Aktuelle Trends im ukrainischen Agrarhandel

Von Kateryna Zelenska (Wuppertal)

Zusammenfassung
Politische Instabilität, Verlust der Territorien sowie die Abwertung der Nationalwährung bereiten in der Ukraine allen Wirtschaftsbranchen Probleme. Zugleich sind die Exportbedingungen in den Zeiten billiger Währung besonders günstig. Davon können in erster Linie Agrarproduzenten profitieren, weil viele landwirtschaftliche Waren aus der Ukraine dem internationalen Wettbewerb standhalten können. Ausgehend von dieser Problemstellung versucht dieser Artikel, aktuelle Entwicklungstendenzen im ukrainischen Agrarhandel zu schildern und Wege aufzuzeigen, die zur Steigerung der Agrarexporte führen könnten.

Aktuelle Daten der Agrarwirtschaft

Der Anteil der Agrarproduktion am ukrainischen BIP stieg von 7,5 Prozent im Jahr 2008 auf 10,7 Prozent im Jahr 2015 (s. Grafik 1 auf S. 6). Würden die verarbeitende Industrie und die Hersteller landwirtschaftlicher Produktionsmittel hinzugerechnet, erreichte der Gesamtanteil der agrarbezogenen Produktion 22 Prozent.

Auch die Rentabilität im Landwirtschaftssektor wächst. Laut ukrainischem Statistikamt machte sie im Jahr 2015 circa 45 Prozent aus. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 waren es 26 Prozent. Die rasante Zunahme der Rentabilität betraf sowohl die Pflanzen- als auch die Tierproduktion. Sie belief sich auf 50 Prozent und 22 Prozent (29 Prozent und 13 Prozent im Vorjahr). Offensichtlich liegen die durchschnittlichen Profite im Tiersektor deutlich hinter der Pflanzenproduktion. In beiden Bereichen gibt es eindeutige Branchenführer: der Getreidesektor mit 80 Prozent und die Eierproduktion mit 61 Prozent Rentabilität. Dementsprechend wachsen die durchschnittlichen Einkünfte der Agrarunternehmen. Allerdings sind laut Statistikamt die Gewinne in der Tierproduktion um das Fünffache niedriger als im Pflanzensektor (etwa 42 Milliarden Hrywnja im Gegensatz zu fast 237 Milliarden Hrywnja).

Die ukrainische Agrarhandelsbilanz machte 2015 wieder ein Plus in Höhe von 11,1 Milliarden US-Dollar. Landwirtschaftliche Exporte machten 2015 38 Prozent der Gesamtexporte aus (s. Grafik 2 auf S. 7). Laut Statistikamt ist Asien die wichtigste Region für ukrainische Agrarexporte (45 Prozent der Exporte). Den zweiten Platz belegt die EU (40 Prozent der Exporte, im Jahr 2014 28 Prozent) (s. Grafik 3 auf S. 7). In einer Auswertung nach Ländern belegt China Platz 1 (10,5 Prozent), gefolgt von Spanien (9,5 Prozent), Indien (9,1 Prozent) und den Niederlanden (7,6 Prozent).

Was sind die Exportschlager?

Traditionell ist die Ukraine im Getreide- und Ölpflanzensektoren exportstark. Diese Tendenz setzt sich fort. Seit 2014 ist die Ukraine der drittgrößte Getreideexporteur der Welt, übertroffen nur von den USA und der EU. Den Prognosen nach kann die einheimische Getreideproduktion noch um bis zu 50 Prozent zunehmen.

Momentan ist die steigende Leistung eher extensiven als intensiven Produktionsmethoden zu verdanken. 69 Prozent des ukrainischen Territoriums sind potenziell landwirtschaftlich nutzbare Flächen (41,6 Millionen Hektar). Davon wird lediglich die Hälfte (circa 20,6 Millionen Hektar) unmittelbar landwirtschaftlich genutzt. Daher wird schon jetzt 60 Prozent der gesamten Anbaufläche für die am häufigsten exportierten Getreidesorten (Weizen, Mais und Gerste) verwendet. Die Ernteerträge schwanken und erreichen deshalb nicht die maximal mögliche Ausbeute.

Die wichtigsten Absatzmärkte für ukrainisches Getreide bleiben die arabischen Länder. Ägypten erwirbt jährlich 20–30 Prozent der gesamten Weizenexporte und 10–20 Prozent der Maisexporte. 65–70 Prozent der Gersteausfuhren gehen nach Saudi Arabien. Der neue Partner der Ukraine ist China, ein Land mit einem äußerst geschützten Agrarmarkt. Die Ukraine exportiert 20 Prozent ihres Maises in dieses Land und hat in den letzten Jahren rechtliche Bedingungen für weitere Agrarexporte geschaffen.

Im Vergleich zu Asien importieren die europäischen Länder deutlich weniger Getreide aus der Ukraine. Der größte Importeur in diesem Segment ist Spanien. Das Land kauft circa 7 Prozent der ukrainischen Weizenexporte und 8–13 Prozent des Maises. Auch die Niederlande sind unter den wichtigsten Käufer von ukrainischem Mais (6–12 Prozent).

Im laufenden Jahr werden Weizenexporte auf einem Rekordniveau von 35 Millionen Tonnen erwartet. Das lässt sich zum Teil damit erklären, dass Agrarproduzenten die weniger rentable Maisproduktion durch Weizenanbau ersetzen. Darüber hinaus schafft die niedrige inländische Nachfrage Anreize für den Export von Weizenmehl. Dieser ist im letzten Jahr um 25 Prozent gestiegen. Dennoch führt dies momentan nicht zu einem Anstieg der Mehlproduktion.

Die Ukraine ist der unumstrittene Weltmarktführer im Anbau und in der Verarbeitung von Sonnenblumenkernen. Nachdem die Regierung Mitte der neunziger Jahre einen Exportzoll auf Sonnenblumenkerne eingeführt und damit deren Ausfuhr weniger attraktiv gemacht hat, stieg die Herstellung von Sonnenblumenöl in der Ukraine. In den letzten Jahren brachten die Ölproduzenten im Schnitt 4,1–4,7 Millionen Tonnen pro Jahr auf den Markt. Der größte Teil davon wird exportiert (3,6–4,1 Millionen Tonnen pro Jahr). Zu den wichtigsten Importeuren gehören Indien (circa 30 Prozent der Gesamtexporte), der Iran, die Türkei und China.

Andere Ölsaaten, für die die Ukraine starke Exportpositionen hält, sind Raps und Soja. Diese Agrarkulturen sind ziemlich neu für das Land. Deren zunehmender Anbau ist eher die Antwort auf die steigende internationale Nachfrage.

Die ukrainische Bevölkerung konsumiert kaum Sojaprodukte. In der Ukraine dient Soja nur als Futtermittel. Die Hälfte der Sojaernte wird exportiert (1,2–2,3 Millionen Tonnen von 2,7–3,8 Millionen Tonnen). Unter den größten Importeuren befinden sich Italien, die Türkei, Spanien und Griechenland. Dagegen wird die gewonnene Menge an Sojaöl fast in vollem Umfang exportiert (130.000–150.000 Tonnen pro Jahr). Polen und Spanien nehmen mehr als eine Hälfte davon ab.

Der ukrainische Raps wird fast ausschließlich für Exporte angebaut. Von den 2,1–2,3 Millionen Tonnen jährlicher Ernte werden 2,0–2,2 Millionen ausgeführt, hauptsächlich in die EU (Frankreich, die Niederlande, Belgien, Deutschland, Polen und Portugal). Dadurch unterstützen ukrainische Bauern die EU-Biokraftstoffregulierung.

Nach Angaben des Verbandes der ukrainischen Pflanzenölproduzenten steigt momentan die ukrainische Rapsölproduktion (2015/2016 um 30 Prozent). Die Sonnenblumenproduktion ist nicht ausreichend, um die Kapazitäten der Ölraffinerien zu decken. Die Rapsölexporte sind mangels inländischer Nachfrage um 45 Prozent gewachsen. Die EU, China und Indien sind die wichtigsten Abnehmer in diesem Segment (entsprechend 61 Prozent, 24 Prozent und 10 Prozent). Bei einer günstigen Außenhandelskonjunktur kann man eine weitere Zunahme der Rapsölherstellung erwarten, da lediglich 20 Prozent des angebauten Rapses verarbeitet werden.

Die Ukraine eröffnet auch neue Exportsegmente. Seit 2015 ist das Land Nettoexporteur von Geflügelfleisch (circa 62.000 Tonnen pro Jahr). Der Irak importiert über 30 Prozent des ukrainischen Geflügelfleisches. In der EU sind die Niederlande der größte Importeur für diese Produkte (circa 5.000 Tonnen im Jahr 2015). Jedoch bleibt die Geflügelproduktion die einzige Erfolgsgeschichte im ukrainischen Tiersektor. Milch- und Rindfleischproduktion stagnieren wegen schwankender Rentabilitäten, die durch volatile Futterpreise verursacht werden.

Der Faktor Russland

Im Jahr 2013 leitete Russland die ersten Strafmaßnahmen für ukrainische Agrargüter ein. Es ging um angeblich nicht eingehaltene Lebensmittelstandards für Käse und Schokolade aus der Ukraine. Im darauffolgenden Jahr verbot Russland nach und nach Milchprodukte, Schweinefleisch, Obst und Gemüse, Säfte, alkoholische Getränke und Ölsaaten ukrainischer Herkunft. Die Maßnahmen waren meistens durch sanitäre und phythosanitäre Bedenken begründet. Auch die industriellen Exporte waren betroffen. Damit hat Russland die Freihandelszone mit der Ukraine zum größten Teil de facto lahmgelegt.

Seit 1. Januar 2016 gilt ein Embargo für Exporte ukrainischer Lebensmittel nach Russland (Verordnung N 1397/2015). Aus russischer Sicht können nach dem Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine Agrargüter aus der EU den russischen Markt durch die Ukraine zollfrei erreichen. Die russische Regierung verhängte im August 2014 ein bis heute gültiges Importverbot für Agrarprodukte aus der EU. Dies geschah in Reaktion auf die europäischen Sanktionen gegen Russland. Aus diesem Grund ist eine Zufuhr von europäischen Lebensmittel über den Umweg Ukraine nach Russland politisch nicht gewollt.

Die ukrainische Landwirtschaft traf das Embargo nicht so abrupt wie die europäischen Agrarproduzenten. Wenn 2012, noch vor Beginn der politischen Spannungen zwischen den Ländern, 11 Prozent der ukrainischen Agrargüter in Russland landeten, so sind die Agrarexporte zum nördlichen Nachbarn nach 2013 drastisch gesunken. Sie betrugen im Jahr 2014 6 Prozent und im Folgejahr lediglich 2 Prozent der Gesamtagrarexporte. Die GUS-Märkte sind für die Ukraine vor allem aufgrund der Nachfrage nach Lebensmitteln (Agrarwaren mit hohem Verarbeitungsgrad), das heißt unter anderem Süßigkeiten, Milch- und Fleischprodukte attraktiv. Seit der Schließung des russischen Marktes hat die ukrainische Milchproduktion ein Rekordtief erreicht. Negative Tendenzen gibt es auch in der Eierproduktion.

Freihandel mit der EU als Wachstums-Chance

Seit Beginn der 2000er Jahre steigt der Austausch von Agrarwaren zwischen der EU und der Ukraine an. Nach Informationen der Europäischen Kommission belegte die Ukraine im Jahre 2015 den 22. Platz unter den wichtigsten Agrarimporteuren der EU (1,1 Prozent der gesamten EU-Agrarexporte im Wert von 1,35 Milliarden Euro). Die Agrarexporte aus der EU in die Ukraine satgnieren jedoch seit 2014 angesichts der schwachen Hrywnja und der fallenden Einkommen der ukrainischen Bevölkerung.

Zugleich ist die Ukraine auf der Liste der größten Exportpartner der EU deutlich höher platziert (Position 8 mit 3,5 Prozent der EU-Gesamtagrarimporte im Jahr 2015). Das Land exportierte im Jahr 2015 Agrargüter im Wert von über 4 Milliarden Euro in die EU (s. Grafik 4 auf S. 8). Die wichtigsten Exportposten sind traditionell Sonnenblumenöl und Ölsaaten. In diesen Segmenten gibt es hohe Wachstumstendenzen. Zwischen 2009 und 2013 stiegen die Einfuhren ukrainischer Pflanzenöle und ukrainischen Getreides auf 57 Prozent beziehungsweise 39 Prozent.

Seit dem 1. Januar 2016 gibt es zwischen der EU und der Ukraine eine Freihandelszone. Angesichts der komplizierten politischen und wirtschaftlichen Lage in der Ukraine öffnete die EU ihre Märkte für ukrainische Waren bereits im April 2014 (EU-Verordnungen N 374/2014 und N 1150/2014). Das heißt, die EU billigte die einseitige Anwendung der Freihandelsvorschriften aus dem Assoziierungsabkommens. Dadurch erhielt die Mehrheit der Agrarwaren ukrainischer Herkunft zollfreien Zugang zu den EU-Märkten. Allerdings dürfen circa 16 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte (unter anderem Getreide, Fleisch- und Milchprodukte) nur innerhalb bestimmter Zollkontingente zu einem Zollsatz von Null eingeführt werden. Importe über diese Zollkontingente hinaus dürfen nur unter normalen (nicht-präferenziellen) Konditionen ausgeführt werden. Aufgrund dieser Begrenzungen spricht man nicht von freiem Handel, sondern über einen eingeschränkt präferenziellen Marktzugang für ukrainische Waren. Jedoch ist der Agrarhandel in der internationalen Freihandelspraxis in den meisten Fällen eingeschränkt. Dies gilt insbesondere dann, wenn mindestens einer der Handelspartner ein großer Agrarexporteur ist.

Die EU-Zollkontingente für alle von der Ukraine produzierten Getreide werden schnell ausgeschöpft sein. Gleiches gilt für die bescheidenen Zollkontingente für Honig, Tomaten, Zucker und bestimmte Obstsäfte. Die Zollkontingente für verarbeitete Getreideprodukte, Ethanol, Zwiebeln und Knoblauch werden dagegen wenig genutzt. Ursachen für diese Ungleichheiten könnten Unterschiede zwischen ukrainischen und europäischen Standards sowie ein Mangel an Interessenten auf EU-Seite sein. Andererseits ist das Verhältnis zwischen dem Produktionsniveau und dem Umfang der Zollkontingente für die betroffenen Agrarwaren auch äußerst ungleich.

Die Wirkung der Zollkontingente auf die Getreideexporte der Ukraine ist nicht deutlich (s. Tabelle 1 auf S. 8). Laut der Statistik der Europäischen Kommission waren die Weizenimporte 2015 mit den Jahren 2011 und 2012 vergleichbar (circa 7 Prozent der Gesamtagrarexporte). Die Einfuhren von Mais und Gerste haben auch nicht zugenommen (34 Prozent der Gesamtexporte). Dagegen sind die Weizenmehlexporte auf 50 Prozent gestiegen. Jedoch machen sie nur knapp 0,3 Prozent der Gesamtexporte aus.

Bestimmte Handelszugeständnisse der EU könnten jedoch handelsrestriktiv wirken. Dies gilt zum Beispiel für die Zollkontingente für Geflügelfleisch, so die Meinung der Experten der Deutschen Beratungsgruppe beim Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung. Das Zollkontingent von 17.600 Tonnen pro Jahr (16.000 Tonnen im Jahr 2014 und 16.800 Tonnen im Jahr 2015) wird problemlos ausgeschöpft. Jedoch sind Exporte außerhalb des Zollkontingents trotz hoher Nachfrage nach Geflügelfleisch nicht wettbewerbsfähig. Ukrainische Exporteure von gefrorenem Geflügelfleisch haben sogar Schwierigkeiten, für ein Zollkontingent im Umfang von 20.000 Tonnen pro Jahr EU-Handelspartner zu finden. Angeblich ist dieses Marktsegment übersättigt. Dennoch gelten die gegenwärtigen Geflügelfleischexporte in die EU als Errungenschaft. Vor der Einführung der Handelspräferenzen gelangten lediglich 500 Tonnen der ukrainischer Geflügelfleischprodukte jährlich auf den EU-Markt.

Andere Zollkontingente für Tierprodukte sind wegen Qualitätsbedenken von EU-Seite noch nicht freigegeben. Eine Vereinbarung für Milch- und Rindfleischimporte ist noch nicht getroffen worden. Die Einfuhr von Eiern ist seit Frühling 2015 zwar zulässig, wird aber nicht genutzt. Schweinefleischimporte stagnieren wegen des Auftretens afrikanischen Schweinefiebers.

Dagegen genießen Pflanzenölprodukte aus der Ukraine seit 2014 freien Zugang zu den EU-Märkten. Die Ölsaaten konnten auch vor 2014 zollfrei in die EU exportiert werden. Es wurde jedoch eine Erhöhung des Exportvolumens wegen der allmählichen Reduktion von Exportschutzzöllen für Sonnenblumenkerne erwartet. Dieses ist aber stabil geblieben (15,2 Prozent der Agrarexporte).

Die Abschaffung der EU-Importzölle für Sonnenblumenöl aus der Ukraine wurde auch in der Hoffnung auf eine Exportzunahme erwartet. Das Wachstum begann erst 2015/2016. Wahrscheinlich spielte der zollfreie Zugang hier eher eine untergeordnete Rolle. Entscheidend war, dass die EU die spezielle Importkontrolle für Sonnenblumenöl ukrainischer Herkunft im August 2015 außer Kraft setzte.

Auf den ersten Blick sollte der Agrarhandel zwischen der EU und der Ukraine deutliche Vorteile bringen. Im Laufe der ersten zehn Jahre der Umsetzung des Assoziierungsabkommens, so sagte der Deutsch-Ukrainische Agrarpolitische Dialog voraus, werde der Export ukrainischer Agrargüter um 20 Prozent wachsen. Insbesondere würden die Exporte von Getreide, Fleisch und Ölsaaten steigen. Zugleich wird auch der Wettbewerb auf dem ukrainischen Markt zunehmen. Um Zeiten der Wirtschaftskrise mit den europäischen Importen konkurrieren zu können, benötigen ukrainische Bauern mehr staatliche Unterstützung. Der Klub des Ukrainischen Agrarbusiness geht davon aus, dass die Anbaukosten in diesem Jahr um circa 25 Prozent höher als im Vergleich zum Vorjahr sein werden. Dies wird durch die starke Währungsabwertung und die Preiserhöhungen bei importierten Ressourcen verursacht. Durch die seit dem 1. Januar weggefallenen Steuerbegünstigungen bleiben den Agrarbetrieben kaum wirtschaftliche Mittel. Bankkredite sind für Kleinbauern und auch für viele mittelständische Betriebe nicht zu bekommen. Unter diesen Umständen sind nur die Großbetriebe in einer vergleichsweise vorteilhaften Situation.

Wer sind die größten Akteure auf dem Agrarmarkt?

Circa 74 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche sind in Privatbesitz. Nur 26 Prozent gehören dem Staat und den Kommunen. Der Agrarmarkt funktioniert in der Ukraine de jure nicht: Der Verkauf von Agrarland ist vorübergehend nicht gestattet (sogenanntes Landkauf-Moratorium). Unter diesen Umständen entwickelt sich ein Markt für Pachtland, auch angesichts der starken Migration aus den ländlichen Gebieten und der Alterung der Bevölkerung. Nach einer Studie vom Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung sind über 84 Prozent des genutzten Agrarlands verpachtet. Die Pächter sind in erster Linie große Agrarbetriebe und sogenannte Agriholdings.

Agriholdings sind komplizierte vertikale Strukturen, die verschiedene Produktionseinheiten und Agrardienstleistungen (unter anderem Transport, Speicher, Labors) umfassen. Damit wird die Produktion differenziert und Risiken werden reduziert. Dabei sind Agriholdings kraft Gesetz Agrarbetriebe und genießen eine niedrige Pauschalbesteuerung. Agrarunternehmen sind solche, die nicht weniger als 75 Prozent ihrer Einkünfte aus landwirtschaftlichen Aktivitäten beziehen. Diese Klausel ermöglicht den Agriholdings, auf legalem Weg bis zu 25 Prozent der Unternehmenseinkünfte aus nichtlandwirtschaftsbezogenen Aktivitäten nicht zu versteuern.

Eine offizielle Statistik über Agriholdings existiert nicht. Man spricht von etwa 100 Holdingstrukturen. Nach eigenen Kalkulationen bewirtschaften die zehn größten Agriholdings 6 Prozent der gesamten Agrarfläche und fast 9,5 Prozent des sich in Privatbesitz befindenden Agrarlandes. In letzter Zeit kämpfen die Agriholdings mit den negativen Konsequenzen der nationalen Währungsabwertung. Durch sinkende Agrarpreise und hohe Kreditanteile in den Bilanzen können sie die günstigen Exportbedingungen nicht zu ihrem Vorteil nutzen.

Auf dem staatlichen Sektor kann man zwei große Akteure identifizieren. Eines ist das Staatliche Getreideunternehmen (DPZKU). Es wurde mit der Privatisierung der profitabelsten öffentlichen Agrarbetriebe, Verarbeitungsunternehmen und Dienstleistungseinheiten im Jahr 2011 gegründet. Seitdem sind gegen das DPZKU bereits mehrfach Korruptionsvorwürfe laut geworden. Zunächst eröffnete die Staatsanwaltschaft im Jahr 2012 Ermittlungen gegen das DPZKU wegen des Privatverkaufs von staatlichen Getreidereserven. 2013 erwarb das Unternehmen das Recht, unter der Bürgschaft des Staates Getreidelieferungen nach China durchzuführen. Im Frühjahr 2014 erklärte die chinesische Seite, dass nur 5 Prozent des vereinbarten Importvolumens den Käufer erreicht hätten. Die Lieferungen hatten dennoch die ukrainischen Häfen verlassen. Die Ermittlungen laufen und der chinesische Kredit ist eingefroren. Das DPZKU schreibt rote Zahlen, obwohl es der zweitgrößte Agrarexporteur im Land ist (2014/2015 belief sich sein Anteil an den Gesamtexporten von Getreide und Ölsaaten auf 7 Prozent).

Der zweite staatliche Akteur ist der Agrarfonds. Der Fonds soll direkt bei den Produzenten Getreide ankaufen und damit die Preise auf dem Markt stabil halten (gedacht wird in erster Linie an kleine und mittlere Betriebe). Die Behörde steht aber im Verdacht, große Agrarunternehmen zu bevorzugen. So habe der Agrarfonds in den Jahren 2014 und 2015 72 Prozent des Getreides bei einer der größten Agriholdings (»Rise«) angekauft. Darüber hinaus hat die Internetzeitung Epravda Machenschaften des Agrarfonds mit Beförderungsverträgen enthüllt.

Der Agrarfonds und das DPZKU machen auch gemeinsam Geschäfte. 2011 und 2012 hat eine mit dem DPZKU verbundene Gesellschaft mit Hilfe des staatlichen Leasingprogramms Agrartechnik vom Agrarfonds erhalten, ohne diese zu bezahlen. Letztendlich ist die Gesellschaft im Frühling 2015 Pleite gegangen. Die erstandene Agrartechnik und die Mitarbeiter wurden zügig in eine neue Struktur umgelagert, die weiter mit dem Agrarfonds zusammenarbeitet.

Fazit

Die ukrainische Landwirtschaft setzt stark auf Exporte. Die zurzeit stark beeinträchtigten GUS-Absatzmärkte werden allmählich durch andere Importeure ersetzt. Mehr Bedeutung bekommen asiatische Importeure und die EU. Eine weitere Zunahme der Exporte wäre dabei nicht ohne den Ausbau der Transportinfrastruktur möglich. Dafür braucht das Land dringend Investitionen, die auch in die Maßnahmen für die Erhöhung der Produktionsqualität fließen sollten. Dadurch könnten weitere Märkte erschlossen werden.

Da die Liberalisierung des Handels auf beiden Seiten wirkt, muss die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Agrarproduzenten, auch angesichts der expansiven Agrarexporte aus Drittländern, zusätzlich gestärkt werden. In dieser Hinsicht wird neben den staatlichen Unterstützungsmaßnahmen auch die Schaffung klarer Regeln gefordert. Die heutige Situation, in der der Staat verbundene Strukturen befördert und den Haushalt dadurch benachteiligt, ist unzulässig.

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