Akademische Unfreiheit

Von Margarita Sawadskaja (Europäische Universität St. Petersburg/Universität Helsinki)

Anmerkung der Redaktion der Russland-Analysen:
Der Text von Margarita Sawadskaja spiegelt den Stand von Mitte 2019 wider und ist eine Reaktion auf die politisch motivierte Entlassungen von Sozialwissenschaftler:innen an führenden Moskauer Universitäten. Die Analyse ist aber keineswegs veraltet: Sie soll einerseits daran erinnern, dass im Ausland Repressionen in der russischen Wissenschaft viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Gleichzeitig analysiert der Text präzise, welchen Zwängen Forscher:innen insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften in autoritären Regimen ausgesetzt sind. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 sind nicht alle Wissenschaftler:innen aus Russland geflohen, die den Krieg kritisieren und kein Interesse an einer weiteren Abschottung Russlands haben. Um deren Lage besser einordnen zu können, drucken wir diese Analyse ab.

Im Juni 2019 kam es in der russischen Wissenschaft zu einer Reihe von Skandalen: Die Politikwissenschaftler:innen Alexandr Kynew und Elena Sirotkina von der Moskauer Higher School of Economics und Walerij Solowej von der Diplomatenhochschule MGIMO wurden entlassen. Und die Entscheidung der Staatlichen Universität St. Petersburg, die Zahl der Lehrkräfte an ihrem Institut für Geschichte zu reduzieren, löste eine Welle von Studierendenprotesten aus.

Natürlich sind Entlassungen, die auf die eine oder andere Weise mit der Politik zusammenhängen, kein neues Phänomen in Russland. Politischen Druck auf Universitäten gibt es schon seit geraumer Zeit, von Angriffen auf einzelne Professor:innen in regionalen Hochschuleinrichtungen bis hin zum Entzug von Akkreditierungen und Lizenzen ganzer akademischer Institutionen, allen voran der »Schaninka« und der Europäische Universität St. Petersburg, deren Akkreditierung kürzlich wieder in Kraft gesetzt wurde. Es ist jedoch das erste Mal, dass ein öffentlicher Diskurs über die Lage der sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung in autoritären Regimen geführt wird. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass diese Skandale speziell politikwissenschaftliche Einrichtungen betrafen und dass es sich bei den Betroffenen um Personen und Universitäten mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln handelte.

Der vorliegende Text soll keine Fortsetzung der Untersuchung dieser jüngsten Ereignisse sein, sondern ist vielmehr ein Versuch zu analysieren, ob politikwissenschaftliche Forschung, die in unfreien politischen Systemen produziert wird, auf dem internationalen akademischen Markt bestehen kann. Ich stelle fest, dass die Politikwissenschaft in Autokratien bestehen kann, allerdings um den Preis einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit. Stellen Sie sich ein Rennen vor, bei dem einer der Teilnehmer:innen in einem Sack oder einem Raumanzug laufen muss. Das sorgt, gelinde gesagt, für bedeutende Unannehmlichkeiten.

Akademische Freiheit in Russland

Die Wissenschaftsfreiheit ist ein Aspekt der bürgerlichen und politischen Freiheiten, der, wie jeder Studierende der Politikwissenschaft weiß, in autoritären Regimen nicht gewährleistet ist.

Doch selbst unter stabilen und wirtschaftlich relativ entwickelten Autokratien variiert das Ausmaß der Unterdrückung im akademischen Bereich. In einigen Fällen sind die Repressionen vorwiegend struktureller Natur und äußern sich in Form von Verboten ausländischer Finanzierung und anderen Vorschriften für den akademischen Bereich und die Bildung (Standardisierung von Lehrbüchern und Unterricht usw.). In anderen Fällen ist die Wissenschaftsfreiheit zwar formal immer noch gewährleistet, aber Akademiker:innen werden gezielt verfolgt. Während in Russland die Finanzierung von Forschung aus dem Ausland faktisch verboten ist, werden in Kasachstan die Aktivitäten internationaler Stiftungen im Allgemeinen nicht eingeschränkt.

Das internationale Projekt Scholars at Risk (SAR) verzeichnet gezielte Angriffe auf die akademische Freiheit, von Entlassungen und Drohungen bis hin zu Inhaftierungen und Morden. Selbst wenn man mögliche Ungleichgewichte in den Daten über die Gesamtzahl der Wissenschaftler:innen pro Kopf und andere Datenfehler berücksichtigt, sieht Russland hier nicht wie ein »Gewinner« aus. Unter den untersuchten Regimen ist die Türkei offenbar eines der repressivsten im akademischen Bereich während Singapur, obwohl es keine elektorale Demokratie ist, praktisch keine Akademiker:innen verfolgt (abgesehen von einem Fall, in dem ein Vertrag an einer Journalismus-Fakultät nicht verlängert wurde). Ein weiteres Land, das noch schlechter abschneidet als Russland, ist China. Hier sollte allerdings der geschlossene Charakter des chinesischen Regimes bedacht werden und dass daher die Daten über China im Vergleich zur Türkei, wo die Daten wahrscheinlich korrekt sind, stark verzerrt sind. Leider bietet SAR keine Daten über Kasachstan, das wahrscheinlich der beste Vergleich für Russland wäre. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Autokratien auf vielfältige Weise unterdrücken, und Russland ist seltsamerweise dem Fall Singapur näher als China.

Lohnt sich eine Karriere in der Politikwissenschaft, wenn man in Russland lebt?

Um es kurz zu machen: Nein. Denken Sie an die Metapher vom Laufen im Sack. Aber was sollten Sie tun, wenn Sie bereits in diesem Bereich tätig sind? Macht es überhaupt Sinn, politikwissenschaftliche Forschung zu betreiben, z. B. zu Regimewechseln, Wahlen oder Protestbewegungen, wenn solche Themen in den Massenmedien zensiert werden, vor allem, wenn die Finanzierung ausschließlich durch die Regierung erfolgt? Auf den ersten Blick scheint dies ein riskantes Unterfangen zu sein, oder zumindest sollte man es Leuten überlassen, die nicht vorhaben, in ihrer Universität in eine Verwaltungsposition aufzusteigen.

In den Diskussionen in den sozialen Medien wurden in letzter Zeit einige Positionen zu diesem Thema deutlich, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine »vernünftige« Politikwissenschaft kann es in nicht-demokratischen Ländern nicht geben, da sie bürgerliche und politische Freiheiten voraussetzt. Wenn es sie doch gibt, dann dient sie lediglich als ein Vehikel für die Ausbildung von Propagandist:innen;
  • Politikwissenschaft kann es geben, aber nur in einer Form, die sich auf »sichere«, von der Regierung finanzierte Forschung, beschränkt, während alles andere auf eigene Gefahr geschieht;
  • Politikwissenschaft kann es geben, aber man muss einfach, wie Konstanin Sonin es ausdrückt, »den Asphalt durchbrechen«.

Die erste Behauptung scheint die theoretisch schlüssigste zu sein, obwohl die beiden anderen in der Praxis durch empirische Belege gestützt werden. Die Beispiele der Europäischen Universität St. Petersburg und der Moskauer HSE zeigen deutlich, dass es möglich ist, in renommierten ausländischen Fachzeitschriften zu veröffentlichen, ohne dass jedes einzelne Wort redigiert werden muss. Trotz der autoritären Konsolidierung im Land haben die Politikwissenschaftler:innen wichtige Durchbrüche erzielt, ihre methodischen Kenntnisse erheblich gestärkt und die rein deskriptiven Studien hinter sich gelassen. Darüber hinaus haben die besten politikwissenschaftlichen Fakultäten in Russland talentierte Studierende an führende Universitäten in der ganzen Welt entsandt.

Versuchen wir, die Mechanismen der akademischen Zensur mit den Mitteln der Politikwissenschaft selbst zu verstehen, indem wir die Risiken und Ressourcen einer politikwissenschaftlichen Karriere berücksichtigen. Politikwissenschaftler:innen brauchen Ressourcen in Form von Forschungsgeldern und Verbindungen zur akademischen Community. Gleichzeitig sind große finanzielle Projekte und kontroverse Forschungsthemen mit Risiken verbunden.

Risiken

Es könnte hilfreich sein, zunächst auf ein Phänomen hinzuweisen, das von Politikwissenschaftler:innen entdeckt wurde und das uns erklärt, warum und wann Mitglieder von Bezirkswahlkommissionen mehr oder weniger eifrig zur Fälschung von Wahlergebnissen beitragen. Die Studie von Ashlea Rundlett und Milan Svolik zu den russischen Wahlen 2011–2012 zeigt, dass Wahlhelfer:innen (Wahlkommissionen) die Stimmen zugunsten der Amtsinhaber:innen fälschen, selbst wenn diese eigentlich keine Wahlmanipulation benötigen würde. Wenn hingegen ein echter Wettbewerb um die Stimmen zu erwarten ist, werden diese Akteure es tunlichst vermeiden, Straftaten zu begehen oder absichtlich den Ablauf oder die Ergebnisse der Wahlen zu manipulieren, um unnötige Risiken zu vermeiden. Mit anderen Worten: Wenn die Amtsinhaber:innen die Unterstützung am nötigsten hätten, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie diese nicht erhalten werden, weil die Wahlhelfer:innen risikoscheu sind. Wenn es für die Amtsinhaber:innen jedoch gut läuft, können sie »Wahlgeschenke« in Höhe von bis zu 140 Prozent der Stimmen erhalten (https://www.cambridge.org/core/journals/american-political-science-review/article/deliver-the-vote-micromotives-and-macrobehavior-in-electoral-fraud/348D3A1DB751D4D4C91ABCDE2056F15E).

Wie hängt dieses Phänomen mit der Frage der akademischen Freiheit und der Verfolgung von Politikwissenschaftler:innen zusammen? Im Grunde genommen sind die staatlichen Universitäten, genauer gesagt ihre Verwaltungen, vergleichbare Akteure, die versuchen, Risiken zu vermeiden. Dies hängt in erster Linie mit dem Finanzierungsmodell der Einrichtung zusammen, das Mittel aus Quellen jenseits des Staates nahezu ausschließt. Die Spitzenuniversitäten haben in der Regel den Auftrag, bei der Modernisierung von Wissenschaft und Bildung die Führung zu übernehmen. So werden Flaggschiff-Institutionen wie die Moskauer HSE einerseits zu Inseln der staatlichen Deregulierung und andererseits zu Akteuren, die mit ihrem Auftraggeber, dem Staat, Verträge eingehen, die sie in eine schwache und nachgeordnete Position bringen. Denn die Finanzierung sogenannter »Nischen der Effizienz« (»pockets of efficiency«) oder behütete Orte des Wachstums in autoritären Regimen ist im Grunde nichts anderes als Treibsand, der aus persönlichen Garantien besteht. Daher hat der betreffende Akteur nicht viele Möglichkeiten, sich zu schützen, wenn der Staat als Auftraggeber und Vorgesetzter unzufrieden wird, weshalb der Akteur ein starkes Interesse daran hat, die Folgen seines Handelns möglichst genau zu kalkulieren und die Berichterstattung so weit wie möglich zu formalisieren. Theoretisch besteht ein solcher Anreiz in jeder vertraglichen Beziehung, aber in hierarchischen Verhältnissen, in denen die Rechtsstaatlichkeit und die Wirksamkeit von Institutionen problematisch sind, besteht ein noch größerer Anreiz, sich selbst zu schützen. Daher rührt wahrscheinlich auch die Vorliebe vieler modernisierender Autokratien wie China, Singapur oder Russland für jegliche Art von Ratings und andere quantifizierbare Benchmarks.

Dass Wissenschaftler:innen »unbequeme« Themen erforschen, ist an sich nicht problematisch. Autoritäre Regime lassen es durchaus zu, dass Forschung über sie betrieben wird und haben keine besondere Angst vor der Wissenschaft, geschweige denn vor einzelnen Akademiker:innen und Forschenden. Es ist kein Geheimnis, dass die breite Öffentlichkeit akademische Fachartikel nur selten liest, vor allem wenn sie auf Englisch veröffentlicht werden. Außerdem ist es im akademischen Bereich nicht einfach, zitiert zu werden. Ein:e Forscher:in wird erst dann zum Problem, wenn die Universitätsbürokratie sie oder ihn als unnötiges Risiko ansieht.

Wie organisieren wissenschaftliche Akteure ihre Arbeit, und welche Mechanismen der Rückversicherung vor Risiken gibt es? Der erste Mechanismus besteht in den bürokratischen Vorkehrungen, die von der Verwaltung oder internen »Vollstrecker:innen« getroffen werden. Natürlich »nur um auf Nummer sicher zu gehen«. Die bürokratische Risikoversicherung (die z. B. die Übereinstimmung von akademischen Programmen mit nationalen Standards, von Mitarbeiter:innen mit beruflichen Qualifikationen und von Veröffentlichungen mit zahlreichen Bewertungen und Statistiken usw. umfasst) fördert eine ständige Überschätzung potenzieller Risiken seitens der Bürokrat:innen. Die allmähliche Zunahme der Zahl solcher Vollstrecker:innen führt dazu, dass ein nahezu autonomes Gravitationszentrum innerhalb der Organisation entsteht. Dieses beginnt damit, die eigenen Bedingungen zu diktieren und auf alles Einfluss zu nehmen, von organisatorischen und personellen Entscheidungen bis hin zu den Inhalten von Lehrveranstaltungen. Streng genommen handelt es sich dabei nicht um einen politischen Mechanismus, aber es führt häufig zur Selbstzensur. So kann es beispielsweise vorkommen, dass ein Dissertationsthema abgelehnt oder der Name eines Förderantrags geändert wird, »nur um auf Nummer sicher zu gehen«. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, umständliche Unterlagen zur Dokumentation und andere Nachweise zusammenzustellen, die in der Regel für niemanden von Nutzen sind. Dieses verbürokratisierte System macht es erforderlich, für die eigene Karriere spezifische Fähigkeiten zur Risikominderung zu erwerben, die in keiner anderen Situation von Nutzen sind.

Der zweite Mechanismus ist der unlautere Wettbewerb, der sich aus dem in akademischen Kreisen verbreiteten Verteilungskampf um prestigeträchtige Verwaltungspositionen ergibt. In einem politisierten und risikoreichen Umfeld kann dies perverse Formen annehmen. Wenn ein Akteur externe Signale über eine Bedrohung erhält, hat er in der Regel die Wahl, wie aktiv er darauf reagiert. Ob diese Reaktion zu repressiven Maßnahmen führt oder nicht, wird oft weniger durch externen Druck als vielmehr durch interne Interessen und karrierebezogene Konkurrenzkämpfe bestimmt. Beide Mechanismen sind Strategien, wie der Wissenschaftsbetrieb sich gegen Risiken abzusichern versucht, aber sie funktionieren auf unterschiedliche Weise. Ein Mechanismus kann den anderen aber noch verstärken, z. B. im Falle der Entlassung von Mitarbeiter:innen unter einem formalen Vorwand, die sich dem System nicht freiwillig beugen wollen.

Forschungsthemen und Finanzierung

Die Wahl der Forschungsschwerpunkte von Wissenschaftler:innen wird durch den Zugang zu Geldern beeinflusst. Dies ist eine direkte Folge des Regimetyps. Die Möglichkeit, seine Finanzierung selbst zu wählen, kann nur in einem Umfeld bestehen, in dem die akademische Freiheit gewährleistet ist. In einem autoritären System ist die Forschungsfinanzierung eine politische Angelegenheit, so dass die externe Finanzierung in der Regel begrenzt ist (mit Ausnahme von Kasachstan). Forscher:innen in einem solchen Staat haben nicht die gleichen Möglichkeiten, auf Veränderungen bei populären Trends in der Forschung auf dem internationalen Wissenschaftsmarkt zu reagieren. Sie sind dann gezwungen, nur mit Themen zu »handeln«, die vom Staat toleriert werden. In diese Kategorie fallen in Russland häufig Forschungen zur Jugend, internationaler Sicherheit, der Harmonisierung der interethnischen Beziehungen usw. Natürlich gibt es in diesen Bereichen substanzielle Forschung, aber meistens werden Forschende Opfer dessen, was Wladimir Gelman einmal »Wissenschaft ohne Forschung« nannte.

Autokratien, die sich in einem Prozess der Modernisierung befinden, sind manchmal tatsächlich sehr an bestimmten Formen der Wissensproduktion interessiert. Hierzu gehören etwa Forschungsmethoden (Programmiersprachen und Statistikmethoden), die Erforschung der staatlichen und kommunalen Verwaltung, die Digitalisierung der Staatsverwaltung usw. Es handelt sich dabei um Vorzeige-Forschungsthemen für Regime, die den Weg der autoritären Modernisierung eingeschlagen und beschlossen haben, »Nischen der Effizienz« zu schaffen, ohne die Grundstruktur des Systems demontieren oder reparieren zu müssen. Der Staat kann großzügig Themen finanzieren, die er zur Steigerung der Effizienz für nützlich hält, ganz im Sinne des von James Scott diskutierten »High Modernism« (https://www.degruyter.com/document/doi/10.12987/9780300128789-005/html?lang=en). Eine systematische Erforschung dieses Phänomens ist jedoch leider noch nicht erfolgt.

Was sind nun die »Überlebensstrategien« für Politikwissenschaftler:innen in einem solchen System? Betrachtet man die Risikowahrscheinlichkeit und die Finanzierungschancen, dann erinnert das Bild ein wenig an die Fernsehsendung im russischen Staatssender Perwyi Kanal »Schlaue Jungs und Mädels« (Umniki i umnizy), eine Quizshow, bei der sich die Teenager entweder auf eine rote, gelbe oder grüne Schiene stellen, je nachdem, wie schwierig sie die Quizfragen haben wollen.

  • Auf der grünen Schiene sind Wissenschaftler:innen immer auf der Suche nach Themen, die gerade hoch auf der Prioritätenliste stehen, müssen aber mit der »Wissenschaft ohne Forschung« konkurrieren. Der Umfang der Finanzierung ist gering, die Risiken sind es aber auch.
  • Auf der gelben Schiene spielt man das Spiel der autoritären Modernisierung: Hier wählen Wissenschaftler:innen Themen, die dem Staat als nützlich erscheinen. Die Finanzierung ist wesentlich höher und in der Regel an persönliche Verpflichtungen oder Vereinbarungen zwischen den Parteien gebunden. Es steht mehr auf dem Spiel, die Risiken sind höher, aber dies ist die optimale Option im Hinblick auf das akademische Prestige und die Forschungsmöglichkeiten.
  • Der rote Weg bedeutet, dass Wissenschaftler:innen mit ein wenig Einfallsreichtum Themen und sogar Finanzierungsquellen frei wählen können. Diese Freiheit in der Forschung ist jedoch auch mit großen Risiken verbunden. Streng genommen können Wissenschaftler:innen in Ruhe arbeiten, solange sie in den Augen der Bürokratie, die diese Risiken minimieren soll, nicht zu einem Problem werden.
Schlussfolgerung

Die Politikwissenschaft kann in autoritären Regimen existieren, die Kosten sind allerdings für die Forschenden wesentlich höher. Politikwissenschaftler:innen müssen in spezifische Fähigkeiten investieren, um normale Forschung zu »verkaufen«. Dazu gehört das Verfassen von Anträgen in der Sprache des »Staates«, das Ausfüllen von Tonnen von sinnlosem Papierkram und so weiter.

Ein weiteres Paradoxon der Modernisierungsprojekte im Bildungsbereich ist die Tatsache, dass die russischen Hochschulen Hunderte von talentierten Absolvent:innen ausgebildet und zum Studium ins Ausland geschickt haben. Wenn Russland dem Beispiel des »Bolaschak«-Programms (https://bolashak.gov.kz/en) in Kasachstan folgen würde, wären diese Studierenden verpflichtet, zurückzukehren und »ihre Schulden zurückzuzahlen«. Die jüngsten Skandale an der HSE haben den Absolvent:innen jedoch deutlich signalisiert, dass es sich nicht lohnt, zurückzukehren, und dass in einem autoritären System bürokratische Fähigkeiten immer den akademischen vorgezogen werden.

Stand: 11.07.2019

Über die Autorin

Margarita Sawadskaja ist promovierte Research Fellow im Fachbereich Politikwissenschaft der Europäischen Universität St. Petersburg und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Aleksanteri-Institut der Universität Helsinki.

Originalquelle: https://ridl.io/academic-unfreedom/.

Zum Weiterlesen


Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS