Kriegspropaganda: Russische Museen unter Druck

Von Anonym (Russland)

Zusammenfassung
Diese Analyse untersucht die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russischen Museen und ihre Mitarbeiter:innen. Das Museumswesen ist maßgeblich durch sowjetische Traditionen und die jüngste Gesetzgebung zur „patriotischen“ Erziehung und Zensur geprägt. Die seit der russischen Invasion in die Ukraine verstärkten staatlichen Eingriffe und ideologischen Vorgaben führen zu einer Abwanderung von Fachkräften, Zensur, und zu staatlichem Missbrauch von Museen als Propagandainstrumente. Der Beitrag beleuchtet die vielschichtigen Reaktionen des Museumspersonals und der Institutionen selbst auf den staatlichen Druck. Hierzu gehört die Unterstützung des Regimes, Versuche, Neutralität zu bewahren und Bemühungen, die Gegenwart zu dokumentieren. Die Analyse argumentiert, dass die internationale Isolation russischer Museen diese Herausforderungen teils verstärkt und möglicherweise den Prozess beschleunigt, dass Museen zu Propaganda-Instrumenten des Regimes werden.

Einführung

Das Museumswesen in Russland ist immer noch vom Erbe der 70-jährigen sowjetischen Herrschaft geprägt. Seit dem Ende der Sowjetunion hat es keine einschneidenden Veränderungen gegeben. Die Leiter:innen der großen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen werden immer noch von Ministerien und staatlichen Kommissionen ernannt. Dabei handelt es sich oft um Bürokrat:innen, die unerfahren sind im Umgang mit dem Personal des betreffenden Museums oder sich generell in der Welt der russischen Museen nicht auskennen. Wie andere Bildungseinrichtungen auch haben Museen – insbesondere Geschichtsmuseen – die Folgen eines Gesetzes von 2021 zu spüren bekommen, das Bildungsarbeit untersagt, die nicht vom Staat genehmigt ist und die Zusammenarbeit mit ausländischen Expert:innen und Organisationen einschränkt. Die sowjetische Praxis, mit Hilfe von Ausstellungen und Museen Propaganda zu betreiben, ist in den letzten Jahren zunehmend und flächendeckend zurückgekehrt. Seit 2015 sind landesweit ganze 24 multimediale Geschichtsparks (die unter dem Titel „Russland – meine Geschichte“ firmieren) eröffnet worden. Federführend waren der Patriarchale Kulturrat der Russischen Orthodoxen Kirche, Bischof Tichon (bürgerlich Georgij Schewkunow, der heute der Metropolit von Simferopol und der Krim ist) sowie Präsident Putin. Von Anfang an hatten Expert:innen kritisiert, dass die Parks eine stark ideologisierte Schlagseite haben und Geschichtsklitterung betreiben. Allenthalben bilden Geschichtsnarrative aus der Sowjetzeit die Grundlage für die heutige, ideologisierte Interpretation der Geschichte. So startete das Museum des Sieges in Moskau 2017 ein landesweites Projekt, an dem sich 250 russische Museen beteiligten, und das den Titel „Territorium des Sieges“ trug. Es sollte ursprünglich dazu beitragen, didaktisches Material und andere Informationen zum Zweiten Weltkrieg zu verbreiten. Jetzt betreibt es allerdings auch Propaganda über das Geschehen in der Ukraine und ist auch in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine tätig. Museen sind zwar von staatlicher Finanzierung abhängig (auch wenn die versprochenen Gelder oft nicht überwiesen werden), doch haben wohltätige Zuwendungen dazu beigetragen, dass über die letzten Jahrzehnte eine Gemeinschaft von Museumsmitarbeiter:innen entstand, die ihre Aufgaben sorgfältig reflektieren, gut konzipierte Projekte starten und fundierte, gesellschaftlich relevante Stellungnahmen abgeben (durch Ausstellungen, Bildungsprogramme und Medienprojekte). Diese Projekte sind oft mit Hilfe privater Gelder umgesetzt worden, was den Organisator:innen mehr Freiheit gibt, sowohl in Bezug auf den Inhalt wie auch bei der Interaktion mit Besucher:innen und dem breiteren Umfeld.

Entwicklungen seit Beginn der Vollinvasion in die Ukraine

Personal

Im Museumsbereich hat es eine Abwanderung von Fachkräften gegeben, da viele Menschen das Land verlassen oder sich aus staatlichen Institutionen zurückziehen, um ihre politische Unabhängigkeit zu wahren. Von den 110 Personen, die im Januar 2023 an einer Umfrage teilnahmen, die von der Personalagentur „Sakadrom“ über deren Telegram-Kanal mit dem Untertitel „Gespräche über wichtige Dinge im Kulturbereich“ durchgeführt wurde, sagten 21 Prozent, sie hätten das Land verlassen, 26 Prozent erklärten, sie hätten den Job gewechselt, 12 Prozent sagten sie hätten nun eine andere Stellung und 8 Prozent erklärten, sie hätten sich beruflich neu orientiert. Nur 36 Prozent berichteten, es habe sich nichts geändert. Allzu oft sind Museumsmitarbeiter:innen gezwungen, sich zwischen ihrer Arbeit und der Wahrung ihrer Meinungsfreiheit oder gar ihrer persönlichen Freiheit zu entscheiden. Wer weiterarbeitet, praktiziert letztlich oft Selbstzensur. Dies geschieht etwa aus Bedenken, dass die eigene Arbeit nicht umsonst gewesen sein soll und fortgesetzt werden muss, aus Sorge um andere Mitarbeiter:innen oder um die Zukunft des Museums als Ganzes.

Im Februar 2023 sind 50 Museumsmitarbeiter:innen aus 25 Regionen durch die Autor:innen dieser Analyse befragt worden. Auf die Frage „Was geschieht mit ihren [beruflichen] Plänen für die Zukunft?“ antworteten 87 Prozent, der Grad an Ungewissheit sei hoch oder sehr hoch. Nur 12 Prozent meinten, es habe sich nichts geändert. Bei den drängendsten Fragen nannten zehn Prozent das Problem der „patriotischen Erziehung“ (etwa durch Themen, die der Staat ihnen aufnötigt). Weitere Befragte nannten das Thema historische Erinnerung, die Zensur, Ehrlichkeit und Genauigkeit. Bei den Fragen zur Zukunft antworteten viele, sie wollten ihr Museum als einen sicheren und offenen Raum sehen, in dem Menschen mit unterschiedlichen Meinungen sich begegnen und diskutieren können. Und in dem sie sich sicher fühlen können, auch über aktuelle Dinge zu sprechen.

Gesetzgebung

Seit Beginn des vollumfänglichen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich der Druck des Staates auf die Schul- und Vorschulbildung sowie auf Kultureinrichtungen erhöht. Besondere Bedeutung hat hier die staatliche Förderung „traditioneller Werte“ und „patriotischer Erziehung“. Zu diesem Zweck wurden per Präsidialerlass Nr. 809 vom 9. 11. 2022 die „Grundlagen der staatlichen Politik zu Wahrung und Stärkung der traditionellen russischen geistigen und moralischen Werte“ verabschiedet. Der erste Punkt dieses Dokuments verknüpft die „traditionellen russischen geistigen und moralischen Werte“ mit der nationalen Sicherheit des Landes. Das legitimiert de facto die Schaffung einer Staatsideologie, obwohl die russische Verfassung ausdrücklich eine ideologische Vielfalt festschreibt, die „keine Ideologie als staatlich oder verbindlich“ zulässt.

Der Erlass verwendet darüber hinaus den Begriff „destruktive Ideologie“, die den „traditionellen Werten“ entgegengestellt wird. Und es heißt in dem Erlass: „In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Russischen Föderation wird die Situation in Russland und in der Welt derart eingeschätzt, dass sie sofortige Maßnahmen zum Schutz der traditionellen Werte erfordert“. Vertreter:innen des Staates, die von Museen verlangen, dass sie Programme zur „patriotischen Erziehung“ auflegen, verweisen dabei oft auf Rechtsdokumente wie diesen Erlass.

Verpflichtende „patriotische Erziehung“

Für das föderale Projekt „Patriotische Erziehung“ sind 109 Milliarden Rubel vorgesehen, wie aus offen zugänglichen Quellen hervorgeht. Auf der Webseite des Projekts wird angekündigt, dass versucht werden soll, die Bildungsarbeit in Schulen und Hochschule durch patriotische Veranstaltungen weiterzuentwickeln. Es ist geplant, damit 24 Prozent aller Russ:innen zu erreichen.

Ideologische Anforderungen an Kulturprojekte

Bis 2021 waren viele Projekte aus Fördermitteln des Präsidenten [im Russischen: „Fond Presidentskich Grantow“, formal eine Nichtregierungsorganisation, die im Namen des Präsidenten Fördergelder, die aus dem föderalen Haushalt stammen, verteilt, Anm. d. Red.], unterstützt worden, die vormals über ideologiefreie Ausschreibungen vergeben wurden. Im Kulturbereich erfolgen die Ausschreibungen nun über die Präsidiale Stiftung für Kulturinitiativen, die am 17. Mai 2021 per Präsidialerlass Nr. 287 eingerichtet wurde. In den Instruktionen für die Ausschreibung im Juni 2023 werden Patriotismus und die „Ziele der militärischen Spezialoperation“ genannt. Darüber hinaus werden die russisch besetzten Gebiete der Ukraine als „neue Regionen“ Russlands bezeichnet.

Zensur und Kontrolle

Es hat zwar auch vor dem Krieg Fälle von Zensur gegeben, doch ändern sich jetzt die Mechanismen, nämlich von nachträglicher zu präventiver Zensur. Letztere ist eines der Merkmale totalitärer Regime. Der Staat entwickelt neue Instrumente, um die Inhalte von Ausstellungen in Museen und deren Auftritte in den sozialen Medien in Echtzeit zu überwachen.

Zensur von Ausstellungen

Eine neue Verordnung des Kulturministeriums, die am 20. Juli 2022 in Kraft trat, verpflichtete alle Museen in seinem Zuständigkeitsbereich, das Ministerium über die im Folgejahr geplanten Ausstellungen zu informieren. Damit soll sichergestellt werden, dass sie mit den „traditionellen russischen geistigen und moralischen Werten, der Kultur und der historischen Erinnerung“ vereinbar sind. Viele Angestellte staatlicher Museen sind mit dieser Verordnung unzufrieden, doch haben nur wenige den Mut, sie öffentlich zu kritisieren.

Kontrolle der sozialen Medien

Die Museen sind auch von der gesetzlichen Regulierung sozialer Medien betroffen. Die Behörden bauen ein einheitliches System von Gruppen in den sozialen Medien auf. Seit dem 1. Dezember 2022 sind für alle staatlichen Institutionen Auftritte in den russischen sozialen Medien VKontakte und Odnoklassniki verpflichtend. Sämtliche Auftritte staatlicher Institutionen in den sozialen Medien müssen durch ein spezielles staatliches System geprüft werden. Sie sollen zudem mit dem Online-Portal für staatliche elektronische Dienstleistungen „Gosuslugi“ verbunden werden. Zu diesem Monitoringsystem gehört auch, dass „Zwischenfälle in den sozialen Medien“ erfasst werden. „Problematische“ Nachrichten werden erkannt, die daraufhin den Behörden gemeldet werden. Staatliche Auftritte in den sozialen Medien sollen einen zentralisierten Betrieb der Accounts und Nachrichtenfunktionen ermöglichen, unter anderem eine mögliche Moderation und Pläne für die Erstellung von Inhalten in den sozialen Medien. Wenn ein Museum in den sozialen Medien eine öffentliche Diskussion anstößt, wird jeder Kommentar, der nicht mit der offiziellen Ideologie konform geht, für die Behörden sofort erkennbar. Das bedeutet, dass die Museen sowohl ihrer Unabhängigkeit als auch ihrer individuellen Stimme im Internet und in den sozialen Netzen beraubt wurden. Und es zeigt, dass dieses System dazu eingesetzt werden soll, sämtliche Informationen zu kontrollieren.

Das Kulturerbe in den besetzten Gebieten

Der „International Council of Museums“ (ICOM) hat die russische Invasion in die Ukraine von 2022 verurteilt und beide Seiten dazu aufgerufen, den Konflikt beizulegen.[1] Die Fachgemeinschaft der Museen in Russland hat nicht offen gegen die Invasion protestiert. Das lässt sich dadurch erklären, dass die Museumsgemeinschaft in Russland stark polarisiert ist. Es gibt keinen sicheren Raum für einen Dialog und der repressive Apparat ist stark genug, jede öffentliche Äußerung zivilgesellschaftlicher oder beruflicher Solidarität zu unterdrücken. Individueller Protest führt zu Entlassungen und/oder Strafverfahren. Einige thematische Aspekte der Tätigkeit von Museen und ihrer Mitarbeiter:innen haben unmittelbar mit der Besetzung ukrainischen Territoriums zu tun sowie mit den Widersprüchen zwischen Völkerrecht und russischem Recht. Diese Situation stellt Museumsmitarbeiter:innen vor die Wahl: Entweder befolgen sie russische Gesetze, verlassen ihren Beruf, oder riskieren womöglich eine Gefängnisstrafe.

Interaktion mit Museen in den besetzten Gebieten

Gemäß dem Gesetz „Über die Besonderheiten der rechtlichen Beziehungen im Bereich der Kultur nach der Aufnahme der Volksrepublik Donezk, der Volksrepublik Lugansk [sic!], des Gebietes Cherson und der des Gebietes Saporoschje [sic!] in die Russische Föderation“ werden Objekte des Kulturerbes in diesen Gebieten ab dem Moment der Annexion zu Objekten von „föderaler Bedeutung“ und sind in ein staatliches Verzeichnis aufzunehmen. Das bereitet die rechtliche Grundlage für etwas, was schlichtweg als Enteignung zu bezeichnen ist. Museale Objekte aus den besetzten Gebieten werden gesammelt und nach Russland verbracht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass russische Museumsfachkräfte daran beteiligt sind. Die inkompetente „Renovierung“ des Khan-Palastes in Bachtschyssaraj [krimtatar.: Bağçasaray] und der Bau eines neuen Komplexes in Chersones nach der Annexion der Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 lassen erwarten, dass Museen und historische Monumente in den besetzten Gebieten wohl kaum eine sorgfältige Restauration erleben werden. Leider haben die russischen Fachleute und die Museums-Community keine Möglichkeit, in Russland oder gar in den besetzten Regionen Einfluss auf derartige Entscheidungen zu nehmen.

Ausgrabungen auf der Krim

Ein besonders heikles Thema sind archäologische Ausgrabungen auf der Krim, die das Eremitage-Museum vor der Revolution von 1917 in Auftrag gegeben hatte. Bis 2014 fanden sie dann partnerschaftlich mit ukrainischen Einrichtungen statt. Nach der Annexion der Krim endeten diese Partnerschaften. Das Problem besteht in Folgendem: Wenn auf der Krim nicht mehr offizielle russische Ausgrabungen unternommen werden und wenn ukrainische Archäolog:innen keinen Zugang haben, könnten einige der Ausgrabungsstätten für immer verloren sein. Und zwar wegen Baumaßnahmen, Landwirtschaft oder illegaler Grabungen durch Menschen, die die Fundstücke auf dem Schwarzmarkt verkaufen wollen. Wie im Fall der Objekte aus Museen in den besetzten Städten Mariupol und Cherson gibt es Befürchtungen, dass Fundstücke, die bei solchen Ausgrabungen entdeckt und von der Krim entwendet werden, niemals zurückkehren könnten. Etwas Hoffnung bieten die von Moskau eingesetzten Regierungen auf der Krim, die erklärt haben, sie wollten die Art der Fundstücke einschränken, die Archäolog:innen aus der Region ausführen dürfen, auch bei offiziellen Ausgrabungen.

Objekte und Leihausstellungen

Eine wechselseitige Ausleihe von Objekten und Ausstellungen zwischen Museen wie auch Konferenzen in den besetzten Gebieten bedeuten ebenfalls eine Legitimierung der Besetzung ukrainischer Territorien. Eine Beteiligung an solchen Aktivitäten und an einer Verbringung von Objekten des Kulturerbes aus den besetzten Gebieten, damit sie in russischen Museen ausgestellt werden, stellt eine Verletzung internationaler Abkommen dar.

Die Reaktion russischer Museen und ihrer Mitarbeiter:innen auf den staatlichen Druck

Das Personal der Museen reagiert auf unterschiedliche Weise auf den staatlichen Druck. Einige kündigen. Dabei könnte es wohl um einen recht hohen Anteil handeln: In einer Einrichtung in Jekaterinburg im Ural sind laut Kolleg:innen in einer Abteilung, die früher 20 Mitarbeiter:innen hatte, nur noch sechs übrig. Einige sprechen auf der Arbeit nicht über Politik, weil sie Angst haben, denunziert oder anderem Druck ausgesetzt zu werden. Andere finden Wege, ihre Solidarität auszudrücken oder jene zu unterstützen, die gegen den Krieg sind. Andere wiederum unterstützen aufrichtig das Regime und glauben der Propaganda. Dann gibt es Personen, die bereit sind, alles Mögliche zu sagen, wenn dies Zugang zu Finanzmitteln und anderen Ressourcen bedeutet. Auch Museen reagieren – auf organisatorischer Ebene – auf unterschiedliche Weise: mit einer Unterstützung des Regimes, mit Versuchen, sich aus dem aktuellen Geschehen herauszuhalten, oder mit Versuchen, das Geschehen zu dokumentieren oder in die Zukunft zu investieren.

Unterstützung für das Regime

Beispiele, wie das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine gerechtfertigt wird

Einige Kunstmuseen veröffentlichten auf ihren Seiten in den sozialen Medien Informationen über eine sogenannte Bildungsveranstaltung mit dem Namen „Wissen über Helden“. Die wurde von einer Gruppe namens „Snanije“ (dt.: „Wissen“) organisiert, die den Krieg durch Graphic Novels mystifiziert und Besuche von Soldaten in Schulen organisiert (unter anderem in den besetzten Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja). Museen und andere Kultureinrichtungen haben Veranstaltungen organisiert, die Narrative zur Rechtfertigung des russischen militärischen Vorgehens verbreiten und die Ukraine (und mitunter auch die NATO) beschuldigen, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Hierzu gehört das multimediale Ausstellungsprojekt „Alltäglicher Nazismus“, das die Geschichte „der Entwicklung des ukrainischen Nazismus vom Moment seiner Geburt bis in die heutige Zeit“ darstellen soll. Es war in Moskau, Nowosibirsk, Selechard, Kirow, Woronesch und Kursk zu sehen. Das „Museum des Sieges“ in Moskau zeigte die Ausstellung „Dem Vermächtnis treu“, die „modernen russischen Helden“ gewidmet ist, „die an der militärischen Spezialoperation teilnehmen“.

Museen als Instrument für Propaganda und „patriotische Erziehung“

Wenn es um das Thema Zweiter Weltkrieg geht, stellen Museen die Ereignisse nicht aus einer humanistischen Sicht dar oder sprechen von einer internationalen Tragödie. Stattdessen vermitteln sie das sowjetische Narrativ von „Kriegern und Befreiern“, „Helden und Heldentum“ und „Verteidigung des Vaterlandes“. Diese Narrative werden von der Propaganda eingesetzt, um das heutige militärische Vorgehen zu rechtfertigen. Auf diese Weise wird Geschichte, die nicht richtig aufgearbeitet wurde, zu einem Instrument der Manipulation durch den Staat. Auch jüngere militärische Konflikte werden nicht aus der Sicht eines historischen Traumas und historischer Verantwortung dargestellt, sondern zur „patriotischen Erziehung“ eingesetzt. So wurde zum Beispiel 2019 in Kaluga ein Museum über lokale Kriege und bewaffnete Konflikte eröffnet.

Einrichtung neuer Museen

Medienberichten zufolge wird der Staat viele Museen über die „militärische Spezialoperation“ einrichten. Darüber hinaus wurden Beamte des Kulturministeriums, des Bildungsministeriums, des Forschungsministeriums und des Verteidigungsministeriums in Verbindung mit regionalen Behörden und unter Beteiligung von Sergej Naryschkin, dem Direktor des Auslandsgeheimdienstes (Sluschba Wneschnjej Raswjedki, SWR) und der Russischen Historischen Gesellschaft, beauftragt, in den Regionen „die Einrichtung von Museen zu gewährleisten“. Präsident Putin hat zudem das Kulturministerium und das Verteidigungsministerium wie auch Gruppen, die auf Schlachtfeldern archäologisch tätig sind, angewiesen, Museen mit passenden Artefakten zu versorgen, die mit der „Spezialoperation“ zusammenhängen. „Gemäß dem Präsidialerlass hat das Kulturministerium ein System entworfen, um die gesammelten Objekte an Museen in verschiedenen Regionen zu übergeben“, sagte ein Pressesprecher des Kulturministeriums. Auf Betreiben des Kulturministeriums ist auch ein Verband der Geschichts- und Militärmuseen des Landes gegründet worden. Eine seiner Kernaufgaben wird es sein, „methodologische Unterstützung für regionale und kommunale Museen zu gewähren, wenn Ausstellungen über die Militärische Spezialoperation zusammengestellt werden“.

Museumsdirektor:innen verfolgen eine kremltreue Agenda

Eines der markantesten Beispiele linientreuer Direktor:innen sind die Kommentare, die Michail Piotrowskij abgab, der langjährige Leiter des Petersburger Eremitage-Museums. Er hat Ausstellungen im Ausland mit militärischen Angriffen verglichen: „Unsere letzten Ausstellungen im Ausland sind schlicht eine sehr mächtige kulturelle Offensive. Man könnte sagen: Eine eigene Art ‚Spezialoperation‘. Die vielen Leuten nicht gefällt. Aber wir gehen zum Angriff über. […] Was die Haltung zum militärischen Vorgehen [in der Ukraine] angeht, ist das nicht so einfach. Krieg bedeutet einerseits Blut und Töten, andererseits ist es eine Selbstbehauptung der Menschen, eine Selbstbehauptung der Nation“.

Versuche, das aktuelle Geschehen zu ignorieren

Diese Haltung könnte bei einigen Museen eine bewusste Strategie sein. Eine Weigerung, die vom Staat vorgegebene Agenda zu akzeptieren, sowie Sabotage könnte ein Akt des Widerstands sein. Aber eine solche Strategie könnte auch auf die Überzeugung zurückgehen, dass Museen das aktuelle Geschehen ignorieren sollten, weil sie per definitionem nicht Distanz wahren oder sich nicht am Prozess des Interpretierens und Verstehens beteiligen können. Der Wunsch, „jenseits der Politik“ zu stehen, könnte ein Versuch sein, sich vom aktuellen Geschehen abzuschirmen.

Dokumentierung der Gegenwart

Nicht alle Mitarbeiter:innen sind der Ansicht, dass Museen sich der Gegenwart zuwenden sollten. Als Antwort auf unsere Frage „Was macht Museen relevant?“ antworteten 26 von 67 Befragten mit „Sich mit zeitgenössischen Fragen befassen.“ (die Antwort „Auf die Bedürfnisse der Besucher:innen eingehen“ wählten 47 Befragte und „Sich treu bleiben und aktuelle Angelegenheiten ignorieren“ 16 Befragte). Die „Musealisierung“ der jüngsten Vergangenheit ist tatsächlich ein Instrument, das uns beim Aufbau einer gemeinsamen Zukunft hilft. Die Rolle, politisch brisante Themen zu dokumentieren und Spuren der Gegenwart zu bewahren, könnte von Nichtregierungsorganisationen und anderen unabhängigen Akteuren übernommen werden. Das Online-Projekt „Sandarmoch“, das von der bekannten Menschenrechts- und Geschichts-NGO „Memorial“ geschaffen wurde, zeigt zum Beispiel Orte der Erinnerung an Todesopfer der sowjetischen Repressionen (das ist ein Thema, das die gegenwärtige Regierung lieber ignoriert). Wir wissen auch, dass es Fälle gibt, in denen russische Gruppierungen ukrainischen Flüchtenden helfen, die sich zwangsweise in Russland befinden. Sie sammeln mit deren Erlaubnis Geschichten und Artefakte, damit sie eines Tages in einem Museum ausgestellt werden können.

Warum es wichtig ist, die Brücken nicht abzubrechen

Bei der internationalen Zusammenarbeit zwischen Museen sind viele Verbindungen gekappt worden. Das geschah auf institutioneller wie auch auf persönlicher Ebene. Einerseits ist in Russland der Erlass über „destruktive Ideologie“ verabschiedet worden und es werden regelmäßig Menschen und Organisationen zu „ausländischen Agenten“ erklärt. Russische Vertreter:innen des Staates verlangen von den Museen in Russland und deren Personal, dass sie sich politisch positionieren, den Krieg unterstützen und „patriotische Erziehung“ sowie „traditionelle Werte“ fördern.

Andererseits haben die meisten ausländischen Partner:innen die Zusammenarbeit mit russischen Museen beendet, weil sie staatliche Institutionen sind. Der Vorstand von ICOM Deutschland hat am 8. Februar 2023 einstimmig beschlossen, ICOM Russland zu „bannen“. Das deutsche Nationalkomitee forderte zudem, dass Vertreter:innen des russischen Nationalkomitees von allen internationalen Gremien suspendiert werden. Außerdem sollen russische Delegationen oder russische Mitglieder nicht an Veranstaltungen teilnehmen dürfen [was später korrigiert wurde, [2] Anm. d. Red.] und ICOM Russland aus dem Weltverband ausgeschlossen werden. Diese Entscheidung begründete der Vorstand damit, dass „nicht weiter hingenommen werden [kann], dass im Museumsbereich so getan wird, als wäre kein Krieg, als könnte ICOM Russland agieren, als wäre nichts geschehen.“ In der Erklärung heißt es weiter: „Auch Museen sind letztlich politische Akteur:innen und müssen sich positionieren.“Dadurch stehen russische Museen und ihre Mitarbeiter:innen unter doppeltem Druck: Einerseits durch den russischen Staat, der versucht, sie für seine Propaganda einzuspannen; andererseits durch die internationale Museumsgemeinschaft, die eine Isolierung anstrebt. Wie dem auch sei: Internationale Isolierung wird den Prozess beschleunigen, dass russische Museen zu Instrumenten der Kreml-Propaganda werden.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder


Verweise

[1] https://icom.museum/en/news/ukraine-icom-recalls-the-role-of-culture-and-museums-in-building-lasting-peace/

[2] https://icom-deutschland.de/de/nachrichten/615-icom-deutschland-fordert-strikte-einhaltung-des-code-of-ethics-samt-konsequenzen-bei-verstoessen-und-zieht-bann-zurueck.html

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