Einleitung
Das Verhältnis zwischen Russland und Georgien war in den vergangenen 25 Jahren immer wieder durch Konflikte bestimmt. Die bilateralen Beziehungen erreichten ihren Tiefpunkt in der Amtszeit von Präsident Micheil Saakaschwili, der von 2004 bis 2013 georgisches Staatsoberhaupt war. Die Spannungen nahmen in dieser Periode deutlich zu und eskalierten im August 2008 in einen offenen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten. Die politische Führung in Tbilissi hatte versucht, das abtrünnige Gebiet Südossetien militärisch unter zentralstaatliche Kontrolle zu bringen und wurde daraufhin durch eine russische Intervention in die Knie gezwungen. Es folgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen und eine Eiszeit zwischen Moskau und Tbilissi. Die Chance für eine Neuordnung im zwischenstaatlichen Verhältnis bot schließlich ein überraschender Machtwechsel in der Südkaukasusrepublik: Die von Bidsina Iwanischwili gegründete Koalition »Georgischer Traum« ging siegreich aus den vergangenen Parlaments- (2012) beziehungsweise Präsidentschaftswahlen (2013) hervor und definierte die Neugestaltung der Beziehungen zu Russland als Priorität. Der vorliegende Beitrag untersucht im Folgenden die bisherigen Ergebnisse dieser Neuorientierung.
Ausgangslage zum Zeitpunkt des Machtwechsels
Um die Veränderungen der bilateralen Beziehungen in der bisherigen Amtszeit des Bündnisses »Georgischer Traum« erfassen zu können, ist zunächst ein kurzer Blick auf den Status quo zum Zeitpunkt des Machtwechsels nötig. Die Konflikte zwischen Moskau und Tbilissi wurden im Kern durch vier Dimensionen bestimmt: Ein erster und wesentlicher Streitpunkt bezog sich auf die Gebiete Abchasien und Südossetien, die sich im Zuge blutiger Sezessionskonflikte in den frühen neunziger Jahren von Georgien losgesagt hatten. Russland hat Abchasien und Südossetien wiederholt unterstützt und nach dem Krieg im Jahr 2008 unter internationaler Kritik als unabhängige Staaten anerkannt. Demgegenüber betrachtet Georgien diese Territorien weiterhin als Bestandteil des eigenen Staatsgebiets. Eine zweite Konfliktdimension stand mit der außenpolitischen Orientierung der Südkaukasusrepublik in Verbindung. Unter Präsident Saakaschwili war eine enge Bindung an die USA sowie eine Integration in NATO und EU zur obersten Zielsetzung erhoben worden. Russland stand dieser Westorientierung Georgiens ausgesprochen kritisch gegenüber, da es die Nachbarschaftsregion als vitale Einflusssphäre definiert und eine mögliche NATO-Erweiterung als Bedrohung wahrnimmt. Versuche Russlands, Druck und Einfluss auf Georgien auszuüben, sind auch in diesem Kontext zu sehen.
Darüber hinaus hatten die Spannungen zwischen Moskau und Tbilissi drittens auch eine wirtschaftliche Dimension. Russland hat im Jahr 2006 ein Einfuhrverbot für Wein und Mineralwasser aus Georgien erlassen und damit zentrale Exportgüter des südlichen Nachbarn vom russischen Markt ausgeschlossen. Diese Konfliktfelder wurden viertens durch eine aufgeheizte Rhetorik beider Seiten begleitet. Beispielsweise bezeichnete Dmitrij Medwedew den georgischen Präsidenten als »politische Leiche« während Saakaschwili Befürworter einer Annäherung zwischen Moskau und Tbilissi als »Idioten« abkanzelte. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Bündnis »Georgischer Traum« mit der Machtübernahme in den Jahren 2012 und 2013 vor großen Herausforderungen in den Beziehungen zu Russland stand.
Schritte zu einer Neuordnung
Wie eingangs festgehalten, definierte die Koalition »Georgischer Traum« eine Neuordnung der Beziehungen zu Russland als wichtiges außenpolitisches Ziel. Gleichzeitig wurde in Tbilissi betont, dass eine enge Bindung an USA, EU und NATO weiterhin Priorität bleibe. Moskau verhielt sich in dieser Situation zunächst abwartend, äußerte jedoch Hoffnung auf »konstruktivere Kräfte« in der Südkaukasusrepublik. Der neu ins Amt gekommene Premierminister Bidsina Iwanischwili ernannte Ende 2012 einen eigenen Sonderbeauftragten für die Beziehungen zu Russland. Die Wahl fiel dabei auf den erfahrenen Diplomaten Surab Abaschidse, der zwischen 2000 und 2004 als georgischer Botschafter in Russland tätig gewesen war. In seiner neuen Position als Sonderbeauftragter traf er zu regelmäßigen Verhandlungen mit dem stellvertretenden russischen Außenminister Grigorij Karasin zusammen. Die Gespräche konzentrierten sich auf wirtschaftliche, humanitäre und kulturelle Fragen. Die Konflikte um Abchasien und Südossetien wurden dabei explizit ausgeklammert, da sie Gegenstand gesonderter Verhandlungsrunden unter Ägide von UNO, EU und OSZE in Genf sind.
Mit dem bilateralen Austausch zwischen Abaschidse und Karasin konnten einige konkrete Ergebnisse erzielt werden. Moskau erklärte sich beispielsweise bereit, das seit 2006 bestehende Handelsembargo auf Wein und Mineralwasser aus Georgien aufzuheben. Der Handelsumfang zwischen den beiden Nachbarstaaten hat seither deutlich zugenommen, wie Daten des georgischen nationalen Statistikbüros »Geostat« belegen. Russland ist für Georgien nach Aserbaidschan und Armenien zum drittwichtigsten Exportland in der GUS-Region aufgestiegen. Parallel dazu haben auch georgische Importe aus Russland an Umfang zugenommen. Weitere Schritte der Annäherung wurden in Bezug auf die Transport- und Verkehrsverbindungen zwischen den Nachbarstaaten unternommen. Wladimir Putin verkündete zuletzt auch eine Erleichterung der Visabedingungen für georgische Staatsbürger. Die vorsichtige Annäherung zwischen Moskau und Tbilissi wurde durch eine moderatere Rhetorik beider Seiten begleitet. Das Gesprächsklima ist damit sachlicher geworden und unterscheidet sich von der aufgeheizten Stimmungslage vor dem Machtwechsel in Georgien.
Bestehende Hürden
Während erste konkrete Schritte zu einer Annäherung in den bilateralen Beziehungen erfolgten, bleiben allerdings zwei zentrale Spannungsfelder bestehen. Das betrifft erstens die Konflikte um Abchasien und Südossetien. Die Abhängigkeit beider Gebiete von Russland hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Präsident Putin hat beispielsweise umfassende Bündnisverträge mit Abchasien (2014) und Südossetien (2015) unterzeichnet, die eine enge Bindung an Russland festschreiben. Georgien hat dieses Vorgehen als »schleichende Annexion« verurteilt. Vertreter des Regierungsbündnisses »Georgischer Traum« haben betont, dass die »territoriale Integrität« der Südkaukasusrepublik Voraussetzung für die Wiederaufnahme der seit 2008 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen mit Moskau sei. Auch Giorgi Kwirikaschwili, der im Dezember 2015 zum neuen georgischen Premierminister ernannt wurde, hat sich bereits für diesen Kurs ausgesprochen. Russlands Staatsführung hat hingegen wiederholt erklärt, dass eine Abkehr von der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens als unabhängige Staaten nicht denkbar sei. Eine Annäherung in diesen Konflikten ist damit nicht in Sicht.
Ein zweiter wesentlicher Streitpunkt bleibt die grundlegende außenpolitische Ausrichtung Georgiens. Tbilissi setzt auch unter dem Bündnis »Georgischer Traum« auf eine klare Westorientierung. Mit der Unterzeichnung eines EU-Assoziierungsabkommens im Juni 2014 konnte Georgien hier einen konkreten Erfolg verbuchen. Die Kooperation mit der NATO wurde ebenfalls fortgesetzt. Im Februar 2016 erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg anlässlich eines Besuchs in Tbilissi, dass die Südkaukasusrepublik Fortschritte bei der Annäherung an das Militärbündnis mache. Wenngleich auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 festgehalten wurde, dass Georgien Mitglied der Allianz werden könne, ist ein konkreter Beitrittsfahrplan nicht in Sicht. Die fortgesetzte Westorientierung der Südkaukasusrepublik wird in Moskau dennoch mit Argusaugen beobachtet. Ein neues NATO-Trainingszentrum in Georgien, das sich derzeit im Aufbau befindet, wurde vom russischen Außenministerium als »Provokation« und »ernsthafter destabilisierender Faktor« gebrandmarkt.
Veränderter Russlanddiskurs in Georgien
Die – trotz ungelöster Konflikte – insgesamt pragmatischere Russlandpolitik der Koalition »Georgischer Traum« wird von einer intensiven innergeorgischen Debatte begleitet. Die Partei »Vereinigte nationale Bewegung« der einstigen Machthaber um Saakaschwili wirft der aktuellen Regierung vor, mit einer Annäherung an Russland die nationale Sicherheit zu untergraben. Die Diskussion entbrannte zuletzt an Überlegungen des georgischen Energieministers Kacha Kaladse, mehr Erdgas von Gazprom aus Russland zu importieren (2015 stammten etwas mehr als 10 Prozent des in Georgien verbrauchten Gases von Gazprom). Auch Georgiens Positionierung in der Ukrainekrise wurde von ähnlichen innenpolitischen Auseinandersetzungen begleitet. Die Opposition hat seit dem Machtwechsel wiederholt versucht, die pro-westliche Orientierung des Bündnisses »Georgischer Traum« in Zweifel zu ziehen. Diese Kritik ist jedoch nur schwer haltbar, da die Bindung an EU und NATO, wie gezeigt, Priorität genossen hat und die Kooperation mit Russland auf ausgewählte Sachfragen beschränkt geblieben ist.
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in der öffentlichen Meinung graduelle Verschiebungen abzeichnen: Gestiegene Zustimmungsraten für einen Beitritt zur von Russland forcierten Eurasischen Union haben eine hitzige Debatte über die zukünftige außenpolitische Positionierung Georgiens ausgelöst. In einer Umfrage des »National Democratic Institute« (NDI) in Georgien vom November 2015 sprachen sich immerhin 24 Prozent der Befragten für einen Beitritt zur Eurasischen Union aus. Demgegenüber stimmten 58 Prozent für eine EU-Integration. Die Unterstützung für einen NATO-Beitritt blieb mit 69 Prozent kontinuierlich hoch. Insgesamt wird damit deutlich, dass eine pro-westliche Außenpolitik weiterhin auf hohe Zustimmung stößt. Gleichzeitig hat der Russlanddiskurs im Vergleich zur Saakaschwili-Ära an Pluralismus gewonnen. Nachdem eine konsequent ablehnende und kritische Haltung gegenüber Russland unter Saakaschwili lange als Konsens galt, wird nun kontroverser und offener über die Beziehungen zu Russland diskutiert.
Fazit und Ausblick
Zusammenfassend zeigt sich, dass seit dem Machtwechsel in Tbilissi eine vorsichtige Annäherung zwischen Russland und Georgien stattgefunden hat. Mit einem pragmatischen Zugang beider Seiten konnten einige konkrete Resultate erreicht werden. Bestehende Hürden im Wirtschaftsbereich wurden überwunden und das Gesprächsklima gestaltet sich konstruktiver als vor dem Machtwechsel. Zwei tief verwurzelte Konfliktfelder machen einen tiefgreifenden Wandel in den bilateralen Beziehungen derzeit allerdings unwahrscheinlich: Russland bindet die von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien immer stärker an sich, was in Tbilissi auf klare Ablehnung stößt. Demgegenüber strebt die georgische Regierung auch nach dem Machtwechsel konsequent nach einer engen Bindung an NATO und EU – eine Orientierung, die in Moskau bekanntermaßen für Unmut sorgt. Absehbar ist jedoch bereits, dass Russland in den kommenden Monaten für weitere Debatten in Georgien sorgen wird: Für den Herbst des Jahres 2016 sind in der Südkaukasusrepublik Parlamentswahlen anberaumt. Dass die Außenpolitik und das Verhältnis zu Russland im bevorstehenden Wahlkampf eine Rolle spielen werden, kann als gesichert gelten. Wie sich das Ergebnis dieses Urnengangs auf die weitere Entwicklung der bilateralen Beziehungen auswirken wird, bleibt abzuwarten.