Ergebnisse der Wahlbeobachtung zum Einheitlichen Wahltag am 13. September 2020

Von Max Bader (Universität Leiden)

Am 15. Oktober veröffentlichte Golos seinen Abschlussbericht über den Einheitlichen Wahltag, der am 13. September 2020 in Russland stattfand.

Die Hauptereignisse des Einheitlichen Wahltags waren Gouverneurswahlen in 18 Regionen, Wahlen der Regionalparlamente in elf Regionen und Wahlen der Stadtparlamente in 14 Regionshauptstädten. Außer in den Regionshauptstädten fanden Parlamentswahlen und Wahlen für wichtige Positionen der Exekutive auch in vielen Kommunen statt. Der Begriff Einheitlicher Wahltag ist mittlerweile irreführend, denn mit der landesweiten Einführung von zwei Tagen zur vorzeitigen Stimmabgabe finden die Lokal- und Regionalwahlen jetzt auf drei Tage verteilt statt.

Neben vielem anderen enthält der Golos-Bericht Ergebnisse statistischer Analysen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Resultate der Wahlen in großem Umfang von Manipulation gekennzeichnet sind.

Unstimmigkeiten im Wahlverhalten

Zwischen den Regionen, in denen Wahlen stattfanden, gibt es beträchtliche Unstimmigkeiten in Bezug auf den Anteil der vorzeitigen Stimmabgabe. In der Oblast Belgorod, im Jüdischen Autonomen Gebiet, in den Oblasten Pensa und Tambow und im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen stimmten siebzig bis achtzig Prozent derjenigen, die an der Wahl teilnahmen, am 11. und 12. September ab. In den Oblasten Irkutsk und Nowosibirsk gaben dagegen »nur« zwischen vierzig und fünfzig Prozent der Wähler ihre Stimme vorzeitig ab.

Noch krasser sind die Unstimmigkeiten, wenn wir die Ebene der Territorialen Wahlkommissionen betrachten. Viele Territoriale Wahlkommissionen im Krai Kamtschatka, in den Oblasten Perm und Tambow, in Tatarstan und in der Oblast Voronesh meldeten für die vorzeitige Stimmabgabe Anteile von über 80 Prozent. Den höchsten Wert (92,1 Prozent) meldete die Territoriale Wahlkommission Snamenskaja aus der Oblast Tambow. Gleichzeitig meldete eine Reihe von Territorialen Wahlkommissionen, vor allem in den Oblasten Irkutsk und Nowosibirsk, Anteile von weniger als vierzig Prozent für die vorzeitige Stimmabgabe. Den niedrigsten Anteil (24,2 Prozent) meldete die Territoriale Wahlkommission im Autonomen Kreis der Nenzen.

Die Unstimmigkeiten bei der vorzeitigen Stimmabgabe könnten über die Größe der Wahllokale erklärbar sein: In Wahllokalen, in denen mehr Wähler registriert sind, könnten sich mehr Menschen für die vorzeitige Stimmabgabe entscheiden, um am Wahltag nicht in einer Schlange stehen zu müssen. Es scheint jedoch keine positive Korrelation zwischen Größe des Wahllokals und Anteil der vorzeitigen Stimmabgabe zu geben. So sind zum Beispiel im Gebiet der Territorialen Wahlkommission, die den höchsten Anteil vorzeitig abgegebener Stimmen meldete (die Territoriale Wahlkommission Snamenskaja in der Oblast Tambow), die Wahllokale relativ klein. Am Wahllokal Nr. 82 im Gebiet der Territorialen Wahlkommission Snamenskaja lässt sich das gut zeigen: Obwohl hier nur 330 Wähler registriert waren, gaben 266 von ihnen ihre Stimme vorzeitig ab, nur acht stimmten am 13. September ab. Die Autoren des Golos-Berichts kommen zu dem Schluss, dass die Unstimmigkeiten bei den Anteilen der vorzeitigen Stimmabgabe wahrscheinlich durch Manipulationen lokaler und/oder regionaler Behörden zustande gekommen sind.

Ähnliche Unstimmigkeiten gibt es über das ganze Land verteilt bei den gemeldeten ungültigen Stimmten, die anders als durch Manipulation nur schwer erklärt werden können. Für die Präsidentenwahl in Tatarstan wurden nur 0,7 Prozent ungültige Stimmzettel gemeldet, während der entsprechende Anteil bei der Gouverneurswahl in der Republik Komi mit 4,6 Prozent mehr als sechsmal so hoch war. Ein ähnliches Beispiel ist der Anteil der ungültigen Stimmen bei den Wahlen zum Stadtparlament von Kasan, der bei nur 1,4 Prozent lag, während er für die Wahl des Stadtparlaments von Syktywkar 8,6 Prozent betrug.

Korrelation zwischen vorzeitiger Stimmabgabe und Stimmenanteil für Einiges Russland

Der gemeldete Anteil der vorzeitigen Stimmabgabe war nicht nur für eine Reihe von Regionen sehr hoch, die vorzeitige Stimmabgabe korrelierte auch in fast allen Regionen eindeutig mit einem höheren Stimmanteil für die Partei Einiges Russland oder amtierende Kandidaten. Den offiziellen Ergebnissen zufolge wurde bei der vorzeitigen Stimmabgabe mit anderen Worten überproportional häufig für Einiges Russland oder die amtierenden Gouverneure gestimmt. Die Autoren des Berichts stellen fest, dass diese Korrelation zusätzlichen Anlass für den Verdacht der Manipulation im Rahmen des Prozesses der vorzeitigen Stimmabgabe bietet. Nur in wenigen Regionen korrelierten die am 13. September abgegebenen Stimmen in ähnlicher Weise.

Anschaulich ist das Beispiel der Wahl des Kommunalparlaments von Schuja in der Region Iwanowo. Mit 96 von 125 Stimmen (oder 77 Prozent) erhielt der Kandidat von Einiges Russland Barabaschow in seinem Bezirk die mit Abstand meisten Stimmen über vorzeitige Stimmabgaben. Am 13. September bekam er dagegen nur die zweitmeisten Stimmen (76 von 292 oder 26 Prozent).

Unwahrscheinliche Ergebnisse

Bei den Gouverneurswahlen stieg die offizielle Wahlbeteiligung verglichen mit den letzten Gouverneurswahlen in acht von 18 Regionen um mehr als drei Prozent. Ein solcher Anstieg der Wahlbeteiligung ist bei den Wahlen der Oblast-Parlamente und der Stadtparlamente der Regionshauptstädte nicht zu beobachten. Nur bei zwei von elf Oblast-Parlamentswahlen war die Wahlbeteiligung höher als bei den letzten Wahlen, in beiden Fällen blieb der Anstieg unter einem Prozent. Nur bei drei von vierzehn Wahlen von Stadtparlamenten der Regionshauptstädte war die Wahlbeteiligung höher als bei der letzten Wahl, in allen Fällen betrug der Anstieg weniger als drei Prozent. Insgesamt gibt es keinen Beleg dafür, dass die Einführung der dreitägigen Wahl eine höhere Wahlbeteiligung bewirkt hat. Der höchste Anstieg der Wahlbeteiligung bei Gouverneurswahlen wurde für den Krai Krasnodar (22,6 Prozent) und für die Jüdische Autonome Region (41,1 Prozent) gemeldet. Der Golos-Bericht stellt fest, dass beide Fälle nur durch Manipulation erklärt werden können.

Besonders bemerkenswert sind die Ergebnisse der Gouverneurswahlen im Krai Krasnodar und in der Oblast Tambow. Laut den offiziellen Ergebnissen meldeten in beiden Regionen mehr als die Hälfte der Bezirkswahlkommissionen, dass über 80 Prozent der registrierten Wähler für den amtierenden Gouverneur gestimmt hätten, das sind mehr als bei den Präsidentschaftswahlen 2018 für Putin oder beim »Referendum« im Juni/Juli 2020 für die Verfassungsänderungen stimmten. Dies ist ungewöhnlich – normalerweise sind die Behörden zurückhaltend mit der Meldung besserer Ergebnisse für einen Gouverneur als für den Präsidenten. Laut Berechnungen des Mathematikers Sergej Schpilkin könnten bei den Gouverneurswahlen in Krasnodar Krai bis zu 700.000 Stimmen manipuliert worden sein.

Der Beobachtungseffekt

Ein weiterer Grund, einige der offiziellen Ergebnisse in Frage zu stellen, ist, dass es häufig auffällige Unstimmigkeiten zwischen Ergebnissen von Wahllokalen im selben Gebiet mit und ohne Beobachter gibt.

Bei den Wahlen in der Stadt Krasnodar waren viele unabhängige Beobachter in den Wahllokalen anwesend, im Krai Krasnodar außerhalb der Stadt Krasnodar gab es dagegen relativ wenige Beobachter. In der Stadt Krasnodar war die Wahlbeteiligung dreimal niedriger als im Krai Krasnodar und der Stimmanteil für den amtierenden Gouverneur war hier um die Hälfte niedriger als in der Region insgesamt. Hinzu kommt, dass die Beteiligung an der Gouverneurswahl im Krai Krasnodar um 22,6 Prozent höher war als bei den letzten Gouverneurswahlen, während die Wahlbeteiligung in der Stadt Krasnodar trotz der Einführung der dreitägigen Stimmabgabe sogar um 4,2 Prozent gesunken ist.

Die offizielle Beteiligung an der Wahl des Stadtparlaments von Lipki, bei der in jedem Wahllokal Golos-Beobachter waren, betrug nur 16 Prozent. Im Okrug Kireew, zu dem Lipki gehört, lag die gesamte Beteiligung an den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Oblast-Parlament dagegen bei 30 Prozent, was darauf hinweist, dass die Wahlbeteiligung in Wahllokalen, in denen keine unabhängigen Beobachter anwesend waren, viel höher war.

In Wybor in der Oblast Leningrad waren in 34 von 43 Wahllokalen unabhängige Beobachter anwesend. In den neun Wahllokalen, in denen keine unabhängigen Beobachter waren, erhielt der Regierungskandidat Drosdenko offiziellen Ergebnissen zufolge einen deutlich höheren Stimmenanteil als in den Lokalen, in denen Beobachter anwesend waren.

Diese Beispiele für Unstimmigkeiten zwischen Ergebnissen aus Wahllokalen, in denen Beobachter anwesend und nicht anwesend waren, verweisen auf den »Beobachtereffekt«: Sind unabhängige und gut ausgebildete Beobachter vor Ort, ist eine Manipulation der Wahlergebnisse unwahrscheinlicher. Dieses sehr bekannte Ergebnis unterstreicht die große Bedeutung der Entsendung möglichst vieler unabhängiger Beobachter zu Wahlen, für die das Risiko einer Manipulation besteht.

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