»Gatekeepers« in Krisenzeiten: Wie Journalisten die Einflüsse auf Nachrichten über den Ostukraine-Konflikt wahrnehmen

Von Antonia Schaefer (Bremen)

Zusammenfassung
Die konträre Berichterstattung im Ostukraine-Konflikt wurde von verschiedenen Seiten als Cyberwar, Informationskrieg oder gar Propaganda bezeichnet. In einer qualitativen Studie wurde untersucht, welche Einflüsse in dieser unübersichtlichen Konfliktsituation auf ukrainische und deutsche Journalisten einwirken. Besonders die Diskussion externer Einflüsse macht deutlich, wie ein von Unsicherheit, Fehlinformationen und plötzlich auftretendem Patriotismus geprägtes Umfeld Journalisten auf beiden Seiten zur Reflexion ihrer Rolle und ihrer Verantwortung veranlasst. Die Frage nach einem ethischen Umgang des Journalismus mit den Bedingungen des Informationskriegs bleibt ungeklärt.

Einleitung

»In der Ukraine haben wir ein großes Problem mit der Realität und der Interpretation der Realität. (…) Wir haben drei Realitäten. Es ist sehr kompliziert, das alles zusammenzufügen. Und deswegen … ich meine, die Journalisten versuchen wirklich, objektiv zu sein. Sie versuchen zu zeigen, was passiert ist, aber manchmal ist das so mit der Realität – es ist einfach schwierig, sie nachzuvollziehen.« – unabhängige TV-Journalistin aus Kiew.

Als die Euromaidan-Proteste Ende 2013 Dimensionen annahmen, die auch eine internationale Berichterstattung nach sich zogen, begannen die medialen Interpretationen der Ereignisse immer stärker auseinanderzudriften. Russische, westliche und ukrainische Medien bildeten die Demonstrationen auf unterschiedliche, wenn nicht gar gänzlich konträre Weise ab. Während sich die Stimmung in der Ukraine weiter aufheizte, wurde der Konflikt in der Berichterstattung immer wieder als Cyberwar, Informationskrieg oder schlicht Propaganda bezeichnet. Während russische und westliche Medien als komplett widersprüchlich wahrgenommen wurden, wurde den ukrainischen Medien meist ihre journalistische Autonomie abgesprochen. Allerdings haben die Euromaidan-Proteste die Konditionen für ukrainische Journalisten verändert. Der systemische Wandel, etwa in Form des Niedergangs der Zensur oder des Entstehens neuer Medienprojekte wie Hromadske international, hat Bewegung in das sowjetisch geprägte sowie oligarchisch und staatlich beeinflusste System gebracht. Während ukrainische Journalisten an erster Stelle damit zu kämpfen hatten, den Konflikt in ihrem eigenen Land zu begreifen, sahen sich Auslandskorrespondenten durch die außergewöhnlichen Umstände des Konflikts in ihrer Berichterstattung eingeschränkt. In einer qualitativen Studie hat die Autorin zwölf ukrainische und deutsche Journalisten über Einflüsse auf ihre Berichterstattung über den Ostukraine-Konflikt befragt.

Externe Einflüsse als maßgeblicher Faktor

Was beeinflusst Nachrichten? Auf diese Frage scheint es schon in einem stabilen politischen Umfeld unzählige Antworten zu geben. Von individuellen über organisationsabhängige und externe Einflüsse bis hin zu allumfassenden ideologischen Faktoren – Kommunikationstheoretiker und Mediensoziologen beschreiben verschiedene Einflussebenen, die ein Ereignis durchläuft, bis es als Medienprodukt veröffentlicht wird. Während sich der wissenschaftliche Diskurs insbesondere mit der Handlungsfreiheit von Journalisten in Bezug auf Medieninhalte auseinandersetzt, ist der Konflikt im Fall der Ukraine als besondere externe Einwirkung zu werten, die die Arbeit von Journalisten über alle Einflussebenen hinweg maßgeblich prägt. Die befragten Journalisten nannten zwar auch routinierte Arbeitsabläufe, Medienorganisationsstrukturen und individuelle Faktoren als Einflüsse auf ihre Arbeit, der Fokus lag jedoch meist auf außerhalb der Medienorganisationen angesiedelten Einflussebenen. Diese werden im Folgenden erläutert.

Intendierte Einflussnahme – der Kampf um Deutungshoheit

Wenn Krieg herrscht, geht es den kriegsführenden Staaten immer auch um die Unterstützung der Bevölkerung. Dabei spielen Journalisten eine besondere Rolle. Dementsprechend versuchen Regierungen und Militärs in Kriegssituationen, Einfluss auf Medien zu nehmen. Über die maßgeblichen Akteure dieser Einflüsse im Ostukraine-Krieg sind sich deutsche und ukrainische Journalisten größtenteils einig: Die Teilnehmer der Studie sehen die russische wie auch die ukrainische Regierung sowie gesellschaftliche Akteure als Quellen bzw. Initiatoren intendierter Einflussnahme an.

Die Einflussnahme der ukrainischen Regierung bewerten die Befragten sehr unterschiedlich. Während niemand das Vorhandensein eines gewissen Einflusses insbesondere auf ukrainische, staatliche und staatsnahe Medien abstreitet, äußern sich doch gerade die Mitarbeiter dieser Medien gespalten über staatlich veranlasste redaktionelle Einschränkungen. So erzählt eine Mitarbeiterin eines staatlichen Radiokanals, wie sehr sie die Restriktionen verabscheue. Laut Übersetzung durch die Dolmetscherin sagt sie: »(…) es ist total schlimm alles (…), die Journalisten müssen jeden Bericht nach Kiew schicken. (…) Und das wird dann von der Regierung kontrolliert und bewilligt.« Andererseits verteidigt ein Mitarbeiter eines regierungsnahen Fernsehsenders die Regelung, keine Separatisten zu zeigen, mit der Begründung, diese würden »Leute umbringen«. Unabhängige ukrainische Medien sowie die deutschen Auslandskorrespondenten verzeichnen keine direkten Eingriffe durch die ukrainische Regierung auf ihre Arbeit, sondern berichten eher von einem einfachen Zugang zu Regierungsinformationen, z. B. durch den häufigen Versand von Pressemitteilungen sowie über E-Mail-Verteiler oder Pressekonferenzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Journalisten eine starke Einmischung der ukrainischen Regierung in die Arbeit staatlicher und staatsnaher Medien wahrnehmen. Unabhängige Medienkanäle hingegen erhalten Zugang zu PR-Material und können selbst entscheiden, in welchem Maße dieses genutzt wird.

In Bezug auf die russische Regierung wird ein indirekterer Einfluss beschrieben. Die ukrainischen Journalisten sind größtenteils davon überzeugt, dass russische Akteure hauptsächlich ukrainische Nachrichten diskreditieren.. So schildert eine unabhängige Online-Journalistin, wie ihre Videos verändert und dann verbreitet wurden. Diese Form des Eingriffes wird von deutschen Journalisten nicht wahrgenommen. Als hauptsächliche Form der Einflussnahme werden auf beiden Seiten Internet-Trolle genannt. Um Journalisten zu beeinflussen, werden demnach gezielt Menschen beauftragt, mittels Kommentaren im Netz den Wahrheitsgehalt von Informationen infrage zu stellen.

Als letzten wichtigen Akteur wird auf gesellschaftliche Organisationen verwiesen. Ein ukrainischer Befragter erklärte, die OSZE sei zwar eine wichtige Quelle, er versuche aber, auch die von ihr vermittelten Informationen vor deren Veröffentlichung zu überprüfen. Eine deutsche Printjournalistin weist darauf hin, dass insbesondere Aktivistenorganisationen, wie »die Euromaidan Press zum Beispiel oder das UA Crisis Center, (…) einen sehr klaren Auftrag haben und eben Journalisten Informationen zur Verfügung stellen«. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass neben den verwickelten Regierungen auch soziale Akteure versuchen, Deutungshoheit im Ostukraine-Konflikt zu erlangen.

Publikumsfeedback als Grund zur Selbstzensur?

Das Publikumsinteresse aufrechtzuerhalten ist eine der größten wirtschaftlichen Sorgen jedes Medienunternehmens. Außer durch Leserbriefe war es Rezipienten vor dem Aufkommen des Web 2.0 kaum möglich, auf Medieninhalte zu reagieren. Heute erhalten Journalisten über Kommentarspalten oder soziale Medien sofort Rückmeldung im Netz. In Bezug auf Medieninhalte über den Ostukraine-Konflikt – so bestätigen alle Befragten – ist der Ton der Kommentare besonders aggressiv. Insgesamt lässt sich festhalten, dass keiner der Journalisten einen direkten Einfluss von negativem Feedback auf seine Arbeit beschreibt. Das ist womöglich aber auch darauf zurückzuführen, dass der Einfluss auf einer eher unbewussten Ebene zum Tragen kommt. Auch Faktoren sozialer Erwünschtheit sind nicht auszuschließen. Allgemein nehmen die deutschen Journalisten das Feedback ernster als ihre ukrainischen Kollegen, die auch aufgrund der Alltäglichkeit von beleidigenden Kommentaren eine gleichgültige Haltung an den Tag legen. Dennoch berichtet ein ukrainischer Journalist, der für deutsche Medien arbeitet, Hasskommentare gegen kritische Stellungnahmen hätten seine ukrainischen Kollegen zur Selbstzensur getrieben.

Quellensuche – zwischen Ungewissheit und Glaubwürdigkeit

Der Staat, das Publikum, die Quellen – diesen drei Faktoren wird in der Medieneinflusstheorie gleichviel Gewicht beigemessen. Die Ergebnisse dieser Forschung zeigen hingegen, welch außergewöhnlich großen Einfluss Nachrichtenquellen in Kriegssituationen auf Medieninhalte haben. Dabei spielen Quellenzugang, die Auswahl der Quellen und deren Glaubwürdigkeit besonders große Rollen. Weil sich Auslandsjournalisten zunächst zurechtfinden müssen und weniger von Kultur und Sprache verstehen, wird gemeinhin angenommen, dass sie einen schwierigeren Zugang zu Quellen haben. In der Ukraine war dieses Verhältnis in Bezug auf Informationen über die Donbas-Region zunächst umgekehrt, wie eine ukrainische Journalistin bemerkt: »Wir hatten nicht die Möglichkeit, dort [im Osten] zu arbeiten, deshalb haben wir nur über die Auslandskorrespondenten mitbekommen, was dort passierte.« Im Laufe der Zeit änderte sich dieser Zustand, sodass auch internationale Journalisten nicht mehr in die sogenannten Volksrepubliken einreisen konnten. Während der Interviews im April 2017 hatte keiner der Befragten mehr Zugang zu den besetzten Gebieten.

Bei der Methode der Quellenauswahl beschreiben die Interviewten häufig Unsicherheiten. Die Journalisten folgten hier anscheinend keinen routinierten Mustern, sondern wählten Quellen eher spontan und persönlich aus. Alle Befragten halten fest, dass sie eher Quellen wählten, die sie persönlich kannten, oder solche, auf die sie von persönlichen Kontakten hingewiesen wurden. Demnach bezogen sich die deutschen Journalisten eher auf Experten, andere Auslandskorrespondenten oder Freelancer, die schon länger für ihre Medienorganisation tätig waren. Die Ukrainer bezogen sich zwar ebenfalls auf persönliche Kontakte, weniger aber auf Kollegen. Viele der Befragten betonen, die Auswahl im Konflikt beruhe letztlich aber immer auf Intuition und Zufall.

Welche Arten von Quellen verwendet wurden, hing stark mit den Medien zusammen, für die der jeweilige Journalist arbeitete. Wenig überraschend lehnten es ukrainische Journalisten privater und staatlicher Medien ab, separatistische oder russische Quellen mit aufzunehmen, während sie es für notwendig befanden, über die offizielle ukrainische Sichtweise zu berichten. Deutsche Korrespondenten und unabhängige ukrainische Journalisten betonen, alle Meinungen müssten abgebildet werden, gleichzeitig bestehe aber die Notwendigkeit, die Quellen zu überprüfen.

Welche Art von Quelle verwendet wird, hängt stark mit der Wahrnehmung von deren Glaubwürdigkeit zusammen. Alle Befragten äußern Unsicherheiten darüber, wann eine Quelle als vertrauenswürdig einzuschätzen ist. Interessanterweise stufen alle Journalisten die OSZE als unabhängige und vertrauenswürdige Quelle ein. Außerdem beobachten alle Interviewpartner, dass widersprüchliche Informationen von verschiedenen Seiten kursierten. Während offiziellen russischen Quellen grundsätzlich wenig Glaubwürdigkeit zugesprochen wird, wird die ukrainische Regierung von ukrainischen Journalisten als glaubwürdiger angesehen. Die deutschen Befragten sehen hingegen keinen Unterschied zwischen beiden. Strategien zum Umgang mit widersprüchlichen Informationen, wie zum Beispiel verschiedene Meinungen gegeneinanderzustellen, werden zwar als notwendig empfunden, die Journalisten hinterfragen diese jedoch auch. Wenn es Zugang zu Beweisen gab, griffen die Journalisten am liebsten zur Kontextualisierung. Das größere Problem stellt für die meisten aber der Umgang mit nicht überprüfbaren Informationen dar. In der undurchsichtigen Konfliktsituation haben Journalisten die abstrakte Angst entwickelt, Informationen zu verbreiten, die den Konflikt weiter befeuern könnten.

Einheitsbrei? Einfluss von Medien aufeinander

Ukrainische Journalisten geben an, in den ukrainischen Mainstreammedien sei eine einzige Meinung über den Konflikt vorherrschend. Diese wird als »Kontra-Propaganda« gegenüber der russischen Darstellung des Konfliktes ausgelegt. Es ist allerdings anzunehmen, dass diese gemeinsame Meinung nicht an erster Stelle auf eine Zusammenarbeit der Medien, sondern vielmehr auf abstrakte diskursive Strukturen zurückzuführen ist. Deutsche Journalisten stellen hingegen in den Vordergrund, dass in ihren Medien verschiedene Meinungen präsent sind. Korrespondenten vor Ort tauschten sich über Ideen und die Wichtigkeit von Ereignissen aus, eine gemeinsame Meinung entstehe dadurch jedoch nicht. Darüber hinaus beschreibt eine deutsche Print-Journalistin am Beispiel des Begriffs »Separatisten«, dass einige Worte in der Medienlandschaft auftauchen, die viele Journalisten nach einiger Zeit selbstverständlich benutzen. Trotz dieser begrifflichen Annäherung schildert ein deutscher Befragter, wie sich unter Auslandskorrespondenten im Laufe der Zeit eine differenziertere Wahrnehmung von dem Konflikt und eine differenziertere Berichterstattung über ihn herausgebildet habe.

Übergeordnete Einflüsse – Berichterstattung in der Ukraine und in Konfliktzeiten

Die Befragten verweisen immer wieder auf die besonderen Umstände des Ostukraine-Konfliktes. Zunächst beschreiben die deutschen Studienteilnehmer ihr anfängliches Unwissen über die Ukraine und betonen, dass sie viel Zeit benötigten, um die Dynamiken der Lokalpolitik und deren kulturelle Wurzeln zu begreifen. Interessanterweise äußerten Befragte aus der Ostukraine ähnliche Bedenken über ihre Kollegen aus der Westukraine in Bezug auf deren Berichterstattung über den Osten. Beide Gruppen unterstreichen die Wichtigkeit von persönlicher Präsenz, um das Geschehen vollständig zu verstehen – eine Einschätzung, die insbesondere durch den limitierten Zugang zur Ostukraine Relevanz bekommt.

In einer Kriegssituation zu berichten bedeutet immer auch, sich einem Risiko auszusetzen. Ukrainische und deutsche Journalisten bewerten die Risiken ihrer Arbeit recht unterschiedlich. Die Ukrainer befürchten eher, für ihre Arbeit bestraft zu werden. Zwei sprechen von einer ›schwarzen Liste‹ der Separatisten, die Daten unliebsamer Journalisten veröffentliche. Zwei weitere geben an, aus Angst, getötet zu werden, nicht mehr in die Ostukraine reisen zu wollen (selbst wenn sie es könnten). Die Auslandskorrespondenten hingegen sehen eher die Gefahr, in akuten Konfliktsituation verletzt zu werden. Insgesamt betonen sie die Risiken stärker als ihre ukrainischen Kollegen. Diese konstatieren aufgrund der persönlicheren Bedrohung jedoch wiederum einen größeren Einfluss der Risiken auf ihre Arbeit.

Eine übergeordnete Rolle spielt auf beiden Seiten die geringe Erfahrung damit, in Kriegssituationen zu berichten. Eine ukrainische Journalistin fasst die Situation für die Ukrainer zusammen: »Die Ukraine hat keine Kriegserfahrung und als es anfing, war niemand bereit, auch die Journalisten nicht. Manchmal denke ich auch jetzt, dass wir noch nicht bereit sind. Nicht bereit für die Propagandaattacken, die Informationsattacken. Wissen Sie, wenn sie ständig hören, dass Menschen gestorben sind, Soldaten gestorben sind, das ist wirklich schwierig.« Gerade an diesem Zitat wird jedoch deutlich, dass es auf der ukrainischen Seite nicht bloß um fehlende Erfahrung in der Kriegsberichterstattung geht. Es wird auch die Schwierigkeit formuliert, möglichst objektiv über einen Krieg im eigenen Land zu berichten – ein Problem, das sich für die deutschen Journalisten nicht stellt. Diese betonen eher die Schwierigkeit, die vielschichtige Natur des Konfliktes zu analysieren und ihrem Publikum in Deutschland verständlich zu übermitteln. Die fehlende Transparenz in diesem Konflikt, der sich als hybrider sowie als Informationskrieg klassifizieren lässt, stellt für den vergleichsweise jungen freien Journalismus der Ukraine wie auch für die deutlich ältere journalistische Tradition in Deutschland eine Herausforderung dar. Insgesamt wurde diese Situation aber besonders von ukrainischen Journalisten nicht nur als Hürde, sondern eher als Chance dargestellt, Verantwortung für Medieninhalte und ihre Wirkung zu übernehmen.

Hegemoniale nationale Diskurse

In der Kommunikationstheorie wird häufig der »Ideologie« das höchste Maß an Einfluss auf Medieninhalte zugesprochen. Da keiner der Befragten eine solche ideologische Struktur erwähnt, wird in dieser Studie mit dem Begriff »prädominanter nationaler Diskurs« gearbeitet. Dieser unterscheidet sich von der »Ideologie«, indem er nicht allein durch die Bedürfnisse der ›Machthaber‹ bestimmt wird.

Die deutschen Befragten haben beobachtet, dass die deutsche Bevölkerung den Ukraine-Konflikt größtenteils über Russland definiert. Auch die Korrespondenten selbst würden gern »die Putin-Brille« aufsetzen. Andere, in der Ukraine angesiedelte Aspekte seien häufig weniger relevant für die Bevölkerung und würden demnach auch weniger abgebildet. Was die Rolle Russlands im Konflikt angeht, so sprechen die deutschen Korrespondenten meist von zwei Meinungen in der deutschen Bevölkerung – einer sehr pro-europäischen Argumentation auf der einen und einer eher pro-russischen Argumentation auf der anderen Seite. Mit ›pro-europäischer Argumentation‹ ist hier gemeint, dass Russland als Hindernis für eine Annäherung der Ukraine an die EU gesehen wird. Diese Annäherung gilt als erstrebenswert. Die ›pro-russische Argumentation‹ hingegen stellt Russland als missverstandenen Akteur dar, der zu Unrecht von der westlichen Welt angegriffen wird. Diese Argumentation, so erklären einige Teilnehmer, hänge mit auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehenden Schuldgefühlen Deutschlands gegenüber Russland zusammen. Eine differenzierte Auseinandersetzung innerhalb der Medieninhalte zu leisten sehen die Korrespondenten als unproblematisch an, weil sie in beiden diskursiven Welten – der ukrainischen und der deutschen – leben und arbeiten und dadurch eine Außenperspektive einnehmen können. Das hat eine relativierende Wirkung auf den direkten Einfluss eines nationalen Diskurses.

Die ukrainischen Journalisten beschreiben hingegen einen entscheidenden Einfluss des Diskurses auf ihre Arbeit. Als Hauptfaktor wurde ukrainischer Patriotismus und damit einhergehend die steigende Abgrenzung von der Bevölkerung im Osten des Landes genannt. Diese Abgrenzung unterscheide nicht zwischen Kämpfern, Demonstranten und Zivilbevölkerung. Auf ihre Arbeit bezogen sehen die Journalisten kaum Möglichkeiten, von der patriotischen Einstellung abweichende Meinungen zu äußern, ohne dass diese vom Publikum skandalisiert werden. Daraus lässt sich schließen, dass unabhängige Medien von Regierungsseite zwar toleriert werden, dass die Möglichkeiten für Journalisten, verschiedene Meinungen darzustellen, aber beschränkt sind.

Schlussfolgerung

Die Wahrnehmungen der Journalisten können nicht den gesamten Umfang der Einflüsse auf Nachrichten darstellen, insbesondere da die Journalisten von ihren Aussagen persönlich betroffen sind. Gerade in einer aktuellen Konfliktsituation wie dem Ostukraine-Konflikt können ihre Beobachtungen der speziellen Umstände jedoch einzigartige Einblicke ermöglichen. Diese Studie zeigt, was die außergewöhnlichen externen Einflüsse auf den Konflikt für deutsche Auslandskorrespondenten und ukrainische Journalisten bedeuten. Während die beiden Gruppen teils deutlich unterschiedliche Einflüsse auf ihre Arbeit schildern, lässt sich insgesamt erkennen, dass der Umgang mit Unsicherheit, Fehlinformationen und plötzlichen Ausbrüchen von Patriotismus Journalisten auf beiden Seiten zur Reflexion ihrer Rolle und ihrer Verantwortung geführt hat. In einer Umgebung, die von widersprüchlichen Informationen sowie offenen und verdeckten Zwängen geprägt ist, wird die Spannung zwischen Objektivität und Wahrheit offensichtlich. Journalismus muss sich heute mit der Frage auseinandersetzen, wie ein professioneller ethischer Umgang mit den komplexen Strukturen von Informationskriegen möglich ist.

Lesetipps / Bibliographie

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Analyse

Kommunikation als Mittel der Reintegration der Bevölkerung im Donbass

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Während in der Ukraine die Zweckmäßigkeit der Minsker Vereinbarungen weiterhin in Frage gestellt wird und die politische Zukunft der nicht unter Kontrolle der Ukraine stehenden Gebiete der Oblaste Donezk und Luhansk offen bleibt, zeigen einschlägige Untersuchungen in diesen Regionen, dass die Intensität der Beziehungen zwischen der Ukraine und den Einwohnern dieser Gebiete weiter nachlässt. Zur Reintegration der nicht unter Kontrolle der Ukraine stehenden Gebiete könnte eine Kommunikationsstrategie des Meinungs- und Informationsaustauschs beitragen. Sie müsste dabei Bestandteil der ukrainischen Staatspolitik sein oder als eine eigenständige staatliche Kommunikationspolitik in Bezug auf die genannten Regionen ausgearbeitet werden.
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Analyse

Föderalisierung versus Bosnisierung – Russlands Ukraine-Strategie

Von Stefan Meister
Russlands Provokationen in der Ostukraine und die Präsenz russischer Truppen an der östlichen Grenze der Ukraine zielen darauf, die ukrainische Übergangsregierung zu destabilisieren, die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai zu verhindern und die eigene Verhandlungsposition über den zukünftigen Status der Ukraine gegenüber der EU und den Vereinigten Staaten zu verbessern. Dabei ist das vorrangige Ziel Russlands nicht die Annexion des Ostens der Ukraine, sondern die EU und die USA dazu zu bringen, die begrenzte Souveränität der Ukraine als Teil der russischen Einflusssphäre anzuerkennen. Die Ostukraine zu annektieren, wäre für Russland mit hohen wirtschaftlichen und politischen Kosten verbunden, jeder Versuch, weiteres ukrainisches Territorium zu kontrollieren, würde zu Widerstand in der ukrainischen Gesellschaft führen und die Bereitschaft der EU-Mitgliedsstaaten erhöhen, härtere ökonomische Sanktionen gegen Russland zu erlassen. Für die russische Führung gibt es letztlich nur zwei Optionen für die Zukunft der Ukraine: Föderalisierung oder Bosnisierung. (…)
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