Das neue IWF-Programm: Hintergrund und Ausblick

Von Ricardo Giucci, Robert Kirchner (beide Berlin)

Zusammenfassung
Im April 2014 hat die Ukraine ein Abkommen mit dem IWF vereinbart. Die Annahmen des Programms sind aber inzwischen obsolet geworden, da sich die wirtschaftliche und finanzielle Lage im Gefolge des militärischen Konflikts im Osten des Landes deutlich verschlechtert hat. Nun wurde ein neues IWF-Programm vereinbart (aber noch nicht unterschrieben), welches das alte Programm ersetzen soll. Der neue IWF-Kredit von 17,5 Mrd. USD soll durch geschätzte 9 Mrd. USD von bilateralen und multilateralen Gebern ergänzt werden. Private Gläubiger sollen sich mit ca. 13,5 Mrd. USD an der Finanzierungslast beteiligen. Das gesamte Finanzierungspaket beträgt somit 40 Mrd. USD. Das Programm ist mittelfristig (2015–2018) angelegt und kann deshalb neben makroökonomischen auch strukturelle Ungleichgewichte ins Visier nehmen. Neben für den IWF typischen Themen wie fiskalische Konsolidierung, Energiepreise und Wechselkurs sind auch die Korruptionsbekämpfung sowie die Reform von Staatsunternehmen im Programm enthalten. Das neue Programm ist ein wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes, welche allerdings ohne die Beilegung des militärischen Konflikts im Osten des Landes nur schwer gelingen kann.

Rückblick: Das IWF-Programm von April 2014

Im April des vergangenen Jahres wurde ein IWF-Programm zur Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise vereinbart. Dieses »Stand-By Arrangement« (SBA) hatte eine Laufzeit von 2 Jahren und sah einen Kredit in Höhe von 17 Mrd. USD vor. Andere Geber (wie EU, USA) sowie internationale Finanzinstitutionen (wie EBRD, EIB, Weltbank) steuerten weitere 10 Mrd. USD bei. Das gesamte Finanzierungspaket betrug somit 27 Mrd. USD.

Das Programm basierte allerdings auf der Annahme einer »normalen« Rezession. Der militärische Konflikt im Osten, welcher insbesondere ab der Jahresmitte erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Landes ausübte, war zum Zeitpunkt der IWF-Vereinbarung nicht abzusehen und wurde deshalb nicht bei der Programmgestaltung berücksichtigt. Folglich wurde im Programm weder mit dem massiven Einbruch der Produktion in den Gebieten Donezk und Luhansk noch mit der hohen Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Konflikt gerechnet, die auch auf weitere Gebiete des Landes negativ ausstrahlte.

Die zweite und vorerst letzte Tranche des IWF-Kredits wurde Ende August ausgezahlt. Weitere Tranchen wurden nicht ausgezahlt, da in der Zwischenzeit wichtige politische Ereignisse (Parlamentswahlen im Oktober, Regierungsbildung im November) stattfanden. Als nach der Regierungsbildung die Fortsetzung des Programms anstand, wurde schnell klar, dass sich die wirtschaftliche und finanzielle Lage stark verändert hatten. Insbesondere war der externe Finanzierungsbedarf des Landes gegenüber den bisherigen Planungen deutlich gestiegen, wodurch eine komplette Überarbeitung des Programms nötig geworden ist.

Eckdaten des neuen IWF-Programms

Am 12. Februar 2015 wurde vom IWF der Abschluss einer »Staff-Level«-Vereinbarung über ein neues Programm mit der Ukraine bekanntgegeben. Das neue Programm, welches unter der Kategorie »Extended Fund Facility (EFF)« läuft, sieht einen Kredit in Höhe von 17,5 Mrd. USD vor und soll eine Laufzeit von 4 Jahren haben. Diese mittelfristige Perspektive ermöglicht, nicht nur makroökonomische, sondern auch strukturelle Ungleichgewichte zu beheben. Hierin besteht also ein wesentlicher Unterschied zum 2-Jahres-Programm aus dem vergangenen Jahr, welches nun durch das neue Programm ersetzt wird. Ein weiterer Unterschied sind die Rückzahlungsfristen des Kredits: Betrugen diese beim SBA etwa 3–5 Jahre, so liegen diese Fristen bei einem EFF bei 4–10 Jahren, sind also deutlich langfristiger.

Das neue Programm, welches noch vom IWF-Vorstand genehmigt werden muss (vermutlich im März), ist dabei der Kernbestandteil eines umfassenden Finanzierungspakets für die Ukraine, welches eine Gesamtsumme von 40 Mrd. USD für die Periode 2015–2018 umfasst. Neben den 17,5 Mrd. USD vom IWF werden bilaterale und multilaterale Geber weitere Mittel beisteuern; aber auch private Gläubiger sollen sich an der Finanzierungslast beteiligen.

Auch wenn es zur konkreten Aufteilung der Finanzierungslast bisher keine Verlautbarungen seitens des IWF gibt, so werden laut dem ukrainischen Finanzministerium weitere Geber (EU, USA, EBRD etc.) etwa 9 Mrd. USD beitragen. Dies würde einen Finanzierungsanteil von 13,5 Mrd. USD für die privaten Gläubiger implizieren, wobei auch höhere Schätzungen von bis zu 15 Mrd. USD kursieren.

Das alte Finanzierungspaket aus dem vergangenen Jahr hatte im Vergleich dazu einen Umfang von 27 Mrd. USD über 2 Jahre, von denen 9 Mrd. USD tatsächlich in 2014 ausgezahlt wurden. Dies impliziert eine Gesamtunterstützung für die Ukraine im Zeitraum 2014–2018 von knapp 50 Mrd. USD.

Konditionalität des neuen Programms

Selbstverständlich basiert auch das neue Programm auf einer umfassenden Konditionalität, die allerdings noch nicht in allen Einzelheiten bekannt ist. Bereits klar ist, dass die Tarife für Gas und Wärme sehr stark angehoben werden müssen und bereits 2017 die vollen Bezugskosten decken sollen. Die Implementierung der vorgesehenen extremen Steigerung dieser Energietarife in einem relativ kurzen Zeitraum wird aber sicherlich eine nicht einfache Herausforderung für die ukrainische Politik darstellen.

Auch der Staatshaushalt 2015 muss revidiert werden, da er bereits überholt ist. Hier ist aber bemerkenswert, dass das Defizit gegenüber dem bisher geplanten Wert leicht steigen darf, von 3,7 % auf nun 4,1 % des BIP. Insbesondere sind steigende Sozialausgaben zur Abfederung der geplanten Anhebung von Energietarifen sowie zur Unterstützung von Binnenflüchtlingen geplant.

Weitere Reformbedingungen des Programms liegen in der Geld- und Wechselpolitik, wo an einem flexiblen Wechselkurssystem festgehalten werden soll, sowie im Bankensektor, der gegenwärtig nur eingeschränkt funktionsfähig ist.

Mittelfristig sollen weitreichende Strukturreformen in verschiedenen Bereichen implementiert werden, u. a. zur Bekämpfung der Korruption, im Justizsystem sowie bei der Deregulierung von unternehmerischen Tätigkeiten. Ebenfalls geplant ist eine Reform der staatlichen Unternehmen, die mittelfristig auch in verstärkte Privatisierungen münden soll.

Zur Beteiligung privater Gläubiger

Ein wichtiger Unterschied zum alten Programm liegt in der expliziten Beteiligung privater externer Gläubiger an den Finanzierungslasten. Gespräche mit dem Ziel einer Involvierung des privaten Sektors (»Private Sector Involvement«, PSI) sind spätestens seit Griechenland bekannt, als ähnlich verfahren wurde. In der Ukraine sollen diese Gespräche sofort nach Annahme des IWF-Programms starten und bis zur Jahresmitte 2015 abgeschlossen sein.

Die Erwartung eines Beitrags von 13,5–15 Mrd. USD an den Finanzierungskosten ist als substantiell zu bezeichnen, sowohl im Hinblick auf das Gesamtprogramm (40 Mrd. USD) als auch im Hinblick auf die gesamte Staatsverschuldung. Diese betrug Ende 2014 knapp 70 Mrd. USD, wobei aber nur ca. 19 Mrd. USD auf staatliche bzw. staatlich garantierte Anleihen entfallen, die auf externen Kapitalmärkten begeben wurden (»Eurobonds«). Möglicherweise werden in diese Umschuldungsverhandlungen auch weitere Schulden eingebracht, wie z. B. nicht-garantierte Anleihen quasi-staatlicher Schuldner (Staatsbanken, Eisenbahngesellschaft) sowie kommunale Anleihen (Kiew) oder auch Bankkredite.

Ohne den Verhandlungen vorwegzugreifen sind mehrere Varianten denkbar, wie diese Umschuldung konkret implementiert werden kann. Neben einer reinen Streckung der Zahlungen durch eine Laufzeitverlängerung der Anleihen sind auch Kürzungen der Zins- und Tilgungszahlungen denkbar. Allein während der Programmlaufzeit 2015–2018 werden Zinsen von insgesamt 4,5 Mrd. USD auf staatliche, kommunale und quasi-staatliche Anleihen fällig.

Fazit

Das neue IWF-Programm soll mit der üblichen Kombination aus einem Kredit und zahlreichen Konditionalitäten bzgl. Wirtschaftsreformen das Land wirtschaftlich und finanziell stabilisieren. Auf der finanziellen Seite des Programms ist insbesondere zu begrüßen, dass private Gläubiger sich an der Finanzierungslast beteiligen sollen. Hierbei ist aber wichtig, dass die Verhandlungen mit den Gläubigern konstruktiv geführt werden.

Auf der Seite der Konditionalität ist die sehr ambitionierte Anpassung der Energietarife für die Bevölkerung zu betonen. Bei dieser politisch extrem schwierigen Aufgabe sind Fragen der Implementierung und der effektiven sozialpolitischen Abfederung enorm wichtig.

Ob das neue IWF-Programm letztendlich in eine wirtschaftliche Stabilisierung des Landes mündet, ist allerdings ungewiss. Ohne eine Beilegung des militärischen Konflikts im Osten des Landes ist diese Aufgabe kaum zu bewerkstelligen.

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