Meinungsumfrage auf der Krim

Das Konsortium »Offene Meinung« (im russischen Original: Otkrytoe Mnenie), ein Zusammenschluss kleinerer russischer Meinungsforschungsinstitute, versucht durch die freizugängliche, kritische Analyse von Meinungsumfragen zu einer methodischen Diskussion und einer Qualitätsverbesserung beizutragen. Das Konsortium hat so u. a. die Wahlbefragungen der drei großen russischen Meinungsforschungsinstitute zu den Moskauer Bürgermeisterwahlen verglichen.

Das neueste Projekt ist eine Meinungsumfrage unter den »verschärften« Bedingungen der von Russland annektierten Krim. Wir veröffentlichen hier die in unserem Auftrag übersetzte Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Presseerklärung Nr. 4 des Projektes. Das russische Original ist im Internet zugänglich unter <http://openopinion.ru/materials/otkrytoe_mnenie-_krym/otkrytoe_mnenie_-_krym_informaciya_dlya_pressy.html>

Ergänzend zeigt der auf den Text folgenden Datenteil ausgewählte Umfrageergebnisse, die der Dokumentation der Ergebnisse entnommen wurden, die ebenfalls im russischen Original im Internet frei zugänglich ist: <http://openopi nion.ru/materials/otkrytoe_mnenie-_krym/otkrytoe_mnenie_-_krym_rezultaty_issledovaniya.html>

Eine unabhängige Überprüfung der Antworten in konkreten Umfrageprojekten ist natürlich grundsätzlich nicht möglich. Ebenso ist nicht zu klären, inwieweit die Befragten in der Umfrage ehrlich antworten oder die für erwünscht gehaltene Antwort geben. In einer vom unabhängigen Lewada-Zentrum russlandweit durchgeführten Umfrage erklärte Ende 2015 ein Viertel der Befragten, dass sie Angst hätte in soziologischen Umfragen ihre Meinung zur aktuellen Lage zu äußern. Sogar die Hälfte ging davon aus, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung aus Furcht vor negativen Folgen ungern ihre eigene Meinung sagt. (Quelle: <http://www.levada.ru/2016/01/22/kazhdyj-chetvertyj-boitsya-delitsya-mneniem-s-sotsiologom/>)

Die Redaktion der Ukraine-Analysen

Presseerklärung Nr. 4: Die unabhängige soziologische Studie »Die offene Meinung – Krim« wurde abgeschlossen (20.07.2016)

Das soziologische Konsortium »Die offene Meinung« hat einen kurzen analytischen Bericht über die Ergebnisse der unabhängigen soziologischen Studie »Die offene Meinung – Krim« erstellt und frei zugänglich veröffentlicht. […]

Die Studie basiert auf einer kombinierten (telefonischen und persönlichen) Befragung der Bevölkerung der Halbinsel auf Grundlage einer repräsentativen Stichprobe von 1.100 Personen (Repräsentation nach Geschlecht, Alter, Nationalität, Wohnort und Größe des Wohnortes). Die Umfrage wurde vom 9. bis 18. Juni 2016 von fünf unabhängigen Forschungszentren (vier aus Russlands und eins aus Belarus) durchgeführt.

Zu den meisten Studien, die in den vergangenen zwei Jahren auf der Krim durchgeführt wurden, sind weder die Erhebungsmethoden noch die Ergebnisse veröffentlicht worden. Unter anderem auch aus diesem Grund wurden die präsentierten Daten fast immer in Frage gestellt und kritisiert, unabhängig von den unterschiedlichen Urhebern, Methoden und Themen der Studien. Die Kritik an den Projekten bezog sich in erster Linie auf eine zentrale These: »die korrekte Untersuchung eines sich permanent im Wandel befindenden Sozialobjektes ist unmöglich«. Das soziologische Konsortium »Die offene Meinung« hat diese Position als eine professionelle Herausforderung betrachtet: »Wir halten es für prinzipiell möglich und äußerst wichtig die öffentliche Meinung der Bevölkerung der Halbinsel auch in einer schwierigen geopolitischen Lage zu studieren«. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wurde eine offene unabhängige soziologische Erhebung durchgeführt, deren Forschungsmethoden und Ergebnisse auf der Internetseite des Konsortiums OpenOpinion.ru frei verfügbar sind.

Der veröffentlichte Bericht ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Umfrage »Die offene Meinung – Krim« zu den folgenden Themen, die den Gegenstand der Studie darstellten:

Allgemeines soziales Wohlbefinden und Selbsteinschätzung der eigenen materiellen Lage;Aktuelle soziale Problematik;Beurteilung der Veränderungen auf der Halbinsel, die in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben;Zufriedenheit mit der Lage auf der Krim, in Russland und in der Ukraine;Informationsnutzung und wichtigste Informationsquellen;Territorial-bürgerliche Identität;Migrationsabsichten;Einstellung zum Referendum von 2014, Einstellung zur Eingliederung der Krim in die Russische Föderation;Eigene Wahlbeteiligung;Sozio-demographische Merkmale, wie Bildung, sozialer Status, Beschäftigung, Einkommensquellen, Lebensdauer auf der Krim.

Die wichtigsten Untersuchungsergebnisse:

Heute befindet sich die Bevölkerung der Republik Krim in einem Transformationsprozess ihrer bürgerlichen Identität: ihre Selbstwahrnehmung (einschließlich der bürgerlichen, territorialen und nationalen) befindet sich in einem Wandel, der bei einer Änderung der staatlicher Zugehörigkeit unvermeidlich ist. So sind deutliche Unterschiede in der territorialen Identität zwischen der Bevölkerung der Krim und den Russen allgemein festzuhalten. Auf der Halbinsel ist die regionale Komponente viel ausgeprägter (»Ich bin ein Einwohner meiner Region, der Krim«). Die Identifikation mit dem Land (»Ich bin ein Einwohner Russlands«) ist sowohl auf der Krim als auch in der ganzen Russischen Föderation die häufigste, aber als Anteil an der Gesamtbevölkerung erreicht sie auf der Krim nicht einmal die Hälfte, im Gegensatz zu Russland insgesamt.Nach der Eingliederung der Krim nach Russland haben sich Migrationsprozesse intensiviert. In den letzten zwei Jahren ist ein Teil der Bevölkerung weggegangen, und ein erheblicher Teil ist zugezogen. Nach den Umfrageergebnissen ist in den kommenden Jahren keine Abschwächung der Migration zu erwarten. Dabei bleibt die nationale Struktur der Bevölkerung der Krim bisher stabil (mit Ausnahme einer gewissen Abnahme des Anteils der Bürger, die sich als »Ukrainer« bezeichnen). Die Indikatoren der sozialen Zufriedenheit der Bürger der Krim wie Zufriedenheit mit dem derzeitigen Leben und Selbsteinschätzung der materiellen Lage sind im Vergleich zur russischen Bevölkerung insgesamt gekennzeichnet durch einen höheren Anteil an positiven Bewertungen. Dies kann sowohl mit objektiven positiven Veränderungen im Leben der Krimbewohner als auch mit dem psychologischen Effekt der Eingliederung in die Russische Föderation verbunden sein.Die Wahrnehmung aktueller sozialer Probleme durch die Bevölkerung [der Krim] ist typisch für russische Regionen: zu den akuten Problemen zählen der Lebensstandard (niedrige Löhne und hohe Preise), schlechte Straßen, die Kommunalwirtschaft (schlechte Qualität und hohe Tarife), die medizinische Versorgung und Korruption. Ein großer Teil der Probleme, die mit dem neuen Status der Krim verbunden sind – wie der Abbruch der Beziehungen zur Ukraine, Zuwanderung neuer Einwohner, fehlender Wunsch eines Teils der Krim-Bevölkerung in Russland zu leben, Lebensmittelblockade seitens der Ukraine, Schwierigkeiten mit den Reisen ins Ausland – stehen im unteren Teil der Rangliste der sozialen Probleme der Halbinsel. Man kann nicht sagen, dass sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung diesbezüglich Sorgen macht, aber diese Probleme sind eindeutig nicht »ganz vorne« und sind in ihrer Bedeutung nicht vergleichbar mit den sozio-ökonomischen Problemen, die auch für viele andere russische Regionen typisch sind. Beim Medienkonsum, insbesondere bezüglich der Informationsquellen, unterscheidet sich die Bevölkerung der Krim kaum von der russischen Bevölkerung insgesamt. Hauptinformationsquelle über Ereignisse im Land und in der Welt ist, wie auch im gesamten Russland, das Fernsehen. Der Anteil der Internetnutzer ist auch gleich. Eine Besonderheit ist der relativ verbreitete Konsum von Nachrichtensendungen ukrainischer Fernsehkanäle, obwohl eine offizielle Übertragung ukrainischer Fernsehsender nicht gegeben ist. Der wesentliche Unterschied zu den gesamtrussischen Indikatoren besteht darin, dass auf der Krim »Gespräche mit Verwandten, Freunden, Kollegen und Bekannten« auf dem zweiten Platz der Rangliste der Informationsquellen landeten. Dies kann durch die Tatsache erklärt werden, dass aufgrund der vielfältigen und widersprüchlichen Informationen, die aus Russland und aus der Ukraine auf die Krim gelangen, die Krimbewohner vermehrt Informationen von Bezugspersonen vertrauen und das Bedürfnis haben, Informationen aus verschiedenen Quellen zu diskutieren. Die zwischenmenschliche Kommunikation ist eine zentrale Plattform für die Entwicklung der öffentlichen Stimmungen. Zwei Jahren nach dem Referendum über die Eingliederung der Krim nach Russland konnten bei der Krimbevölkerung keine bedeutenden Veränderungen der Stimmung bezüglich der zentralen geopolitischen Frage über die Selbstbestimmung festgestellt werden. Die Befragten befürworten überwiegend die Wahl der Krimbevölkerung von 2014. Diese Wahrnehmung wird in vielerlei Hinsicht durch die negativen Einschätzungen der Lage in der Ukraine verstärkt, was die Eingliederung in die Russische Föderation in den Augen der Befragten umso mehr rechtfertigt. Darüber hinaus bestätigt das im Vergleich zur russischen Bevölkerung insgesamt deutliche höhere Niveau der Beteiligung am staatlich-politischen System Russlands (ausgedrückt insbesondere in der Absicht eines erheblichen Teils der Bevölkerung der Krim an den kommenden Wahlen zum russischer Parlament teil zu nehmen) die Schlussfolgerung, dass die Krimbewohner zu ihrer staatspolitischen Wahl von 2014 stehen. Eine deutlich kritischere Haltung gegenüber der aktuellen Lage und den in den letzten zwei Jahren stattgefundenen Veränderungen wurde in einer sozialen Gruppe festgestellt, die durch ihre nationale Zuordnung, nämlich zur Gruppe der Krimtataren, bestimmt ist. Diese Gruppe als solche ist nicht homogen, aber negative Einstellungen sind viel weiter verbreitet als in anderen Gruppen. Etwa die Hälfte der befragten Krimtataren (d. h. ca. 6 % der gesamten Bevölkerung der Halbinsel Krim) ist heute mit den laufenden Veränderungen sehr unzufrieden. Allerdings wurde kein Einfluss dieser Gruppe auf die Gesamtbevölkerung festgestellt, und die Probleme der internationalen Beziehungen werden von der Bevölkerung nicht als besonders relevant betrachtet.Die soziologische Studie »Die offene Meinung – Krim« hat gezeigt, dass die Bedenken bezüglich der »Zurückhaltung« der Krimbewohner bei der Teilnahme an Umfragen und der Offenlegung der eigenen Ansichten zu den Alltagsproblemen auf der Halbinsel deutlich übertrieben sind. Die Bereitschaft der Bevölkerung auf die Fragen der Soziologen zu antworten (»Kooperationskoeffizient«) war anderthalb Mal höher als dies bei landesweiten Telefonumfragen üblich ist. Trotz der im Rahmen der Umfrage gestellten ziemlich sensiblen Fragen (über das Referendum, Korruption, Nationalität und ähnliche Probleme) hat nur ein geringer Anteil der Befragten angegeben, einige Fragen aus dem Fragebogen nicht beantworten zu wollen. Damit kann festgehalten werden, dass die Durchführung von soziologischen Studien auf der Krim im Kontext des geopolitischen Wandels selbstverständlich möglich ist und bei der Anwendung der richtigen Methoden sogar durchaus zuverlässige Ergebnisse liefern kann.

Übersetzung aus dem Russischen: Lina Pleines

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Analyse

Neue politische Zersplitterung auf der »Insel der Krimtataren«. Radikalisierung des politischen Programms?

Von Yuliya Borshchevska
Wenn es um die Krimtataren geht, stehen meist deren Beziehungen zum ukrainischen Staat im Mittelpunkt. Oft wird auch nach der Wiederherstellung ihrer aufgrund der Deportation entzogenen Rechte gefragt. Die gesamte krimtatarische Bevölkerung war unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den Deutschen 1944 vor allem nach Usbekistan deportiert worden und erst 1989 in die Heimat zurückgekehrt. Die Krimtataren selbst formulieren ihre Ziele heute klar: Durchsetzung einer breiten Palette von Rechten, wozu auch die Etablierung einer national-territorialen Autonomie der Krimtataren auf der Halbinsel Krim gehört. Diese Forderung steht ganz oben auf der Agenda. (…)
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Analyse

Die Krimtataren in der Ukraine-Krise

Von Uwe Halbach
Die Annexion der Krim durch Russland wirft Fragen aktueller und geschichtlicher Relevanz auf, die nicht zuletzt die tatarische Volksgruppe betreffen. Auch wenn die Krimtataren dort nur etwa 12 Prozent der lokalen Bevölkerung stellen, verdienen ihre gegenwärtige Situation, ihre historische Erfahrung und der aus ihr abgeleitete Vorbehalt gegen russische Oberherrschaft Aufmerksamkeit. Moskau schwankte unmittelbar nach der Annexion zwischen Initiativen zur Rehabilitation der Krimtataren, die zu den »bestraften Völkern« der ehemaligen Sowjetunion gehören, und repressiven Maßnahmen wie Einreiseverboten für ihre politischen Führer. In der Folgezeit wuchs der Druck auf die seit 1991 bestehenden krimtatarischen Repräsentationsorgane Medschlis (Rat) und Kurultai (Nationalversammlung). Die tatarische Minderheit wird von der neuen Regierung in Simferopol nun zunehmend bezichtigt, Konflikte zu schüren, und mit Hausdurchsuchungen und anderen Kontrollmaßnahmen unter Druck gesetzt. (…)
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