Covid-19: Wie eine Pandemie die Flexibilität des neuen russischen Militärs aufzeigt

Von Rod Thornton (King’s College London)

Zusammenfassung
Nach einer Phase der Professionalisierung und Modernisierung werden die Streitkräfte Russlands von der Öffentlichkeit als kompetente und effiziente Institution wahrgenommen, und das in einem Land, in dem diese Eigenschaften nach allgemeiner Ansicht bei staatlichen Organen nur selten anzutreffen sind. Das zunehmende öffentliche Profil, das das Militär in der Covid-19-Krise erhält, ist zugleich ein weiteres Beispiel, wie der russische Präsident versucht, einen Teil des Renommees, das diese Institution in Russland jetzt genießt, für sich zu vereinnahmen. Unabhängig davon verfolgt das Militär immer noch seine traditionellen Ziele, nämlich eine Schwächung der NATO und der EU, und zeigt auch hier seine Flexibilität.

Einführung

Im März 2020 und umrahmt von einem nicht unerheblichen medialen Getöse lieferte das russische Militär medizinisches Militärpersonal und Ausrüstung nach Italien, um dem Land bei der Bewältigung der Covid-19-Epidemie zu helfen. Dieser Schritt war nur ein Beispiel von vielen für das geschärfte öffentliche Profil, über das das Militär jetzt anscheinend in der Öffentlichkeit von Putins Russland verfügt. Das ist mitnichten ein Zufall. Der russische Präsident nutzt das Militär für den Versuch, einen Teil des Renommees, das diese Institution jetzt in Russland genießt, für sich in Anspruch zu nehmen. Die Streitkräfte werden heute als kompetente und effiziente Organisationen wahrgenommen, und das in einem Land, in dem dies nach allgemeiner Ansicht nur selten in staatlichen Stellen anzutreffen ist. Das Militär ist in der Tat diejenige Institution, der im Land am stärksten »vertraut« wird.

Das wird auch von jüngsten Meinungsumfragen in Russland gestützt. Die besagen, dass 2012 noch 38 Prozent der Russen meinten, dass sie dem Militär »vertrauten«, und dieser Wert bis 2019 auf 63 Prozent angestiegen ist (Putins »Vertrauens«-Werte lagen 2012 bei 51 % und 2019 bei 60 %). Auch andere Umfragen stützen diese Tendenz hin zu einer wachsenden Popularität des Militärs. So meinten 1997 lediglich 41 Prozent der Russen, dass junge Männer im Militär dienen sollten; bis 2019 ist dieser Wert auf 60 Prozent angestiegen. Insgesamt deuten die Umfragen darauf hin, dass die russischen Streitkräfte jetzt für die Bevölkerung in vielfacher Weise das verkörpern, was an ihrem Land »gut« ist.

Professionalisierung aus der Verkümmerung heraus

Das war natürlich nicht immer so. Ursprünglich stand das postsowjetische russische Militär für Niedergang, Korruption, Kleptokratie, schlechte Moral und brutale Gängelung von Rekruten. Die Regierung unter Boris Jelzin wendete nur wenig Gelder für die Streitkräfte auf, weil in der Phase nach dem Kalten Krieg, die anfänglich internationalen Frieden und Harmonie versprach, Investitionen in die Streitkräfte in Bezug auf die Erfordernisse fast überflüssig erschienen. Man ließ sie verkümmern. Anderseits hatte die Armee in den 1990er Jahren in Tschetschenien zwei zermürbende Kriege zu führen. Die Art und Weise, in der sie diese Kriege führte – wobei sie sich auf massive Feuerkraft verließ – machte ihre Defizite umso offensichtlicher. Auch die Marine und die Luftwaffe waren in den 1990er Jahren kaum in der Lage, Schiffe auslaufen oder Flugzeuge abheben zu lassen. Natürlich ließ man am alljährlichen Tag des Sieges wie immer die Truppen auf dem Roten Platz paradieren, doch waren die prächtigen Panzer und der perfekte Drill lediglich Schaufensterattrappen, mit denen die Übel, unter denen das Militär litt, bemäntelt wurden.

Dann kam im Jahr 2000 Wladimir Putin an die Macht. Als Nationalist und Populist, und bei seinem Bemühen, sich als den »starken Mann« Russlands darzustellen, war es notwendig, dass auch das Land selbst stark erscheint. Und hier hatte das Militär nun eine dezidierte Rolle zu spielen. Es musste so stark sein, dass auch Russland mächtig erscheint und dadurch wiederum Putins Eignung als Führer untermauert wird. Seit 2000 und nach dem peinlichen Debakel rund um den Untergang des atomaren U-Boots Kurskim selben Jahr, der beispielhaft den traurigen Zustand des Militärs aufzeigte, hat Putin den Verteidigungshaushalt erhöht und eine Modernisierung des Militärs angestoßen. Es bestand die Hoffnung, dass Russland über ein Militär verfügen werde, das nicht nur wirksam das Land verteidigen, sondern – wie die Streitkräfte der USA, des Vereinigten Königreichs oder Frankreichs auch – im Ausland eingreifen und dort Missionen unternehmen könnte, um populistisch die Flagge zu schwenken und Prestige zu gewinnen.

Ein zentraler Faktor bei der Reformierung des Militärs bestand darin, dass der Professionalisierungsprozess, der in der Jelzin-Ära ins Stocken geraten war, neue Impulse bekam. Hier war die Idee, mit der Zeit die wehrpflichtigen Rekruten durch länger dienende, bezahlte Berufssoldaten (russ.: kontraktniki) zu ersetzen. Ein solcher Schritt bedeutete, dass die in der Bevölkerung zutiefst unpopuläre Praxis der Wehrpflicht die Gesellschaft weniger belastet. Sowohl Jelzin als auch später Putin haben in einem Versuch, ihre Popularität zu erhöhen, die Dienstzeit der Wehrpflichtigen von den ursprünglichen 2 bzw. 3 Jahren (je nach Einsatzbereich) reduziert – unter Putin beträgt sie nun nur noch 12 Monate. Natürlich sollte der Übergang von schlecht motivierten Wehrpflichtigen zu Berufssoldaten in logischer Konsequenz auch darin bestehen, ein Militär hervorzubringen, das sowohl die alten Aufgaben besser erledigt als auch neue übernehmen kann. Insbesondere in den letzten Jahren sind Fortschritte bei diesem Professionalisierungsprozess deutlich geworden. So hatte 2016 das Zahlenverhältnis von Wehrpflichtigen zu Berufssoldaten noch bei 50:50 gelegen (und das über mehrere Jahre hinweg). Beide Kategorien zählten rund 260.000 Personen. Erst jüngst wurde bekannt gegeben, dass die Anzahl der Wehrpflichtigen bei 225.000 und die der Berufssoldaten bei 405.000 liege (was mit 225.000 Offizieren eine geschätzte Gesamtpersonalstärke der Streitkräfte von 855.000 ergibt). Das bedeutet, dass sich Putin zwei Dinge zugute schreiben kann. Zum einen werden weniger junge Männer zum Wehrdienst gezwungen, und dann erhält das Militär das dringend benötigte besser qualifizierte Personal. Zudem gewinnt die Institution Militär infolgedessen an Popularität: weniger Rekruten bedeutet weniger Ablehnung in der Gesellschaft und mehr Berufssoldaten bedeuten ein effizienteres und somit stärker geachtetes Militär.

Ein Grund, warum die Riege der Berufssoldaten seit 2016 gestärkt wurde, könnte darin zu suchen sein, dass Putin 2015 die Bewegung Junarmija initiierte. Das ist ein Kadettensystem an Schulen, durch das die Schüler einen Vorgeschmack auf ein Militärleben erhalten, damit sie verstehen, was Militärdienst bedeutet, und nach der Schule zu einem Eintritt in die Streitkräfte ermutigt werden. Darüber hinaus sieht es so aus, als würden auch so die hochangesehenen Militäruniversitäten intensiv von Schulabsolventen nachgefragt.

Modernisierung

Der Weg hin zu einem effektiveren Militär umfasste jedoch mehr als die Ablösung wehrpflichtiger Rekruten durch kontraktniki. Das gesamte Gerüst des Militärs musste verbessert also modernisiert werden. Der Modernisierungsprozess beim Militär, der unter Putin nach dem Unglück der Kursk begonnen wurde, erlebte 2008 im Krieg gegen Georgien eine erste Bewährungsprobe. Der Ausgang dieses Krieges fiel zwar zu Russlands Gunsten aus und erzeugte in der russischen Öffentlichkeit viel Bewunderung, doch förderte er auch eine Reihe von Schwachstellen zutage und ließ weiteren Verbesserungsbedarf erkennbar werden. Also wurde dem Modernisierungsprozess mehr Nachdruck verliehen und die Anstrengungen zur Steigerung der militärischen Effektivität verdoppelt.

In dem Maße, wie noch mehr Gelder aufgewendet wurden und hochrangige Offiziere nach Wegen suchten, auf allen Ebenen der Kriegsführung – von der taktischen bis zu strategischen – eine höhere Effizienz zu erreichen, verbesserten sich die Streitkräfte auf eine wichtige Art und Weise. Und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen hat das Militär eine Reihe von Hightech-Waffensystemen entwickelt (oder ist dabei, sie zu entwickeln), über die die NATO-Länder nicht verfügen, etwa Langstreckenraketen mit Überschall- oder Hyperschallgeschwindigkeit, langstreckenfähige halbautonome Atomtorpedos und große Kampfdrohnen. Ihre Einführung wurde von Putin gepriesen und der Bevölkerung gegenüber als Bespiel für russischen militärischen Erfindergeist dargestellt. Zweitens ist das Militär nun besser organisiert, hat seine Kommando- und Kontrollabläufe verbessert und seine innere Struktur effizienter gestaltet. Drittens wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um seine Kriegsführung mit mehr Finesse gestalten zu können. Im Unterschied zur sowjetischen Armee, die sich auf massive Feuerkraft stützte – was noch (postsowjetisch) in den 1990er Jahren in Tschetschenien überaus deutlich wurde – besteht der Ansatz heute darin, auch sehr viel nuanciertere asymmetrische Methoden einzusetzen. Diese werden oft unter dem Begriff »hybride Kriegsführung« zusammengefasst. Es handelt sich nun um ein Militär, das nach dem Georgienkrieg die Fähigkeit entwickelt hat, auch jenseits seiner Grenzen Missionen zu unternehmen, einschließlich militärischer Operationen. Bis 2014 hatte Putin genug Selbstvertrauen gefasst, sein Militär im Einklang mit seiner nationalistischen Agenda aggressiver einzusetzen. Und sein Militär hat ihn nicht enttäuscht.

Die unblutige Übernahme der Krim im Februar 2014 durch russische Einheiten ist vom Kreml als Beispiel für die neu erworbenen Fähigkeiten der Streitkräfte gepriesen worden. Das fand auch die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit, die die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Militärs nicht in Frage stellte. Als russische Truppen tatsächlich 2014 in die Ostukraine einmarschierten und im weiteren Verlauf des Jahres Gewalt einsetzten, richtete sich die innerrussische Kontroverse erneut kaum gegen das Militär. Das war auch darauf zurückzuführen, dass der Kreml jedwede Beteiligung des Militärs leugnete. Die offizielle Version lautete, dass die Kämpfe gegen die ukrainischen Einheiten von lokalen ethisch russischen Milizen aus der Ukraine, von »patriotischen« Freiwilligen und von – nach russischen Gesetzen – »illegalen« privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen (engl.: Private Military Companies oder Private Military Contractors, PMC) geführt würden. Putin sorgte dafür, dass der schwarze Peter nicht bei seinen Streitkräften landete. Das Militär behielt eine saubere Weste.

Das militärische Eingreifen in Syrien seit 2015 hingegen wird vom Kreml und in den russischen Medien weithin gutgeheißen. Der extreme Einsatz von Gewalt bei russischen Luftangriffen galt als gerechtfertigt, weil die Ziele stets »Terroristen« waren. Ständig erschienen in russischen Medien Berichte über russische militärische Erfolge, begleitet von niedrigen Opferzahlen unter russischen Militärangehörigen. Allerdings wurden bei dem Personal von russischen Militärunternehmen, die in Syrien im Einsatz sind – vor allem der Wagner-Gruppe – hohe Verluste verzeichnet. Das konnte jedoch vom Kreml heruntergespielt werden: Schließlich handelte es sich um illegale Söldner, selbst wenn sie auf Geheiß des Kreml handelten.

Auch die Leistung einiger russischer Hightech-Waffensysteme, die in Syrien zum Einsatz kamen, wurde von Putins Regierung demonstrativ herausgestellt. Der russischen Öffentlichkeit wurden beispielsweise sorgsam gefilmte Aufnahmen von treffsicheren Bomben und Langstreckenraketen geboten, die von Schiffen im Kaspischen Meer und im Mittelmeer nach Syrien abgefeuert wurden. Das Publikum konnte sich davon überzeugen, dass Russland über ein Militär verfügt, das für das 21. Jahrhundert gewappnet ist.

Mit der Darstellung all der militärischen »Erfolge« in Syrien ließ sich wiederum innenpolitisch Putins Image aufpolieren. Er konnte einen »Sieg« in Syrien und (mehrfach!) einen Abzug der russischen Streitkräfte verkünden. Die Einheiten sind aber immer noch vor Ort und werden das wohl auch noch etliche Zeit bleiben.

»Öffentlichkeitsarbeit« in Zeiten von Corona

Die russischen Streitkräfte haben sich also in den letzten Jahren ein neues und positives Ansehen in breiten Bevölkerungskreisen erwerben können. Es sind Streitkräfte, die jetzt nicht nur über bessere Waffen, eine bessere Organisation und – wegen des Übergangs zu einer Berufsarmee – über einen besseren Corpsgeist verfügen, sondern auch bei ihren Missionen über eine größere Reichweite als jemals zuvor. Sie sind eine Institution, auf die patriotisch gesinnte Russen stolz sein und der sie tatsächlich »vertrauen« können. Natürlich werden mitunter Geschichten von Misshandlungen in den Rängen der Streitkräfte erscheinen, doch wird das kaum das insgesamt positive Image schmälern können.

Bis 2020 und dem Beginn der Coronakrise waren die Streitkräfte zu einer wohlangesehenen Institution geworden. Zu einer Institution, der Putin in der Tat vertrauen, und die er im Ausland – und das nicht nur im Ausland, sondern auch und wichtiger noch, im Inland – zur Steigerung des russischen Images einsetzen könnte.

Anfang März, zu einer Zeit, als man in Russland begann, Covid-19 tatsächlich als Bedrohung wahrzunehmen, wurde das russische Militär (die Armee und die Flotte) – vor dem Hintergrund einer aufgeregten Medienlandschaft – beauftragt, in Russland 16 neue Krankenstationen zu errichten. Hierbei handelt es sich nicht um große Messezentren, die zu Krankenstationen umfunktioniert werden (wie das in den USA und im Vereinigten Königreich geschehen ist), sondern um wirklich neue Gebäude, die auf der grünen Wiese errichtet wurden. Mit einer Kapazität von jeweils 500 bis 1.600 Patienten war eine Fertigstellung innerhalb von 40 bis 50 Tagen geplant. Zudem wird berichtet, dass diese neuen Krankenhäuser ausschließlich mit Ärzten aus den chemischen, radiologischen, biologischen und atomaren Einheiten des Militärs (CBRN-Einheiten) besetzt wurden und somit nicht noch mehr das überforderte zivile Gesundheitssystem belasteten. Das Militär hat aus der Sorge heraus, dass bei einem zukünftigen Krieg mit ebenbürtigen Staaten CBRN-Waffen zum Einsatz kommen würden, in den letzten Jahren permanent seine CBRN-Fähigkeiten erhöht. Daher verfügt es über Ärzte, die mit den Auswirkungen von Viren sehr vertraut sind. In der Tat hat das russische Militär insgesamt sicherlich keinen Mangel an medizinischem Personal; es beläuft sich auf 100.000 Personen, darunter 23.000 Ärzte.

Vor dem 25. März und angesichts des italienischen Kampfes gegen die Auswirkungen von Covid-19 soll Putin, Berichten zufolge, den Präsidenten Italiens angerufen haben, um russische Hilfe anzubieten (die italienische Regierung steht Putin näher als die meisten NATO-Staaten). Gleich am folgenden Tag traf in Rom ein russisches Flugzeug mit neun Lastwagen, militärischem Personal von 100 Medizinern und einer ganzen Reihe medizinischer Ausrüstung ein. Das russische Militär mag inzwischen sehr viel effizienter geworden sein, doch wird es wohl kaum in der Lage sein, derart schnell zu reagieren. Was immer Putin auch erklären mag, das Personal und die Ausrüstung müssen weit vor Putins Anruf vorbereitet worden sein. Die implizierte Schnelligkeit, mit der die Reaktion erfolgte, sollte allein Propagandazwecken dienen. Es kann also am ehesten als ein Schritt in der sogenannten Viruspolitik betrachtet werden. Diese Erklärung wird durch den Umstand erhärtet, dass das Flugzeug in Rom landete und nicht näher an der gepeinigten norditalienischen Stadt Bergamo, wo die Hilfe benötigt wurde. Das Ziel war eindeutig auch eine »Propagandatour« von Rom nach Bergamo. Die Fahrzeuge waren erneut wohlvorbereitet: Sie waren mit professionell gefertigten Transparenten mit der Inschrift »From Russia with Love« in drei Sprachen geschmückt. Die auf die öffentliche Wirkung gerichtete Komponente dieser Mission wird durch den Umstand deutlich, dass der stellvertretende Medienchef des russischen Verteidigungsministeriums an der Mission teilnahm. Die Italiener schienen dankbar zu sein. Sowohl die russischen Militärärzte als auch die Ausrüstung, die sie mitbrachten, unter anderem Beatmungsgeräte, wurden allem Anschein nach sehr begrüßt.

Als ein weiterer Schritt in der Viruspolitik wurde dann Hilfe durch das russische Militär auch nach Serbien gebracht. Wiederum wurde vermeldet, dass Putin am 2. April den serbischen Präsidenten kontaktiert und Hilfe angeboten habe. Und fast wie ein Wunder traf diese dann auch pünktlich in 11 russischen Flugzeugen und mit achtzigköpfigem medizinischem Personal in Belgrad ein.

Das Kalkül hinter dieser russischen Militärhilfe für Italien und Serbien ist nicht schwer zu verstehen. Es hinterlässt beim einheimischen Publikum einen guten Eindruck und verlängert die Liste von Putins »humanitären« Erfolgen. Es kann aber auch als ein weiteres Beispiel für Russlands anhaltenden Informationsfeldzug gegen den Westen betrachtet werden. Das Militär ist bei diesem Feldzug in vielerlei Hinsicht ein sehr wichtiger Akteur: Es kann provokante Manöver abhalten oder Cyberattacken unternehmen. Ein zentrales Ziel dieses Informationskrieges ist es, die NATO und die EU dadurch zu schwächen, dass einzelne Staaten herausgebrochen werden, die sich anscheinend keiner der beiden Institutionen verpflichtet fühlen, beispielsweise Italien. Dass das Ziel des Kreml erreicht wurde, beschreiben die Worte eines leitenden Arztes in Bergamo: »Russische Militärärzte kamen […] Die deutschen aber sind nicht gekommen, und die Franzosen und die Amerikaner sind nicht gekommen.« Im Fall von Serbien war es wohl das Ziel Russlands, ein Land enger an Moskau zu binden, das eines Tages versucht sein könnte, der NATO beizutreten.

Es ist offensichtlich, dass Putin das russische Militär in der Covid-19-Krise sehr effizient dazu nutzt, nicht nur das Image des Präsidenten zu verbessern, sondern auch Russland seine »Softpower-Muskeln« spielen zu lassen, während der Informationsfeldzug fortgeführt wird. Schließlich handelt es sich trotz aller oben erwähnten Vorbehalte um ein Militär, das schnell und effizient gehandelt hat, wenn es gerufen wurde – sei es beim Bau von Krankenhäusern, bei der Erbringung von medizinischer Hilfe oder beim Zeigen von Präsenz in Einflusssphären. Es ist ein Militär, das sich in der Welt und gegenüber der russischen Öffentlichkeit sehen lassen kann, und zwar sowohl als mächtige und effiziente Kraft, aber auch als eine, die flexibel genug ist, um als »Macht für das Gute« erscheinen zu können. Und Putin heimst ganz offen einen Teil dieses Imagegewinns ein.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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Analyse

Russland rüstet seine Marinekräfte auf und streicht sie zusammen

Von Pavel K. Baev
Die russische Führung hegt Ansprüche auf den Status einer »maritimen Großmacht«, doch sieht das Staatliche Rüstungsprogramm bis 2027 beträchtliche Kürzungen bei der Finanzierung von Schiffsbauten vor. Oberste Priorität wird der Vollendung der Serie von acht strategischen U-Booten der »Borej«-Klasse gegeben. Dem neuen Plan zur Entwicklung atomgetriebener U-Boote wird viel politische Aufmerksamkeit gewidmet. U-Boote unterschiedlicher Typen werden die Hauptstreitmacht der russischen Kriegsmarine stellen, doch sind viele Fähigkeiten (amphibische Operationen, Kriegsführung gegen U-Boote) im Niedergang begriffen. Die konstanten strategischen Anforderungen, um den wahrgenommenen Bedrohungen auf den vier potentiellen Kriegsschauplätzen (Nordpolarmeer, Ostsee, Schwarzes Meer und Pazifik) zu begegnen, verlangen hohe Risikobereitschaft und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Unfällen.
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