Eine Auswahl von Texten der russischen Fachgemeinschaft und weiteren einschlägigen Stellungnahmen
Wladimir Putin
02.06.2020
Die Russische Föderation betrachtet Atomwaffen ausschließlich als Mittel der Abschreckung, deren Einsatz eine extreme und erzwungene Maßnahme darstellt und unternimmt alle notwendigen Anstrengungen, um die nukleare Bedrohung zu verringern und eine Verschärfung der zwischenstaatlichen Beziehungen zu verhindern, die zu militärischen Konflikten, einschließlich nuklearer Konflikte, führen kann.
Es gibt vier Szenarien (oder Kombinationen davon), in denen Russland zum Einsatz von Atomwaffen bereit ist
- wenn zuverlässige Informationen über den Start ballistischer Raketen vorliegen, die das Territorium der Russischen Föderation und (oder) ihrer Verbündeten angreifen;
- wenn der Feind Kernwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen gegen das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation und (oder) ihrer Verbündeten einsetzt;
- wenn der Feind kritische staatliche oder militärische Einrichtungen der Russischen Föderation angreift, deren Beschädigung die Vergeltungsmaßnahmen der Nuklearstreitkräfte beeinträchtigt;
- wenn eine Angriffshandlung gegen die Russische Föderation unter Einsatz konventioneller Waffen begangen wird, die die Existenz des Staates gefährdet.
Kremlin.ru: »Ukas Presidenta Rossijskoj Federazii ot 02.06.2020 g. № 355 [Dekret Nr. 355 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 02.06.2020]«
http://www.kremlin.ru/acts/bank/45562
Wladimir Putin
21.09.2022
»Auch nukleare Erpressung ist im Spiel. Wir sprechen nicht nur über den vom Westen geförderten Beschuss des Kernkraftwerks Saporoshje, der eine nukleare Katastrophe heraufbeschwört, sondern auch über Äußerungen einiger hochrangiger Vertreter führender NATO-Staaten über die Möglichkeit und Zulässigkeit des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen – Atomwaffen – gegen Russland.
Denjenigen, die sich derart über Russland äußern, möchte ich in Erinnerung rufen, dass auch unser Land über verschiedene Vernichtungswaffen verfügt, die in einigen Komponenten sogar fortschrittlicher sind als die der NATO-Staaten. Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir selbstverständlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu verteidigen. Dies ist kein Bluff.
Die Bürger Russlands können sicher sein: Die territoriale Integrität unserer Heimat, unsere Unabhängigkeit und unsere Freiheit werden – das möchte ich noch einmal betonen – mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gesichert. Und diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, müssen wissen, dass der Wind auch in ihre Richtung wehen kann.
Es liegt in unserer historischen Tradition, in der Bestimmung unseres Volkes, denen Einhalt zu gebieten, die nach der Weltherrschaft streben, die drohen, unsere Heimat, unser Mutterland, zu zerstückeln und zu versklaven. Wir werden das jetzt und in Zukunft tun. Ich baue auf Ihre Unterstützung.«
Kremlin.ru: »Ansprache des Präsidenten der Russischen Föderation«
http://kremlin.ru/events/president/news/69390
Jake Sullivan
(Nationaler Sicherheitsberater der USA)
25.06.2022
»Die USA haben Russland vor ›katastrophalen Folgen‹ gewarnt, sollte es einen Atomangriff auf die Ukraine durchführen, sagte der nationale Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Sonntag. Sullivan sagte in der ABC-Sendung ›This Week‹, US-Beamte hätten russischen Offiziellen privat mitgeteilt, dass Biden ›entschlossen reagieren‹ werde, wenn der russische Präsident Wladimir Putin einen Atomschlag anordne, ohne auszuführen, wie die USA reagieren würden. Sullivan sagte, die USA werden sich ›nicht auf einen rhetorischen Schlagabtausch‹ mit Russland einlassen. In einem weiteren Interview sagte Sullivan in der NBC-Sendung ›Meet the Press‹ jedoch, dass ›Russland sehr gut versteht, was die Vereinigten Staaten als Reaktion auf den Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine tun würden, weil wir es ihnen klar gemacht haben‹.«
Voanews: »US Warns Russia of ‘Catastrophic Consequences’ If It Launches Nuclear Attack in Ukraine«
https://www.voanews.com/a/us-warns-russia-of-catastrophic-consequences-if-it-launches-nuclear-attack-in-ukraine-/6762441.html
Dmitrij Trenin
(Forschungsprofessor an der Fakultät für Weltwirtschaft und globale Politik der »Higher School of Economics«, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für internationale Sicherheit, Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, Russische Akademie der Wissenschaften (IMEMO RAN))
26.09.2022
»Ich glaube nicht, dass viel getan werden kann, um sie [die roten Linien, Anm. d. Red.] zurückzubekommen. Ich werde noch einmal auf den Begriff der Angst zurückkommen, denn nichts anderes kann, wenn wir es ganz nüchtern betrachten, unseren Gegner abschrecken. Ich denke, Amerikas Strategie, Russland strategisch anzugreifen, basiert auf der Überzeugung, dass Russland keine Atomwaffen einsetzen wird: Entweder kriegt es [Russland, Anm. d. Red.] Angst, oder es ist der Meinung, dass die Zerstörung der Zivilisation ein zu hoher Preis für den Erhalt seiner Position ist. Und hier liegt meines Erachtens eine potenziell fatale Fehleinschätzung für die gesamte Menschheit, denn ich habe irgendwie den Satz von Putin aus dem Jahr 2018 verinnerlicht, dass ›wir keine Welt ohne Russland brauchen‹ (https://ru.valdaiclub.com/events/posts/articles/putin-xv-ezhegodnoe-zasedanie-valdai/) . Und ich erinnere mich immer wieder daran. Aber ich glaube nicht, dass viele Menschen zum Beispiel in den Vereinigten Staaten diesen Satz so ernst nehmen.«
Russia in Global Affairs: »Wernitje Strach! [Bringt die Angst zurück!]«
https://globalaffairs.ru/articles/vernite-strah/
Wladimir Putin
27.10.2022
»Erstens: Solange es Atomwaffen gibt, besteht immer die Gefahr ihres Einsatzes.
Zweitens: Das Ziel der heutigen Aufregung über Drohungen und den möglichen Einsatz von Atomwaffen ist sehr primitiv, und ich würde nicht falsch liegen, wenn ich Ihnen sage, was das ist.
Ich habe bereits gesagt, dass dieses Diktat der westlichen Länder, ihr Versuch, Druck auf alle Parteien der internationalen Politik auszuüben, einschließlich der neutralen oder befreundeten Länder, zu nichts führt, und sie suchen nach weiteren Argumenten, um unsere Freunde oder neutralen Staaten davon zu überzeugen, dass sie sich alle gemeinsam gegen Russland stellen müssen. Die Provokation mit Atomwaffen, das Heraufbeschwören der Möglichkeit eines theoretisch möglichen Einsatzes von Atomwaffen durch Russland wird genau dazu benutzt, um diese Ziele zu erreichen. Um unsere Freunde, unsere Verbündeten, neutrale Staaten zu beeinflussen, um ihnen zu sagen: Seht her, wen ihr da unterstützt, was für ein schreckliches Land Russland doch ist, ihr solltet es nicht mehr unterstützen, ihr solltet nicht mehr mit ihm zusammenzuarbeiten, ihr solltet ihm nichts mehr abzukaufen, ihr solltet ihm nichts mehr verkaufen. Das ist eigentlich ein primitives Ziel. Was geschieht in der Realität? Wir haben uns nie proaktiv über den möglichen Einsatz von Atomwaffen durch Russland geäußert, und wir haben lediglich mit Andeutungen auf Äußerungen geantwortet, die von führenden westlichen Politikern getätigt wurden. Frau Liz Truss, die vor kurzem noch britische Premierministerin war, sagte ebenfalls unverblümt vor der Presse: ›Ja, das Vereinigte Königreich ist eine Atommacht. Es liegt in der Verantwortung des Premierministers, sie möglichst zu nutzen, und das werde ich tun‹. Das ist nicht wortwörtlich, aber nahe am Text. ›Ich [Liz Truss, Anm. d. Red.] bin dazu bereit.‹ Sehen sie, und niemand hat in irgendeiner Weise reagiert. Sagen wir, sie [Liz Truss] damit herausgeplatzt, das Mädchen ist einfach ein bisschen durchgeknallt. Wie kann man so etwas in der Öffentlichkeit sagen? Sie hat es aber getan. Man hätte sie korrigieren, man hätte öffentlich in Washington sagen sollen: Wir haben nichts damit zu tun, wir wissen nichts. Und wir hätten uns nicht beleidigt fühlen dürfen, wir hätten uns einfach distanzieren müssen. Letztendlich schweigen aber alle. Was sollen wir denken? Wir dachten, es sei eine einvernehmliche Position, dass wir erpresst werden. Sollten wir also schweigen und so tun, als ob wir nichts gehört hätten? Es gibt eine Reihe weiterer Erklärungen zu diesem Thema. Die Führung des Kiewer Regimes spricht ständig von ihren Bemühungen, Atomwaffen zu bekommen. […] Abschließend noch ein Wort zur Frage des Einsatzes und Nicht-Einsatzes. Das einzige Land in der Welt, das Atomwaffen gegen einen Nicht-Atomstaat eingesetzt hat, sind die Vereinigten Staaten, und sie haben dies zweimal gegen Japan getan. Zu welchem Zweck? Es gab überhaupt keine militärische Zweckmäßigkeit, überhaupt keine. Was war der Zweck des Einsatzes von Atomwaffen gegen Hiroshima und Nagasaki, praktisch gegen Zivilisten? Gab es eine Bedrohung für die territoriale Integrität der Vereinigten Staaten? Die Souveränität? Nein, natürlich nicht. Es war auch militärisch nicht zweckmäßig – Japans Kriegsmaschinerie war kaputt, die Möglichkeit des Widerstands fast auf Null reduziert, warum also war es notwendig, Japan mit Atomwaffen zu vernichten? In japanischen Schulbüchern steht übrigens meist, dass es die Alliierten waren, die einen Atomangriff auf Japan gestartet haben. Japan hält daran so sehr fest, dass sie nicht einmal in Schulbüchern die Wahrheit schreiben können. Obwohl es scheint, dass sie diese Tragödie jedes Jahr erwähnen. Gut gemacht, Amerikaner, wir müssen uns nur in mancher Hinsicht ein Beispiel an ihnen nehmen. Einfach wunderbare Menschen. Aber sowas passiert, so ist das Leben. Die USA sind das einzige Land der Welt, das Atomwaffen eingesetzt hat, und zwar, weil es glaubte, dass dies in ihrem Interesse sei. Was Russland betrifft… Wir haben eine Militärdoktrin, die sollten Sie lesen. In dem entsprechenden Artikel dieser Militärdoktrin steht, in welchen Fällen, aus welchem Grund, in Verbindung mit was und wie Russland es für möglich hält, Massenvernichtungswaffen in Form von Atomwaffen einzusetzen, um seine Souveränität, seine territoriale Integrität zu verteidigen und die Sicherheit des russischen Volkes zu gewährleisten.«
Kremlin.ru: »Sasedanije Meschdunarodnogo diskussionnogo kluba Waldaj [Treffen des Valdai International Discussion Club]«
http://kremlin.ru/events/president/news/69695
Außenministerium der Russischen Föderation
02.11.2022
»Bei der Umsetzung seiner Politik der nuklearen Abschreckung lässt sich Russland strikt und konsequent von dem Postulat der Unzulässigkeit eines Atomkrieges leiten, bei dem es keine Gewinner geben kann und der niemals entfesselt werden darf. Die doktrinären Vorgaben Russlands in diesem Bereich sind sehr klar, haben rein defensiven Charakter und lassen keine expansiven Interpretationen zu. Eine Reaktion mit dem Einsatz von Nuklearwaffen ist für Russland hypothetisch nur als Antwort auf eine Aggression mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen oder eine Aggression mit dem Einsatz konventioneller Waffen erlaubt, wenn die Existenz des Staates bedroht ist.«
Außenministerium der Russischen Föderation: »Sajawlenije Rossiskoj Federazii o predotwraschtschenii jadernoj wojny [Erklärung der Russischen Föderation zur Verhinderung eines Atomkrieges]«
https://www.mid.ru/ru/foreign_policy/news/1836575/
Sergej Karaganow
(Rat für Außen- und Verteidigungspolitik, Ehrenvorsitzender des Präsidiums)
13.06.2023
»Die Schaffung von Atomwaffen war das Ergebnis einer göttlicher Einwirkung. Gott war entsetzt darüber, dass die Menschen, Europäer und die Japaner, die sich ihnen angeschlossen hatten, innerhalb einer Generation zwei Weltkriege entfesselt und dabei zig Millionen Leben geopfert hatten, und er überreichte der Menschheit eine Armagedon-Waffe. Diejenigen sollten daran erinnert werden, die die Angst vor der Hölle verloren hatten, dass es sie [eine solche Waffe, Anm. d. Red.] gab. Es war diese Angst, die im letzten Dreiviertel-Jahrhundert für relativen Frieden sorgte. Diese Angst ist jetzt verschwunden. Was jetzt passiert, ist im Einklang mit früheren Vorstellungen von nuklearer Abschreckung undenkbar: In einem Anfall verzweifelter Wut haben die herrschenden Kreise einer Gruppe von Ländern einen umfassenden Krieg an der Flanke einer nuklearen Supermacht entfesselt. Die Angst vor einer nuklearen Eskalation muss wiederhergestellt werden. Sonst ist die Menschheit dem Untergang geweiht. […] Moralisch gesehen ist dies eine schreckliche Entscheidung, da wir Gottes Waffe [Atombombe, Anm. d. Red.] einsetzen und uns damit selbst zu schweren geistigen Verlusten verdammen. Aber wenn wir dies nicht tun, kann nicht nur Russland sterben, sondern höchstwahrscheinlich die gesamte menschliche Zivilisation wird aufhören zu existieren.«
Russia in Global Affairs: »A Difficult but Necessary Decision«
https://eng.globalaffairs.ru/articles/a-difficult-but-necessary-decision/
Russisches Original: »Primenenije jadernogo orushija moshet uberetsch tschelowetschestwo ot globalnoj katastrofy [Die Anwendung von Nuklearwaffen kann die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren]«
https://profile.ru/politics/primenenie-yadernogo-oruzhiya-mozhet-uberech-chelovechestvo-ot-globalnoj-katastrofy-1338893
Marija Sacharowa
(Sprecherin, Außenministerium der Russischen Föderation)
13.06.2023
»Angesichts des totalen hybriden Krieges, den der Westen gegen Russland entfesselt hat, und der erklärten Absicht der USA und der NATO, uns eine ›strategische Niederlage‹ zuzufügen, wäre es ein Beispiel für Leichtsinn und unangemessenes Selbstvertrauen, sich darauf zu verlassen, dass es in diesem Bereich keine weiteren militärisch-technischen Gegenmaßnahmen gibt. Die notwendigen Maßnahmen sind ergriffen worden. Wir behalten uns das Recht vor, weitere Schritte zu unternehmen, um die Sicherheit Russlands und seiner Verbündeten zu gewährleisten. Alle unsere Maßnahmen stehen in vollem Einklang mit dem Völkerrecht und stehen in keiner Weise im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen Russlands.«
Außenministerium der Russischen Föderation: »Kommentarij ofizialnogo predstawitelja MID Rossii M.W. Sacharowoj w swjasi s dejatelnostju USA w oblasti jadernich woorushenij [Kommentar der Sprecherin des russischen Außenministeriums M.W. Sacharowa zu den US-Atomwaffenpolitik]«
https://mid.ru/ru/foreign_policy/news/1887273/
Sergej Poletajew
(Watfor)
14.06.2023
»Unsere wichtigste Errungenschaft seit Beginn der ›militärischen Spezialoperation‹ ist, dass der größte Teil der Welt anerkannt hat, dass wir Recht haben: entweder ausdrücklich, wie China, oder stillschweigend, weil es ihnen im Allgemeinen egal ist. […] Es gibt keinen Grund, diese Errungenschaft durch einen Atomkrieg zu gefährden, zumal wir in einem konventionellen Konflikt bisher recht gut zurechtkommen. Dennoch sollten taktische Atomwaffen für den Fall eines konventionellen NATO-Angriffs auf das Kaliningrader Gebiet, Belarus usw. bereitgehalten werden, und man sollte nicht zögern, sie dort einzusetzen.«
WATFOR
https://t.me/vatfor/8643
Elena Panina
(Russtrat, ehemalige Dumaabgeordnete)
15.06.2023
»Sergej Karaganows Artikel, dass Russlands präventiver Einsatz von Atomwaffen dazu dienen soll, endlich ›rote Linien‹ zu ziehen, damit der Westen Angst bekommt und sich zurückzieht, wirkt wie eine äußerst seltsame Diskursintervention mit provokanten Untertönen. Ein Atomkrieg als Mittel gegen die globale Katastrophe ist so hilfreich wie eine Guillotine gegen Kopfschmerzen. Es geht um einen Atomkrieg, auch wenn der Begriff in Karaganows Artikel durch die verschwommene Formel ›Einsatz von Atomwaffen‹ ersetzt wird. Gibt es eine Grenze, bis zu der der ›Einsatz von Atomwaffen‹ kein Atomkrieg ist, und ab der er einer ist? […] Ist es nicht klar, dass der erste Einsatz von Atomwaffen sofort einen Vergeltungsschlag mit viel größerer Wucht auslösen wird? Atomwaffen sind die ›Ultima Ratio Regum‹. Wenn alle Mittel erschöpft, alle Ressourcen aufgebraucht und die Niederlage unausweichlich ist. Und dann werden Atomwaffen nicht mehr eingesetzt, um den Feind schachmatt zu setzen, sondern um den Spieß umzudrehen und den ganzen Raum in die Luft zu jagen. Sie lassen den Feind nicht gewinnen, indem sie ihn zusammen mit dem Planeten Erde vernichten. Als Nächstes heißt es dann: ›Wir kommen in den Himmel, und sie werden einfach verrecken‹ [Putin-Zitat vom Waldaj-Forum 2018, Anm. d. Red.]. […] Man hat den Eindruck, dass Herr Karaganow glaubt, der Westen könne durch den örtlich begrenzten und präventiven ›Einsatz von Atomwaffen‹ gestoppt werden. Eine Abschätzung der Folgen wird jedoch nicht vorgelegt. Und es geht nicht nur um die militärische, sondern auch um die geopolitische Komponente. Alle, die heute neutral sind oder mit Russland sympathisieren, werden sich abwenden. Der Westen befürwortet ein solches Verhalten Russlands sehr. Warum also schlägt der Autor vor, das zu tun, was für den Westen von Vorteil ist? Russland antwortet auf den Krieg, der gegen das Land entfesselt wurde, mit konventionellen Waffen, und es [Russland, Anm. d. Red.] muss mit eben diesen Mitteln gewinnen. Diese sind keineswegs erschöpft, sie sind nicht einmal wirklich im Einsatz. Die Zahl der russischen Truppen an der Front ist nicht erhöht worden, was notwendig und möglich wäre, und zwar nicht nur durch Mobilmachung allein. Die fünfte Kolonne an der Macht und in deren Dunstkreis ist nicht beseitigt worden. Können diese Dinge durch den Einsatz von Atomwaffen zur Aufrüttelung des Westens kompensiert werden? Sieht das nicht aus wie ein Bluff, gepaart mit Wahnsinn?«
Elena Panina: »Statja Karaganowa – jaitschko ko Christowo dnju dlja Sapada [Der Artikel von Karaganow ist ein gefundenes Fressen für den Westen]«
https://russtrat.ru/analytics/15-iyun-2023-1324-12078
Rose Gottemoeller
(Steven C. Házy Lecturer, Center for International Security and Cooperation, Stanford University; Research Fellow an der Hoover Institution)
15.06.2023
»Als Erstes sollten wir klarstellen, dass eine strategische Niederlage Russlands nicht dessen Zerstückelung bedeutet, sondern den Rückzug aus der Ukraine, die Bereitschaft, für die Invasion und die verursachten Gräueltaten zu sühnen, und die Bereitschaft, die massiven Kriegszerstörungen zu entschädigen. Unter diesen Umständen können wir mit Russland zusammenarbeiten, um seine Interessen zu fördern, wie die Sicherung seiner Grenzen und die Gewährleistung, dass seine Bürger:innen in Frieden und Wohlstand in einer stabilen Nachbarschaft leben. Um diese Botschaft zu untermauern, müssen wir bestimmte Schlüsselprinzipien der Entspannung nach dem Kalten Krieg wiederherstellen. Eines davon ist, dass sich einsatzbereite Streitkräfte nicht in Grenznähe aufhalten sollten, ohne die Nachbarn über den Grund dafür zu informieren. […] Wir müssen auch hart daran arbeiten, die nukleare Zusammenarbeit wiederherzustellen. […] Schließlich müssen wir herausfinden, wie wir mit Russland zusammenarbeiten können. […] Viele Jahre lang haben wir eng mit talentierten Diplomat:innen, Verteidigungsbeamt:innen, Wirtschaftswissenschaftler:innen und Nuklearexpert:innen zusammengearbeitet, die die russische Außen- und Sicherheitspolitik auf der Weltbühne beförderten. Es obliegt uns zu planen, wie wir zu gegebener Zeit wieder mit ihnen in Kontakt treten können.] […] Der Schlüssel liegt darin, jetzt darüber nachzudenken, was wir von Moskau nach seiner Niederlage in der Ukraine verlangen werden und wie wir unsere eigene Sicherheit in Zukunft gewährleisten können. Auch wenn Russlands Interessen nicht auf Kosten anderer Länder gehen dürfen, können wir anerkennen, dass sie berechtigt sind. Wenn wir das deutlich machen, kann das helfen, das atomare Fieber zu stoppen: Es ist für alle von Vorteil, wenn wir das tun.«
Financial Times: »The west must act now to break Russia’s nuclear fever«
https://www.ft.com/content/91c51eb9-65df-44f0-977d-db922c3e97e9
Wladimir Putin
16.06.2023
»Der Einsatz von Atomwaffen ist sicherlich theoretisch möglich. Für Russland ist er möglich, wenn unsere territoriale Integrität, Unabhängigkeit und Souveränität sowie die Existenz des russischen Staates bedroht sind. Atomwaffen werden geschaffen, um unsere Sicherheit im weitesten Sinne des Wortes und die Existenz des russischen Staates zu gewährleisten. Aber erstens besteht für uns keine Notwendigkeit, und zweitens verringert allein schon der Umstand, dass wir über dieses Thema nachdenken, die Möglichkeit, die Schwelle für den Einsatz von Waffen zu senken. Das ist der erste Teil. Der zweite Teil ist, dass wir mehr solcher Waffen haben als die NATO-Länder. Sie wissen das, und sie drängen uns immer wieder, Verhandlungen über eine Reduzierung aufzunehmen. Das können sie sich aber abschminken, verstehen Sie? Wenn wir es volksnah sagen wollen. (Gelächter.) Denn, um es in wirtschaftlichen Begriffen auszudrücken, es ist unser Wettbewerbsvorteil. Wie Sie wissen, haben wir mit unserem Verbündeten – Präsident Lukaschenko – darüber verhandelt, dass wir einen Teil dieser taktischen Atomwaffen auf das Territorium von Belarus verlagern werden. Dies ist geschehen. Die ersten Nuklearladungen wurden auf das Territorium von Belarus geliefert, aber nur die ersten. Das ist der erste Teil. Aber bis zum Ende des Sommers, bis zum Ende des Jahres, werden wir diese Arbeit in vollem Umfang abschließen. Es ist eben ein Element der Abschreckung, so dass alle, die daran denken, uns eine strategische Niederlage beifügen zu wollen, diese Tatsache nicht vergessen.« […]
»Ich habe bereits gesagt, dass der Einsatz extremer Mittel möglich ist, wenn eine Bedrohung der russischen Staatlichkeit vorliegt. Und in diesem Fall werden wir natürlich alle Kräfte und Mittel einsetzen, die dem russischen Staat zur Verfügung stehen, daran gibt es keinen Zweifel. Aber lassen Sie mich daran erinnern, dass das einzige Land in der Welt, das Atomwaffen gegen einen nicht-nuklearen Staat eingesetzt hat, die Vereinigten Staaten sind, die zweimal die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki angegriffen haben. Sie waren der Meinung, dass sie das Recht dazu hatten. Ein solcher Präzedenzfall wurde von den Vereinigten Staaten geschaffen.«
Kremlin.ru: »Plenarnoje sasedanije Peterburgskogo meschdunarodnogo ekonomitscheskogo foruma [Plenarsitzung des Internationalen Wirtschaftsforums St. Petersburg]«
http://www.kremlin.ru/events/president/news/71445
Ilja Fabritschnikow
(Rat für Außen- und Verteidigungspolitik)
16.06.2023
»Wenn wir in der Praxis von einem präventiven Atomschlag zur Selbstverteidigung […] sprechen, werden wir anfangen, nach den uns auferlegten Regeln zu spielen, ob wir wollen oder nicht, anstatt konsequent pragmatische militärisch-politische Schritte zu unternehmen, welche die Mängel dieser Regeln aufzuzeigen und sie in Zukunft gemeinsam mit anderen verantwortungsbewussten Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft vollständig abzubauen. Wir dürfen nicht darüber nachdenken, wie wir Polen in eine nukleare Wüste verwandeln können (d. h. einem unvernünftigen Kind buchstäblich den Kopf abschlagen, weil es bei Ihnen ein Fenster einbricht), sondern darüber, wie wir eine Weltordnung aufbauen können, in der der Gedanke, militärische Gewalt und militärisch-politischen Druck zur Durchsetzung einer ›regelbasierten Ordnung‹ einzusetzen, unmöglich wird und weltweit verurteilt wird.«
Russia in Global Affairs: »Demonstrative Restraint as a Recipe against Unnecessary Decisions«
https://eng.globalaffairs.ru/articles/demonstrative-restraint/
Alexej Arbatow
(Leiter des Zentrums für Internationale Sicherheit, Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, Russische Akademie der Wissenschaften (IMEMO RAN))
19.06.2023
»Ich schließe nicht aus, dass es Menschen gibt, die einen solchen Standpunkt vertreten [die sich für einen Nuklearschlag einsetzen, Anm. d. Red.]. Aber alle unsere offiziellen Aussagen und Konzepte zur Außen- und Militärpolitik stehen im krassen Gegensatz dazu. Man kann sich an die Unterschrift Russlands unter der Erklärung der ›Großen Fünf‹ der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates im Januar 2022 erinnern, dass ›es in einem Atomkrieg keine Gewinner geben kann und er niemals geführt werden sollte. Übrigens waren es Moskau und Washington, die diese sakramentale Maxime 1986 formulierten, und sie hat in unserer Zeit zweifellos noch mehr an Aktualität gewonnen.«
Nowaja Gazeta: »Upreshdajuschtschij udar wosmesdija [Ein Präventivschlag der Vergeltung]«
https://novayagazeta.ru/articles/2023/06/19/uprezhdaiushchii-udar-vozmezdiia
Dmitrij Trenin
(Forschungsprofessor an der Fakultät für Weltwirtschaft und globale Politik der »Higher School of Economics«, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für internationale Sicherheit, Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, Russische Akademie der Wissenschaften (IMEMO RAN))
20.06.2023
»Was russische Atomangriffe gegen NATO-Staaten betrifft: Hypothetisch würde Washington auf diese Angriffe höchstwahrscheinlich nicht mit einem eigenen Atomschlag gegen Russland reagieren, aus Angst vor russischen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Vereinigten Staaten. […] Ja, wahrscheinlich wird es nicht sofort zu einem Atomschlag der USA gegen Russland kommen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Amerikaner Boston wegen Posen opfern würden, so wie sie während des Kalten Krieges nicht vorhatten, Chicago wegen Hamburg zu opfern. Es ist aber auch wahrscheinlich, dass es eine Reaktion der Vereinigten Staaten geben wird. Diese nicht-nukleare Reaktion – welche, da wollen wir nicht spekulieren – dürfte für uns heikel und schmerzhaft sein.«
Russia in Global Affairs: »Ukrainskij konflikt i jadernoje orushije [Ukraine-Konflikt und Atomwaffen]«
https://globalaffairs.ru/articles/ukraina-yadernoe-oruzhie/
Sergej Rjabkow
(Stellvertretender Außenminister der Russischen Föderation)
20.06.2023
»Der Bereich der Rüstungskontrolle befindet sich eindeutig in einer beispiellos tiefen, im Wesentlichen systemischen Krise. Dies hängt eng mit der allgemeinen Verschlechterung im Bereich der internationalen Sicherheit und strategischen Stabilität zusammen. Diese Krise ist nicht erst vor Kurzem entstanden, sondern schwelt schon seit langem. Der Hauptgrund dafür war, dass die USA und der Westen unter ihrer Führung irgendwann eine Politik der aktiven Gewaltanwendung und des direkten Einsatzes von Gewalt in einem erfolglosen Versuch betrieben hatten, ihre globale Position zu stärken und ihre objektive Schwächung aufzuhalten. Dafür wurde alles abgebaut, was die Freiheit Washingtons bei der Wahl der Zwangsmittel gegen diejenigen einschränkte, die sich nicht dem Diktat des Westens unterwerfen wollten. All dies geschah unter Bedingungen völliger Missachtung des Prinzips der unteilbaren Sicherheit und völliger Gleichgültigkeit gegenüber den grundlegenden Sicherheitsinteressen anderer Staaten. […] Infolgedessen verschärfen sich die angesammelten Probleme und Widersprüche nur noch weiter, das Chaos in strategischen Angelegenheiten wächst, die Risiken vervielfachen sich und sind mit der Entwicklung von Ereignissen nach dem schlimmsten Szenario behaftet. Die akuteste strategische Bedrohung stellt derzeit die Linie des Westens dar, den Konflikt mit Russland am Rande eines direkten militärischen Zusammenstoßes der Atommächte immer weiter zu verschärfen. Offensichtlich kann dies schwerwiegende bis katastrophale Folgen haben. Wir senden immer wieder ernüchternde Signale an die westlichen Hauptstädte, aber sie werden ignoriert oder grob verzerrt und als ›unverantwortliche Nuklearrhetorik‹ dargestellt. […] Daher ist der aktuelle Lauf der Dinge düster und die Zukunft im Nebel. Allerdings kennt der historische Prozess seine Höhen und Tiefen. Was die russische Diplomatie betrifft, welche im Bereich der internationalen Sicherheit tätig ist, werden wir unermüdlich daran arbeiten, dass das außenpolitische Barometer von einer Sturmwarnung zu einem klaren Himmel wechselt.«
PIR-Center: »Rede des stellvertretenden Außenministers Russlands, Sergej Rjabkow, vor der XXII. PIR Center International School zu globalen Sicherheitsfragen«
https://pircenter.org/news/vystuplenie-zamestitelja-ministra-inostrannyh-del-rossii-sergeja-rjabkova-na-xxii-mezhdunarodnoj-shkole-pir-centra-po-problemam-globalnoj-bezopasnosti/
Iwan Timofejew
(Geschäftsführender Direktor, Russischer Rat für Internationale Angelegenheiten (RIAC); Associate Professor, MGIMO; Programmdirektor, Waldaj-Club)
20.06.2023
»Trotz seiner scheinbaren Logik wäre die Umsetzung dieses Ansatzes [des Atomschlages, Anm. d. Red.] äußerst gefährlich. Er unterschätzt die Entschlossenheit der westlichen Eliten, weitere Stufen auf der Eskalationsleiter mit Russland zu erklimmen, und wenn nötig, einen Schritt voraus zu sein. Er überschätzt auch die Möglichkeit, dass ein russischer Atomschlag von China und anderen Ländern der globalen Mehrheit – wenn auch schmerzhaft – akzeptiert werden könnte. Er überschätzt den Wunsch der globalen Mehrheit, das ›westliche Joch‹ abzuschütteln und er übersieht die möglicherweise katastrophalen Folgen für Russland selbst.«
Russia in Global Affairs: »A Preemptive Nuclear Strike? No!«
https://eng.globalaffairs.ru/articles/a-preemptive-nuclear-strike-no/
Elena Tschernjenko
(Außenpolitische Korrespondentin, Kommersant)
20.06.2023
»Es ist anzumerken, dass eine Reihe russischer Experten die Position des Ehrenvorsitzenden des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik (SWOP) unterstützte oder teilweise unterstützte, während andere die Zweckmäßigkeit des Einsatzes taktischer Atomwaffen im Konflikt um die Ukraine kritisch sahen. Ein Artikel der drei Experten Alexej Arbatow, Konstantin Bogdanow und Dmitrij Stefanowitsch (IMEMO RAN) über die Risiken, die der Einsatz von Atomwaffen mit sich bringen würde, ist in dieser Ausgabe [des Kommersant, Anm. d. Red.] zu lesen.«
Kommersant.ru: »Jadernoje sodruschije [Nukleargemeinschaft]«
https://www.kommersant.ru/doc/6055357
Alexej Arbatow, Konstantin Bogdanow, Dmitrij Stefanowitsch
(Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, Russische Akademie der Wissenschaften (IMEMO RAN))
21.06.2023
»Die Vorstellung, dass der Einsatz von Atomwaffen die Eskalation stoppen und strategische Probleme lösen kann, die mit konventionellen Streitkräften nicht gelöst werden könnten, ist höchst zweifelhaft und höchstwahrscheinlich falsch. Die jüngste Geschichte hat viele Beispiele dafür geliefert, wie begonnene Militäroperationen zu unvorhergesehenen Folgen führten, allerdings ohne den Einsatz von Atomwaffen. Ein Atomschlag würde den Konflikt auf eine grundsätzlich andere Ebene der Unvorhersehbarkeit heben und die Risiken der Konfrontation vervielfachen. Das 78 Jahre alte ›atomare Tabu‹ würde gebrochen, und dies würde einen politischen und psychologischen Schock von globalem Ausmaß auslösen, der live im Fernsehen und im Internet in die ganze Welt übertragen würde. Die Reaktion wird unermesslich größer und heftiger sein als die von Hiroshima.
[…]
Kaum jemand hätte sich damals, und noch weniger noch erst vor ein paar Jahren, vorstellen können, dass solche Vorstellungen vom Endsieg über den Westen mittels eines Atomkriegs heutzutage wieder aufleben würden. In der Zwischenzeit ruft der Autor [Sergej Karaganow, Anm. d. Red.] in dem oben genannten Artikel nach dem Prinzip des Déjà-vu erneut dazu auf, ›über alle Qualen und Traumata hinweg‹ in die Zukunft zu gehen, die er als ›hell – multipolar, multikulturell, vielfarbig, allen Ländern und Völkern die Möglichkeit gebend, ihr eigenes und gemeinsames Schicksal zu gestalten‹ sieht. Nicht umsonst sagt man, dass das Neue das Alte ist, das man vergessen hat. Radioaktive Ruinen, zu denen ein Spiel mit dem ›nuklearen Roulette‹ führen kann, sind die schlechteste Grundlage für eine leuchtende Zukunft. Das sollten sich Liebhaber von sensationellen Ideen und gefährlichen Glücksspielen merken.«
Kommersant.ru: »Jadernaja wojna – plochoje sredstwo reschenija problem [Ein Atomkrieg ist eine schlechte Lösung für Probleme]«
https://www.kommersant.ru/doc/6055340
Fjodor Lukjanow
(Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, Vorstand des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, Wissenschaftlicher Direktor des Waldaj-Clubs, Forschungsprofessor an der »Higher School of Economics«)
21.06.2023
»Der Einsatz von Atomwaffen bedeutet das Ende des Spiels und negiert faktisch ihre besondere Rolle, indem er sie einfach zu einem sehr mächtigen Mittel der Zerstörung macht. Und der Wettbewerb um die Mittel zur Vernichtung ist ein ›normaler‹ Krieg, nur in diesem Fall von zyklopischem Ausmaß. Es wird zwar keine gegenseitige garantierte Zerstörung geben, aber der umfassende Schaden wird so groß sein, dass sich die beteiligten Länder und die Welt als Ganzes dramatisch und auf schreckliche Weise verändern werden. […] Das Tabu, Atomwaffen nicht einzusetzen, wird zweifellos geschwächt. Man muss sich auf alles vorbereiten. Und rationales Verhalten bedeutet hier nicht, das Tabu präventiv vollständig zu brechen, sondern zu versuchen, es zumindest als eine Art Begrenzung aufrechtzuerhalten. Das bedeutet nicht, dass das Thema selbst nicht berührt werden darf, ganz im Gegenteil. Heuchlerisch vor dem bloßen Gedanken an einen Einsatz zurückzuschrecken, ist ein Vogelstrauß-Ansatz. In diesem Sinne ist Sergej Karaganow für die direkte Darlegung dieser Sichtweise zu danken. Die Debatte [dieser Sichtweise, Anm. d. Red.] sollte Teil der Entwicklung eines neuen Verständnisses von strategischer Stabilität sein, um jene zu ersetzen, die nicht mehr wiederhergestellt werden kann.«
Russia in Global Affairs: »Potschemu u nas ne polutschitsja ›otreswit sapad‹ s pomoschtschju jadernoj bomby [Warum wir mit einer Atombombe den Westen nicht zur Vernunft bringen können]«
https://globalaffairs.ru/articles/otrezvit-zapad/
Andrej Frolow
(Nationale Forschungsuniversität »Higher School of Economics«)
23.06.2023
»In Anbetracht der obigen Ausführungen lohnt es sich, über taktische Atomwaffen als solche nachzudenken. Während das Vorhandensein spezieller Sprengköpfe auf Flugabwehrlenkraketen, Torpedos und Wasserbomben logisch und effektiv ist, werfen nukleare Sprengköpfe für Bodentruppen viele Fragen auf. Diese umstrittene These basiert auf Gesprächen des Autors mit dem ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara Anfang der 2000er Jahre, der russischen Experten deutlich erklärte, dass auf der anderen Seite des Atlantiks niemand den Einsatz taktischer Atomwaffen gegen sowjetische Panzerkolonnen in Deutschland im Rahmen einer so genannten ›Eskalation‹ vorgesehen hätte. Der Plan war, die Entscheidungszentren der UdSSR direkt mit strategischen Waffen zu treffen. Das heißt, die praktisch denkenden Amerikaner waren sich sehr wohl bewusst, dass selbst eine limitierte Anwendung immer noch zum Einsatz strategischer Atomwaffen führen würde. Und vor diesem Hintergrund ist ein Angriff auf ein »fiktives Posen‹ wirklich nicht sehr effektiv, ebenso wenig wie die Beschaffung taktischer Atomwaffen als eine der Eskalationsstufen. […] Daher kann man Sergej Alexandrowitsch [Karaganow, Anm. d. Red.] nur zustimmen, dass der Konflikt zwischen Russland und dem Westen sehr weit fortgeschritten ist und mehr denn je auf dem Spiel steht. Das Szenario des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen ist nicht mehr nur eine theoretische Möglichkeit, sondern entfaltet sich zusehends in der Realität. Wir haben den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gesehen, jetzt können wir offenbar auch den Einsatz von radiologischen Sprengsätzen und biologischen Waffen nicht mehr ausschließen. Die übliche lineare Eskalationsleiter funktioniert aufgrund der Verdichtung des Bedrohungsumfelds offensichtlich nicht mehr. Stattdessen drängt sich das Bild einer Treppe auf, deren Schöpfer Salvador Dali sein könnte. Auf dieser ›Dali-Treppe‹ ist der Übergang von einer Stufe zur nächsten – ganze fünf Stufenabsätze nach oben – schnell und unmerklich. Und unter diesen Umständen kann man nur auf die Vernunft und das Bewusstsein für die derzeitige Lage bei all jenen hoffen, die am Drücker der Nuklearknöpfe sitzen.«
Russia in Global Affairs: »Lestniza jadernoj eskalazii w ispolnenii Salwadora Dali [Die nukleare Eskalation nach Salvador Dali]«
https://globalaffairs.ru/articles/lestnicza-salvadora-dali/
US State Department
23.06.2023
Erklärung zum Expertentreffen der Kernwaffenstaaten auf Arbeitsebene über strategische Risikominderung und Doktrinen
US Department of State: »Statement on Nuclear Weapon State Working-Level Experts Meeting On Strategic Risk Reduction and Doctrines«
https://www.state.gov/statement-on-nuclear-weapon-state-working-level-experts-meeting-on-strategic-risk-reduction-and-doctrines/
Dmitrij Medwedjew
(Stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats der Russischen Föderation)
24.06.2023
»›Die Entwicklung der Ereignisse zeigt, dass die Handlungen derjenigen, die den Militärputsch [gemeint ist der Prigoshin-Aufstand, Anm. d. Red.] organisiert haben, voll und ganz mit einem gut durchdachten und inszenierten Staatsstreich übereinstimmen‹, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats Dmitrij Medwedjew. […] ›Wir verstehen die Folgen eines Staatsstreichs in der größten Atommacht.‹
›Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde das größte Atomwaffenarsenal von Schurken geführt. Eine solche Krise würde sich natürlich nicht auf ein einzelnes Land beschränken. Die Welt würde an den Rand der Zerstörung gebracht werden. Wir werden nicht zulassen, dass es zu einem solchen Szenario kommt. Egal, wie sehr verrückte Kriminelle und ihre Bewunderer sich das wünschen‹, sagte er.«
RIA Nowosti: »Medwedjew prokommentirowal popytku woorushennogo mjatesha [Medwedew äußerte sich zu dem Versuch eines bewaffneten Aufstandes]«
https://ria.ru/20230624/myatezh-1880224736.html
Anthony J. Blinken
(Außenminister der USA)
25.06.2023
Frage: »Herr Minister Blinken, Russland verfügt über fast 6.000 Atomwaffen, das größte Arsenal der Welt. Die Situation hat gezeigt, dass diese Atommacht mit einer großen Instabilität konfrontiert ist. Sind Sie zuversichtlich, dass die Atomwaffen sicher sind? Und ganz allgemein, wie besorgt sind Sie über die derzeitige Instabilität Russlands?«
Minister Blinken: »Jedes Mal, wenn ein großes Land wie Russland Anzeichen von Instabilität aufweist, ist das ein Grund zur Besorgnis und etwas, auf das wir uns natürlich sehr konzentrieren. Was ihre Nuklearwaffen angeht, haben wir keine Veränderung in Russlands Einstellung gesehen und wir haben unsere eigene Haltung nicht verändert, aber es ist etwas, das wir natürlich sehr, sehr sorgfältig beobachten.«
US Department of State: »Secretary Antony J. Blinken With Dana Bash of CNN State of the Union«
https://www.state.gov/secretary-antony-j-blinken-with-dana-bash-of-cnn-state-of-the-union-3/
Sergej Karaganow
(Rat für Außen- und Verteidigungspolitik, Ehrenvorsitzender des Präsidiums)
25.06.2023
»Ich würde gerne glauben, dass unsere Gegner zur Besinnung kommen. Denn wenn nicht, dann steht die militärisch-politische Führung Russlands vor einer schrecklichen moralischen Wahl und muss eine schwierige Entscheidung treffen. Aber ich glaube, dass unser Präsident irgendwann seine Entschlossenheit zum Ausdruck bringen muss, Atomwaffen einzusetzen.«
RIA Nowosti: »Wybora ne ostajotsja: Rossii pridjotsja nanesti jadernyj udar po Jewrope [Es gibt keine Wahl: Russland muss einen Atomschlag gegen Europa starten]«
https://ria.ru/20230625/yao-1880235742.html
Dmitrij Trenin
(Forschungsprofessor an der Fakultät für Weltwirtschaft und globale Politik der »Higher School of Economics«, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für internationale Sicherheit, Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, Russische Akademie der Wissenschaften (IMEMO RAN))
26.06.2023
»Ich glaube, dass verbale Interventionen des Präsidenten und der Mitglieder der Regierung allein wahrscheinlich nicht ausreichen. Die Amerikaner haben auf die Stationierung unserer Nuklearwaffen auf dem Territorium von Belarus recht gelassen reagiert. Für mich ist klar, dass die vor Beginn des Ukraine-Konflikts formulierten doktrinären Bestimmungen [Russlands, Anm. d. Red.] zum Einsatz von Atomwaffen überdacht und möglicherweise angepasst werden müssen. Denn es besteht die Gefahr, dass wir ständig auf die Probe gestellt werden, dass man uns mit verschiedenen Luftangriffen gegen die Krim und andere Regionen Russlands, mit Angriffen auf Moskau provoziert, ohne von uns eine ernsthafte Reaktion zu erwarten. Und je mehr diese Dynamik an Fahrt gewinnt, desto gefährlicher wird die Situation werden. […] Was helfen kann, ist ein ernsthaftes, professionelles Gespräch über die Tatsache, dass die Aufgabe, eine nukleare Supermacht in ihrer sensibelsten Region, die in diesem Fall die Ukraine ist, strategisch zu treffen, zu einem Atomkrieg führen kann. Dass keine Atommacht dazu bereit ist, sich von einer anderen Atommacht strategisch besiegen zu lassen, ohne zumindest mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen. Und das liegt nicht am Willen der Menschen, auch nicht an den Entscheidungsträgern. Und genau hier spielen unsere Gegner ein sehr gefährliches Spiel. Meines Erachtens ist hier das Bild des nuklearen Roulettes angebracht, das Bild einer Revolvertrommel mit einer atomaren Kugel, die ständig gedreht und der Hahn ständig ge- und entspannt wird. Das ist das Bild, das unsere Gegner zu einer realistischeren Wahrnehmung der Realität zurückbringen sollte.«
RIA Nowosti: »SSchA igrajut w jadernuju russkuju ruletku – i doigrajutsja [Die USA spielen atomares russisches Roulette – und die Folgen werden sie schon noch zu spüren bekommen]«
https://ria.ru/20230626/ruletka-1880366981.html
John Kirby
(Koordinator für Strategische Kommunikation des Nationalen Sicherheitsrats der USA)
26.06.2023
Frage: »Sind die USA zuversichtlich, dass die Russen im Falle einer nuklearen oder anderen echten Krise reagieren würden, so wie sie sich an diesem Wochenende (gemeint ist der Prigoshin-Aufstand, Anm. d. Red.] verhalten haben?«
John Kirby: »Ich möchte Ihnen nur sagen, Ed – und das war in den letzten 16 Monaten der Fall; ich meine, Russland ist eine Atommacht – dass wir die strategische Haltung Russlands und seine nuklearen Fähigkeiten so gut wie möglich überwacht haben. Das setzen wir fort. Und wir haben keine Anzeichen dafür gesehen, abgesehen von der stürmischen Rhetorik, haben wir keine Anzeichen dafür gesehen, dass es irgendeine Absicht gibt, Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen. Und ich kann Ihnen auch versichern, dass wir nichts getan haben, wir haben nichts gesehen, was uns dazu zwingen würde, unsere eigene strategische Abschreckungshaltung zu ändern.«
Frage: »Aber wenn man bedenkt, wie die Interaktionen am Wochenende verlaufen sind, sind Sie zuversichtlich, dass sie in Echtzeit reagieren würden, wenn es eine andere Art von Krise gäbe?«
John Kirby: »Wir hatten, wir hatten gute, direkte Kommunikation mit den Russen im Laufe des Wochenendes. Wir gehen davon aus, dass dies auch in Zukunft so sein wird.«
The White House: »Press Briefing by Press Secretary Karine Jean-Pierre and NSC Coordinator for Strategic Communications John Kirby«
https://www.whitehouse.gov/briefing-room/press-briefings/2023/06/26/press-briefing-by-press-secretary-karine-jean-pierre-and-nsc-coordinator-for-strategic-communications-john-kirby-17/
Russian Field
(Repräsentative Umfrage)
29.06.2023
»Drei Viertel der Befragten (74 Prozent) halten den Einsatz von Atomwaffen für inakzeptabel, wenn dieser ›für den Sieg bei der Militäroperation in der Ukraine notwendig werden würde‹ [Formulierung der Frage im Original, Anm. d. Red.]. Der Einsatz von Atomwaffen während der ›Militäroperation‹ in der Ukraine wird von 16 Prozent der Befragten für akzeptabel gehalten, während 5 Prozent der Meinung sind, dass ein solcher Schritt nur dann akzeptabel ist, wenn eine Niederlage droht. Männer halten Atomschläge etwas häufiger für akzeptabel: 20 Prozent im Vergleich zu 12 Prozent bei den Frauen. Die ärmsten und reichsten Befragten halten den Einsatz von Atomwaffen häufiger für akzeptabel (etwa 20 Prozent). Befragte mit Hochschulabschluss (ohne die kleine Gruppe derer, die einen wissenschaftlichen Abschluss wie Promotion oder höher haben) stimmen solchen Entscheidungen seltener zu als Befragte mit Sekundarbildung oder Fachhochschulabschluss. Befragte, die wegen der ›Militäroperation‹ um ihre Sicherheit besorgt waren, hielten den Einsatz von Atomwaffen für weniger akzeptabel. Nutzer:innen von Internetmedien unterscheiden sich in ähnlicher Weise von Fernsehzuschauer:innen und Abonennt:innen von Telegram-Kanälen.«
Russianfield.com: »›Spezialnaja wojennaja operazija‹ w Ukraine: otnoschenije rossijan. 12 wolna (16-19 ijunja 2023) [›Militärische Spezialoperation‹ in der Ukraine: Die Einstellung der Russen. Welle 12 (16. – 19. Juni 2023)]« [siehe auch Umfragen S. 26–29]
https://russianfield.com/12volna
Dmitrij Medwedew
(Stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats der Russischen Föderation)
02.07.2023
»Es darf prinzipiell kein Anti-Russland mehr geben, sonst wird alles früher oder später sehr schlimm enden. Das Kiewer Nazi-Regime muss ausgelöscht werden. Und hier möchte ich etwas anmerken, was Politiker aller Couleur nicht gerne zugeben: Eine solche Apokalypse ist nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich. Und warum? Dafür gibt es mindestens zwei Gründe. Die Welt befindet sich in einer Konfrontation, die weitaus schlimmer ist als die der Kubakrise, denn unsere Gegner haben beschlossen, die größte Atommacht, Russland, tatsächlich zu besiegen. Sie sind zweifelsohne Vollidioten, aber so ist es nun einmal. Und der zweite Grund ist ganz prosaisch: Atomwaffen wurden bereits eingesetzt, von wem und wo ist bekannt [gemeint sind die USA in Hiroshima und Nagasaki, Anm. d. Red.], es gibt also kein Tabu!«
Rossiskaja Gazeta: »Epocha protivostojanija [Das Zeitalter der Konfrontation]«
https://rg.ru/2023/07/02/epoha-protivostoianiia.html
Mikhail Troitsky
(Professor of Practice. University of Wisconsin-Madison Center for Russia, East Europe, and Central Asia)
03.07.2023
»Würde Russland versuchen, an der Schwelle zum Atomkrieg aktiv zu werden, wäre die daraus resultierende soziale Dynamik um ein Vielfaches ausgeprägter als während des Wagner-Aufstandes. Sollte Russland einen Atomschlag auf eines der europäischen NATO-Mitglieder ausführen (wie von Sergej Karaganow, dem Vorsitzenden des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, vorgeschlagen), könnte das Bündnis mit Schlägen auf Russlands eigene dicht besiedelte Gebiete antworten. Da die russische Bevölkerung dies sehr gut versteht, würden Gerüchte über einen solchen bevorstehenden Atomschlag unweigerlich zu einer Panik in der russischen Gesellschaft führen, mit zerstörerischen Folgen für Russlands größere Städte. […] Es ist zweifelhaft, dass große Teile der russischen Gesellschaft das ›Überleben des Staates‹ (in der Lesart Moskaus) über ihr eigenes physisches Überleben stellen würden. Es ist auch unwahrscheinlich, dass sie eine unmittelbare Bedrohung für ihr eigenes Leben entweder in den Kampfbemühungen der Ukraine oder in ihrer Existenz als Staat sehen. Die russischen Bürger, selbst diejenigen, die die so genannte ›militärische Spezialoperation‹ (der vom Kreml vorgegebene Euphemismus für die groß angelegte Invasion) unterstützen, sind nicht auf die unmittelbare Gefahr des Todes durch einen Atomkrieg oder eine andere Art von nuklearer Katastrophe vorbereitet. Ihre Unterstützung für die militärischen Heldentaten ihrer Regierung, so wie sie auch sein mag, entspringt dem Gefühl, dass deren Umfang begrenzt ist und keine Gefahr für sie selbst darstellt. […] Selbst wenn es der Propaganda gelingen sollte, einen Atomschlag zu rechtfertigen, wäre ein Massenexodus der Menschen aus den größeren Städten Russlands praktisch eine garantierte Reaktion auf solche Pläne, ebenso wie die Weigerung der Eliten und der Bürokratie, den Kreml weiter zu unterstützen.«
Meduza: »The death of nuclear fear. In the wake of Prigozhin’s mutiny, war hawks are once again brandishing Russia’s nuclear potential. Why aren’t their threats working?«
https://meduza.io/en/feature/2023/07/03/the-death-of-nuclear-fear
Xi Jinping
(Staatschef Chinas)
05.07.2023
»Xi Jinping hat Wladimir Putin persönlich vor dem Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine gewarnt und damit angedeutet, dass Peking Bedenken gegen Russlands Krieg hegt, obwohl es Moskau stillschweigend unterstützt, wie westliche und chinesische Beamte berichten. Die persönliche Botschaft wurde während des Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten in Moskau im März überbracht, einer der ersten Reisen Xis außerhalb Chinas nach Jahren der Isolation im Rahmen seiner ›Null-Covid-Politik‹. Seitdem haben sich chinesische Beamte intern das Verdienst zugeschrieben, den russischen Präsidenten davon überzeugt zu haben, von seinen verschleierten Drohungen mit dem Einsatz einer Atomwaffe gegen die Ukraine abzulassen, so die Personen. Putin davon abzuhalten, eine solche Waffe einzusetzen, sei ein zentraler Bestandteil in Chinas Kampagne zur Wiederherstellung der beschädigten Beziehungen zu Europa, sagte ein hochrangiger Berater der chinesischen Regierung. Russlands großflächige Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 hat dazu geführt, dass Moskau und sein Verbündeter Peking ein konfrontatives Verhältnis mit einem Großteil des Kontinents hat. […] Kremlnahen Kreisen zufolge ist der russische Staatschef zum Schluss gekommen, dass taktische Atomwaffen Russland keinen Vorteil verschaffen würden, nachdem er Szenarien für deren Einsatz durchgespielt hatte. Ein Atomschlag würde wahrscheinlich Gebiete, die Putin für Russland beansprucht, in ein verstrahltes Ödland verwandeln und seinen Streitkräften nur wenig beim Vormarsch helfen, so die Personen. […] Im vergangenen Monat, als die Gegenoffensive der Ukraine begann, erwähnte Putin erneut Atomwaffen und sagte, Russland habe taktische Sprengköpfe an Belarus geliefert. Putin fügte jedoch schnell hinzu, dass ›keine Notwendigkeit‹ für deren Einsatz bestehe, da die russischen Streitkräfte den Vormarsch der Ukraine aufhalten würden. Die Erklärung deutete jedoch darauf hin, dass selbst China nicht in der Lage sein könnte, Putin vollständig abzuschrecken, so Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center. ›Atomwaffen sind die ultimative Versicherung, die Putin hat, um diesen Krieg nicht katastrophal zu verlieren.«
Financial Times: »Xi Jinping warned Vladimir Putin against nuclear attack in Ukraine«
https://www.ft.com/content/c5ce76df-9b1b-4dfc-a619-07da1d40cbd3
Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik (SWOP): Adamischin Anatolij Leonidowitsch; Arbatow Alexej Georgijewitsch; Arbatowa Nadeshda Konstantinowna; Belkin Alexandr Anatoljewitsch; Bowt Georgij Georgowitsch; Borowik-Chiltschewskaja Weronika Jurjewna; Wysozkij Alexandr Michajlowitsch; Golz Alexandr Matwejewitsch; Gurjewitsch Wladimir Semjonowitsch; Dworkin Wladimir Sinowjewitsch; Dubinin Sergej Konstantinowitsch; Dymarskij Witalij Naumowitsch; Sacharow Alexandr Wladimirowitsch; Solotarjow Pawel Semjonowitsch; Kaspe Swjatoslaw Igorjewitsch; Koschljakow Ljew Sergejewitsch; Lomakin-Rumjanzew Ilja Wladimirowitsch; Lukin Wladimir Petrowitsch; Mndojanz Sergej Aschotowitsch; Musykantskij Alexandr Iljitsch; Muraschjow Arkadij Nikolajewitsch; Osnobischtschew Sergej Konstantinowitsch; Rubanow Wladimir Arsenjewitsch; Rjurikow Dmitrij Borisowitsch; Sawostjanow Ewgenij Wadimowitsch; Entin Wladimir Lwowitsch; Jurgens Igor Jurjewitsch; Zypljajew Sergej Alexejewitsch
13.07.2023
Erklärung einiger Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik
Auf Ersuchen einiger Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik veröffentlichen wir die Erklärung, die uns von ihnen übermittelt wurde. Die Erklärung stellt nicht den Standpunkt des Rates dar, sondern spiegelt die Ansichten derjenigen wider, die sie unterzeichnet haben.
»In jüngster Zeit gab es öffentliche Meinungsbeiträge und Erklärungen, auch von einigen Mitgliedern des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, in denen – wenn auch mit zahlreichen Vorbehalten – die Idee eines präventiven russischen Nuklearschlags Verbreitung findet, falls sich die militärischen Handlungen in der Ukraine und den angrenzenden Gebieten in einem (für Russland, Anm. d. Red.) negativen Szenario entwickeln. Darüber hinaus begnügen sich die Autoren nicht mit Fantasien, taktische Atomwaffen auf dem Territorium der Ukraine einzusetzen, sondern schlagen auch vor, wichtige NATO-Länder (nuklear, Anm. d. Red.) anzugreifen.
Die Ergebnisse langjähriger und aktueller Studien über die möglichen Schäden eines solchen Krieges sind uns nur zu gut bekannt. Zu hoffen, dass ein begrenzter nuklearer Konflikt beherrschbar ist und nicht zu einem globalen Atomkrieg eskaliert, ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit. Das bedeutet, dass die Vernichtung von Dutzenden, vielleicht sogar Hunderten Millionen Menschen in Russland, Europa, China, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern auf dem Spiel steht. Dies ist eine unmittelbare Bedrohung für die gesamte Menschheit.
Für unser Land, das im Zuge einer solchen Katastrophe zerstört würde, für unser Volk, das durch einen solchen Krieg desorganisiert würde, bedeutete dies auch die Aussicht auf den Verlust der Souveränität infolge des Drucks jener Völker des Südens, die einen solchen Schlagabtausch überleben würden.
Es ist unzulässig, solche Stimmungen in der Gesellschaft durch pseudotheoretische Begründungen und emotionale Äußerungen im Stil so genannter ›Talkshows‹ aufzuheizen. Denn dies könnte zu katastrophalen Entscheidungen führen.
Das sind keine theoretischen Konzepte mehr. Es handelt sich nicht nur um eine direkte Bedrohung für die gesamte Menschheit, sondern auch um einen sehr konkreten Vorschlag, jeden zu töten, der uns wichtig ist und den wir lieben.
Wir, die Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, halten solche Vorschläge für absolut inakzeptabel und verurteilen sie uneingeschränkt.
Niemand sollte die Menschheit jemals mit der Drohung erpressen, Atomwaffen einzusetzen, geschweige denn den Befehl geben, sie militärisch einzusetzen.
Wir fordern alle Mitglieder des Rates (SWOP, Anm. d. Red.) auf, sich dieser Erklärung anzuschließen.«
Rat für Außen- und Verteidigungspolitik (SWOP): »O prisywach k raswjasywaniju jadernoj vojny [Über die Aufrufe, einen Atomkrieg zu beginnen]«
https://svop.ru/main/48156/