Die Ukraine wählt: die politische Landkarte im Vorfeld der Parlamentswahlen

Von Iryna Solonenko (Berlin)

Zusammenfassung
Am 26. Oktober finden in der Ukraine vorgezogene Parlamentswahlen statt. Nach den Euromaidan-Protesten wurde im Februar die neue Regierung ernannt, im Mai wurde der neue Präsident gewählt. Die Wahl des neuen Parlaments vollendet den Prozess der Erneuerung der politischen Institutionen nach dem Euromaidan. Ob diese Erneuerung auch eine Erneuerung des Systems der Regierungsführung mit sich bringen wird, ist jedoch noch nicht klar.

Einleitung

Die Ukraine erlebt momentan die größten Turbulenzen ihrer jüngeren Vergangenheit. Einerseits haben sich nach dem Euromaidan und der Ratifizierung des Assoziationsabkommens Chancen für Reformen aufgetan. Andererseits sind die von Putins Russland ausgehende externe Aggression und die Kampfhandlungen im Osten der Ukraine ein Hebel, um den Reformprozess ernstlich zu stören. Ob das am 26. Oktober neugewählte Parlament in der Lage sein wird, die Reformchancen zu nutzen, ist bislang alles andere als klar. Die Wahlen sind eine gute Gelegenheit, den legislativen Apparat zu erneuern, der sich im Zuge des Euromaidan weitgehend disqualifiziert hat. Sie ebnen neuen Persönlichkeiten den Weg ins Parlament. Gleichzeitig sichern die alten Spielregeln und die starke oligarchische Rückendeckung der größeren politischen Projekte das Comeback vieler alter Politiker, unter ihnen auch enge Verbündete Janukowitschs. Wer sind die politischen Kräfte und Persönlichkeiten, die um den Einzug ins Parlament kämpfen? Was sind ihre Agenden? Was sind die Besonderheiten dieser Wahlkampagne?

Grundlegende Fakten

Am 30. September endete die Registrierung der Kandidaten für die Parlamentswahlen am 26. Oktober. Das Zentrale Wahlkomitee registrierte 52 politische Parteien mit 3119 Kandidaten auf den Parteilisten und 3486 Kandidaten in den Einzelmandatswahlbezirken.

In allen zehn Einzelmandatswahlbezirken auf der Krim, in etwa der Hälfte der Einzelmandatswahlbezirke in den Regionen Donezk (insgesamt 21) und Luhansk (insgesamt 11), die von prorussischen Separatisten kontrolliert werden, werden keine Wahlen stattfinden. Das bedeutet, dass etwa 25 Sitze in der Werchowna Rada vorerst unbesetzt bleiben und besetzt werden, sobald es in den entsprechenden Bezirken möglich ist, Wahlen abzuhalten.

Das gemischte Wahlsystem ist noch in Kraft, so dass die Hälfte der Parlamentssitze von Kandidaten der Parteilisten besetzt wird und die andere Hälfte durch Kandidaten, die in den Einzelmandatswahlbezirken gewonnen haben.

Die großen politischen Akteure

Die politische Szenerie ist im Vorfeld der Parlamentswahlen sehr von der Pro-/Nicht-Maidan-Trennlinie geprägt. Ein weiterer Konflikt herrscht zwischen den friedensbefürwortenden Parteien – einige treten für einen Frieden »um jeden Preis« ein, das meint die Aufgabe eines Teils des ukrainischen Territoriums und Zugeständnisse an die Separatisten, andere vertreten die Auffassung, dass Krieg eine militärische Reaktion erfordert.

Das Pro-Maidan-Spektrum

Das Pro-Maidan-Spektrum repräsentiert jenes Spektrum politischer Kräfte, die in Opposition zu Janukowitsch standen und jetzt an die Macht gekommen sind. Es sind die politischen Parteien, die sich um Persönlichkeiten wie Präsident Petro Poroschenko versammeln oder um Kiews Bürgermeister Witali Klitschko, Ministerpräsident Jazenjuk, Julia Timoschenko, die frühere Ministerpräsidentin und ehemals inhaftierte Anführerin der Opposition gegen Janukowitsch, um Anatoli Hryzenko, der zur Zeit von Juschtschenkos Präsidentschaft Verteidigungsminister war, den Innenminister des Timoschenko-Kabinetts Juri Luzenko, der ebenfalls der selektiven Justiz unter Janukowitsch zum Opfer fiel, und um den Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowyj, um einige der Bekanntesten zu nennen.

Zur neuen Partei Block Petro Poroschenko, die früher Solidarität hieß, gehören Vertreter von Witali Klitschkos UDAR und Jurij Luzenkos Dritte Ukrainische Republik. Mit über 18 Prozent Unterstützung (s. Grafik 1 und Tabelle 1 auf S. 6) ist sie momentan die beliebteste Partei. In ihrer Wahlkampagne betont sie die Einheit des Landes und die Bedeutung verschiedener politischer Kräfte. Bekannte Persönlichkeiten auf ihrer Liste sind etwa Olha Bohomolez, eine bekannte Ärztin, die auf dem Maidan aktiv war, Wolodymyr Groisman, stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Regionalentwicklung, und Mustafa Dschemilew, der Anführer der Krimtataren. Auch etliche zivilgesellschaftliche Aktivisten und Journalisten stehen auf der Liste, zum Beispiel Mustafa Najem, Serhij Leschtschenko und Switlana Salischtschuk.

Julia Timoschenkos Partei Vaterland rangiert in den Umfragen auf Platz drei (nach der Radikalen Partei). Sie hat eine Krise erlebt, vor allem wegen Timoschenkos verlorengegangener Popularität, versucht jetzt aber, diese Popularität durch neue Gesichter in der Liste wieder aufzubauen, unter ihnen die bekannte ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko, die in Moskau inhaftiert ist und auf ihren Prozess wartet. Außerdem hat die Partei einen Wettbewerb unter jungen im Ausland studierenden Ukrainern ausgeschrieben, von denen zwei für die obersten Listenplätze ausgewählt wurden.

Nachdem Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und der Vorsitzende der Werchowna Rada, Oleksandr Turtschinow, Julia Timoschenkos Partei verlassen und über eine gemeinsame Parteiliste mit Poroschenko verhandelt hatten, gaben sie die Gründung der Volksfront bekannt, eines eigenen politischen Projekts, das angesichts von Arsenij Jazenjuks persönlicher Beliebtheit gute Chancen hat, die Sperrklausel zu überwinden und ins Parlament einzuziehen. Diese Partei verwendet militärische Symbolik in ihrer Kampagne und präsentiert etliche Vertreter von Freiwilligenbataillonen sowie so bekannte Journalisten wie Tetjana Tschernowol und Viktoria Siumar, die nach dem Euromaidan beide schon einige Erfahrung in öffentlichen Ämtern gesammelt haben.

Die Pro-Maidan-Gruppe umfasst zwei weitere Parteien. Die Partei Bürgerliche Position des ehemaligen Verteidigungsministers Anatolij Hryzenko tritt gemeinsam mit einer jungen Partei auf, der Demokratischen Allianz. Die Partei Selbsthilfe, eine weitere junge Partei des Lwiwer Bürgermeisters Andrij Sadowyi, versammelt auf den ersten zehn Listenplätzen Experten der zivilgesellschaftlichen Initiative Reanimation Package of Reforms sowie etliche Fachleute, Journalisten und Vertreter des Freiwilligenbatallions Donbass. Sowohl Selbsthilfe als auch Demokratische Allianz schafften es bei den Wahlen im Mai bis ins Kiewer Rathaus.

Schließlich kann auch die oben bereits erwähnte rechtsradikale Partei Freiheit zu diesem Spektrum gezählt werden. Nur 2,2 Prozent der Wahlberechtigten unterstützen diese Partei, was in starkem Kontrast zu den zehn Prozent der Stimmen steht, die sie bei den Parlamentswahlen 2012 erzielt hat. Damals sprachen ihre nationalistischen Ideen Wähler an, die mit Janukowitschs Politik, Putin in die Hände zu spielen, nicht einverstanden waren. Heute, da Patriotismus de facto Staatsideologie ist, hat die Partei wenig anzubieten. Interessanterweise betont sie in ihrer Wahlkampagne, dass jeder ihrer Fraktionsabgeordneten, anders als bei anderen Parteien in der Werchowna Rada, für das im September verabschiedete Lustrationsgesetz gestimmt hat.

Wichtig ist auch, dass sich die Parteien des Pro-Maidan-Spektrums in einigen Fällen auf gemeinsame Kandidaten in Einzelmandatswahlbezirken geeinigt haben, obwohl sie mit eigenen Parteilisten antreten (am häufigsten gilt das für Petro Poroschenkos Block und die Partei Freiheit). Arsenij Jazenjuk gab außerdem bekannt, dass er in dem zukünftigen Parlament bereit wäre, eine Koalition mit dem Block Petro Poroschenko einzugehen. Dass Poroschenko und Jazenjuk sich uneinig darüber sind, ob im Umgang mit dem Konflikt in der Ostukraine ein Kompromiss mit den prorussischen Aufständischen oder eine militärische Lösung zu bevorzugen ist, könnte jedoch die Bildung einer Mehrheitskoalition im neuen Parlament, die die Pro-Maidan-Kräfte in der Politik zusammenbringen könnte, verkomplizieren.

Frühere Verbündete der Partei der Regionen: Das Nicht-Maidan-Spektrum

Die Partei der Regionen wird bei den Wahlen angesichts ihrer geringen Unterstützungsbasis nicht antreten. Stattdessen haben ihre Vertreter beschlossen, in Einzelmandatswahlbezirken anzutreten, dort könnten sie höhere Gewinnchancen haben. Zudem treten viele von ihnen nicht in Verbindung mit der Partei der Regionen, sondern als unabhängige Kandidaten an. So wird das Nicht-Maidan-Spektrum durch drei große politische Parteien vertreten.

In den Meinungsumfragen ist die Partei Starke Ukraine führend, deren Vorsitzender der bekannte Politiker und Oligarch Serhij Tihipko ist. Diese Partei wurde nach ihrer Vereinigung mit der Partei der Regionen nach den Wahlen von 2012 noch einmal wiederbelebt. Schon während des Euromaidan versuchte Tihipko, ein unabhängiges Spiel zu spielen, und trennte sich nach Janukowitschs Flucht sehr schnell von der Partei der Regionen. Der zweite auf der Liste ist ein weiterer bekannter Politiker und Oligarch, Walerij Choroschkowski. Er verließ die Ukraine im Dezember 2012, nachdem er erfolglos versucht hatte, politische Kräfte, die in Opposition zu Janukowitsch standen, über seinen Fernsehkanal Inter zu fördern. Erst vor kurzem kehrte er in die Ukraine zurück. Dass er in den letzten fünf Jahren im Ausland gelebt hat, verstößt gegen das Wahlgesetz und führte zu einer Kontroverse um seine Kandidatur; er gewann jedoch den diesbezüglichen Gerichtsprozess, der den Weg zu seiner Kandidatur freigemacht hat.

Eine weitere Partei dieses Spektrums, die Kommunistische Partei, wird vermutlich an der Sperrklausel scheitern, vor allem weil viele Wähler in den Regionen, in denen sie traditionell stark ist (auf der Krim und im Donbass), nicht an der Wahl teilnehmen.

Schließlich ist im September noch eine weitere neue Partei registriert worden – der Oppositionelle Block. Auf ihrer Liste stehen Namen der Partei der Entwicklung der Ukraine, die von Jurij Miroschnitschenko angeführt wird, dem ehemaligen Vertreter Janukowitschs in der Werchowna Rada, und die als Liowotschkins Partei bekannt ist. Sie wird gemeinsam mit sechs kleineren und relativ unbekannten Parteien antreten, die sich im Umfeld von Janukowitschs ehemaligen Unterstützern gebildet haben. Hauptsächlich aus Vertretern der Partei der Regionen bestehend, vermeidet es dieses politische Projekt, mit der Partei der Regionen assoziiert zu werden, obwohl es die »Nicht-Maidan«-Wählerschaft vertreten will. Ähnlich wie bei der Kommunistischen Partei finden sich ihre potentiellen Wähler auf der Krim und im Donbass. Da etwa drei Millionen Menschen in den von den Separatisten kontrollierten Regionen nicht werden wählen können und weil es immer noch Probleme mit der Organisierung der Wahl für die Flüchtlinge aus diesen Regionen gibt, kann es gut sein, dass diese Partei nicht erfolgreich sein wird.

Etwas abseits von Pro- und Nicht-Maidan-Parteien steht Oleh Ljaschkos umstrittene Radikale Partei, die in den Meinungsumfragen bei 4,8 Prozent liegt. Beim Rennen um die Präsidentschaft im Mai war Ljaschko eine große Überraschung, als er mit acht Prozent der Stimmen Dritter wurde. Seine hohe Präsenz in einigen Fernsehkanälen (zum Beispiel bei Inter) deutet darauf hin, dass dieses politische Projekt von Serhij Ljowotschkin, dem ehemaligen Vorsitzenden von Janukowitschs Präsidialadministration, gegründet und gefördert wurde. Obwohl Ljaschko behauptet, die soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen, sind fünf Personen auf seiner Liste Ziel von Antikorruptionsermittlungen der Medien geworden, unter ihnen er selbst. Zudem entdeckten Journalisten ein luxuriöses Haus in der Nähe von Kiew, das Ljaschko gehört, sowie Beweise dafür, dass er teure Autos fährt und einen Privatjet fliegt.

Allgemeine Trends

Die derzeitige politische Kampagne ist von folgenden Trends gekennzeichnet: Erstens sind unter den Parteien, die zur Wahl antreten und Chancen haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, etliche neue, die erst in den vergangenen Wochen registriert wurden. Die Imageveränderung politischer Kräfte fand aus verschiedenen Gründen statt. Einerseits besteht die Notwendigkeit, Politiker verschiedener politischer Parteien auf einer gemeinsamen Liste unterzubringen, da die Bildung von Parteienblöcken offiziell verboten ist und etliche Parteien und Politiker unter diesen Bedingungen riskieren, aus dem Geschäft ausgeschlossen zu bleiben. Andererseits haben sich einige Parteien aufgelöst (zum Beispiel die Partei der Regionen) und einige Politiker haben entschieden, ihre persönliche Beliebtheit zu nutzen (zum Beispiel Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk).

Zweitens wurde die Wahlkampagne hauptsächlich über Persönlichkeiten und Slogans geführt, unter Abwesenheit jeglicher programmatischer Debatten. Es ist, anders ausgedrückt, nicht klar, wofür verschiedene Parteien stehen und welche Agenda oder spezifische Reformen sie voranbringen würden. Das ist in der ukrainischen Politik kein neues Phänomen, diesmal scheint es aber geradezu offen ausgesprochen zu werden. Verschiedene politische Projekte bieten sich den Wählern entweder durch den Gebrauch militärischer Rhetorik an oder, im Gegenteil, durch die Betonung von »Einheit«, »Stabilität« oder »Frieden«. Die Dichotomie der Parteien, die man als eine zwischen Pro-Friedens-Parteien und Parteien, die militärische Lösungen favorisieren, bezeichnen kann, kommt in der Wahlkampagne sehr lebhaft zum Tragen. Zu ersterem Lager gehören Parteien aus dem Pro- und auch aus dem Nicht-Maidan-Spektrum. Petro Poroschenkos Block, Starke Ukraine, der Oppositionelle Block und die Kommunistische Partei gehören eindeutig zu ersterem Lager. Alle anderen der erwähnten Parteien verwenden auf die eine oder andere Weise militärische Symbole und Slogans und haben Vertreter von Freiwilligenbataillonen auf ihren Listen.

Drittens treten etwa 20 prominente zivilgesellschaftliche Führungsfiguren und Journalisten bei der Wahl an, unter ihnen etwa die Investigativjournalisten Serhij Leschtschenko und Mustafa Najem. Sie sind auf etlichen Listen vertreten. Am 15. September hielten sie eine gemeinsame Pressekonferenz ab, auf der sie bekanntgaben, mit den »alten« politischen Kräften anzutreten, da dies zu den momentanen Regeln, die kleinere und relativ unbekannte politische Parteien diskriminieren, der einzige Weg für sie sei, um in die Werchowna Rada zu gelangen. Sie betonten, ihre eigene Agenda zu haben, zu der eine Änderung der Wahlgesetzgebung, Korruptionsbekämpfung und das Vorantreiben anderer Reformen gehören, für die sie sich als Teil der Zivilgesellschaft eingesetzt haben. In diesem Sinne würden sie in der Werchowna Rada eine fraktionsübergreifende Gruppe bilden. Dies ist ein neues Phänomen in der ukrainischen Politik, das zumindest auf eine höhere Debattenqualität in der neuen Werchowna Rada hoffen lässt. Die einzige Ausnahme bildet die kleine politische Partei Stärke des Volkes (Syla Ljudei), die sich anders als ähnliche aus der Zivilgesellschaft erwachsene Parteien, wie die Demokratische Allianz oder der Wille, entschieden haben, einzeln und mit einer eigenen Parteiliste anzutreten. Es ist offenkundig, dass sie nicht sehr erfolgreich sein werden, einige ihrer Vertreter könnten jedoch in Einzelmandatswahlbezirken gewinnen.

Schließlich spielt die Zivilgesellschaft eine immer wichtigere Rolle für die Aufmerksamkeit, die den Kandidaten zukommt, und für die Förderung gewisser Verhaltensstandards zwischen ihnen. Die zivilgesellschaftliche Initiative Chesno machte zum Beispiel 132 Kandidaten aus (39 davon auf Parteilisten), die am 16. Januar, mitten in den Euromaidan-Protesten, für die sogenannten Diktaturgesetze stimmten. Diese Gesetze deklarierten den bloßen Akt des Protestierens als illegal, brandmarkten die Zivilgesellschaft als »ausländische Agenten« und führten so zu einer signifikanten Radikalisierung der Proteste und zur Eskalation der Gewalt (s. Ukraine-Analysen Nr. 126 vom 28.01.2014, S. 6). Zudem fordert Chesno, dass politische Kandidaten und Parteien ihre Vermögen und die Herkunft ihrer Gelder offenlegen. Auch wenn diese Initiative wohl nicht all ihre politischen Projekte und Kandidaten durchsetzen wird, setzt sie gewisse Standards und bringt die Qualität der politischen Kultur in der Ukraine voran. Weitere zivilgesellschaftliche Initiativen, die Wahlen und Kandidaten genau beobachten und bei den Wählern Aufmerksamkeit erregen, sind unter anderem das Bürgernetzwerk OPORA und das Komitee der Wähler der Ukraine (s. Vorwahlberichte auf S. 16–19).

Ausblick

Die Maidan-Proteste zerstörten Janukowitschs Monopol und brachten die Anti-Janukowitsch-Kräfte an die Macht. Man kann erwarten, dass diese politischen Kräfte, die ihre Wahlkampfstrategien koordinieren und die Bildung möglicher Koalitionen nach der Wahl diskutieren, eine starke und effektive Mehrheit in der Werchowna Rada bekommen. Janukowitschs Partei der Regionen und die neuen politischen Projekte, die ehemalige Mitglieder und Sponsoren dieser Partei betreiben, sind dagegen ziemlich ungefestigt und werden Probleme haben, ihre potentielle Wählerschaft zu erreichen und sicherzustellen, dass diese zur Abstimmung in der Lage sein werden. Sie werden daher wohl nicht viele Sitze im Parlament erobern. Es könnte jedoch auch ein anderes Szenario eintreten. Die Pro-Maidan Parteien sind hinsichtlich der Frage, wie auf den Krieg zu reagieren ist, gespalten. Daher könnte Petro Poroschenkos Block eine Koalition mit Serhij Tihipko und anderen Politikern bilden, die friedliche Lösungen favorisieren. In dieser Situation würden sich wohl alle anderen Pro-Maidan-Parteien in der Opposition wiederfinden. Es gibt die Befürchtung, dass diesem Szenario die Reformen zum Opfer fallen könnten.

Gleichzeitig haben die Proteste auch eine große Anzahl junger Gesichter mit Wurzeln in der Zivilgesellschaft und mit politischen Ambitionen nach oben gebracht. Einige von ihnen werden erfolgreich sein. Dennoch werden sich die Hoffnungen auf eine Erneuerung der politischen Eliten durch diese Wahlen wohl eher nicht realisieren, das lassen die alten Spielregeln vermuten (gemischtes statt Proporzsystem; geschlossene statt offene Parteilisten; intransparente Finanzierungssysteme politischer Parteien und der Medien sowie andere Probleme).

Auch die Fähigkeit des neuen Parlaments, Reformen voranzubringen, steht in Frage. Viel wird davon abhängen, ob die »neuen Gesichter« in der Lage sein werden, als kohärente Gruppe zusammenzuarbeiten und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und externen Akteuren (zum Beispiel der Europäischen Union) eine starke Reformbewegung auf die Beine zu stellen. In jedem Fall wird die Arbeit des neuen Parlaments geprägt sein von dem Kampf zwischen reformorientierten Akteuren und Akteuren, die sich Reformen in den Weg stellen.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

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