräter und Volksfeinde genannt. Dass dies jemandem jetzt neu erscheint, hat mich wirklich verwundert. Meine Erklärung, dass die Prediger von Revolution und Massengewalt mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden müssen, hat bei der außersystemischen Opposition Panikattacken ausgelöst. Das war, ist und bleibt meine Meinung – meine Einstellung ist unverändert. […]

Die sogenannte außersystemische Opposition ist derart dreist geworden, dass sie landesweite Medien für die Durchsetzung ihrer Ideen zur Zerstörung des russischen Staates nutzt. »Echo Moskwy«, »Doschd«, RBK und andere senden gern ihre leeren, heuchlerischen, von tiefem Hass gegen Russland triefenden Statements. […]

Diejenigen, die zum Dialog mit den Schakalen aufrufen und von einem Zerfall unseres Staates träumen, werden sich von dem Gestank einer feigen Hündin nicht freiwaschen können. Als Patriot, als Fußsoldat des russischen Präsidenten Wladimir Putin, werde ich mit den Mördern und Verrätern meines Landes niemals kokettieren. Ein vernünftiger Mensch mit Selbstachtung wird wohl kaum einen Dialog mit denen führen, die es für amoralisch halten, sein Vaterland zu lieben und ihm treu zu dienen.

Bei uns gibt es das Dorf Braguny, in dem sich ein sehr gutes psychiatrisches Krankenhaus befindet. Die brodelnde Reaktion der außersystemischen Opposition und ihrer Sympathisanten kann man als Massenpsychose einstufen. Ich kann ihnen dabei helfen, mit diesem klinischen Problem zurechtzukommen und verspreche, dass wir bei den Injektionen nicht sparen werden. Wo nur eine Spritze verschrieben wurde, können gleich zwei gegeben werden. […]

Wenn diese Hunde Verteidiger in unserem Land haben, so ist der wichtigste Schützer des russischen Volks Wladimir Putin, der Präsident unseres Landes, und ich bin bereit, seine Befehle auszuführen, wie schwierig sie auch sein mögen.[…]

Wenn wir den Feind nicht schonen, werden wir Russland bewahren.«

Ramsan Kadyrow am 18. Januar 2016 auf izvestia.ru; <http://izvestia.ru/news/601935>

Schdanow: Patriot bin ich. Kadyrow ist ein Feind Russlands

»Mein Vater hat in Tschetschenien gekämpft. Ich bin stolz darauf. Er hat gegen Kadyrow den Älteren und dessen Bande gekämpft. Warum soll ich nun vor irgendeinem Kadyrow dem Jüngeren Angst haben? Ich bin Patriot. Feinde Russlands – das sind Kadyrow und seine Bande, er ist ein Schmarotzer in der eitrigen korrupten Wunde Russlands. Dieser Mensch hat die Sicherheit russischer Bürger bedroht (falls sich jemand nicht erinnern sollte: »Ich erkläre offiziell: Wenn ohne eure Kenntnis irgendjemand – egal, ob ein Moskauer oder einer aus Stawropol – auf eurem Gebiet auftaucht, schießt scharf! Man soll mit uns rechnen müssen. Wir sind auch nicht berechtigt, in das Gebiet Inguschetiens zu fahren und dort gegen Extremisten und Terroristen Maßnahmen zu ergreifen. Wenn ihr Herren eures Gebietes seid, müsst ihr es kontrollieren«). Wegen dieser und anderer Verbrechen muss Kadyrow vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden.«

Iwan Schdanow am 15. Januar 2016 auf Facebook; <https://www.facebook.com/zhdanovivan/posts/866895836762066>

Gosman: Man bräuchte einen erneuten Krieg, um in Tschetschenien die Verfassungsordnung wiederherzustellen

»[…] Die Macht Kadyrows basiert längst nicht nur auf Gewalt: Sein Vater und dann er selbst konnten eine gewisse Ordnung herstellen. Eine Ordnung, die von einer zivilisierten weit entfernt ist, eine brutale, blutige, aber eine Ordnung. Die Kadyrows kamen nach unserem Flächenbombardement ans Ruder, nach Säuberungen durch föderale Sicherheitskräfte und dem failed state von Maschadow. Wir schauen mit Schrecken und Empörung auf das heutige Tschetschenien; man darf aber nicht vergessen, dass die Macht unter Maschadow denjenigen gehörte, die eine Maschinenpistole hatten, und sie reichte nicht weiter als die Schussweite dieser Maschinenpistole. Man konnte mit einem Banditen abrechnen, aber dann kam morgen ein anderer. Als der Sohn eines Bekannten, einer hochrangigen tschetschenischen Person, gekidnappt und ein Lösegeld gefordert wurde, das selbst er nicht zahlen konnte, musste er einen Trupp aus 40 Verwandten aufstellen, und dieser Trupp hat ein halbes Jahr in den Bergen nach dem Jungen gesucht. Wenn ich das richtig verstanden habe, vielleicht täusche ich mich, aber als sie ihn gefunden haben, ist von den Kidnappern niemand am Leben geblieben. Der Trupp verlor drei Kämpfer; mein Bekannter versorgt nun ihre Familien. Und das am Ende des 20. Jahrhunderts! Was dort die Oberst Budanows aller Art angerichtet haben, ist bekannt. Natürlich haben sich längst nicht alle unserer [Einheiten] so verhalten, nicht mal als Antwort auf Gräueltaten von der anderen Seite, denn die gab es ja auch.

Als die Kadyrows fest im Sattel saßen, verschwanden die konkurrierenden Banden, mitsamt der Checkpoints der föderalen Streitkräfte. Gezahlt wird nur noch an eine Adresse. Nur Kadyrows Leute laufen heute mit Waffen herum. Wenn du nicht gegen das Regime auftrittst und so viel abgibst, wie es sich gehört, rührt man dich nicht an. Im April 2008 fuhr ich über tschetschenische Dörfer und sah selbst, wie Menschen in ihren Häusern Fenster einsetzten: sie wussten, dass die Fenster nachts nicht mehr beschossen werden. Es ist nicht die Schweiz, aber auch nicht mehr die Hölle, die es dort früher gab. Ja, dort herrscht Diktatur. Dort herrscht weiß der Teufel was. Aber es ist nicht so, dass die Mehrheit der Tschetschenen nicht will, dass man sie von dieser Diktatur befreit. Sie zu verurteilen hat nur derjenige das Recht, der das Gleiche miterlebt hat wie sie. […]

Vielleicht lässt sich erreichen, dass die Verfassung auf dem Territorium Tschetscheniens beachtet wird. Dafür bräuchte es noch einen, einen dritten Krieg. Allein der Gedanke ist schrecklich. […]«

Leonid Gosman am 28. Januar 2016 auf »Echo Moskwy«; <http://echo.msk.ru/blog/leonid_gozman/1702498-echo>

Jaschin: Der Präsident ist schwach

»Zunächst ermorden tschetschenische Banditen Nemtzow in Moskau. Dann droht Kadyrow öffentlich, auf russische Sicherheitskräfte, die ohne seine Erlaubnis in Tschetschenien agieren, scharf zu schießen. Schließlich verkünden Offizielle in Grosnyj »Listen der Feinde«, mit denen man »nach dem Gesetz« und »nicht nach dem Gesetz« abrechnen wolle.

Was soll in solch einer Situation der Präsident Russlands tun? Seine unmittelbare Verpflichtung ist die Wiederherstellung der Verfassungsordnung auf dem Gebiet Tschetscheniens. Keiner der regionalen Führer hat das Recht, sich so zu benehmen, weil das im Grunde eine Kampfansage an den russischen Staat ist.

Statt die Ordnung wiederherzustellen, spricht Putin Kadyrow heute öffentlich seinen »Dank« aus, für die »effektive Arbeit«. Nennen wir die Dinge beim Namen: In Russland gibt es einen schwachen Präsidenten, der offenbar Angst vor den Banditen hat, die in Tschetschenien legalisiert wurden. Putin ist nicht bereit, von ihnen eine Einhaltung des Rechts zu fordern; er versucht lediglich sie zu besänftigen.

Alle Ereignisse zeigen sehr anschaulich, dass es in Russland in Wirklichkeit keine Machtvertikale gibt. Der Staat ist nicht in der Lage, sich angesichts einer klaren und herausfordernden Gefahr zu verteidigen.

Ilja Jaschin am 25. Januar 2016 auf Facebook; <https://www.facebook.com/photo.php?fbid=964486006938378>

Sobtschak: »Selfie mit Kadyrow«

»[…] Der Flashmob »Kadyrow ist ein Patriot Russlands« erschien ebenfalls eher angestrengt. Wenn Kadyrow tatsächlich überprüfen wollte, wer von den prominenten Figuren bereit wäre, sich für ihn einzusetzen, würde die Überprüfung keine sonderlich ermutigenden Ergebnisse bringen. Natürlich besuchen ihn Künstler, die Timatis und Kirkorows… und wer in aller Welt noch dort gewesen ist, sie alle haben ihren Porsche geschenkt bekommen, aber nur wenige wollten sich tatsächlich mit dem Kadyrow-Slogan fotografieren lassen. […]

Und all das trotz Kadyrows großer Bemühungen. Einige Male habe ich meine prominenten Bekannten, deren Fotos ich auf der Instagram-Seite von Kadyrow entdeckt hatte, gefragt: »Warum zum Teufel machst du das? ›Manuskripte brennen nicht‹ – warum tust du dir diese Schande an?« Als Antwort bekam ich zu hören: »Du verstehst nicht, welch große Bedeutung das für ihn hat – er kontrolliert direkt, ob du das Bild im Netz veröffentlicht hast. Er ruft zurück und fragt nach: ›Hast du’s gepostet oder nicht?‹ Kein gefütterter Gast verlässt Kadyrows Tisch ohne ein Selfie«. Das erzählen Zeugen in privaten Gesprächen. […]

Ramsan Achmatowitsch [Kadyrow] weiß, wie Putin denkt. Er versteht, dass der Orden, der ihm am Tag nach Nemzows Ermordung verliehen wurde, keine Bedeutung hat. Er hat sehr gut in Erinnerung, dass Putin Entscheidungen nicht unter Druck trifft; je gewichtiger der Anlass, desto länger hält der nationale Führer inne. Die aktuelle Pause hält bedrohlich lang an. Aus sicheren Quellen weiß Kadyrow genau, wie wütend Putin nach der Ermordung Nemzows war. Und wenn Geremejew [der tschetschenische Polizist, der im Verdacht steht, die Ermordung von Boris Nemzow organisiert zu haben; d. Red.] langsam aus dem Strafverfahren herausgenommen wird und Bastrykin [der Chef der Untersuchungsbehörde] sagt, dass der Mord aufgeklärt sei, bedeutet das keineswegs ein freundliches Abnicken des Kreml, sondern ein unheilvolles Zeichen, dass die wichtigsten Ereignisse noch bevorstehen. Das alles ist das typische Verhalten von Putin: Verbrechen und Strafe sollen zeitlich möglichst weit auseinanderliegen. Es werden ohne Zweifel Maßnahmen folgen. Und zwar genau dann, wenn weder Kadyrow, noch die russische Gesellschaft sie erwarten. Sie werden auch Geremejew ereilen, aber nicht jetzt, nicht sofort.

Es ist klar, dass das Verhältnis zwischen Putin und Kadyrow nie mehr wie früher sein wird. Die Situation ist aber von einer Lösung noch weit entfernt. Je mehr Kadyrow negative Szenarien bezüglich seines Verhältnisses zu Putin fürchtet, desto stärker demonstriert er nun seine Wichtigkeit. Daher rühren auch die langen Instagram-Einträge über Heimatverräter, die offensichtlich von dem alten Freund Wladislaw Jurjewitsch Surkow oder dessen Team aus Freundschaft geschrieben wurden. […]

Jemand hat seinerzeit die Bemerkung gemacht, Kadyrow handele bei hohen Erdölpreisen mit Stabilität und bei niedrigen Erdölpreise handele er mit Instabilität. Jetzt kommt es darauf an, dass er nicht anfängt, mit ihr [der Instabilität] zu hausieren. Paraden, Umzüge und Instagram, das ist OK, damit sich das Kind beruhigt.«

Ksenija Sobtschak am 23. Januar 2016 auf »Snob«; <https://snob.ru/profile/24691/blog/103619>

Milaschina: Der Kadyrow-Faktor

»Die tschetschenischen Ideologen haben allem Anschein nach eine zwar nicht legale, aber äußerst effiziente Methode gefunden, auf Kritiker einzuwirken. Sie haben die Methode in Tschetschenien erprobt und setzen sie jetzt auch außerhalb der Republik ein. […]

In letzter Zeit hat die Selbstzensur in tschetschenischen »Facebook«-Accounts massive Ausmaße angenommen. Die Nutzer entfernen ihre Seiten oder säubern sie gründlich. »Gefährliche« Posts werden vernichtet, persönliche Informationen und Freundeslisten werden aus Sicherheitsgründen versteckt. Die Bewohner Tschetscheniens wechseln auch in sehr großer Zahl von »Whats App« zu »Telegram messenger«, das über ein besseres Sicherheitsniveau verfügt. Desweiteren schicken sie Informationen über sichere Chatkanäle und löschen die Chats danach sofort wieder. […]

Es sei hier angemerkt, dass sich die tschetschenischen Medien (vor allem das Fernsehen) in ihrer Nachrichtenstruktur stets von den regionalen Medien anderer Föderationssubjekte unterschieden haben. Bei keiner anderen Filiale der WGRTK [Allrussischen Staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt] bestehen die Nachrichten zu 99 % aus Berichten über den Gouverneur der Region. In Tschetschenien ist nur das – öffentliche wie private – Leben von Ramsan Kadyrow eine Nachricht. Da wären seine Verwaltungstätigkeit, seine Sicherheitsstrukturen, seine Einmischung in den religiösen Bereich, seine Pilgerreise im Rahmen der Hadsch, zusammen mit seinem engsten Umfeld, seine Familienvisiten bei diversen arabischen Scheichs, seine hafiz-[koranfesten] Kinder, seine unternehmerische Frau, seine wohltätige Mutter, seine vielzähligen Hobbys: Fußball, Boxen, Mixed Martial Arts, Hunde und die übrige Tierschau. Und jetzt ist eine ständige Rubrik hinzugekommen: »Seine Feinde«.

Dieses gesamte schlichte und grobe Medienmaschine arbeitet mit Geldern, die das Presseministerium Tschetscheniens, die regionalen Medien und die Blogger aus dem föderalen Haushalt der Russischen Föderation erhalten.«

Jelena Milaschina am 1. Februar 2016 in der »Nowaja Gaseta«; <http://www.novayagazeta.ru/inquests/71652.html>

Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin (Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)


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