In Feindes Hand. Das Verfahren gegen Nadija Sawtschenko

Von Caroline von Gall (Köln)

Zusammenfassung
»Über Schuld oder Unschuld entscheidet das Gericht.« Mit diesen Worten machte der russische Präsidentensprecher Dmitry Peskov am 13. Februar 2015 alle Hoffnungen zunichte, im Fall der in Russland angeklagten ukrainischen Pilotin Nadija Sawtschenko könne eine politische Einigung mit dem Europarat erzielt werden. Dieser hatte sich zuletzt stark für die Befreiung der sich im Hungerstreik befindenden Ukrainerin eingesetzt.

Einleitung

Peskovs Aussagen suggerieren Gewaltenteilung und eine unabhängige Rechtsprechung. Tatsächlich legen die Einzelheiten des Falls nahe, dass die Unabhängigkeit des Gerichts massiv bezweifelt werden muss. Vielmehr ist der u. a. von der Menschenrechtsorganisation Memorial vorgetragenen Analyse zuzustimmen, wonach das Verfahren Teil einer politischen und einer Medienkampagne ist, die dazu dienen soll, die ukrainische Politik und den ukrainischen Staat in den Augen der russischen Öffentlichkeit zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Mit einem gerichtlichen Urteil gewinnt das Narrativ vom gewalttätigen Kampf des ukrainischen Staates gegen die nach Unabhängigkeit strebende Zivilbevölkerung, vom Kampf gegen das eigene Volk im Osten des Landes, Legitimation und Glaubwürdigkeit. So wird das Verfahren ganz offensichtlich als Schauprozess genutzt, um für die russische Öffentlichkeit die Geschehnisse in der Ukraine »objektiv« zu überprüfen. Die Anklage folgt der Darstellung in den russischen kremlnahen Medien. Es geht darum darzulegen, dass nationalistische para-militärische Einheiten in der Ostukraine wehrlose Zivilisten »aus nationalistischem Hass« töten, wie die Anklage behauptet. Dass die »Täterin« eine junge Frau ist, macht die Geschichte besonders bemerkenswert.

Nadija Sawtschenko: das Porträt

Angeklagt ist die ukrainische Pilotin und Offizierin Nadija Sawtschenko. Sie ist heute eines der bekanntesten Mitglieder der ukrainischen Armee. Bis zum Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine hatte sie dort eine erfolgreiche Karriere absolviert. Berichten zufolge war sie die einzige weibliche Angehörige der ukrainischen Friedenstruppen im Irak in der Zeit von 2004 bis 2008. Mit Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine schloss sie sich dem vom ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomoiskij finanzierten Freiwilligen-Bataillon »Aidar« im Kampf gegen die pro-russischen Separatisten an. Sowohl die OSZE als auch Amnesty International werfen den Mitgliedern des Bataillons Menschenrechtsverletzungen, u. a. Misshandlungen und den Tod von Zivilisten vor. Konkrete Vorwürfe gegen Sawtschenko finden sich hier allerdings nicht.

Das russische Ermittlungskomitee hatte indes im Juni 2014 Untersuchungen vorgelegt, nach denen Sawtschenko als Mitglied des Aidar-Bataillons Informationen über den Aufenthalt der russischen Journalisten Igor Korneljuk und Anton Woloschin sowie weiterer Zivilisten weitergegeben hatte. Aufgrund dieser Informationen seien die Journalisten am 17. Juni 2014 getötet worden.

Unbestritten ist, dass Sawtschenko am 17. oder 18. Juni 2014 von pro-russischen Separatisten der sogenannten Luhansker Volksrepublik gefangen genommen wurde. Dies belegt ein Video, das Sawtschenko als Gefangene im Kreis von Separatisten zeigt.

Wenige Tage nach der Aufnahme des Videos wird bekannt, dass sich Sawtschenko in den Händen der russischen Strafverfolgungsbehörden befindet. Darüber, wie sie in russische Gefangenschaft geriet, besteht Uneinigkeit. Sawtschenko selbst gibt an, dass sie unfreiwillig von den Separatisten an die russischen Behörden übergeben wurde. Die Verteidigung wirft dem russischen Staat Kidnapping vor. Die russischen Behörden bestreiten dies und behaupten, dass Sawtschenko nahe der ukrainischen Grenze auf russischem Territorium angetroffen wurde und die Grenze aus freiem Willen, aber gegen die russischen Gesetze ohne Papiere übertreten hatte.

Die Anklage

Am 9. Juli 2014 gab das russische Ermittlungskomitee bekannt, dass Sawtschenko aufgrund der Weitergabe von Informationen wegen Beihilfe zur Tötung von zwei oder mehr Personen in Ausübung von Dienstpflichten, mit gemeingefährlichen Methoden und aus politischem Hass in einer Gruppe von Menschen nach Art. 33 Abs. 5 und Art. 105 Abs. 2 lit. a, б, е, ж, л StGB angeklagt wird. Nach Art. 12 StGB können Ausländer, die eine Straftat außerhalb des Territoriums der Russischen Föderation verübt haben, in Russland strafrechtlich belangt werden, wenn die Straftat gegen die Interessen Russlands oder gegen russische Staatsbürger gerichtet ist. Dies ermöglicht hier die Verfolgung.

Die Anklage wird aber von einer ganzen Reihe von eindeutig voreingenommenen Behauptungen durchzogen, die einem fairen Verfahren entgegenstehen.

So sprechen die Dokumente der Staatsanwaltschaft, aber auch die Entscheidung des Haftgerichts vom 3. Juli 2014 von der Luhansker und der Donezker Volksrepublik, als wären diese bereits anerkannte völkerrechtliche Gebilde. Diese Sichtweise entspricht der Ansicht der Separatisten, ist aber weder völkerrechtlich noch von offizieller russischer Seite akzeptiert.

Insgesamt ist interessant, dass die Anklage, die grundsätzlich allein die individuelle Schuld der Angeklagten belegen muss, mit einer allgemeinen politischen Einordnung der Geschehnisse in der Ostukraine beginnt. Darin wird dem Innenminister der Ukraine Awakow sowie dem Oligarchen und Gouverneur des Oblasts Dnipropetrowsk, Kolomoiskij, und zahlreichen Amtsträgern des ukrainischen Verteidigungsministeriums vorgeworfen, »zum Ziel der Tötung unzähliger Menschen« »aus dem Motiv des politisches Hasses« und unter Verletzung der Genfer Konvention zum Schutz von Zivilisten in Kriegszeiten, deren I. und II. Protokoll sowie des Übereinkommens über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, im Bereich der Städte Slowjansk, Kramatorsk, Donezk, Mariupol und »anderer Siedlungen in den abtrünnigen Volksrepubliken Donezk und Luhansk« kriegerische Handlungen zu organisieren. Dabei wird unterstrichen, dass in diesen Regionen am 11. Mai 2014 ein Referendum über die staatliche Selbstbestimmung stattgefunden habe. In der Folge seien mehr als 100.000 Zivilisten auf das Gebiet der Russischen Föderation geflohen.

Diese Behauptungen werden alle nicht näher erläutert oder belegt. Es wird deutlich, dass im Verfahren eigentlich die ukrainische Führung angeklagt wird. Die Behauptungen sind klar voreingenommen, sie geben allein die Sichtweise der Separatisten im Konflikt wieder. Argumente für den Waffeneinsatz durch den ukrainischen Staat werden nicht vorgetragen. Überhaupt wird nicht erwähnt, dass von den Separatisten Gewalt ausgeht. Die Darstellung suggeriert, dass die Bevölkerung einheitlich die Unabhängigkeit möchte und dass dies militärisch niedergeschlagen wird, wobei der ukrainische Staat massiv Zivilisten tötet. Entsprechende Darstellungen verbreitet das russische staatliche Fernsehen.

Erst nach dieser Einleitung wird Sawtschenkos Beteiligung an diesem Einsatz diskutiert. Auch für die Beteiligung Sawtschenkos an den Verbrechen des ukrainischen Staates braucht das Ermittlungskomitee keine konkreten Beweise. Weder für die Zurechnung des Todes der Journalisten zu Handlungen der Angeklagten noch für den Tötungswillen aus politischem Hass werden Beweise vorgetragen. Entgegenstehende Aussagen der Angeklagten werden ignoriert. Die Variante, dass der Tod der Journalisten nicht beabsichtigt war oder von Dritten verantwortet wird, steht nicht zur Debatte.

Insofern ist der große Kritikpunkt am Verfahren, dass die Anklage ihre Version der Geschichte nicht belegt und nach Auskunft der Vereidigung Beweise für die Unschuld ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Darüber hinaus rügt die Verteidigung zahlreiche Verfahrensverstöße.

Die Haft

Problematisch ist vor allem, dass auch das Gericht, das über die Untersuchungshaft entschieden hat, die Argumente der Verteidigung bisher nicht beachtet hat, sondern deutlich der kaum belegten Anklage gefolgt ist.

Dies alles widerspricht der vom Gesetz verlangten Waffengleichheit der Parteien im Strafverfahren.

Die fehlende Waffengleichheit, aber auch die Bedeutung des Falls als Teil einer Medienkampagne wurden auch deutlich, als der Sprecher des Ermittlungskomitees, Vladimir Markin, am 25. Juli 2014 im Sender Lifenews seine Version der Geschichte präsentieren durfte, ohne dass gleichwertig die Angeklagte zu Wort kam. Dieses Interview zeigt, dass das Verfahren bewusst in die Öffentlichkeit getragen werden soll.

Es fehlen nicht nur Beweise für die konkrete Tat, sondern auch für eine rechtmäßige Verhaftung auf dem Gebiet der Russischen Föderation. Diese reguläre Verhaftung in Russland nach einem freiwilligen Grenzübertritt Sawtschenkos ist Voraussetzung für einen regulären Strafprozess, wie er gegenwärtig stattfindet. Anderenfalls würde noch mehr dafür sprechen, dass Sawtschenko als Kriegsgefangene zu behandeln ist. Allerdings gibt es keinerlei Beweise für einen freiwilligen Grenzübertritt. Vielmehr erscheint die Vorstellung, dass Sawtschenko von den Separatisten freigelassen oder aus deren Händen befreit wurde und dann aus eigenem Antrieb nach Russland eingereist ist, kaum nachvollziehbar. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, die sie als Mitglied der ukrainischen Streitkräfte zu einer Flucht nach Russland motiviert haben könnten.

Seit Juli 2014 sitzt Nadija Sawtschenko nunmehr in Untersuchungshaft. Das Haftgericht verlängert die Untersuchungshaft regelmäßig. Aufgrund der »besonders brutalen Art des Verbrechens« wurden in der Folge von den Behörden »Zweifel an der geistigen Gesundheit« Sawtschenkos vorgetragen und sie wurde zwangsweise im berüchtigten Serbski-Institut in Moskau untersucht, das bekannt dafür ist, dass hier in sowjetischen Zeiten zahlreiche Dissidenten für geisteskrank erklärt wurden.

Während des Verfahrens wurde noch in einem weiteren Punkt Anklage erhoben. Zusätzlich angeklagt wurde der illegale Grenzübertritt. Seit dem 22. Dezember 2014 befindet sich Sawtschenko aus Protest gegen das Vorgehen der russischen Justiz im Hungerstreik.

Völkerrechtliche Immunität

Eine neue Wendung nahm der Fall, als Sawtschenko für die ukrainischen Parlamentswahlen im Herbst 2014 als Kandidatin der Partei Vaterland auf Listenplatz 1 aufgestellt und gewählt wurde. Als neugewählte Abgeordnete wurde sie anschließend vom ukrainischen Parlament als ukrainische Vertreterin in die Parlamentarische Versammlung des Europarats entsandt.

Dies hat zur Folge, dass ihr nunmehr grundsätzlich völkerrechtliche Immunität zukommt. Dieses Vorgehen kann nicht automatisch als Rechtsmissbrauch kritisiert werden. So ist der demokratische Wille des ukrainischen Volkes zu respektieren, das wissentlich eine Kandidatin gewählt hat, die im Ausland in Untersuchungshaft sitzt.

Die Immunität der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung ist zum einen funktionell, sie schützt sie in Ausübung ihrer Funktionen als Abgeordnete. Dies ergibt sich aus Art. 40 der Satzung des Europarats, Art. 13ff. des Allgemeinen Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates (ETS Nr. 2, 1949) und Art. 3 des Zusatzprotokolls zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates (ETS. Nr. 10, 1952). Nach Art. 40 der Satzung des Europarats genießen die Vertreter der Mitgliedstaaten »in den Gebieten der Mitgliedstaaten die für die Ausübung ihrer Amtstätigkeit erforderlichen Immunitäten und Privilegien«. Insbesondere können sie »auf Grund dieser Immunität innerhalb der Hoheitsgebiete aller Mitgliedstaaten weder verhaftet noch strafrechtlich belangt werden.« Dies bezieht sich aber nicht auf jedwede Handlung, sondern allein auf Handlungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Mandats, also auf »im Laufe der Verhandlungen in der Versammlung, in ihren Komitees oder Ausschüssen geäußerte Meinungen oder abgegebene Stimmen«. Abgeordnete sollen nicht für die Tätigkeit im Europarat bestraft werden.

Darüber hinaus ist aber in Art. 15 b der grundlegenden Vereinbarung über Privilegien und Befreiungen geregelt, dass die Mitglieder der Versammlung während der Sitzungsphase auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten von Haft und Strafverfolgung befreit sind. Diese Immunität beginnt mit der Ausübung des Amtes, bezieht sich aber auch auf Taten, die vor der Amtszeit liegen.

In diesem Sinne hat die Parlamentarische Versammlung am 28. Januar 2015 in der Resolution 2034 (2015) Sawtschenko die völkerrechtliche Immunität zugesprochen und gleichzeitig ihre Freilassung gefordert:

“The Assembly expresses serious concern about the imprisonment and indictment by the Russian Federation of Ms Nadiia Savchenko, who is now a member of the Assembly. The Assembly considers her transfer by Ukrainian insurgents to the Russian Federation and subsequent imprisonment by the Russian authorities to be in violation of international law amounting to her de facto kidnapping. It demands that the Russian Federation respects its obligations under international law, as a Party to the General Agreement on Privileges and Immunities and its Protocol, according to which Ms Nadiia Savchenko, as a member of the Parliamentary Assembly, enjoys European parliamentary immunity. The Assembly calls upon the Russian authorities to release Ms Savchenko within 24 hours and to ensure her return to Ukraine or hand her over to a third country.”

Die Vereinbarung wurde von der Russischen Föderation im Rahmen des Beitritts zum Europarat am 23. Februar 1996 ratifiziert. Nach der russischen Verfassung ist die Regelung damit auch Teil des russischen Rechts und für die Staatsorgane bindend. Allerdings könnte Russland die Aufhebung der Immunität beantragen. Gleichwohl lehnt die Russische Föderation, deren Vertreter zuvor von der Teilnahme an der parlamentarischen Versammlung suspendiert worden waren, eine Freilassung ab.

Minsker Abkommen

Darüber hinaus wurde von ukrainischer Seite versucht, eine Freilassung im Rahmen der Minsker Vereinbarungen zu erzielen. Die Minsker Protokolle regeln nicht nur, dass die Verfolgung und Bestrafung von Personen in Verbindung mit den Ereignissen, die in einzelnen Kreisen der Donezker und Luhansker Oblaste stattfanden, durch Gesetz verboten werden sollen. Nr. 6 des II. Minsker Protokolls regelt auch die Freilassung und den Austausch »aller Geiseln und gesetzeswidrig festgehaltenen Personen« auf der Basis des Prinzips »aller gegen alle«.

Im Hinblick auf Nr. 6 hat die ukrainische Seite eine ganze Reihe von ukrainischen Staatsbürgern vor Augen, die gegenwärtig im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ostukraine und auf der Krim strafrechtlich verfolgt werden. Dies betrifft vor allem die russischen Verfahren gegen die Ukrainer Oleh Senzow, Oleksandr Koltschenko, Hennadij Afanasjew und Oleksij Tschirnij, die gegen die Annexion der Krim protestiert hatten, in Russland.

Die russische Seite fühlt sich allerdings durch die Minsker Vereinbarungen nicht zur Freilassung Sawtschenkos verpflichtet. Tatsächlich sind die Minsker Protokolle im Hinblick auf den Fall äußerst unbestimmt. Nicht ausdrücklich geregelt ist, wieweit das Protokoll Russland überhaupt bindet. Letztlich wird es aber keine gemeinsame Verständigung über die Frage geben, wer Geisel ist und wer gesetzwidrig festgehalten ist.

Kriegsgefangenen-Status

Wäre anerkannt, dass es sich bei den Kampfhandlungen in der Ostukraine um einen internationalen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine handelt, wäre Sawtschenko unzweifelhaft eine Kriegsgefangene. Dies hätte weitreichende Folgen für das Verfahren. Eine reguläre Strafverfolgung wäre nach dem III. Genfer Abkommen nicht zulässig.

Das Abkommen will verhindern, dass nach Kriegshandlungen nur die Soldaten einer Seite, die Kriegsgefangenen, abgeurteilt werden. Es fordert, dass für die Kriegsgefangenen von den Militärbehörden und den Gerichten des Gewahrsamsstaates nur solche Strafen verhängt werden können, die bei den gleichen Tatbeständen für die Angehörigen der bewaffneten Kräfte dieses Staates vorgesehen sind. Im vorliegenden Fall wäre indes nicht ausgeschlossen, dass Kriegsgefangene grundsätzlich für den Mord an Zivilisten bestraft würden (sofern aber natürlich entsprechende Beweise vorlägen), wenn auch die eigenen Soldaten entsprechend verfolgt würden. Russland müsste auch die Anschläge auf Zivilisten durch die Separatisten strafrechtlich verfolgen.

Darüber hinaus würden zahlreiche weitere prozedurale Garantien greifen. Unter anderem sagt Art. 103, dass die gerichtlichen Untersuchungen gegen Kriegsgefangene so rasch durchzuführen sind, wie die Umstände es gestatten, und zwar so, dass die Gerichtsverhandlung möglichst frühzeitig stattfinden kann. Ein Kriegsgefangener darf nur dann in Untersuchungshaft gehalten werden, wenn diese Maßnahme bei gleichen Vergehen auch für die Angehörigen der bewaffneten Kräfte des Gewahrsamsstaates vorgesehen ist oder wenn es die nationale Sicherheit verlangt. Die Untersuchungshaft darf auf keinen Fall länger als drei Monate dauern. Diese Vorschrift wäre klar verletzt.

Außerdem müssen Kriegsgefangene vor ein Militärgericht gestellt werden.

Allerdings bestreitet Russland, Konfliktpartei zu sein. Der Kriegsgefangenenstatus könnte aber auch dann gegeben sein, wenn anerkannt wäre, dass Sawtschenko von den Separatisten als Konfliktpartei direkt an die russischen Behörden übergeben worden wäre, wie Sawtschenko behauptet. Insofern argumentiert die Verteidigung, dass ihr der Status einer Kriegsgefangenen zusteht. Da sie im Rahmen einer militärischen Operation zur Evakuierung von Verwundeten in Uniform von den Separatisten gefangen genommen worden war, sei sie nach Art. 4 des III. Genfer Abkommens als Kriegsgefangene einzustufen, hat ihr Verteidiger, Mark Fejgin, argumentiert.

Die russischen Behörden haben es konsequent abgelehnt, Sawtschenko als Kriegsgefangene anzuerkennen. Dies wird damit begründet, dass Russland nicht Kriegspartei sei und dass Sawtschenko nicht durch die Separatisten (als mögliche Kriegspartei), sondern auf russischem Boden durch russische Behörden verhaftet wurde. Auch hier steht und fällt das Verfahren mit der Beweisfrage.

Fazit

Ein gerichtliches Urteil im Verfahren steht noch aus. Allerdings zeigt das Verfahren bereits mehrere Dinge: Der Fall ist einerseits ein erneuter Beweis für die Instrumentalisierung der russischen Justiz durch die Politik. Die Anklage ist deutlich voreingenommen und soll offensichtlich dazu dienen, die ukrainische Führung in der russischen Öffentlichkeit zu kriminalisieren. Die Nicht-Anerkennung der Immunität verletzt das Völkerrecht.

Das Verfahren zeigt aber auch, welche völkerrechtlichen Probleme durch die Leugnung Russlands entstehen, Konfliktpartei zu sein. Wäre anerkannt, dass es sich bei den Kämpfen in der Ostukraine um einen zwischenstaatlichen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland handelt, wäre ein solches Verfahren in vielen Punkten völkerrechtswidrig. Bereits der Streit darüber, ob Russland Konfliktpartei ist, legt nahe, dass über Schuld und Unschuld nicht vor einem russischen Gericht, sondern nur vor einem internationalen Gericht entschieden werden kann.

Sawtschenko hat bereits im Sommer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Er wird feststellen müssen, dass die Inhaftierung haftrechtswidrig und das Verfahren unfair verlaufen ist (Art. 5,6 EMRK).

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