Marija Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, steht meist im Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn es um die Kommunikation des Ministeriums mit der aus- oder inländischen Öffentlichkeit geht. Eine Analyse der Strategien und eine Betrachtung der Kontroversen, die für Marija Sacharowa bei der Kommunikation mit dem jeweiligen Zielpublikum kennzeichnend sind, wird von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen meist aus dem Blickwinkel der Public Diplomacy vollzogen.
Public Diplomacy ist ein facettenreiches Phänomen und kann von unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlichen Situationen in vielerlei Weise verstanden und interpretiert werden. Eine der Definitionen bezieht sich direkt auf das Außenministerium eines Nationalstaats. Sie beschreibt Public Diplomacy als Aktivitäten, die ein Außenministerium unternehmen kann, um seine Agenda gegenüber breiten Öffentlichkeiten ausländischer Gesellschaften und nichtstaatlicher, nicht diplomatischer Gruppen und Organisationen voranzutreiben. Mit anderen Worten: Public Diplomacy versucht, einen Dialog zwischen staatlichen Akteuren eines Landes und nichtstaatlichen Akteuren eines anderen Landes zu initiieren. So soll ein bestimmtes Narrativ befördert und ein positives Image jenes Landes verbreitet werden, das diese Form der öffentlichen Kommunikation betreibt.
Public Diplomacy liegt somit in der Verantwortung des Sprechers oder der Sprecherin des Außenministeriums. Diese Form der Kommunikation wird von dem oder der Sprecher*in nicht nur in offiziellen Formaten genutzt, um die eigene Botschaft an ausländische Öffentlichkeiten zu vermitteln. Es werden beispielsweise offizielle Stellungnahmen abgegeben und wöchentlich Gespräche mit Journalist*innen und Korrespondent*innen gestreamt. Auch verifizierte und teilweise sogar persönliche Accounts in sozialen Netzwerken werden von der Public Diplomacy genutzt, um eine größere Reichweite zu erzielen.
Das russische Außenministerium setzt offline wie auch digital eine ganze Reihe Praktiken für energische, meist erfolgreiche Informationskampagnen oder strategische Kommunikation ein. Sie sind ein Instrument der Public Diplomacy, mit der russische Außenpolitik legitimiert oder Menschen zugunsten Russlands beeinflusst werden sollen, wobei oft ein Widerstand gegen »westliche Bevormundung« in allen Bereichen des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens demonstriert wird.
Der Besetzung der Position des Sprechers oder der Sprecherin des Ministeriums als seiner Vertreter*in »an vorderster Front« widmet das russische Außenministerium besondere Aufmerksamkeit. Marija Sacharowa ist ausgebildete Diplomatin und keineswegs eine zufällige Figur. Sie wurde 2015 auf ihren Posten berufen und hat sich eine Reputation für spontanes Vorgehen erarbeitet, oft verbunden mit einer provokanten Art der Stellungnahme. Ich werde im Folgenden einige Beispiele anführen, die Sacharowas Pflichten und Aufgaben illustrieren. Zuvor werde ich einige Aufgabenbereiche ein*er Sprecher*in des Außenministeriums umreißen, wenn sie das Publikum mit eigenen Auslegungen zur besseren Verarbeitung von Informationen über Außenpolitik versorgt. Diese beleuchten die die Komplexität und Vielfältigkeit der Fragen, die sie oder er in ihrer oder seiner alltäglichen Arbeit bearbeiten.
Diese Kategorien erschließen und verdeutlichen die Art und Weise, in der ein Sprecher oder eine Sprecherin des Außenministeriums
- Einfluss auf die Darstellung außenpolitischer Themen in den in- und ausländischen Medien nimmt;
- sich der Herausforderung stellt, mit skeptisch eingestellten Medienvertreter*innen zu kommunizieren, sowie einen Dialog mit der Opposition organisiert;
- versucht, zu einem höheren Grad an Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Legitimität der außenpolitischen Ziele des Staates beizutragen und
- seine oder ihre persönliche Reputation, Charme, Emotionalität, Sinn für Humor, Erfahrung oder andere Eigenschaften einsetzt, wenn sie oder er mit einem Publikum offline oder digital kommuniziert.
Dies ist keine umfassende Liste aller Funktionen des Aufgabenbereichs. Die genannten Punkte sollen als Beispiele für die Aspekte stehen, die bei der Verlautbarung von Statements der Außenpolitik zu beachten sind, und zwar hinsichtlich der Akzeptanz durch die Öffentlichkeit. Letztendlich sollen sie aber dazu beitragen, die außenpolitischen Ziele eines Nationalstaates zu befördern.
Im Falle des russischen Außenministeriums korreliert die Priorität der außenpolitischen Themen, die bei Stellungnahmen und auf Pressekonferenzen in den Vordergrund gerückt werden, eng mit der übergeordneten Strategie in einem geopolitischen Kontext, der sich rasch wandelt. Stets auf der Agenda sind schnelle offizielle Reaktionen und Kommentare zur Weltpolitik sowie zu diversen internationalen Ereignissen. So spiegelten sich die wichtigsten Aspekte der geopolitischen Interessen Russlands in den Jahren 2017 und 2018 in Kommentaren zum militärischen Vorgehen in Syrien, zur Vergiftung der Skripals und zu den diplomatischen Spannungen mit den USA, dem Vereinigten Königreich und der NATO sowie anderen euro-atlantischen Fragen wider. 2019 war es dann das Vorgehen Russlands in Südamerika (Venezuela) sowie im Nahen und Mittleren Osten (Syrien), die die Topthemen bildeten, zu denen auf den Presseterminen und in den Medien Stellungnahmen erfolgten. 2020 stellte Marija Sacharowa meist Aspekte der Corona-Pandemie in den Vordergrund, wobei sie sich auf die Flüge zur Rückholung russischer Staatsangehöriger aus dem Ausland konzentrierte, die von den Botschaften und Konsulaten des Landes organisiert und beaufsichtigt wurden. Aber auch russische humanitäre und medizinische Hilfsaktionen zur Überwindung der Pandemie in über 45 Ländern waren Thema der offiziellen Reaktionen und Kommentare. Auch wenn internationale Medien über einige der Hilfslieferungen kontrovers berichteten, erwies sich die Hilfe Russlands als sichtbar und hatte meist positive Effekte auf das internationale Image des Landes. Nachdem die Corona-bedingten Beschränkungen gelockert worden waren, kehrte das Themenspektrum der Sprecherin zu den traditionelleren Arbeitsbereichen der Außenpolitik zurück.
Als Diplomatin an vorderster Front könnte Marija Sacharowa in ihrer offiziellen Rolle sehr wohl als eigenständige Akteurin betrachtet werden. Sie agiert trotz einiger Kritik und Enttäuschungen konsequent und geschickt mit dem Publikum, fördert den Dialog und vermittelt und erläutert auf klare Weise die außenpolitische Agenda Russlands. Sie ist in der Lage, kluge, scharfsinnige und bisweilen provokante Kommentare abzugeben, die ihr Selbstvertrauen und die insgesamt robuste Unterstützung durch das Außenministerium deutlich werden lassen. Ihre analoge Präsenz soll durch den Einsatz digitaler Kommunikation über soziale Medien für Zwecke der Public Diplomacy ergänzt werden. Hierbei soll mit einem hohen Maß an Interaktion mit ihren Follower*innen deren Zahl hoch gehalten werden. Durch das soziale Kapital, das sie offline wie online aufbaut, ließe sich Sacharowas Art der Kommunikation mit dem vergleichen, was im Zeitalter der sozialen Medien von wichtigen Influencer*innen erwartet wird.
Allerdings werden Sacharowas Auftreten und Aktivitäten in den sozialen Medien nicht als vollauf diplomatisch betrachtet und sogar als Risikofaktor für zwischenstaatliche Beziehungen angesehen. So legte sie 2016 nach Donald Trumps Sieg bei den Präsidentschaftswahlen nahe, dieser sei der jüdischen Lobby zu verdanken, deren Geld bei dem Sieg eine wichtige Rolle gespielt habe. Jerusalem hat das nicht kommentiert. Als Antwort auf die Frage eines finnischen Journalisten zu den Rechten von Homosexuellen in Tschetschenien, einer muslimisch geprägten Teilrepublik in Russland, entgegnete sie, der Journalist solle nach Tschetschenien fahren und die Lage dort selbst erkunden. Beim Russland-ASEAN-Gipfel 2016 in Sotschi gab Sacharowa einen Kalinka-Tanz zum Besten, was dann als »Tanz-Diplomatie« bezeichnet wurde. Bei einem der wöchentlichen Pressetermine gab Sacharowa Anfang April 2019 anlässlich einer neuen Ausgabe eines japanischen Geschichtslehrbuches zu Protokoll, dass es eine absurde Formel sei, die südlichen Kurilen als »angestammte Lande« Japans zu bezeichnen. Gleichzeitig regte sie an, dass die japanischen Geschichtslehrer die Schulbuchkapitel zu Hiroshima und Nagasaki erweitern sollten, weil die »japanischen Kinder nicht wissen, wer diese Bombenangriffe durchgeführt hat«.
Unlängst jedoch kam es zu einer aufsehenerregenden Geschichte, die Sacharowas Position hätte ins Wanken bringen und die russisch-serbischen Beziehungen in Frage stellen können; auch Außenminister Sergej Lawrow und Präsident Wladimir Putin waren betroffen. Ein recht gewagter Eintrag von Sacharowa auf Facebook über die Begegnung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und US-Präsident Donald Trump Anfang September 2020 im Oval Office des Weißen Hauses hatte für öffentliche Empörung gesorgt, unter anderem bei hochrangigen Offiziellen in Serbien und bei Vučić selbst. Sacharowa hatte das Bild des auf einem Stuhl vor Trump sitzenden Vučić mit der legendären Verhörszene mit Sharon Stone in dem Film »Basic Instinct« verglichen. Die Reaktion von Vučić erfolgte umgehend: Er bezeichnete Sacharowas Post als »primitiv und vulgär«. Hier ist wichtig zu bedenken, dass Serbien das einzige Land in Europa ist, das traditionell zu Moskau steht und dessen Beziehungen zu Russland von Freundschaft und Sympathie geprägt sind.
Sacharowa entschuldigte sich umgehend und erklärte, ihr Eintrag sei schlicht fehlinterpretiert worden. Eigentlich habe sie gemeint, dass die amerikanische Seite das diplomatische Protokoll teils missachtet habe. In Vučićs Antwort wurde betont, dass er bereit gewesen wäre zu stehen, zu sitzen oder irgendeine andere Haltung an jedwedem Ort im Weißen Haus anzunehmen, wenn man ihn darum gebeten hätte, und dass er dies auch getan hätte, um – unter anderem im Kosovo – die nationalen Interessen Serbiens zu gewährleisten und die Beziehungen zum Westen verbessern.
Die Situation eskalierte, als der Botschafter Russlands in Belgrad ins serbische Außenministerium zitiert wurde, um eine formale Erklärung abzugeben. Kurz darauf entschuldigten sich sowohl Außenminister Lawrow als auch Präsident Putin beim serbischen Präsidenten für den skandalösen Facebook-Eintrag. Letztlich wurde die Situation durch ein abschließendes Statement des serbischen Außenministers Ivica Dačić bereinigt, der erklärte, die russisch-serbischen Beziehungen seien nicht sonderlich beeinträchtigt worden und würden zwischen den beiden Ländern wie zuvor in Freundschaft und als Verbündete fortgesetzt werden. Präsident Vučić bekräftigte das.
Welche Bedeutung hat diese Situation für die Public Diplomacy? Welche Lehren über potenzielle Gefahren könnten sich hieraus für hochrangige Diplomaten an vorderster Front ergeben, die in ihrer offiziellen Funktion mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu tun haben? Ich umreiße einige Dimensionen, die mir angesichts der heiklen Situation relevant erscheinen: 1. Diplomatisches Protokoll und Etikett; 2. Das Problem digitaler Diplomatie; und 3. Ethik.
Zu 1): Historisch haben das diplomatische Etikett und das Protokoll besondere Normen für das Procedere, für die Methoden der Unterredung und Verhandlung sowie für schriftliche und mündliche Kommunikation hervorgebracht. Bei der Untersuchung offizieller Statements können Forscher*innen und Praktiker*innen der Diplomatie leicht eine bestimmte Wortwahl identifizieren und erkennen, welche Bedeutung damit übermittelt werden soll. Ungeachtet der Komplexität und Vielfalt diplomatischer Beziehungen wird von Diplomat*innen erwartet, hochspezialisierte professionelle Fähigkeiten sowie eine soziale und sogar akademische Kompetenz zu entwickeln. Das erklärt, warum protokollarische Fehler (etwa die Platzierung Vučićs im Oval Office) und persönliche Bemerkungen der Sprecherin des russischen Außenministeriums als persönliche Beleidigung, als undiplomatisch und somit unangemessen aufgefasst werden können.
Zu 2): Es gibt unterschiedliche Definitionen für Diplomatie im digitalen Raum. In diesem Fall beziehe ich mich – im engeren Sinne – auf digitale Diplomatie als Instrument von Public Diplomacy, mit dem im digitalen Zeitalter ein internationales Publikum über soziale Medien erreicht werden soll. Marija Sacharowa ist eine sehr geschickte Medienfigur und ihr Publikum beläuft sich gegenwärtig auf eine halbe Million Follower auf Facebook sowie knapp über 200.000 auf Instagram. Beim Aufbau ihres sozialen Kapitals per Internet trägt sie unweigerlich zum Framing des internationalen Images von Russland bei – sei es nun positiv oder negativ. Hochrangige Sprecher*innen im Rahmen der Public Diplomacy des Außenministeriums, eben beispielsweise Marija Sacharowa, haben bereits begonnen, eine spezielle Art diplomatischer Führung zu entwickeln, und es ist wichtig, diesen Umstand zu berücksichtigen.
Zu 3): Hinsichtlich der Ethik können die Kommentare russischer Internetnutzer*innen als Barometer der öffentlichen Meinung im Land aufgefasst werden. Viele russischsprachige Kommentator*innen stimmten überein, dass Sacharowas Vorgehen unangemessen gewesen sei und keinesfalls toleriert werden sollte. Sie empfanden durch Sacharowas Vorgehen Scham und bedauerten, dass Serbien – der einzige langjährige Verbündete und eine verbrüderte Nation – unfair behandelt wurde. Einige serbische Kommentator*innen gaben zu verstehen, dass sie durch die Haltung der Außenamtssprecherin betrübt und beleidigt seien.
In einem kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel habe ich all dies in einen akademischen Kontext gesetzt und die Institution des oder der Sprecher*in des Außenministeriums und deren historische Rolle in der Public Diplomacy eingehender betrachtet. Dabei habe ich unterstrichen, dass die Rolle des Sprechers bzw. der Sprecherin merklich wichtiger wird und inzwischen weit über die eines Sprachrohrs in der internationalen Politik und in die sich dynamisch entwickelnden zwischenstaatlichen Beziehungen hinausgeht.
Was den Fall Vučić anbetrifft, so werden sich die Erklärungsversuche und Entschuldigungen von Marija Sacharowa nicht so einfach aus dem offiziellen und öffentlichen Gedächtnis löschen lassen. Diese Affäre sollte für die zukünftige Praxis der Public Diplomacy als Lehrstück dienen. Marija Sacharowa ist weiterhin als Sprecherin des Außenministeriums im Amt und hat keinen sichtbaren Schaden genommen, der ihre offiziellen Pflichten und Zuständigkeiten beeinträchtigen könnte.
Ungeachtet der kontroversen Art, in der Sacharowa mitunter offizielle Stellungnahmen abgibt oder erläutert und in der sie mir der Öffentlichkeit kommuniziert, haben ihre persönlichen Eigenschaften und ihr beruflicher Hintergrund einen großen Einfluss auf diplomatische Dialogformate und öffentliche Debatten. Sacharowas Reputation als Diplomatin, ihre proaktive Art des Umgangs mit unterschiedlichen Stakeholdern und ihre bewusste Strategie, auf soziale Medien zu setzen, lassen ihre Stimme beim ausländischen Publikum hervorstechen, während sie in der breiteren Öffentlichkeit auf der nationalen wie der internationalen Ebene einen hohen Wiedererkennungswert genießt.
Es sind neue Instrumente der Diplomatie auf dem Vormarsch. Außenministerien bauen dadurch ihre Kontakte mit nichtstaatlichen Akteuren anderer Länder aus. Dieser Wandel, der gegenwärtig in der Weltpolitik stattfindet, nötigt die Public Diplomacy dazu, offener zu kommunizieren und zugänglicher zu werden. Allerdings können die zwischenstaatlichen Beziehungen durch leichtsinnige Kommunikationsfehler – das zeigt der Fall Vučić – Gefahren ausgesetzt sein oder ungewollt Schaden nehmen.
Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder