Transnationale Repression durch Russland

Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarats: Transnationale Repression als wachsende Bedrohung für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte

Die Anzahl und Schwere der in Europa begangenen Akte transnationaler Repression, auch auf dem Staatsgebiet einiger Mitgliedstaaten, geben Anlass zur Sorge. Das gravierendste Beispiel ist die russische staatlich gelenkte Verfolgung von Dissident:innen im Ausland, das auch gezielte Tötungen umfasst. Ein weiteres besorgniserregendes Beispiel ist Belarus. Auch einige Mitgliedstaaten haben Techniken transnationaler Repression angewendet, etwa Entführungen oder außerrechtliche Überstellungen sowie den Missbrauch von Auslieferungsverfahren und Interpol-Fahndungen (sogenannte Red Notices).

Diese Praktiken verstoßen nicht nur gegen zahlreiche individuelle Menschenrechte, sondern stellen auch eine Bedrohung für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie dar und untergraben die Werte des Europarats. Die Europäische Menschenrechtskonvention bietet einen soliden rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen Akte transnationaler Repression verurteilt, untersucht und bestraft werden sollten. Die Parlamentarische Versammlung sollte Staaten, denen vorgeworfen wird, an transnationaler Repression beteiligt zu sein, dazu auffordern, sicherzustellen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und die Opfer entschädigt werden.

Die Parlamentarische Versammlung sollte allen Staaten eine Reihe von Empfehlungen aussprechen, um transnationale Repression besser zu verhindern und zu bekämpfen – etwa durch die Einführung einer offiziellen Definition transnationaler Repression für alle Regierungsstellen, durch die Verhängung gezielter Sanktionen oder durch die Ausweisung von Diplomat:innen.

Quelle: Transnational repression as a growing threat to the rule of law and human rights. Parliamentary Assembly of the Council of Europe, 05.06.2023, https://pace.coe.int/en/files/32999.

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Transnationale Repression in der Fachliteratur

Begriffskonnotation 1

Transnationale Repression als »Versuche von Regimen, Aktivismus in der Diaspora zu bestrafen, davor abzuschrecken, zu untergraben und zum Schweigen zu bringen«.

Quelle: Dukalskis, Alexander, Saipira Furstenberg, Sebastian Hellmeier und Redmond Scales 2023

Begriffskonnotation 2

Staatliche Repression kann jedoch auch transnationalen Charakter annehmen, wobei (meist) autokratische Staaten durch ihre Außenpolitik darauf abzielen, ihre im Ausland lebende Bevölkerung zu kontrollieren. Formen staatlicher Repression sind in solchen Fällen durch grenzüberschreitende Interaktionen zwischen dem Heimatstaat und verschiedenen transnationalen Akteuren und Organisationen gekennzeichnet, die sich gegen eine Bevölkerung richten, die als Bedrohung angesehen werden oder das Überleben des bestehenden Regimes gefährden. In diesem Sinne stellt TR eine Erweiterung der repressiven Strategien des Heimatstaates dar.

Quelle: Dukalskis, Alexander, Saipira Furstenberg Sebastian Hellmeier und Redmond Scales 2023

Begriffskonnotation 3

Die Literatur über transnationale Repression erfasst empirisch und theoretisch die räumliche Politik des zeitgenössischen Autoritarismus und der politischen Gewalt über Grenzen hinweg.

Quelle: Dukalskis, Alexander, Saipira Furstenberg Sebastian Hellmeier und Redmond Scales 2023

Begriffskonnotation 4

Transnationale Repression unterstreicht den relationalen und kontingenten Charakter staatlicher Macht, der in die internationalen Systeme und Strukturen eingebettet ist. Die Welle dieser neuen Forschung zeigt detailliert, wie autoritäre Staaten versuchen, ihre dissidentische Bevölkerung im Ausland zu kontrollieren und zum Schweigen zu bringen, unter anderem durch Drohungen, Überwachungs- und Geheimdienstoperationen, physische Angriffe, Entführungen, politisch motivierte Auslieferungsersuchen oder Red Notices bei Interpol und sogar Morde.

Quelle: Dukalskis, Alexander et al. 2022

Begriffskonnotation 5

Die Verbindungen zwischen dem digitalen und nicht-digitalen Bereich wird deutlich: Die Unterdrückung von Familienmitgliedern von Exilanten im Inland, manchmal auch »Proxy-Bestrafung« genannt, wird den Exilanten oft über digitale Kanäle mitgeteilt, um sie zum Schweigen zu bringen. Die »traditionelle« Methode, Druck auf die Familie auszuüben, um die Exilanten zum Schweigen zu bringen, hat mit der Einfachheit der digitalen Kommunikation neue Dimensionen gewonnen. Der transnationale digitale Bereich ist schwer zu regulieren, doch einige Forschende haben Richtlinien und Praktiken von Gaststaaten identifiziert, die digitale transnationale Repression eindämmen könnten.

Quelle: Anstis, Siena und Sophie Barnett 2022

Begriffskonnotation 6

Da den Beziehungen der Diaspora zu ihren autoritären Heimatländern wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, haben Forschende es bisher versäumt zu verstehen, wie diese Gruppen auch nach ihrer Auswanderung der abschreckenden Wirkung der Repression ausgesetzt bleiben. Die transnationale Repression durch die Herkunftsstaaten führt dazu, dass diese Bevölkerungsgruppen dem Autoritarismus nicht vollständig »entfliehen« können und diejenigen, die im Inland Protestmöglichkeiten haben, in der Ausübung ihrer Rechte, Freiheiten und ihrer »Mitsprache« eingeschränkt bleiben.

Quelle: Moss 2016

Begriffskonnotation 7

Aktuelle Forschungsergebnisse zur transnationalen Repression zeigen, wie autoritäre Staaten oppositionelle Stimmen aus der Diaspora beeinflussen wollen und sich dabei extraterritorialer Praktiken wie Überwachung, Beobachtung, Bedrohung, Bestrafung und Aussetzung von Rechten und Freiheiten bedienen.

Quelle: Abramson 2023

Begriffskonnotation 8

Praxis der extraterritorialen Verfolgung von Dissidenten und Oppositionsgruppen.

Quelle: Jardine, Bradley, Edward Lemon und Natalie Hall 2021

Begriffskonnotation 9

Transnationale Repression erfolgt, wenn Regierungen ihre Gegner in Territorien und Räumen außerhalb ihres Heimatlandes ins Visier nehmen.

Quelle: Jardine, Bradley, Edward Lemon und Natalie Hall 2021

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Semantische Unterschiede

Bezug von Begriffskonnotation 1, 2, 3, 4, 9: Unterbindung von Aktivismus

Bezug von Begriffskonnotation 2, 6, 7: Machterhalt

Bezug von Begriffskonnotation 4: Repressiver Staat eingebunden in internationales System, welches er missbrauchen kann

Bezug von Begriffskonnotation 5: Digitale transnationale Repression

Lesetipps / Bibliographie

 

  • Abramson, Y. 2023, Securitizing the nation beyond the state: diasporas as threats, victims, and assets. European Journal of International Relations, 30(1), 78–103
  • Anstis, Siena und Sophie Barnett 2022: Digital Transnational Repression and Host States’ Obligation to Protect Against Human Rights Abuses, Journal of Human Rights Practice, 14(2), 698–725
  • Dukalskis, Alexander, Saipira Furstenberg, Sebastian Hellmeier und Redmond Scales 2023: The Long Arm and the Iron Fist: Authoritarian Crackdowns and Transnational Repression. Journal of Conflict Resolution, 68(6), 1051–1079
  • Dukalskis, Alexander, Saipira Furstenberg, Yana Gorokhovskaia, John Heathershaw, Edward Lemon, und Nate Schenkkan 2022. Transnational Repression: Data Advances, Comparisons, and Challenges, Political Research Exchange 4(1)
  • Jardine, Bradley, Edward Lemon und Natalie Hall 2021: No Space Left to Run: China’s Transnational Repression of Uyghurs, Uyghur Human Rights Project (UHRP)
  • Moss, Dana M., Marcus Michaelsen und Gillian Kennedy 2022: Going after the family: Transnational repression and the proxy punishment of Middle Eastern diasporas, Global Networks, 22(4), 735–751
  • Moss, Dana M. 2016, Transnational Repression, Diaspora Mobilization, and the Case of The Arab Spring, Social Problems, 63(4), 480–498

Zum Weiterlesen

Analyse

Grenzüberschreitende Repressionen gegen tadschikische Exilanten im Zeitalter des globalen Autoritarismus. Ergebnisse aus der Central Asia Political Exile Database (CAPE)

Von Saipira Furstenberg, John Heathershaw, Edward Lemon
Nach dem Verbot der Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIWT), der führenden Oppositionspartei Tadschikistans, im Jahr 2015 sowie der verbreiteten Unterdrückung kritischer Stimmen sind Hunderte Bürger aus dem Land geflohen und haben in der Europäischen Union um Asyl nachgesucht. Die Regierung in Duschanbe arbeitet mit ihren Verbündeten, beispielsweise Russland oder der Türkei, zusammen, wenn es darum geht, Aktivisten festzunehmen und diese nach Tadschikistan zurückzuholen. Beim Zugriff auf tadschikische Exilanten in der EU verfügt die tadschikische Regierung allerdings über weniger Optionen. Angesichts dieser Einschränkungen versucht das Regime in Tadschikistan in zunehmendem Maße, Dissidenten im Ausland zum Schweigen zu bringen, indem sie ihre Familienangehörigen ins Visier nimmt und bedroht. Sie werden öffentlich gedemütigt, festgenommen, ihre Pässe werden eingezogen und ihr Besitz beschlagnahmt. (…)
Zum Artikel

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