Andrej Beloussow – Russlands neuer Kriegsminister

Von Fabian Burkhardt (Leib­niz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg)

Zusammenfassung
Andrej Beloussow wird meist als kompetenter, technokratischer Ökonom betrachtet, der als neuer Verteidigungsminister die hohen staatlichen Rüstungsausgaben besser überwachen, den militärisch-industriellen Komplex effizienter gestalten und die zivilen und militärischen Wirtschaftssektoren besser integrieren soll. Ein näherer Blick auf seine Biografie und persönlichen Überzeugungen zeigt, dass er sich wesentlich von anderen, eher pragmatisch orientierten und angepassten Technokraten des Wirtschaftsblocks unterscheidet. Er kommt aus einer elitären sowjetischen Nomenklatura-Familie mit etatistischer Tradition, sein persönliches Umfeld ist durch Nepotismus geprägt. Er ist streng gläubiger Anhänger der Russisch-Orthodoxen Kirche, seine Ansichten werden auch durch unwissenschaftliches und teils okkultes Gedankengut geprägt, das besonders in Russlands Atomindustrie weit verbreitet ist. Seine Loyalität gegenüber Putin ist intrinsisch motiviert, und er ist von der Notwendigkeit überzeugt, dass Russland als eine »Staat-Zivilisation« Großmacht bleiben muss. Er tritt als Anhänger des militärischen Keynesianismus für mehr staatliche Investitionen als Wachstumsmotor ein, lehnte aber bisher eine Rückkehr zur Planwirtschaft oder eine totale Mobilisierungswirtschaft ab. Beloussows Erfahrung mit der Umsetzung der nationalen Projekte im Rahmen der langfristigen nationalen Entwicklungsziele legt nahe, dass Effizienzsteigerungen im Militär nur in sehr beschränktem Maße zu erwarten sind.

Nomenklatura-Putinismus

Russlands neuer Verteidigungsminister Andrej Beloussow ist ein prominentes Beispiel dafür, wie die technokratische Klasse Russlands über Systembrüche wie den Kollaps der Sowjetunion hinweg ihr Sozialkapital an die nächsten Generationen weitergeben kann. Beloussows Vater Rem Alexandrowitsch (1926 – 2008) schloss als Veteran des Großen Vaterländischen Kriegs 1950 die Diplomaten-Kaderschmiede MGIMO ab, arbeitete zeitweise im für die Fünfjahrespläne zuständigen Gosplan und fungierte als Berater im Zuge der Kosygin-Reformen, die vor allem auf die Effizienzsteigerungen sowjetischer Unternehmen abzielten (Feygin 2023), bevor er eine wissenschaftliche Karriere an der auf Staatsverwaltung spezialisierten Akademie für Gesellschaftswissenschaften begann. Andrej Beloussow, geboren am 17. März 1959, ging auf die elitäre zweite Mathematik- und Physikschule in Moskau[1] und studierte und promovierte an der Wirtschaftsfakultät der Moskauer Staatlichen Universität. Schon sein früher Bildungsweg weist somit auf ein prägendes biografisches Merkmal von Beloussow hin: Einerseits profitierte er von jung an vom sozialen Milieu seiner Moskauer Nomenklatura-Akademikerfamilie. Andererseits helfen persönliche Beziehungen wenig beim Lösen mathematischer Probleme, ohne Talent und Disziplin hätte er diese Abschlüsse nicht geschafft. Insofern ist die Dichotomie Loyalität vs. Kompetenz (Egorov und Sonin 2011, siehe aber Garifullina 2023), die häufig in Bezug auf Putins Personalpolitik angestrengt wird, holzschnittartig: Beloussow hat Regimetreue und Etatismus geradezu mit der Muttermilch eingesaugt und sicher auch von Patronage profitiert: Allerdings war es gerade seine Fachexpertise und oft treffgenauen Wirtschaftsprognosen (Beloussow 2006)[2], die seinen Aufstieg beförderten.

Zwischen 1990 und 2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Leiter des Labors des Instituts für Wirtschaftsprognosen der Russischen Akademie der Wissenschaften. Im Jahr 2000 gründete er das Zentrum für makroökonomische Analyse und Konjunkturprognosen (ZMAKP), dessen Leitung er nach seinem Eintritt in den Staatsdienst 2006 an seinen Bruder Dmitrij Beloussow übergab.[3] Schon Ende der 1990er Jahre fungierte er als Wirtschaftsberater der Regierungen Primakow und Stepaschin, aber gerade die Gründung seines eigenen Think Tanks ZMAKP erlaubte es Beloussow, nicht mehr nur als Berater von russischen Premiers aufzutreten. Vermehrt nahm er auch an der Ausarbeitung richtungsweisender Planungsdokumente wie der unter der Leitung von German Gref entworfenen Strategie 2010 teil (Kommersant.ru 2010), dessen Vize er 2006 im Wirtschaftsministerium wurde. Zwischen 2008 und 2012 war Beloussow Abteilungsleiter für Wirtschaft und Finanzen im Apparat des Premierministers Wladimir Putin, zu dessen wichtigstem Wirtschaftsberater er zwischen 2013 und 2020 in der Präsidialverwaltung aufstieg.

Kein eigenes Team, aber ein weitreichendes Elitennetzwerk

Beloussow wird nachgesagt, dass er kein eigenes Team habe. Und in der Tat: Alle Posten, die er bisher im Staat bekleidete, waren entweder beratender oder – wie zuletzt das Amt des Vizepremiers – koordinierender Natur, ohne einen großen Stab oder eine eigene Behörde unter sich zu haben. Ebenso gehört er keinem der Clans an, denen Personen aus dem innersten Zirkel Putins vorstehen. Beloussows Mandat hängt allein von Putins Gunst und dessen Vertrauensbeziehung ab. Gleichzeitig hat sich Beloussow über die Jahrzehnte ein weit verzweigtes Beziehungsnetzwerk aufgebaut, das viele Schlüsselakteure in der Elite und in Staatsunternehmen umfasst.

Schon Anfang der 1990er Jahre war er ständiges Mitglied eines außenpolitischen intellektuellen Diskussionsclubs, der allgemein nach dessen Ko-Vorsitzenden, dem ehemaligen sowjetischen Außenminister (Januar bis August 1991) Alexander Bessmertnych bekannt war. Diese »Gruppe Bessmertnych«[4], die 1991 bis 1997 unter dem Dach der »Außenpolitischen Assoziation« (MGIMO 20210) tagte, vereinigte eine heterogene Gruppe von Denkerinnen und Denkern, die in einer Seminarreihe über die innen- und außenpolitische Ausrichtung Russlands stritten (Gruppa Bessmertnych 1997). Erinnerungen von ehemaligen Mitgliedern zufolge zeichnete sich Beloussow schon damals als derschawnik aus, als ein Etatist, der für einen starken Staat in der Wirtschaftspolitik und außenpolitisch für Russlands Positionierung als Großmacht eintrat. Als wichtigstes Vermächtnis dieses Zirkels gilt der 1995 unter der Redaktion von Teodor Schanin[5] erschienene vierbändige Sammelband »INOJE. Chrestomathie des neuen russischen Selbstbewusstseins« (INOJE 1995). Beloussow kritisierte in seinem Beitrag »Strukturelle Krise des sowjetischen Industriesystems« (Beloussow 1995) die gedankliche Trennung zwischen einer Zeit vor und nach den liberalen Wirtschaftsreformen der 1990er Jahre, denn der sowjetische »genetische Code« bestünde als Altlast auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen fort und könne nur durch ein neues Modell der Industriepolitik zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum führen. Zu den ständigen Mitgliedern gehörten beispielsweise der ehemalige Dissident und spätere Polittechnologe des Kremls Gleb Pawlowskij, der spätere Leiter der Expertenabteilung in der Präsidialverwaltung Simon Kordonskij, aber auch Pjotr Schtschedrowitskij, dessen Vater Georg Vordenker der Methodologenbewegung[6] war, die mit Hilfe eines pseudowissenschaftlichen Algorithmus das Management von Unternehmen und Staatsverwaltung planspielerisch verbessern wollte. Zu den geladenen Gästen gehörte auch Beloussows Studienfreund und Ökonom Andrej Klepatsch, über den im Mai 2024 spekuliert wurde, er könnte seinem langjährigen Weggefährten Beloussow von der staatlichen Entwicklungsbank VEB.RF ins Verteidigungsministerium folgen.

Die wichtigsten Netzwerke konnte sich Beloussow allerdings qua seiner Funktion als Wirtschaftsberater Putins und Vizepremier in der Staatswirtschaft aufbauen. So war er Vorstandsmitglied von Rosneft und der Russischen Eisenbahn RShD sowie Aufsichtsratsmitglied der Dachvereinigung ANO »Zifrowaja Ekonomika« (Digitalwirtschaft), der Entwicklungsbank VEB.RF, des Atomunternehmens Rosatom und dem Luft- und Raumfahrtunternehmen Roskosmos. Diese Ämter waren mitunter auch konfliktbehaftet: Im Zuge der Privatisierung von Baschneft setzte er sich gegen die Einverleibung der baschkirischen Ölgesellschaft, die sich im Privatbesitz von AFK Sistema (Wladimir Jewtuschenkow) befand, durch Rosneft ein und scheiterte damit. Allerdings boten diese Posten tiefe Einblicke in staatlich kontrollierte Unternehmen, und mit Rosatom und Roskosmos waren dies auch Schlüsselunternehmen der Rüstungsindustrie. Zwischen 2014 und 2020 war Beloussow Mitglied der Militärisch-Industriellen Kommission beim Präsidenten (Kremlin.ru 2023(1)) und ab 2022 koordinierte er als Vizepremier das militärische Drohnenprogramm. Gleichzeitig fungierte er als Präsidentenberater als einer der informellen Kuratoren der Söldnertruppe Wagner und pflegte enge persönliche Kontakte zu Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin (Dossier-Center 2024). Beloussow kannte somit den militärisch-industriellen Komplex schon lange vor seinem Wechsel ins Verteidigungsministerium sehr gut.

Auch ohne eigenes Team kann Beloussow Ressourcen für seine Projekte mobilisieren. Ein Beispiel dafür ist die Stiftung »So-Jedinjenje« (So-Jedinjenje 2024), die sich der Unterstützung von Taubblinden widmet und von Beloussow gemeinsam mit German Gref (Sberbank) ins Leben gerufen wurde. Zum Förderkreis der Stiftung gehören namhafte Tycoons mit ihren Unternehmen wie Wiktor Wekselberg (Renova), der Schwiegersohn des russischen Außenministers Sergej Lawrow Alexander Winokurow (Marathon Group), Andrej Kostin (Bank VTB), Alexej Mordaschow (Severstal), Wladimir Potanin (Nornickel), Dmitrij Pumpjanskij (ehemmals TMK) sowie weitere Großkonzerne wie Sber, RShD, Magnit, Novatek und Evraz.

Trotz dieser elitären Vernetzung gilt Beloussow als vergleichsweise wenig korrupt, was auch als Grund für die Entlassung von Schojgu und seine Ernennung angeführt wird. Es fehlen die für hochrangige Staatsdiener üblichen Attribute wie Luxus-Penthäuser, weitläufige, mit Villen bestückte Grundstücke in teuren Gegenden oder die informelle Kontrolle über oder Anteile an Unternehmen. Sehr ausgeprägt in Beloussows Umgebung ist allerdings der Nepotismus: Sein Sohn Pawel gründete nach dem Abschluss der Moskauer Technischen Bauman-Universität zusammen mit seiner Frau 2015 das Beratungsunternehmen Claire & Clarté, welches das Ministerium für Industrie und Handel, Rostec, Roskosmos und Rosatom als Kunden hat. Anfangs waren die Auftragssummen noch gering, aber im Jahr 2023 stieg der Umsatz auf knapp 600 Millionen Rubel, was vor allem auf das Rüstungsunternehmen Rostec zurückzuführen ist (Eschow 2020, Waschnije Istorij 2024). Alle vier Auftragnehmer gehören zum direkten Einflussbereich Beloussows. Bei Roskosmos und Rosatom saß Russlands neuer Verteidigungsminister sogar zeitweise im Aufsichtsrat, und auch zum Rostec-Chef Sergej Tschemesow werden Beloussow gute Beziehungen nachgesagt. Ähnlich verhält es sich mit seiner zweiten Frau Weronika Nikischina, die 17 Jahre – auch unter Beloussow – im Wirtschaftsministerium arbeitete und mit der er seit 2016 offiziell verheiratet ist. Seit 2020 steht Nikischina dem »Russischen Exportzentrum« (REZ) vor, der wichtigsten Behörde der Regierung zur Exportförderung. Beide Kinder von Nikischina, Jekaterina und Artjom, arbeiten für die staatliche Entwicklungsbank VEB.RF, die seit Mai 2018 von Igor Schuwalow geleitet wird, dessen Beraterin Nikischina 2015 und 2016 war, als Schuwalow den Posten des ersten Vizepremiers in der Regierung bekleidete. Beloussow macht aus diesem Beziehungsgeflecht allerdings keinen Hehl: In Interviews verweist er häufig auf Institutionen wie das REZ, den von seinem Bruder geleiteten Think Tank ZMAKP oder Unternehmen wie RShD, bei denen er im Vorstand oder Aufsichtsrat sitzt (Kommersant.ru 2023).

Beloussow ließ sich im Alter von 47 Jahren 2007 in der Kirche der Kasaner Ikone der Gottesmutter (Troizk, Stadt Moskau) taufen, seither gilt er als tiefgläubig orthodox. Sein asketischer Alltag beginnt ebenso wie manche Sitzung mit einem Gebet, spätestens 2013 legte er der heiligen Gottesmutter sieben Gebote ab, an denen er seinen Lebensstil auszurichten gelobte. (Dossier-Center 2024) Der russisch-orthodoxe Glaube geht über das Private hinaus und markiert die Zugehörigkeit zu Netzwerken, die weit in die Staatsverwaltung, Sicherheitsbehörden und Wirtschaft hineinreichen. Derzeit sind die sogenannten »Athos-Bruderschaft« (Soldatow 2024(1)) und die »Diwejewo-Bruderschaft« die bedeutendsten dieser informellen Netzwerke. Zu den Athos-Brüdern, die nach dem im nordöstlichen Griechenland gelegenen Berg Athos und der gleichnamigen autonomen Mönchsrepublik benannt ist, werden vor allem die Rotenberg-Brüder, das ehemalige Mitglied des Kooperativs Osero Wladimir Jakunin, Sergej Tschemesow (Rostec), Igor Setschin (Rosneft), der ehemalige St. Petersburger Gouverneur Georgij Poltawtschenko oder die Turtschak-Familie zugerechnet. Da Pilgerfahrten in das NATO-Mitglied Griechenland immer schwieriger wurden, wuchs die Bedeutung des in der Region Nischnij Nowgorod gelegenen Diwejewo, zu deren »Bruderschaft« Beloussow gehört. (Meduza 2024(1); Soldatow 2024(2)) Der heutige Pilgerkomplex Arsamas-Diwejewo-Sarow (https://bigsarov.ru/) ist nicht nur für die Russisch-Orthodoxe Kirche aufgrund des Heiligen Serafim von Sarow von größter spiritueller Bedeutung. Im Sarow-Kloster war zu Sowjetzeiten das Designbüro KB-11 ansässig, das bei der Entwicklung der sowjetischen Atombombe eine entscheidende Rolle spielte. Und auch heute noch ist das Allrussische Forschungsinstitut für Experimentalphysik in Sarow (früher Arzamas-16) Kernbestandteil des russischen Atomprogramms. Der Aufstieg von Diwejewo begann, als Sergej Kirijenko 2005 zum Rosatom-Chef wurde und das Unternehmen zum Hauptsponsor für die Restaurierung der örtlichen Kirchen machte. Neben Kirijenko und Beloussow zählen auch die Kowaltschuk-Brüder (Michail Kowaltschuk steht dem Kurtschatow-Institut, dem wichtigsten Forschungsinstitut im Bereich der Atomenergie, vor), Premier Mischustin, der Vizepremier Tschernyschenko, Andrej Klepatsch (VEB.RF), der ultrakonservative Fundamentalist und Regisseur Nikita Michalkow sowie der Eisenbahnchef Oleg Belosjorow als Vorsitzender des Serafim-von-Sarow-Stiftungsrats zu den Gönnern von Diwejewo. Die Bedeutung der »Diwejewo-Bruderschaft« liegt also gerade in der Verquickung der Russisch-Orthodoxen Kirche mit dem atomaren militärisch-industriellen Komplex, ein Phänomen, das Dmitry Adamsky als »Russlands nukleare Orthodoxie« (Adamsky 2019) bezeichnet. Der orthodoxe Glaube oder gar die Mitgliedschaft in einer derartigen Bruderschaft kann der Beförderung im Staatsdienst zuträglich sein. Durch die Verschmelzung mit der militärischen Atomindustrie besteht – insbesondere für jemanden wie Beloussow, der als Verteidigungsminister direkten Zugriff auf den Atomkoffer hat – aber die Gefahr, dass diese Theokratisierung zur Eskalierung bei außenpolitischen Konflikten beiträgt.

In einem vielbeachteten Interview (RBK 2023) legte Beloussow seine Sicht auf die russische Elite dar: Die russische Elite sei noch als Folge der 1990er Jahre, in denen viel kaputt gegangen sei, gespalten. Eine derartige Spaltung sei typisch für Zeiten der Reformen in Russland, aber der Krieg[7] führe zu Veränderungen, die ein neuer Kern der Elite mit Sinn füllen solle. Dies müsse in einem Schmelztiegel geschehen, in dem jene, die Erfahrungen in den »neuen Territorien«,[8] in der »realen Welt« gesammelt haben, zur neuen Elite würden und diejenigen in Russland verändern, die lediglich in der »virtuellen Welt« lebten. Gleichzeitig müssten neue Ideologeme entstehen, um diese Veränderungen zu erklären. Die russische Elite, so Beloussow, verstehe diese notwendigen Veränderungen. Mitglied der Elite zu sein bestünde zuallererst aus »dem Dienen« (sluschenije). Aus dieser Perspektive geht Beloussow mit gutem Beispiel voran als Staatsdiener, als Gottesdiener und nun auch in den Diensten des russischen Militärs.

Für welche Wirtschaftspolitik steht Beloussow? Developmental state oder Planwirtschaft, militärischer Keynesianismus oder Mobilisierungswirtschaft?

Die Ernennung von Beloussow zum Verteidigungsminister hatte niemand vorhergesehen. Eine der plausibelsten Theorien ist, dass er die Nutzung der vorhandenen Ressourcen angesichts des massiv gestiegenen Militärhaushalts effizienter gestalten und die zivile und militärische Integration der Rüstungsproduktion vorantreiben soll. Und zwar nicht nur als Mittel, um den Krieg zu gewinnen und Russland langfristig den Status einer militärischen Großmacht zu sichern, sondern auch um die staatlichen Rüstungsausgaben als Motor des Wirtschaftswachstums zu nutzen. Es ist anzunehmen, dass Beloussow vorwiegend als verlängerter Arm von Putin agiert. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass trotz der Repressionen gegen hochrangige Generäle im Verteidigungsministerium und dem Generalstab kurz vor und nach der Entlassung von Schojgu die große und schwerfällige Militärmaschinerie bald Resilienz gegen jegliche Effizienzsteigerungen an den Tag legen wird (Shamiev 2024). Dennoch wird Beloussow eine gewisse Agency haben, deswegen ist es angebracht, seine wirtschaftspolitischen Ansichten genauer zu betrachten.

Katharina Bluhm stufte Beloussow in der Zeit vor der Vollinvasion als »moderaten Anhänger des Developmental State« ein, »ohne die Agenda der illiberalen Konservativen« zu teilen (Bluhm 2024, 336). So ist es kein Zufall, dass Beloussow in seinem Aufsatz in der INOJE-Chrestomathie des Jahres 1995 ein Zitat aus einer Arbeit über Japan voranstellte, das als Musterbeispiel für einen Developmental State gilt, der sich durch staatliche indikative Planvorgaben und Industriepolitik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg erfolgreich modernisierte (Chalmers 1982). Gleichzeitig ist Beloussow weniger extrem in Bezug auf die staatliche Intervention als die »illiberalen Konservativen« wie etwa Sergej Glasjew als Vertreter des Isborsker Clubs (Yakovlev 2024) oder der von Schojgu abgelöste langjährige Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew, der nach der Vollinvasion dazu aufgerufen hatte, zur Mobilisierungswirtschaft überzugehen. (The Moscow Times 2023) Beloussow steht vielmehr jener als militärischer Keynesianismus bezeichneten makroökonomischen Politik nahe, die die Gesamtnachfrage in der Wirtschaft durch höhere Militärausgaben steigern will, um mit der dadurch gesteigerten zivilen und militärischen Binnennachfrage (ekonomika predloschenija) (Jermakowa 2024) das Wirtschaftswachstum anzukurbeln (Ishchenko et al. 2023).

Einige Weggefährten beschreiben Beloussow als »progressiven sowjetischen Ökonomen«, (Meduza 2024(2)) der die Sowjetunion im Sinne der Beschleunigung (Uskorenje) viel lieber reformiert als kollabiert gesehen hätte. Beloussow selbst äußerte sich noch im Dezember 2021 ablehnend gegenüber Spekulationen, Russland würde zum Gosplan zurückkehren: »In der Sowjetunion war der Gosplan nur die Spitze des Eisbergs. Es war eine sehr verzweigte, schwere, riesige Maschine, die extrem ineffizient arbeitete. Niemand, der bei klarem Verstand ist, würde den Gosplan heute wieder einführen wollen. Und was gäbe es denn zu planen?« (Tofanjuk und Kokorewa 2021)

Ähnlich ablehnend äußerte er sich schon nach Beginn der Vollinvasion im Juni 2022 über die Perspektiven, in Russland eine Mobilisierungswirtschaft einzuführen (Samarina 2022). Aus Beloussows Sicht habe »Mobilisierung« weniger mit Wirtschaft zu tun, als dass es ein mentaler Zustand der Gesellschaft sei. In Russlands Geschichte habe es einen solchen Zustand lediglich zwei Mal gegeben: während der Petrinischen Epoche und der stalinistischen Modernisierung. Für einen solchen Mobilisierungszustand brauche es drei Bedingungen: Erstens einen Wertekonsens in der Gesellschaft, der im Kern einen Entwicklungskult darstellt. Zweitens eine hohe soziale Mobilität in der Gesellschaft und eine Elite, die ihren Sinn in diesem Entwicklungsziel sieht. Und drittens die Wertschätzung der Zeit, da es auf die Geschwindigkeit ankomme, der sich alle Ebenen des Staates und der Gesellschaft mit größtem Verantwortungsbewusstsein unterordnen müssen. Die Mobilisierungswirtschaft sei aber nur eines von drei Szenarien, entlang derer sich ein Land am Scheideweg entwickeln könne. Das zweite Szenario sei der Weg der Reformen, wie ihn etwa Russland im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gegangen sei. Ziel der Reformen sei es, die grundlegenden Spielregeln sowie auch das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft und der Elite zu verändern. Als drittes Szenario bezeichnet er das »situative Reagieren«, also kurzfristige Anpassungen und Veränderungen aufgrund von akuten Problemen. Beloussow sieht gerade das »situative Reagieren« als wahrscheinlichstes Entwicklungsszenario für Russland, weil dafür die soziale und politische Unterstützung am größten sei, die beiden anderen Wege seien viel risikobehafteter aufgrund der unweigerlichen sozialen Verwerfungen.

Beloussows Rezept für Wirtschaftswachstum, die Binnennachfrage durch höhere Staatsausgaben einschließlich für das Militär anzukurbeln und gleichzeitig günstige Kreditzinsen zu gewährleisten, erscheint somit weniger disruptiv. Im Kontext der durch die Generalstaatsanwaltschaft vorangetriebenen Deprivatisierungswelle – eigentlich eine Enteignungswelle (Morokhin und Ehrlich 2024) – ist Beloussows Sicht auf den Privatsektor erneut ins Rampenlicht gerückt. Bekanntermaßen hatte er 2019 die Dollar-Milliardäre als »Idioten« bezeichnet, die sein Schreiben an die Presse geleakt hatten, in dem er von Putin eine Sondergewinnsteuer von 14 Metallurgie-, Bergbau- und Chemieunternehmen gefordert hatte (Petuhowa und Titowa 2019). 2023 hatte er die Geschäftsstrategien von russischen Unternehmen in den 1990er Jahren mit »Ratten«, »Schweinen« und »Hirschen« verglichen, aus denen nie technologische »Einhörner« werden können (RBK 2023(2)). Generell sieht Beloussow das Verhältnis zwischen Staat und Privatwirtschaft als ungleiche Partnerschaft zwischen einem Senior- und Juniorpartner (RBK 2023). Gleichzeitig versteht Beloussow auch, welche Bedeutung der Privatsektor für wirtschaftliche Entwicklung, Innovationen und Importsubstitutionen hat. So trieb Beloussow die Gründung der »Agentur für strategische Initiativen« voran und war einer der Hauptverantwortlichen für Russlands Verbesserung im »Ease of Doing Business«-Ranking der Weltbank (s. Shmulyan 2021 zu den Problemen dieses Rankings). Gerade im Hochtechnologiesektor, etwa bei der Drohnenproduktion, spielen für Beloussow kleine Unternehmen mit ihrem Hang zum Risiko eine entscheidende Rolle. So setzte er sich für ein Gesetz über »kleine technologische Unternehmen« ein, die sich in ein staatliches Verzeichnis eintragen und damit Risikokapital von Investoren anziehen können.

Beloussow teilt die Wirtschaftspolitik unter Putin in drei Phasen ein (Jermakowa 2024): In der ersten Phase, die bis zur globalen Wirtschaftskrise 2008–2009 dauerte, sei es vor allem darum gegangen, die Wirtschaft nach der Krise der 1990er zu sichern, deren Souveränität und Überlebensfähigkeit beinahe verloren gegangen wäre. In der zweiten Phase bis 2022 sei der Schwerpunkt darauf gelegen, die brennendsten sozialen Probleme im Land zu lösen. Die dritte Phase ab 2022 sei nicht nur durch westliche Sanktionspolitik geprägt, die Beloussow mit einer aus den drei Ringen Finanzen, Handel und Logistik bestehenden Blockade vergleicht. In der Weltwirtschaft gäbe es einen qualitativen Sprung, das globale System des Außenhandels zerfalle, der Klimawandel und das technologische Wettrennen würden einen auf Souveränität beruhenden Strukturwandel der russischen Wirtschaft notwendig machen. Dafür essenziell seien vor allem Importsubstitutionen, die logistische Infrastruktur sowie die Steigerung der Arbeitsleistung.

Das Instrument, das Beloussow für diesen Strukturwandel vorschwebt, ist allerdings keineswegs neu. Es beruht auf ein System nationaler Entwicklungsziele, die Putin seit seinem Mai-Ukas 2012 den föderalen und regionalen Exekutiven vorschreibt. Beloussow war seither maßgeblich mit der Messung und Kontrolle dieser Entwicklungsziele betraut, was ihm das Image eines Kontrolleurs oder Buchhalters eingebracht hat. Allerdings bleibt die Umsetzung der nationalen Ziele trotz zunehmender Zentralisierung höchst mangelhaft. Zum einen liegt das an schwacher Staatskapazität, und zum anderen verleiten derartige quantitative Indikatoren Behörden dazu, diese zu fälschen, um dem Kreml Loyalität zu signalisieren (Ross et al. 2022; Kalgin 2014). Beloussows Devise, die er bei der Nominierung als Verteidigungsministerium im Föderationsrat verkündete, ist: »Fehler können passieren, nur lügen darf man nicht.« Beloussows Aufgabe bei der Aufsicht des militärisch-industriellen Komplexes könnte also darin bestehen, wie auch Schojgu nach außen zu deklarieren, dass alles nach Plan verläuft, nach innen jedoch schärfer zu kontrollieren, dass nicht zu viel »gelogen« wird und die Produktionsziele des Kremls effizienter umgesetzt werden.

Technologische Souveränität als Grundlage der »Staat-Zivilisation« Russland

Als Verteidigungsminister ist Beloussow neben dem Präsidenten und dem Generalstabschef eine der drei Personen, die im Besitz eines Atomkoffers sind. Im Gegensatz zu seinen früheren Posten im Staat wurde er somit zu einem der wichtigsten Entscheidungsträger der russischen Außen- und Sicherheitspolitik. Dennoch ist Beloussow keineswegs ein unbedarfter Neuling auf diesem Gebiet, er bringt ein ausgeprägtes Weltbild mit in sein neues Amt. So soll er etwa als einziger hochrangiger Wirtschaftsexperte aus dem Umfeld Putins die Annexion der Krim befürwortet und Putin versichert haben, dass die russische Wirtschaft den Sanktionsschock gut abfedern würde (The Bell 2024; The Insider 2024). Seine Grundüberzeugung ist deswegen auch, dass sich Russlands Lage »kardinal« und »langfristig« aufgrund von tektonischen Verschiebungen in der Weltpolitik verändert, was entsprechende Anpassungen erforderlich macht. Russland versteht er dabei keineswegs als Nationalstaat, sondern als eine »Staat-Zivilisation« (gosudarstwo-ziwilisazija) (Barabanow 2023), also eine eigenständige Zivilisation mit einer eigenen Subjektivität und einem eigenen kulturellen Code. Dabei sieht er Russland nicht in absoluter Gegnerschaft zu Europa, sondern als Hüter der traditionellen, konservativen Werte, von denen sich der Westen immer weiter verabschiede. Die Grundvoraussetzung einer Zivilisation mit eigener Sinnhaftigkeit sieht Beloussow in der Souveränität, die nur wenige Staaten wie die USA, China, Indien und auch Russland besitzen. Nur Souveränität könne ein Überleben in der multipolaren Welt garantieren. Beloussow war eine der treibenden Kräfte hinter der nationalen Strategie zur Erreichung der technologischen Souveränität bis 2030, die die Regierung am 25. Mai 2023 verabschiedete (Government.ru 2023). Nur durch Souveränität könnten Russlands nationale Entwicklungsziele erreicht werden. Wie wirkmächtig dieses Konzept und somit auch Beloussows Denkweise ist, lässt sich daran erkennen, dass Souveränität in Bezug auf Wirtschaft, Finanzen, Kader und Technologie ein zentraler Begriff in Putins Ansprachen an die Nation der Jahre 2023 (Kremlin.ru 2023(2)) und 2024 (Kremlin.ru 2024) war. Aufgrund der westlichen »Blockade in drei Ringen« sei die Wende Russlands nach Osten und Süden nur konsequent, und ist für Beloussow keineswegs neu. Sein Vater Rem war schon in den 1970er und 1980er Jahren als Wirtschaftsberater in Südostasien unterwegs. Jurij Jarjomenko, einer seiner wichtigsten Mentoren am zentralen Wirtschaftsmathematischen Institut der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, an dem Beloussow von 1981 bis 1986 gearbeitet hatte, galt als hervorragender Kenner Chinas und zitierte häufig die konfuzianische Weisheit: »Ein wahrer Mann hat nur zwei Aufgaben: die Natur zu beobachten und dem Staat zu dienen.« (Melnikow und Filina 2013) Im Amt des Verteidigungsministers wird Beloussow wenig Zeit für die Natur haben. Aber er wird dem russischen Staat dienen, obwohl dieser einen Angriffskrieg führt, oder vielleicht gerade deswegen.

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Dieser Text ist die Langfassung einer dekoder-Gnose. Die Kurzversion ist bei dekoder online verfügbar unter https://www.dekoder.org/de/gnose/andrej-beloussow.

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Verweise

[1] Heute heißt diese Schule W. F. Owtschinnikow-Lyzeum »Zweite Schule«, sie nahm 2023 den dritten Platz unter allen russischen Schulen ein gemessen an der Prestigeträchtigkeit der Studienplätze der Abiturienten. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen regelmäßig Podiumsplätzen bei russischen und internationalen Olympiaden, vor allem in der Mathematik, Physik, den Wirtschaftswissenschaften, der Astronomie und Informatik. https://lycuz2.mskobr.ru/o-nas/nashi-dostizheniya.

[2] Zu seinen aufsehenerregendsten Prognosen gehört die ZMAKP-Publikation vom Januar 2006 »Szenarien für die wirtschaftliche Entwicklung Russlands in den nächsten fünfzehn Jahren« (https://ecfor.ru/publication/stsenarii-ekonomicheskogo-razvitiya-rossii/), in der er die Wirtschaftskrise des Jahres 2008 und den darauffolgenden Rückgang der Wirtschaft prophezeite. Beloussows Analysen sind dabei weniger Vorhersagen, er entwirft datenbasierte Szenarien, denen er gewissen Wahrscheinlichkeiten beimisst.

[3] Die Webseite von ZMAKP ist http://www.forecast.ru/, das Zentrum betreibt auch einen Telegramkanal, auf dem es aktuelle Analysen und Kommentare teilt: https://t.me/cmasf. ZMAKP und vor allem dessen Leiter Dmitrij Beloussow erlauben sich immer wieder offene Kritik an der Zentralbank oder dem Finanzministerium, die Elwira Nabiullina oder Anton Siluanow als langjährige Gegenspieler Beloussows zwingen, auf die Kritik zu reagieren. Andrej Beloussow galt auch als Kritiker des damaligen Finanzministers Alexej Kudrin und dessen Stabilitätsfonds; anstatt Rücklagen zu bilden ist eine langjährige Kernforderung Beloussows, mehr staatliche Investitionen in die reale Wirtschaft zu tätigen.

[4] Übersetzt »Die Gruppe der Unsterblichen«. Der ironische Unterton dieser Bezeichnung mag auf die pathetische Ernsthaftigkeit der intellektuellen Debatten über die Zukunft Russlands anspielen.

[5] Der britische Soziologe der University of Manchester Teodor Shanin gründete 1995 die Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, deren Rektor er bis 2007 war. Sie gilt als eine der wichtigsten sozial- und geisteswissenschaftlichen Hochschulen Russlands (https://laender-analysen.de/russland-analysen/445/andrei-yakovlev-im-interview-die-geschichte-der-higher-school-of-economics/). 2021 wurde ein Strafverfahren gegen den Rektor Sergej Sujew, der ebenfalls zu den Methodologen gehörte, eröffnet, im März wurde Sujew zu 4 Jahren auf Bewährung verurteilt. Im Zuge der Vollinvasion der Ukraine gingen viele Lehrkräfte ins Exil und gründeten in Montenegro einen »Fakultät der freien Künste und Wissenschaften«, die im Februar 2024 offiziell akkreditiert wurde. Die beeindruckende Biografie des 1930 in Vilnius geborenen Shanin ist festgehalten im Dokumentarfilm »Nesoglasnyj Schanin« (»Der andersdenkende Schanin«) von Alexander Archangelskij aus dem Jahr 2019: https://youtu.be/jwGAeHFYn6U?si=BLaqy9tO3A8Vp9SH.

[6] Mit der Ernennung von Sergej Kirijenko zum für Innenpolitik zuständigen stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung im Jahr 2016 rückten die längst vergessenen Schtschedrowitjaner erneut ins Rampenlicht. Pjotr Schtschedrowitskij war Kirijenkos Berater gewesen, als dieser dem staatlichen Atomunternehmen Rosatom vorstand. Inwieweit die methodologische Schule die Denkweise von Kirijenko und die praktische Politik beeinflusst, bleibt umstritten. Siehe etwa Andrej Perzew. Schtschedrowitjane: kto formirowal mirowossrenije Sergeja Kirijenko, Meduza, 26.10.2016 (https://meduza.io/feature/2016/10/26/schedrovityane-kto-formiroval-mirovozzrenie-sergeya-kirienko). Erneute Aufmerksamtkeit bekamen die Methodologen nach der Veröffentlichung des Artikels »Tschto Rossija dolshna sdelat s Ukrainoi« auf RIA Nowosti 3.4.2022, in dem der Autor und ehemalige Methodologe Timofei Sergeizew quasi genozidale Absichten Russlands in der Ukraine ausbuchstabierte. Dabei handelt es sich wohl um eine Perversion des Denkens der Methodologen über die »Russische Welt«, s. Ilja Wenjawkin. Tschelowek, kotory pridumal deukrainisirowat Ukrainu. Istorija Timofeja Sergeizewa — metodologa, polittechnologa i ideologa woiny. Cholod, 10.6.2022 (https://holod.media/2022/06/10/sergeitsev/).

[7] Wie die meisten technokratischen Ökonomen hat Beloussow die Begriffe »militärische Spezialoperation« und »Krieg« weitestgehend vermieden. Er sprach von neuen Herausforderungen, einem notwendigen Umbau und der Adaption der Wirtschaft an die neuen Bedingungen.

[8] Gemeint sind diejenigen besetzten ukrainischen Gebiete, die Russland im September 2022 versuchte, zu annektieren.

Lesetipps / Bibliographie

Zum Weiterlesen

Analyse

Ansichten der russischen Eliten zu militärischen Interventionen im Ausland

Von Sharon Werning Rivera
Es ist ohne Zweifel schwierig zu bewerten, wie sich Russlands Politik gegenüber der Ukraine verändern würde, nachdem Wladimir Putin sein Amt verließe. Eine Möglichkeit, sich dieser Frage anzunehmen, besteht darin, die Einstellung derjenigen zu untersuchen, die ihre Positionen wenige Stufen unter der Führungsspitze des Landes haben, also der Eliten. Sie bestehen aus Individuen an der Spitze ihrer jeweiligen Berufsgruppen, die in der Zukunft in der Lage sein könnten, in Regierungskreise vorzudringen. Die Analyse von Trends aus dem einzigartigen Datensatz »Survey of Russian Elites« zeigt, dass die Eliten eine nuancierte Kombination aus Präferenzen zu den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine betreffenden Fragen zeigen. Obwohl die allgemeine Zustimmung zum Einsatz des russischen Militärs außerhalb der Landesgrenzen auf dem Höchststand seit Jahrzehnten ist, fällt die Unterstützung für eine Vereinigung der Ukraine mit Russland gering aus, ebenso wie die Zustimmung zu militärischen Abenteuern auf Kosten von Verbesserungen im Innern.
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Analyse

Zusammengeschweißt und gefesselt durch Illegitimität

Von Kirill Petrov
Die folgende Analyse unternimmt den Versuch, die gegenwärtige russische Elite zu beschreiben, ihre Genese, ihre Beziehung zum System bis hin zu ihrem verbindenden Element. Dabei kann festgehalten werden, dass die derzeitige Elite in Russland stark integriert und eng differenziert ist. Folglich schafft es das Regime nur äußerst spärlich, die Vielfalt gesellschaftlicher Gruppen zu repräsentieren. Zudem gelang es, die Elite durch Jahrzehnte eines auferlegten Konsenses und umfangreicher wirtschaftlicher Ressourcen, die durch Staatsunternehmen erlangt und durch staatliche Institutionen verteilt wurden, zu integrieren. Allerdings kann diese feste Integration der Elite nur eine formale sein, und ist gewissermaßen nur eine geschickte Imitation. (…)
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