Russlands autoritärer Konservativismus und LGBT+-Rechte

Von Radzhana Buyantueva (Le Fonds National de la Recherche Scientifique an der Université Libre de Bruxelles)

Zusammenfassung
Russland hat sich unter Putin zu einem zunehmend autoritären und konservativen Staat entwickelt. Die Rhetorik gegen LGBT+-Personen wird als Teil der Narrative Putins eingesetzt, die sich gegen eine Hegemonie des westlichen Liberalismus wenden. LGBT+-Rechte werden vom Kreml als ein westliches liberales Phänomen
dargestellt, das eine Bedrohung für »traditionelle Werte« darstelle. Als Maßnahmen für die nationale Sicherheit wird eine vielfältige Politik verfolgt, mit der die LGBT+-Rechte eingeschränkt werden. Dadurch sehen sich LGBT+-Personen schwierigen soziopolitischen Bedingungen gegenüber, wenn öffentliche Sichtbarkeit
zur Gefahr wird. Denn diese Sichtbarkeit ist mit Zensur, Diskriminierung und sogar Gewalt verbunden.

Einleitung

Die juristische Lage in Bezug auf LGBT+-Rechte hat im postsowjetischen Russland eine Reihe von Entwicklungen durchlaufen. Das erste Jahrzehnt nach der Auflösung der Sowjetunion war durch Russlands Absicht gekennzeichnet, westliche demokratische Werte zu übernehmen. Das spiegelte sich in einer Liberalisierung der Gesetze zu Sexualität und Genderfragen wider. Homosexuelle Beziehungen (einvernehmlicher Geschlechtsverkehr zwischen Männern) wurden 1993 entkriminalisiert und 1999 nicht mehr als krankhaft eingestuft. Das russische Strafrecht nahm in Bezug auf Alter und Strafen eine Gleichstellung heterosexueller und gleichgeschlechtlicher Beziehungen vor. Zuvor hatte es eine klare Unterscheidung gegeben: So hatten etwa homosexuelle Übergriffe auf Männer viel härtere Strafen nach sich gezogen. 2008 hob Russland das Verbot für homosexuelle Männer auf, Blut zu spenden. Was die Transgender-Rechte anbelangt, so wurde der Wechsel des juristischen Merkmals »Geschlecht« in Ausweisdokumenten 1997 rechtlich ermöglicht. Das bürokratische Verfahren wurde 2018 erheblich vereinfacht, indem der Wechsel des juristischen Merkmals »Geschlecht« aufgrund eines medizinischen Gutachtens und ohne eine obligatorische Operation oder Hormonersatztherapie ermöglicht wurde. Das gehörte zu den wenigen positiven rechtlichen Veränderungen, die es für die LGBT+-Community gab. Weitere Verbesserungen hinsichtlich der LGBT+-Rechte hat es im Land nicht gegeben. Es gibt keinen expliziten rechtlichen Schutz gegen eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Genderidentität. Die russische Verfassung von 1993 verkündet zwar den Gleichheitsgrundsatz und untersagt zwar die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, des sozialen Status, der Nationalität, der Sprache oder der Religion, doch wird sexuelle Orientierung oder Genderidentität nicht explizit als Gruppenmerkmal genannt, das unter das Diskriminierungsverbot fällt.

Restriktionen

Russland hat im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe gesetzlicher Änderungen vorgenommen, die sich gegen die Rechte von LGBT+-Personen richten. 2020 wurden gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Russland per Verfassungsänderung verboten. Im Sommer 2023 wurden Operationen und Hormonbehandlungen für Geschlechtsumwandlungen unter Strafe gestellt. Das neue Gesetz beeinträchtigt in hohem Maße Transgender-Rechte und blockiert Fortschritte bei der medizinischen Begleitung und den Verwaltungsverfahren beim Wechsel des Geschlechts. Geschlechtsumwandlungen waren seit der frühen Sowjetzeit (seit 1926) vorgenommen worden und wurden 1976 rechtlich definiert. Im Dezember 2022 wurde ein weiteres Gesetz von Präsident Putin unterzeichnet, das die Rechte von LGBT+-Personen einschränkt. Es untersagt die »Propaganda für nicht traditionelle sexuelle Beziehungen« gegenüber allen Altersgruppen. Dieses Gesetz führt das berüchtigte Gesetz gegen »Schwulenpropaganda« fort, das eine solche »Propaganda« gegenüber Kindern verbietet. Was ist nun unter »Propaganda nicht traditioneller Beziehungen« zu verstehen? Gemäß russischer Gesetzgebung umfasst diese Propaganda öffentliche Handlungen und/oder die Verbreitung von Informationen in den Medien, der Werbung, in Büchern, Filmen und anderen Informationsquellen zu »nicht traditionellen sexuellen Beziehungen und Orientierungen oder zu einem Geschlechtswechsel«. Somit kann jede Erwähnung von LGBT+-Themen, Verwendung von LGBT+-Symbolen oder gar öffentliches Verhalten wie Küssen oder Händchenhalten von den Behörden als Propaganda dieser Art eingestuft werden. Diese »Propaganda« wird als Ordnungsvergehen eingestuft, für das hohe Geldstrafen, Administrativhaft oder (für Ausländer*innen) gar eine Abschiebung drohen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat 2013 befunden, dass das Gesetz gegen »Schwulenpropaganda« diskriminierend ist und eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Der EGMR hat darüber hinaus entschieden, dass Russland die Rechte von LGBT+-Personen verletzt, wenn es Pride-Veranstaltungen verbietet und LGBT+-Gruppen die Registrierung verweigert. Russland ist jedoch in seinen internationalen Beziehungen zu einem nationalistischen Ansatz übergegangen. Das hat unter anderem zur Folge, dass das Verfassungsgericht Russlands internationale Justizbescheide für verfassungswidrig erklären kann. Durch die 2020 vorgenommenen Verfassungsänderungen können internationale Verträge und Beschlüsse internationaler Gremien ignoriert werden, wenn sie der russischen Verfassung widersprechen. Vor dem Hintergrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine hat das Land seine Mitgliedschaft im Europarat ausgesetzt und sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zurückgezogen. Daher ist es höchst unwahrscheinlich, dass Russland Entscheidungen des EGMR in Bezug auf eine Verletzung von LGBT+-Rechten umsetzen wird.

Krieg der Welten

Es ist jetzt für niemanden mehr überraschend, dass Russland zu einem notorischen Verfechter »traditioneller Werte« geworden ist und sich gegen Gendernormen und LGBT+-Rechte wendet. Russlands großangelegter Einmarsch in die Ukraine wurde von einer intensivierten politischen Propaganda für »traditionelle Werte« begleitet, was die geopolitische Konfrontation zwischen westlichem Liberalismus (der sich für Gendergleichstellung und LGBT+-Inklusion einsetzt) und einem Konservatismus verdeutlicht, der die Kernfamilie und eine Anti-Genderagenda hochhält.

Die politische Haltung zu LGBT+-Rechten hat eine geopolitische Dimension erlangt. Westliche Demokratien verwenden LGBT+-freundliche Gesetze oft als Lackmustest für die Progressivität eines Staates. Gleichzeitig verwandelt sich die Ablehnung von LGBT+-Rechten zu einem Indikator für den Widerstand eines Staates gegen westlichen Liberalismus. Russland ist zu einer führenden Kraft bei der Verfechtung »traditioneller Werte« geworden. Der Kreml betrachtet Konservatismus und »traditionelle Werte« als lebenswichtig für Russland. Das Überleben des Landes hänge davon ab, seine unikale nationale Kultur vor dem schädlichen Einfluss des westlichen Liberalismus (hierzu zählen auch Gendernormen und LGBT+-Rechte) zu bewahren.

Manifestierter Konservatismus

Russland ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Konservatismus sich in einer Anti-LGBT+-Agenda manifestieren kann. Der russische Konservatismus baut auf folgenden Prinzipien auf: Vorrang der Interessen des Staates, Religion als Quelle geistiger Kraft, Patriotismus als moralische Grundlage, Schutz der »traditionellen Werte« sowie das Dominieren von Heterosexualität und Patriarchat. Eine »traditionelle Kernfamilie« und patriarchale Ideale sind zu einer Frage der nationalen Sicherheit und des Überlebens der Nation geworden. Im November 2022 erlangten »russische traditionelle geistige und moralische Werte« einschließlich der »traditionellen Kernfamilie« eine rechtliche Absicherung. LGBT+-Rechte werden als westliche Phänomene dargestellt, die den »traditionellen Werten« entgegenstehen und die Nation bedrohen. Der Kreml verbreitet ein Narrativ, dem zufolge der Westen LGBT+-Rechte als Instrument einsetzt, um Russland zu untergraben und zu destabilisieren. LGBT+-Identitäten werden als fremde Erscheinungen dargestellt, die aus dem Westen importiert werden. Somit wird eine Anti-LGBT+-Gesetzgebung als notwendige Maßnahme zur nationalen Sicherheit hingestellt.

Russlands radikal anders gelagerter Ansatz zu Sexualität und Genderfragen, der in staatlich geförderte Queerophobie mündet, symbolisiert das Streben des Landes nach Dominanz und Widerstand gegen westliche liberale Hegemonie. Den westlichen Demokratien wird vorgeworfen, dass sie korrupte Moralvorstellungen haben und sie ihre Ursprünge und Traditionen vergessen hätten. Präsident Putin betonte in seiner Rede im Februar 2023, ein Jahr nach Beginn des Einmarsches in die Ukraine:

»Schauen Sie nur, was sie mit ihren eigenen Völkern machen. Zerstörung der Familie, der kulturellen und nationalen Identität, Perversionen und Kindesmissbrauch, bis hin zu Pädophilie, das wird zur Norm erklärt, zur Norm ihres Lebens […] Was man denen sagen möchte: Schaut […] in die heiligen Schriften, in die zentralen Bücher aller anderen Weltreligionen. Dort wird alles gesagt, unter anderem, dass die Familie ein Bund zwischen Mann und Frau ist […]«

Die Rede verdeutlicht den Umstand, dass sich Russland vehement für ein Patriarchat und Heteronormativität stark macht, wobei es sich als globaler Verteidiger von Traditionalismus und Religiosität präsentiert, im Gegensatz zur verfallenden Moralität des Westens. Es ist wichtig zu erwähnen, dass sich der russische Konservatismus nicht einfach gegen den Westen als Ganzes richtet. Es wird zwischen einem moralisch korrekten (patriarchalen, heterosexuellem) Konservatismus und einem moralisch verkommenen (LGBT+-inklusiven) Liberalismus unterschieden. Der russische Konservatismus spiegelt auch eine Anti-LGBT+-Agenda wider, die mittlerweile international geworden ist. Der russische konservative Diskurs erfährt intensive Unterstützung durch westliche rechte Akteure, christliche Fundamentalisten und Ultrakonservative.

Gesetzliche Schranken

Die Feindseligkeit des Kreml gegenüber dem westlichen Liberalismus ist untrennbar mit dem zunehmenden Autoritarismus verwoben, der sich in Repressionen und Beschränkungen der politischen Freiheiten manifestiert. Der Westen wird als Feind gesehen, der aktiv Einfluss auf Regimekritiker und Opponenten nimmt. Um diese vermeintliche Bedrohung abzuwehren, hat Russland eine Reihe Gesetzesänderungen vorgenommen. Die Gesetze über »unerwünschte Organisationen« und »ausländische Agenten« zählen zu den wirkungsmächtigsten politischen Veränderungen, die die Entwicklung der Zivilgesellschaft behindern. Das Gesetz über »unerwünschte Organisationen«, das 2015 verabschiedet und vielfach geändert wurde, erschwert in erheblichem Maße internationale Unterstützung für die russische Zivilgesellschaft. Das Gesetz verbietet ausländische und internationale Organisationen, die eine Gefahr für die Sicherheit Russlands, die öffentliche Ordnung dort oder die Gesundheit seiner Bevölkerung darstellen. Das Gesetz verbietet zudem russischen Bürger*innen und Organisationen (sogar im Ausland angesiedelten), mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die als »unerwünscht« eingestuft wurden. Ein Eintrag auf die Liste »unerwünschter Organisationen« bedeutet das Verbot jeglicher Art Betätigung in Russland. Diese Organisationen können zum Beispiel keine Vertretungen unterhalten, Projekte umsetzen oder Geld auf das Gebiet der Russischen Föderation transferieren. Das Gesetz macht es extrem schwierig, materielle Unterstützung für LGBT+-Projekte zu erlangen, da es für diese keine russischen Zuwendungsgeber gibt.

Das Gesetz über »ausländische Agenten« ist für die russische Regierung zu einem machtvollen Repressionsinstrument geworden. Jede*r, der oder die sich »unter ausländischem Einfluss« befindet und »den nationalen Interessen Russlands zuwiderhandelt«, kann als »ausländischer Agent« eingestuft werden. Mit anderen Worten: Jede öffentliche Kritik an der Politik Russlands oder dessen Repräsentanten kann dazu führen, dass man als »ausländischer Agent« eingestuft wird. »Ausländischer Einfluss« ist bewusst vage als jede Art Unterstützung aus dem Ausland definiert, wozu finanzielle Förderung, informationelle oder technische Hilfe und »andere Mittel« gezählt werden. »Ausländische Agenten« werden von zentralen Aspekten des öffentlichen Lebens ausgeschlossen, unter anderem vom öffentlichen Dienst, von Wahlen und sogar von Unterrichtstätigkeit. Verteidiger*innen von LGBT+-Rechten werden mit am häufigsten auf die Liste »ausländischer Agenten« gesetzt, was deren Arbeit erschwert und sie in den Augen der Öffentlichkeit stigmatisiert. Der Begriff »ausländischer Agent« hat negative Konnotationen: Beispielsweise Spion oder Verräter. In Kombination mit dem Gesetz gegen »Schwulenpropaganda« behindert das Gesetz über »ausländische Agenten« in ganz erheblichem Maße die Arbeit von LGBT+-Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen.

Sozio-politisches Klima

Putins autoritärer Konservativismus hatte und hat ganz erhebliche Auswirkungen auf das aktuelle soziale und politische Klima im Land. Die Zensur von LGBT+-Themen wird verstärkt, öffentliche LGBT+-Veranstaltungen werden verboten und es gibt eine staatlich unterstützte öffentliche Queerophobie. Die russischen Behörden haben konsequent Pride-Märsche und andere öffentliche LGBT+-Veranstaltungen verboten, LGBT+-Organisationen die Registrierung verweigert und queerophobe Erklärungen abgegeben. Am stärksten beunruhigt, dass das konservative politische Paradigma des Kreml zu einem erheblichen Anstieg von Diskriminierung und Hassverbrechen gegen die LGBT+-Community geführt hat. Seit der Verabschiedung des Gesetzes gegen »Schwulenpropaganda« im Jahr 2014 sind Fälle von Diskriminierung oder Gewalt gegen Personen aufgrund deren sexueller Orientierung oder Genderidentität bis 2019 von 17 auf 64 Prozent hochgeschnellt. Das bezieht sich auf Online-Umfragen in der LGBT+-Community, die das »Russian LGBT Network« 2019 vorgenommen hat, eine der prominentesten LGBT+-Organisationen des Landes. Auch der Anteil der Hassverbrechen und Gewaltakte gegen Angehörige der LGBT+-Community hat erheblich zugenommen. Die Polizei gewährleistet keinen hinreichenden Schutz vor Gewalt gegen LGBT+-Personen. Viele Opfer zögern zur Polizei zu gehen, weil sie Diskriminierung und Queerophobie fürchten. Es kommt recht häufig vor, dass die Polizei Hassverbrechen nicht wahrnimmt, bewusst ignoriert oder gar selbst begeht.

Diese zunehmend feindliche soziopolitische Umgebung hat viele LGBT+-Aktivist*innen und stärker sichtbare Angehörige der LGBT+-Community dazu genötigt, ihre Taktik und Strategie zu überdenken. Die Organisation von Straßenveranstaltungen wie etwa Pride-Märschen ist aus mehreren Gründen weniger erstrebenswert geworden. Vor allem ist es nahezu unmöglich geworden, LGBT+-Veranstaltungen selbst bei lokalen Behörden genehmigen zu lassen. Zweitens ist es bei LGBT+-Veranstaltungen auf der Straße immer öfter so, dass sie für Aufsehen sorgen und von Einzelpersonen oder ganzen Gruppen attackiert werden, die sich gegen LGBT+ positionieren. Drittens werden Straßenveranstaltungen der LGBT+-Community mit großer Wahrscheinlichkeit von der Polizei aufgelöst.

LGBT+-Aktivist*innen mussten aus Sicherheitsgründen ihre Taktiken und ihre Strategie ändern und die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit auf ein Minimum reduzieren. Sie gingen vorwiegend zur Organisation von Veranstaltungen hinter verschlossenen Türen über, zu Fortbildungstreffen, Filmvorführungen und Teeabenden. Allerdings bedeuten auch solche Veranstaltungen ein Risiko, dass es zu Gewalt und Drangsalierung durch die Behörden, die Polizei oder queerophobe Individuen kommt.

Auch die Verbreitung von LGBT+-Informationen ist aufgrund des Gesetzes gegen »Schwulenpropaganda« schwieriger geworden. LGBT+-Webseiten und Portale der sozialen Medien werden regelmäßig ins Visier genommen, entfernt und/oder von den Behörden geschlossen. Herausgeber entfernen vorsorglich LGBT+-Inhalte aus Büchern, Filmen und Theaterstücken, um eine Anklage wegen dieser »Propaganda« zu vermeiden.

Das Gesetz gegen »Schwulenpropaganda« sorgt also für Selbstzensur; denn sobald irgendeine positive oder auch nur neutrale Erwähnung von LGBT+-Themen erscheint, kann dieses von den Behörden als »Propaganda« eingestuft und damit geahndet werden.

Fazit

Wir können feststellen, dass die LGBT+-Community zu einem bequemen Ziel für den russischen autoritären Konservatismus geworden ist. Der Staat ist beharrlich gegen die LGBT+-Community vorgegangen, wobei LGBT+-Rechte als Dinge dargestellt werden, die der nationalen Sicherheit und dem Überleben der Nation zuwiderlaufen. Das hat zu einer verstärkten Emigration von LGBT+-Russ*innen geführt, die im Ausland Asyl nachsuchen. Jene, die keine andere Wahl haben als im Land zu bleiben, könnten sich genötigt sehen, wieder in Deckung zu gehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die LGBT+-Community in Russland genötigt sein, auf Taktiken aus der Sowjetzeit zurückzugreifen, indem sie bei Veranstaltungen und Versammlungen auf größte Vorsicht und Diskretion setzt.

Wir sollten allerdings nicht davon ausgehen, dass die russische Gesellschaft zu weiten Teilen konservativ und queerophob ist. Umfragen des Lewada-Zentrums von 2021 ergeben, dass über die Hälfte der jüngeren Bevölkerung positive Einstellungen gegenüber der LGBT+-Community haben und LGBT+-Rechte unterstützten. Die sozialen Medien stützen das: Ungeachtet der staatlichen Zensur sind Posts mit LGBT+-Inhalten recht populär bei jüngeren Russ*innen. Diese Popularität bedeutet, dass die Hoffnung auf einer kommenden Generation liegt, die nach einem liberaleren, LGBT+-inklusiven Russland strebt.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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Von Sergei Katsuba
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