"Les Miserables": Biographien von "Noworos" – und ukrainischen Milizkommandeuren im Vergleich

Von Andrey Shcherbak (Higher School of Economics, Sankt Petersburg)

Zusammenfassung
Diese Studie untersucht die sozioökonomischen Merkmale von Milizführern. Zu diesem Zweck werden über fünfzig Biographien ausgewertet: Alter, Ausbildung, Stellung im Erwerbsleben, Beruf, angenommenes Einkommen und soziale und politische Aktivitäten. Die Studie zeigt, dass Milizführer im günstigsten Fall der unteren Mittelschicht angehören. Diese Ergebnisse widersprechen bestimmten Schlüsselkonzepten von Demokratisierungs- und Modernisierungstheorien, die den Übergang zu Demokratie mit einer Expansion (oder mit dem Heranreifen) der Mittelschicht erklären.

Einleitung

Die politische Krise in der Ukraine, die im Herbst 2013 begann, entwickelte sich schnell zu einem »heißen« Konflikt: von gewalttätigen Protesten in Kiew zu einem allein militärischen Konflikt im Osten der Ukraine. Der Beginn der Kampfhandlungen warf ein Schlaglicht auf die Rolle der Kommandeure paramilitärischer Truppen – der »Noworos«-Milizen und des Ukrainischen Freiwilligen Bataillons. Es ist das erste Mal seit 1990, dass solche Akteure im postsowjetischen Raum beobachtet werden können. Erwähnenswert ist, dass diese keine »sowjetischen« Menschen mehr sind, sondern zum größten Teil das Ergebnis der post-sowjetischen Transformation. Aber wer sind diese Milizkommandeure?

Ich untersuche nicht die politischen Biographien, sondern die soziale Herkunft. Diese Studie rückt die Ähnlichkeit der sozialen Herkunft der Milizkommandeure beider Konfliktparteien in den Vordergrund. Ich beobachte, dass Milizführer mit ähnlichem sozioökonomischem Hintergrund eine Gegenelite sind, die die Revolution zu ihrem Vorteil genutzt und ihre Karrierechancen verbessert hat.

Ich behaupte vor allem, dass die Mittelschicht (und die Zivilgesellschaft) nicht als das einzige soziale Fundament der neuen Revolution angenommen werden kann, sondern auch die unteren Schichten berücksichtigt werden müssen. Wenn Letztere die treibende Kraft der Proteste werden, dann ist anzunehmen, dass die Forderung nach Demokratie keine Priorität hat. Die Demonstranten beschäftigen viel mehr die Themen soziale Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Korruption. Folglich öffnet der Regimewechsel wahrscheinlich ein »neues Fenster an Chancen« – nicht nur für Demokratisierung und Strukturreformen. Er kann auch zur Verbesserung der Chancen im Leben von Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten beitragen, für die unter dem alten Regime die Wahrscheinlichkeit für soziale Mobilität nahezu gleich null war.

Milizkommandeure können als perfektes Beispiel für soziale Mobilität in Hochgeschwindigkeit angenommen werden. Einige von ihnen wurden im Kampf getötet; einige starben bei internen Querelen; andere mussten früher oder später nach Hause zurückkehren. Trotzdem hatten einige Kommandeure das Glück, Parlamentsmitglieder zu werden, Verteidigungsminister oder sogar das Oberhaupt einer nicht-anerkannten Republik. Ohne die Untersuchung solcher individueller Karriereverläufe, bekämen Wissenschaftler nur eine unvollständige Vorstellung von der Transformation der ukrainischen Gesellschaft, ihrer Politik und Wirtschaft (und des post-sowjetischen Raums).

Die Untersuchung der Biographien der Kommandeure

Ich wandte die biographische Methode an. Offene Web-Ressourcen nutzend, sammelte ich Daten aus etwa 60 Biographien von Milizkommandeuren beider Konfliktparteien – der Ukraine und »Noworossija«. Die gefundenen Informationen ermöglichten es mir, Daten über das Alter, die Ausbildung, das Anstellungsverhältnis, den Beruf (vor dem Euromaidan), das (angenommene) Einkommen und die Art der politischen Aktivität der Milizkommandeure zu sammeln. Was die letzte Variable betrifft, so war ich nicht an den politischen oder ideologischen Profilen der Kommandeure interessiert, sondern an ihrer Erfahrung mit politischem Aktivismus.

Diese Studie hat bestimmte Grenzen. Zunächst teilen viele Menschen aus der Stichprobe einen Wesenszug, der gewisse Zwänge auferlegt. Eine Kampfeinheit zu führen bedarf militärischer Erfahrung. Es ist nicht überraschend, dass man unter den Kommandeuren recht viele professionelle Militärs finden kann. Zweitens könnten in den neu gegründete Einheiten beider Seiten seit ihrer Bildung bereits häufig die Kommandeure gewechselt haben – aufgrund von Tod, Abschied oder Beförderung. Aus diesem Grund untersuche ich nur die Biographien derjenigen, die Einheiten gegründet haben. Ich glaube, dass die ersten Kommandeure charismatische Anführer sind. Drittens sind der Stichprobe einige politische Führer, meist Angehörige der »DNR«/»LNR«, hinzugefügt worden. Es sollte nicht übersehen werden, dass die Führer der »Noworos« von Anfang an nicht nur Militäreinheiten, sondern auch politische und staatliche Institutionen schaffen mussten. Während die politischen und staatlichen Strukturen der Ukraine keine dramatischen Veränderungen erlebten (nur ein politischer Führer kam hinzu – der Euromaidan-Kommandant Andrij Parubij), existierten die politischen und staatlichen Institutionen der »Noworos« vor dem Frühjahr 2014 noch gar nicht (wie verschiedene Versionen von Regierungen und Parlamenten der »DNR«/»LNR«, unterschiedlichen Räten etc.).

Schließlich konnte ich Daten von 54 Milizkommandeuren sammeln – im etwa gleichen Verhältnis »Ukraine« zu »Noworossija«. Der gesammelte Datensatz unterliegt verschiedenen Einschränkungen und Schwierigkeiten. Erstens sind die Daten nicht ausreichend. Viele Kommandeure kamen aus dem Nichts, und es gab keine Medienberichte. In der Zeit nach dem Euromaidan zogen die Medien es vor, sich auf die aktuellen Aktivitäten der Kommandeure zu konzentrieren, anstatt über ihre Biographien aus den Jahren vor 2013 zu recherchieren. Zweitens boten die Kommandeure eine unterschiedliche Medienaktivität – einige waren immer von Journalisten umgeben, andere vermieden den Kontakt zu den Medien. Drittens kann aufgrund des sehr ausgeprägten »Informationskrieges« zwischen der Ukraine und »Noworossija«/Russland nicht ausgeschlossen werden, dass die gesammelten Daten falsche Informationen enthalten. Allerdings enthält der Datensatz zumeist politisch »neutrale« Informationen wie Alter, Ausbildung, Beruf etc. Viertens war es für viele Indikatoren nur möglich, grundsätzliche Variablen zu erstellen, die die quantitative Analyse auf beschreibende Statistiken und T-Tests eingrenzen. Um aussagekräftigere Resultate zu erlangen, teile ich meine Stichprobe nach Durchschnittsalter (jünger und älter als 40 Jahre) und politischer Zugehörigkeit/Geographie (Ukraine vs. »Noworossija«).

Empirische Analyse der Biographien von Milizkommandeuren

Alter. Das Durchschnittsalter des Kommandeurs ist 40,6 Jahre, mit einem kleinsten Wert von 23 Jahren (Alexej Miltschakow, »Serbe«, Einheit »Rusitsch«, »Noworossija«) und einem größten Wert von 58 Jahren (Nikolaj Kosizyn, Kosaken-Nationalgarde, »Noworossija«). Laut unserer Ergebnisse sind 30 Kommandeure jünger als 40 Jahre und 27 älter. Es gibt keinen signifikanten Unterschied im Durchschnittsalter der ukrainischen (40,3 Jahre) und der »Noworos«-Kommandeure (41 Jahre). Im Allgemeinen sind sie Männer mittleren Alters, in der Mitte ihres Werdegangs.

Ausbildung. Das durchschnittliche Bildungsniveau eines Kommandeurs ist eher niedrig (siehe Grafik 1 auf S. 17). Der Durchschnittswert beträgt 2,41 (auf einer Skala von null bis fünf). Ich fand heraus, dass zehn Kommandeure nur Sekundarschulbildung hatten (etwa 20 Prozent), drei weitere Personen nur eine Berufsausbildung. Einerseits haben bis zu 60 Prozent (30 Personen) einen Hochschulabschluss. Andererseits erscheint der Bildungshintergrund der Kommandeure unterschiedlich, wenn man die Qualität der besuchten Universitäten überprüft. Nur sechs von dreißig Kommandeuren absolvierten erstklassige ukrainische Universitäten (definiert als die Top-25-Universitäten im nationalen ukrainischen Ranking). Schließt man Alexander Borodaj (allgemeiner Berater des Vorsitzenden des Ministerrats der »DNR«) mit seinem Abschluss in Philosophie an der Moskauer Staatlichen Universität aus, dann verbleiben nur fünf Personen mit einer »elitären« Ausbildung in der Stichprobe. Sie absolvierten die Nationale Universität Charkiw, die Nationale Universität Dnepropetrowsk, die Nationale Universität Donezk, die Nationale Universität Lwiw und die Nationale Universität für Radioelektronik in Charkiw). Von diesen fünf erlangten drei Kommandeure Abschlüsse in Geschichte und einer in »Informationskontrollsysteme und –technologien«. Ich konnte keine Informationen über den Ausbildungshintergrund des fünften Kommandeurs finden. Die Mehrheit der Kommandeure schloss rangniedrige Universitäten wie die Nationale Universität Uschhorod (41. Rang), die Staatliche Universität Cherson (86. Rang), die Nationale Universität Kriwyj Rih (121. Rang) etc. ab. Es sollte festgehalten werden, dass fast keiner von ihnen in seinem Spezialgebiet gearbeitet hat.

Der Vergleich des ukrainischen und des »Noworos«- Anteils der Stichprobe offenbart eine Abweichung von 2,76 zu 1,95. Der T-Test zeigt jedoch, dass diese Abweichung bedeutungslos ist. Während es unter den »Noworos«-Kommandeuren mehr mit nur Sekundarschulbildung (sechs Personen vs. vier), mit Berufsausbildung (zwei vs. eine), aber weniger Kommandeure mit höherer Ausbildung (acht vs. dreizehn), mit höherer und militärischer Ausbildung (einer vs. drei) und mit zwei höheren Ausbildungen (einer vs. vier) gibt, gibt es Kommandeure mit militärischer Ausbildung im gleichen Verhältnis (vier vs. vier).

Indes zeigt sich bei Aufteilung der Stichprobe nach Durchschnittsalter, dass die Unterschiede im Bildungsniveau zwischen den »jungen« (1,92) und den »älteren« (2,83) Kommandeuren statistisch signifikant sind. Am wichtigsten: Unter den jungen sind mehr Personen mit Sekundarschulbildung (neun vs. eine), mit Berufsausbildung (drei vs. null), mit zwei höheren Ausbildungen (drei vs. eine), aber weniger Personen mit militärischer Ausbildung (eine vs. sieben), mit militärischer und höherer Bildung (null vs. vier) und im gleichen Verhältnis Kommandeure mit höherer Bildung (zehn vs. elf). In Anbetracht dieser Zahlen wird klar, dass die jüngere Generation entweder beschränkten Zugang zu universitärer Ausbildung hatte oder ihre Karrierestrategien verändert hat. Zum Beispiel zogen junge Kommandeure selten eine militärische Ausbildung als Karrierevorteil in Betracht (einer vs. elf).

Schlussfolgernd lässt sich feststellen, dass das Bildungsniveau der Kommandeure eher niedrig ist. Obwohl die Mehrheit einen Universitätsabschluss hat, sind dies in erster Linie rangniedrige Universitäten.

Angenommenes Einkommen. Die Verteilung der Kommandeure nach ihrem angenommenen Einkommen ergibt ein einheitliches Bild (s. Grafik 2 auf S. 17). Der Durchschnittswert ist 1,79, was ein wenig unterhalb des mittleren Einkommens (2,0) ist. Die Aufteilung der Stichprobe nach Alter (»jung« – 1,68, »älter« – 1,91) und nach politischer Zugehörigkeit (Ukraine – 1,87, »Noworossija« – 1,71) ergibt keinen statistisch signifikanten Unterschied.

Beruf/beruflicher Hintergrund. Die Verteilung der Kommandeure nach Beruf und beruflichem Hintergrund ergibt uneinheitliche Ergebnisse (s. Grafik 3 auf S. 18). Es überrascht nicht, dass militärische Berufe und Berufe im Bereich Sicherheit die Stichprobe dominieren (13 Personen, 24,5 Prozent), Unternehmer sind die zweitgrößte Gruppe (12 Personen, 22,6 Prozent) und Politiker/politische Aktivisten folgen auf dem dritten Rang (acht Personen, 15,4 Prozent). Ihnen folgen Angestellte/Manager (sechs Personen, 11,3 Prozent), Beamte (fünf Personen, 9,4 Prozent) und schließlich Arbeiter und Privatschützer (je vier Personen, 7,5 Prozent). Diese Zahlen beinhalten eine breite Palette an Berufen. Unter den Militärs sind ein Ex-Kommandeur der »Alpha«-Einheit in der Region Donezk (Chodakowskij), ein Mitglied der »Berkut«-Spezialeinheit (Jagolenko), ein Angestellter des Militärkomissariats in der Stadt Swatowe – er ist außerdem Frontmann des dortigen Männerchors (Mosgowoj). Unter den Unternehmern kann man einen Eigentümer eines Produktionsbetriebs für Treibstofftanker finden (Teteruk), einen Inhaber eines kleinen Ladens (Karjakin) und einen Teilhaber an Unternehmen für die Organisation von Kindergeburtstagen und die Erstellung von Außenwerbung (Pawel Gubarew, »Noworossija«). Politiker und politische Aktivisten werden repräsentiert von einem Parlamentsmitglied (Andrij Parubij), einem Stadtratsabgeordneten (Woizechowskij), einem Parteiaktivisten (Mikola Kolesnik, Ukraine) und einem Kosaken-Otaman (»Leshij« Pawlow [Holz-Kobold], »Noworossija«). Unter den Angestellten/Managern gibt es einen stellvertretenden Direktor eines landwirtschaftlichen Betriebs (Konstantin Matejtschenko, Ukraine) und einen Angestellten einer Handelsfirma (Puschilin, »Noworossija«). Die Beamten werden von einem Zollbeamten (Fedorenko), einem Vorsitzenden der Handelsüberwachungsstelle der regionalen Aufsichtsbehörde für Verbraucherschutz (Igor Plotnizkij, »Noworossija«) und einem stellvertretenden Direktor einer Universität (Andrij Bilezkij, Ukraine) vertreten. Unter den Arbeitern kann man einen Industriekletterer finden (»Giwi« Tolstych, »Noworossija«) und einen Maurer (Pawel Dremow, »Batja« [Väterchen], »Noworossija«). Und schließlich arbeiteten die Privatschützer in einem Nachtclub (Alexander Bednow, »Batman«, »Noworossija«) und beim Sicherheitsdienst einer Fabrik (Besler »Bes« [Teufel], »Noworossija«). Wichtig ist, dass in der Stichprobe Vertreter der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht völlig fehlen. Für das Militär/die Polizei ist Oberst der höchste Offiziersrang. Es gibt keine Top-Unternehmer. Es gibt nur einen hochrangigen Staatsbeamten – ein Parlamentsmitglied, es gibt auch keine Vizegouverneure, Abteilungsleiter oder Bürgermeister. Diese Ergebnisse legen nahe, dass es fast keine Eliten unter den Milizkommandeuren gibt.

Im Folgenden vergleiche ich den ukrainischen Anteil der Stichprobe mit dem von »Noworos«. Bei den ukrainischen Kommandeuren gibt es deutlich mehr Beamte (vier vs. einer), Militärangehörige/Polizisten (zehn vs. vier) und ein paar Politiker/politische Aktivisten mehr (fünf vs. drei). Die Kommandeure von »Noworos« sind deutlich häufiger Arbeiter (fünf vs. null) und Unternehmer (neun vs. drei). Es gibt ein paar Privatschützer mehr (zwei vs. einer) und einige Angestellte weniger (einer vs. zwei). Dies führt zu der Annahme, dass unter den ukrainischen Kommandeuren im Gegensatz zu denen von »Noworos« Vertreter des öffentlichen Sektors wie Beamte, Polizisten und Politiker die Mehrheit bilden, während die Kommandeure von »Noworos« hauptsächlich Arbeiter und Unternehmer aus dem privaten Sektor sind.

Bei der Aufteilung der Stichprobe nach Alter zeigt sich eine recht gleichmäßige Verteilung in der beruflichen Stellung. Die »jungen« Kommandeure haben häufiger Positionen im öffentlichen Sektor inne (drei vs. einer) und sind als Arbeiter tätig (fünf vs. null). Die »älteren« Kommandeure sind etwas häufiger unter den Unternehmern (sieben vs. fünf), den Polizisten und Militärangehörigen (acht vs. sechs) und den Politikern (fünf vs. drei). Es gibt genauso viele »junge« wie »ältere« Kommandeure, die Privatschützer (einer vs. zwei) und Angestellte sind (drei vs. drei).

Politische und soziale Aktivitäten. In der Stichprobe gibt es einen etwa gleich großen Anteil an Menschen mit und ohne Erfahrungen im politischen und sozialen Aktivismus vor dem Euromaidan – etwa 47,2 Prozent haben solche Erfahrungen und 52,3 Prozent haben sie nicht. Die anschaulichsten Beispiele sind der Otaman der Großen Don Armee (Nikolaj Kozitsyn, »Noworossija«), der Vorsitzende der Stadtversammlung der WDW-Veteranen [Luftlandetruppen] von Krywyj Rih (Mikola Kolesnik, Ukraine), der Vorsitzende des Verbands Ukrainischer Friedenswächter (Gumenjuk, Ukraine) oder der regionale Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (Mikola Kochanivskij, Ukraine). Meiner Meinung nach ist es auffällig, dass in der Stichprobe Veteranen, Kosaken und Vertreter nationalistischer Organisationen, bei gleichzeitiger Abwesenheit von Vertretern aus pro-demokratischen, zivilen oder Menschenrechtsorganisationen, überwiegen.

Die Aufteilung der Stichprobe nach politischer Verortung offenbart einen größeren Anteil politisch aktiver (vor der Krise) Kommandeure in der Ukraine (60 Prozent) im Vergleich zu »Noworossija« (36 Prozent). Allerdings zeigt der T-Test keinen statistisch relevanten Unterschied zwischen den Proben. Es gibt außerdem keinen altersbedingten Unterschied: 46 Prozent der »jungen« Kommandeure haben frühere politische oder soziale Erfahrungen im Vergleich zu 48 Prozent der »älteren«.

Offiziere. Die Kampf- bzw. professionelle militärische Erfahrung könnte als offensichtlicher Vorteil für einen potentiellen Kommandeur gesehen werden. Deshalb wurde der professionelle militärische/polizeiliche Hintergrund (Bekleiden eines Offiziersrangs) untersucht. Die Analyse zeigte, dass 53 Prozent der Kommandeure vorher Offiziere waren (Pensionäre und Reservisten eingeschlossen). Dies ist eine beeindruckende Zahl, es bedeutet aber auch, dass am Aufbau von Militäreinheiten nicht allein professionelle Offiziere beteiligt waren.

Die Aufteilung der Stichprobe nach politischer Verortung lässt einen deutlichen Unterschied im Anteil an Offizieren erkennen (ukrainische Verbände 60 Prozent vs. »Noworos« 35 Prozent). Die Aufteilung nach Alter liefert auch augenfällige Ergebnisse: 65 Prozent Offiziere unter den »Älteren«, bei nur 37 Prozent unter den »Jungen«. Auch das Gleichgewicht zwischen Militär- und Polizeioffizieren wurde untersucht, ist aber nicht signifikant – der Anteil an Polizeioffizieren (53,6 Prozent) ist etwas höher als der Anteil an Militäroffizieren (46,4 Prozent).

Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: Es ist jetzt möglich, Antworten auf die wichtigste Frage zu geben – Wer sind diese Milizkommandeure? Ein durchschnittlicher Kommandeur ist etwa 40 Jahre alt, hat ein niedriges angenommenes Einkommen, ist schlecht ausgebildet (mit Abschluss von einer rangniedrigen Universität) und hat einen geringen beruflichen Status. Ein durchschnittlicher Kommandeur hat außerdem wahrscheinlich einen wenig prestigeträchtigen Job.

Ich möchte die Bedeutung von drei ausgeprägten Merkmalen unterstreichen. Es gibt zu viele Offiziere unter den Kommandeuren, politische und soziale Aktivisten und fast keine Eliten.

Fazit

Das wichtigste Fazit dieser Studie ist, dass die Kommandeure wahrscheinlich nicht zur Unterschicht, aber sicher nicht zur Mittelschicht der ukrainischen Gesellschaft gehören. Im besten Fall gehören sie zur unteren Mittelschicht und möglicherweise sogar zu einem Verbund von unterer Mittel- und Unterschicht. Diese Annahme fußt auf ihrer niedrigen Bildung, ihrem geringen beruflichen Status, dem niedrigen angenommenen Einkommen und in einigen Fällen dem Vorhandensein von Vorstrafen. Es gibt ziemlich viele zusammengewürfelte, merkwürdige Leute unter ihnen (zum Beispiel Wachmänner, einen Landwirt, einen Maurer, arbeitslose Kosaken und politische Aktivisten), aber keine Eliten. Gleichzeitig gibt es herausragende und talentierte Personen, die unter dem vorherigen Regime keine Karriereaussichten hatten. Keiner von ihnen hatte Zugang zu einer angesehenen Ausbildung oder zu Luxuspositionen in Wirtschaft und Politik. Allerdings hatten sie ausreichend soziales und politisches Kapital, um aus dem Nichts Kampfeinheiten und politische Koalitionen zu schaffen. Möglicherweise kann dieses Paradoxon mit sozialen Beschränkungen und Ungleichheit erklärt werden, die den sozialen Aufstieg in der Ukraine behindern. Es gibt einen Unterschied im Bildungsniveau von »älteren« und »jungen« Kommandeuren. Entweder wurde den »jungen« der Zugang zu renommierter Ausbildung verwehrt oder aber die Investition in eine Ausbildung wird nicht als zuverlässige Strategie zur Förderung der Karriere wahrgenommen. Die Ukraine-Krise schaffte ein »Fenster der Möglichkeiten« für sie, und sie verpassten nicht die Gelegenheit, ihre Karrierechancen zu verbessern. Einige von ihnen wurden befördert – zum Mitglied der Werchowna Rada, zum Verteidigungsminister oder sogar zum Oberhaupt einer nicht-anerkannten Republik. Die plötzlichen gesellschaftlichen Veränderungen verwandelten diese Milizkommandeure in die neue Gegenelite der ukrainischen Gesellschaft.

Übersetzung aus dem Englischen: Alena Göbel

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